Urteil des SozG Düsseldorf vom 03.04.2007

SozG Düsseldorf: berufliche tätigkeit, firma, berufskrankheit, belastung, rente, grenzwert, erwerbstätigkeit, verordnung, gefährdung, handwerk

Sozialgericht Düsseldorf, S 16 U 68/04
Datum:
03.04.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 16 U 68/04
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung seiner Erkrankung der
Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und die Gewährung einer Verletztenrente.
2
Der 1957 geborene Kläger war - eigenen Angaben zufolge - von Juli 1972 bis Juni 1977
als Auszubildender in PKW-Reparaturwerkstätten beschäftigt. Danach arbeitete er bis
August 1981 bei den L1 X1, die später von der E Deutschland übernommen wurden.
Anschließend war er bis April 1982 arbeitslos und sodann bis zum 06.04.1983 bei den
L2-L1 tätig. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit bis Juli 1984 war er bis Januar 1985 bei
der D, X2, beschäftigt und war sodann bis November 1986 arbeitslos. In der Zeit bis
September 1987 arbeitete er bei der Firma G, war dann wieder bis April 1989 -
unterbrochen durch ein Beschäftigungsverhältnis von Februar bis März 1989 - arbeitslos
und war anschließend bis Oktober 1990 bei der Firma U beschäftigt. Bis November
1993 ging er keiner Erwerbstätigkeit mehr nach und arbeitete sodann bei der H
Gemeinnützige Gesellschaft für Entsorgung, Sanierung und Ausbildung. Sodann bezog
er bis März 1995 Arbeitslosengeld und war bis September 1996 bei der X3 GmbH
beschäftigt; seitdem geht er keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Im Mai 2001 ersuchte
der Kläger die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik um
Einleitung eines berufsgenossenschaftlichen Feststellungsverfahrens. Dabei bezog er
sich auf einen Bescheid des Versorgungsamts X4 (vom 01.02.2001), der als
Behinderungen "Wiederkehrendes LWS-Syndrom bei Verschleiß der Wirbelsäule,
lumbale Bandscheibenschäden" ausweist. Die Berufsgenossenschaft der
Feinmechanik und Elektrotechnik zog daraufhin medizinische Unterlagen bei und gab
den Rechtsstreit nach Einholung von Arbeitsauskünften zuständigkeitshalber an die
beklagte Berufsgenossenschaft ab. Nach den Feststellungen der Präventionsabteilung
der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik war der Kläger bei den
L1 X1 einer Gesamtdosis von 5,34 MNh berechnet auf der Grundlage des Mainz-
Dortmunder-Dosismodells ausgesetzt, dagegen hatte er bei der L Kabelwerken, bei
denen er mit dem Herstellen von Gummimischungen beschäftigt war keine
3
bandscheibengefährdenden Tätigkeiten zu verrichten. Ebenso wie bei der Firma D , bei
der er - nach den Ermittlungsergebnissen des Technischen Aufsichtsdienstes der
Berufsgenossenschaft der Chemischen Industrie - als Maschinenführer in der
Silikongummi-Schlauchextrusion beschäftigt war, wobei ihm das Überwachen und
Beschicken des Extruders mit Rohmaterial oblag. Das Beschicken des Extruders
erfolgte mit einem Schäufelchen aus einem durch andere Personen bereitgestellten
Eimer. Bei der Firma U war der Kläger - nach Ausführungen der Präventionsabteilung
der Beklagten - als Maschinenführer von Pressen- und Gewindeschneidmaschinen tätig
wobei die Tagesbelastungsdosis von 5.500 Nh bei weitem unterschritten wurde. Nach
den Feststellungen der Präventionsdienste der Berufsgenossenschaft für
Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege hatte der Kläger bei der Firma H
Elektrogroßgeräte zu demontieren, wobei seine Tätigkeit hauptsächlich im Sitzen und
Stehen ausgeübt wurde und der Grenzwert von 5.500 Nh mit ungefähr 1.230 Nh
ebenfalls bei weitem unterschritten wurde. Dies gilt auch für die Tätigkeit des Klägers
bei der Firma X3, in der er Kupplungen zu montieren hatte, wobei die fertigen
Kupplungen ein Gewicht zwischen ca. 3 und maximal 10 kg hatten und darüber hinaus
Kisten zwischen 30 und 50 kg mit Hilfsmitteln bewegt werden mussten. Nach den
Feststellungen der Präventionsabteilung der Beklagten lag die Tagesbelastung weit
unter 50 % des Dosisrichtwertes. Mit Bescheid vom 25.03.2003 lehnte die Beklagte die
Bewilligung von Entschädigung mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen
Voraussetzungen der geltend gemachten Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
BKV seien nicht erfüllt. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 05.03.2004). Mit seiner am 29.03.2004 bei Gericht
eingegangenen Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, seine
Gesundheitsschäden seien allein auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Die
arbeitstechnischen Ermittlungen der Beklagten würden seine berufliche körperliche
Belastung nur unzureichend wiederspiegeln.
Der Kläger beantragt,
4
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25.03.2003 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 05.03.2004 zu verurteilen, ihm Rente wegen einer
Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen zu gewähren.
5
Die Beklagte beantragt,
6
die Klage abzuweisen.
7
Das Gericht hat einen Befundbericht von den E und L3 eingeholt und
orthopädischerseits W als Sachverständigen gehört. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme sowie wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes im Einzelnen
wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.
8
Entscheidungsgründe:
9
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25.03.2003 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2004 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Rente (vgl. § 56 SGB VII), weil ein Versicherungsfall in Gestalt der
streitigen Berufskrankheit (vgl. § 7 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 SGB VII) nicht eingetreten
ist. Der Kläger leidet nicht an einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV.
10
Dieser Berufskrankheit sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der
Lendenwirbelsäule zuzurechnen, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer
Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht
worden sind. Als Lastgewichte, deren regelmäßiges Heben oder Tragen mit einem
erhöhten Risiko für die Entwicklung bandscheibenbedingter Erkrankungen der
Lendenwirbelsäule verbunden sind gelten bei Männern im Alter zwischen 18 und 39
Jahren Lasten von 25 kg und bei Männern ab 40 Jahr Lasten von 20 kg. Eine solche
berufliche Belastung des Klägers lässt sich nach den plausiblen arbeitstechnischen
Ermittlungen im Verwaltungsverfahren nicht mit der erforderlichen an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen. Die Belastung ist dabei anhand des Mainz-
Dortmunder-Dosismodells zu schätzen. Bei diesem Berechnungsmodus wird zur
Beurteilung einer möglichen Gefährdung aus der Belastungshöhe und der
Belastungsdauer eine schichtbezogene Beurteilungsdosis (Tagesdosis) errechnet. Als
Belastungssumme wird die Zugkraft auf das Bandscheibensegment L 5/S 1 als
Belastungsdauer die Dauer für Hebe- oder Tragevorgänge herangezogen. Dabei geht
die Druckkraft gegenüber der Belastungsdauer aufgrund des höheren
Schädigungspotenzials überproportional in die Berechnung der Tagesdosis ein. Als
täglicher Tagesdosis-Richtwert, bei dessen Erreichen oder Überschreiten mit einer
Gefährdung für das Entstehen bandscheibenbedingter Erkrankungen der
Lendenwirbelsäule zu rechnen ist, wird ein Wert von 5.500 Nh abgeleitet, d. h. nur
Tätigkeiten mit Dosiswerten ab diesem Wert sind als gefährdend im Sinne der
Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzusehen. Nur wenn die
Tagesdosisrichtwerte erreicht oder überschritten werden, werden die Tagesdosen zu
einer Gesamtdosis addiert. Im vorliegenden Fall überschreiten nur die bei der Firma X1
zurückgelegten Tagesdosen den Grenzwert von 5.500 Nh, so dass sich aus diesen
Werten eine Gesamtdosis von 5,34 Mnh errechnet. Dieser Betrag erreicht den Richtwert
für die Gesamtbelastungsdosis der bei Männern nach dem Mainz-Dortmunder-
Dosismodell 25 Mnh beträgt bei weitem nicht. Dies gilt auch dann, wenn die bisher nicht
bewerteten Tätigkeiten als Auszubildender im Kfz-Handwerk berücksichtigt werden. Für
den Kläger hat daher kein berufsbedingt erhöhtes Risiko für eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der Lendenwirbelsäule bestanden. Vorsorglich wird darauf hingewiesen,
dass nach ständiger BSG-Rechtsprechung (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur
Berufskrankheiten-Verordnung, M 2108 Nr. 2.3 mit Rechtsprechungshinweisen) das
Mainz-Dortmunder-Dosismodell aufgrund des derzeitigen Standes der medizinischen
Erkenntnisse eine hinreichend bestimmte Grundlage für eine gleichmäßige
Rechtsanwendung darstellt, letztlich der Konkretisierung der unbestimmten
Rechtsbegriffe "langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten" dient und auf der
wissenschaftlichen Erkenntnis beruht, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der
Lendenwirbelsäule durch äußere Einwirkungen verursacht werden können und dafür
eine gewisse Belastungsdosis im Sinne eines Drucks auf die bandscheiben notwendig
ist. Bei dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell handelt es sich damit um die
Zusammenfassung medizinischer Erfahrungstatsachen, die das Gericht - auch zur
gleichmäßigen Rechtsanwendung - seiner Entscheidung zu Grunde zu legen hat.
Wegen der fehlenden arbeitstechnischen Voraussetzungen lassen sich auch die
mediznischen Voraussetzungen nicht begründen. Dabei stützt sich die Kammer auf die
plausiblen Feststellungen des Sachverständigen W. Zwar besteht beim Kläger eine
bandscheibenbedingte Erkrankung, ein belastungskonformer Krankheitsverlauf lässt
sich dagegen nicht bestätigen.
Die Kostenentschediung beruht auf § 193 SGG.
11