Urteil des SozG Düsseldorf vom 25.02.2006

SozG Düsseldorf: miete, heizung, unterkunftskosten, rechtsschutz, wohnkosten, rechtsgrundlage, wohnfläche, vertretener, verfügung, wohnraum

Sozialgericht Düsseldorf, S 35 AS 360/05 ER
Datum:
25.02.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
35. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 35 AS 360/05 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung
verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum
31.03.2006 monatliche Leistungen für Unterkunft in Höhe von 464,27
Euro zu gewähren. Der weitergehende Antrag wird abgelehnt. Die
Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten
des Antragstellers zu 3/4.
Gründe:
1
I. Der Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II. Für den Zeitraum ab Januar
2005 wurden dem Antragsteller zunächst monatliche Leistungen in Höhe von 993,83
Euro bewilligt. Dem lagen unter Anderem monatliche Mietkosten in Höhe von 533,04
Euro zu Grunde.
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Im März 2005 belehrte die Antragsgegnerin den Antragsteller darüber, dass seine Miete
unangemessen hoch sei. Sie forderte den Antragsteller auf, eine billigere Wohnung zu
suchen. Hierbei vertrat sie die Auffassung, diese Wohnung dürfe 45 m² nicht
überschreiten und der m²-Preis (Miete einschließlich Nebenkosten zzgl. Heizung) dürfe
nur 6,40 Euro pro m² betragen.
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Mit Bescheid vom 01.09.2005 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für den
Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 31.10.2005 eine Leistung in Höhe von 787,06 Euro
und für den Zeitraum vom 01.11.2005 bis zum 31.03.2006 in Höhe von 715,06 Euro
monatlich. Dem liegen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 334,27 Euro
monatlich zu Grunde.
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Gegen den Bescheid legte der Antragsteller unter dem 13. September 2005
Widerspruch ein, den er damit begründete, er habe sich einen
Wohnberechtigungsschein besorgt und er sei auf Wohnungssuche.
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Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller unter dem 15. September 2005 mit, ihr
Bescheid sei rechtmäßig. Wenn der Antragsteller innerhalb der nächsten 4 Wochen sich
nicht mehr melde, habe sich das Widerspruchsverfahren erledigt.
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Gegen dieses Schreiben hat der Antragsteller erneut "Widerspruch" eingelegt. Die
Antragsgegnerin hat daraufhin unter dem 09.11.2005 einen ablehnenden
Widerspruchsbescheid erteilt, den der Antragsteller unter dem 14.11.2005 mit einer
Klage angefochten hat. Im Klageverfahren hat das Gericht ein Gutachten von dem
Sachverständigen für Wohnungs- und Gewerberaummieten I eingeholt. Dieses
Gutachten liegt dem Gericht noch nicht vor.
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Unter dem 29. November 2005 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz
begehrt. Er trägt vor, er sei nicht in der Lage, seiner Mietverpflichtung nachzukommen.
Er müsse daher damit rechnen, demnächst gekündigt zu werden.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller monatlich 540,54 Euro Mietzuschuss einschließlich Betriebs- und
Heizkosten zu zahlen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie hat Ablichtungen von Wohnungsangeboten zur Akte gereicht und ist der Ansicht,
dass eine 45 m²-Wohnung zu einem Mietpreis von 6,40 Euro pro m² angemessen ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den
Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
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II. Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung ist in dem tenorierten Umfang begründet.
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Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der Antragsteller
erhält seit längerem Leistungen, die um ca. 280,00 Euro monatlich verringert sind. Der
Antragsteller ist damit chronisch unterfinanziert und nachvollziehbar nicht in der Lage,
entweder seinen Lebensunterhalt angemessen zu bestreiten oder aber seinen
Mietverpflichtungen nachzukommen. Dabei ist es dem Antragsteller nicht zuzumuten,
eine Wohnungskündigung abzuwarten, denn der Antragsteller könnte sich zwar gegen
eine solche Kündigung mit einer Klage vor einem Zivilgericht wehren und im
Klageverfahren die rückständigen Mieten nachzahlen, dieses Verfahren wäre aber für
ihn mit erheblichen weiteren Kosten verbunden. Da im Übrigen mit einer Entscheidung
im Hauptsacheverfahren vorläufig noch nicht zu rechnen ist, würde die
Unterfinanzierung des Antragstellers noch geraume Zeit bestehen. Es ist offenbar, dass
der Antragsteller dies nicht länger aufzufangen vermag.
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Der Antragsteller hat im Übrigen einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach §
22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, allerdings nur, soweit diese angemessen
sind. Der Antragsteller bewohnt eine Mietwohnung mit einer Größe von 53,94 m².
Hierfür zahlt er eine monatliche Grundmiete von 350,20 Euro. Dies entspricht einer m²-
Miete Kaltmiete von etwa 6,50 Euro.
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Diese Wohnung ist – gemessen an den Vorgaben der Antragsgegnerin – zwar
unangemessen teuer, dies kann aber nicht zur Folge haben, dass der Antragsteller nur
noch Anspruch auf 288 Euro Kaltmiete im Monat hat. Vielmehr ist die Antragsgegnerin
verpflichtet, die Mietkosten des Antragstellers mindestens in dem Umfang zu
übernehmen, indem die Kosten angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind.
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Zwar schreibt die Antragsgegnerin eine Wohnungsgröße von höchstens 45 m² für einen
Alleinstehenden vor, wofür das Gericht übrigens keine Rechtsgrundlage sieht, darauf
kommt es aber nicht an, weil Wohnkosten nicht schon deswegen unangemessen sind,
weil sie größer sind als der Referenzwert aus dem Wohnungsbindungsrecht, auf den die
Antragsgegnerin in ihren internen Bestimmungen offenbar Bezug nimmt. Die Kammer
verweist insoweit auf die Rechtsprechung zur sog. "Produkttheorie" (vgl. LSG
Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 1. August 2005 – L 19 B 21/05 AS ER – und vom
24. August 2005 – L 19 B 28/05 AS ER –; BVerwG, Urteil vom 28. April 2005 – 5 C
15/04 –; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. März 2004 – 12 A 714/03 –
ZfSH/SGB 2005, 155 ff.; zum Streitstand auch Berlit, in: LPK-SGB II, 2005, § 22 Rn 32 f),
wonach es im Ergebnis für den Hilfsbedürftigen unschädlich ist, wenn sich einzelne
Faktoren (wie etwa die Wohnfläche) isoliert betrachtet als unangemessen darstellen,
solange nur das Endergebnis, dh die Kosten, nicht unangemessen sind. Hierfür spricht
die Intention des SGB II, die Eigenverantwortung des Hilfebedürftigen zu stärken (§ 1
Abs 1 S 1 SGB II). Nach dieser Theorie hat der Antragsteller hier Anspruch auf die von
der Antragsgegnerin für Bestandswohnungen zugestandenen 418 Euro zuzüglich
Heizkosten. Das sind die im Tenor aufgeführten 464,27 Euro.
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Dass die dem Antragsteller im vorliegenden ER-Verfahren zugesprochene Summe
unter seinen tatsächlichen Kosten liegt, ist vorliegend unschädlich. Nach hier vertretener
Auffassung ist der Antragsteller in der Verfügung über seine SGB II Grundleistungen
(345 Euro) frei. Er kann einen Teil dieses Geldes auch verwenden, um Mietkosten zu
begleichen, die nicht über § 22 SGB II abgedeckt sind.
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Da dem Begehren des Antragstellers im einstweiligen Rechtsschutzverfahren damit
weitgehend entsprochen worden ist, kann das Gericht offen lassen, ob der Antragsteller
in einem Hauptsacheverfahren nicht auch Anspruch auf Übernahme der vollen
Mietkosten hat, weil der Bescheid vom 01.09.2005 möglicherweise auch deswegen
rechtswidrig ist, weil § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II für den Fall, dass die Aufwendungen für
die Unterkunft den angemessenen Umfang übersteigen, diese gleichwohl solange
berücksichtigungsfähig sind, wie es dem Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht
zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel die Aufwendungen zu senken. Der
Antragsteller hat hier behauptet und hierzu auch Beweis durch Vorlage von Unterlagen
über sein vergebliches Bemühen um Erhalt einer Wohnung angetreten, dass es ihm
nicht möglich ist, die Unterkunftskosten zu senken. Ob die Bemühungen des
Antragstellers um günstigeren Wohnraum ausreichend sind, kann aber vorliegend nicht
entschieden werden und bleibt damit einem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
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Die höheren Unterkunftskosten hat das Gericht dem Antragsteller im vorliegenden
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur für den Zeitraum nach Eingang des
Antrages bei Gericht zugesprochen, weil im vorläufigen Rechtsschutz in der Regel
keine Leistungen für die Vergangenheit begehrt werden können ...
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
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