Urteil des SozG Düsseldorf vom 12.12.2006

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Sozialgericht Düsseldorf, S 4 KR 367/04
Datum:
12.12.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 4 KR 367/04
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Streitig ist die Erstattung der in der Vergangenheit angefallenen und die Übernahme der
in der Zukunft anfallenden Kosten für die Beschaffung des Arzneimittels Miticor
("Coenzym Q").
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Bei der am 00.00.1973 geborenen Klägerin besteht der Verdacht auf
Mitochondriopathie. Anfang 2000 beantragte sie bei der Beklagten die
Kostenübernahme. Im Gutachten des MDK vom 21.01.2000 heißt es u. a., die
vorliegende Erkrankung sei selten, so dass Studien über den Einsatz bestimmter
Therapieformen nicht vorlägen. Ungeachtet dessen mache der Einsatz von Coenzym Q
bei der Erkrankung, bei der ein Defekt des Stoffwechsels der oxidativen
Phosphoriierung vorläge, pathophysiologisch einen Sinn. Die Therapie werde auch in
Standartlehrbüchern aufgeführt. Bei dem hier beantragten Miticor handele es sich um
ein Diätetikum, nicht um ein Arzneimittel. Die Voraussetzungen für eine
Kostenübernahme seien nicht erfüllt.
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Mit Bescheid vom 10.02.2000 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme unter Hinweis
auf das Gutachten des MDK ab.
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Dagegen erhob die Klägerin am 06.03.2000 Widerspruch. In dem zur Begründung
vorgelegten Attest des Neurologen X vom 01.03.2000 heißt es u. a., bei der Behandlung
mit Miticor handele es sich noch nicht um eine Standartbehandlung, jedoch um eine
wissenschaftlich begründete Therapieform, die in einer randomisierten, kontrollierten
Cross-over-Studie deutliche Vorteile ergeben hätte. Relevante Nebenwirkungen seien
nicht aufgetreten. In dem zur weiteren Begründung vorgelegten Attest der
Neurologischen Universitätsklinik C vom 10.02.2000 heißt es u. a., eine spezifische
Therapie der bei der Klägerin bestehenden Erkrankung sei nicht bekannt. Einige
Studien belegten jedoch die Wirksamkeit von Coenzym Q, wobei der Effekt interviduell
unterschiedlich auszufallen scheine. Eine Besserung der Beschwerdesymptomatik
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unter Coenzym Q wäre wiederholt in Einzelfällen beschrieben worden. In einem
weiteren Attest der Neurologin F vom 01.09.2004 heißt es u. a., die Klägerin sei auf
Grund einer Mitochondriopathie auf die Einnahme des Medikaments Miticor
angewiesen. Seit der Einnahme dieses Präparates ginge es ihr wesentlich besser und
Arbeitsunfähigkeitszeiten hätten vermieden werden können und die Patientin sei im
ganzen leistungsfähiger. In einer weiteren Stellungnahme vom 05.11.2004 führte der
MDK aus, es handele sich um ein nicht-Apotheken-pflichtiges Mittel, für das eine
Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmslos nicht bestünde. Die Widerspruchsstelle
der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2004 als
unbegründet zurück. Bei Mitochondriopathien handele es sich um
Stoffwechselerkrankungen, die sich mit unterschiedlichen Symptomen an
verschiedenen Organen, besonders an solchen, mit hohem Energiestoffwechsel wie z.
B. dem Nervensystem zeigten. Eine causale Therapie der Krankheit sei nicht bekannt.
Coenzym Q sei ein lebenswichtiger, vitalartiger Mikronährstoff. Er sei für die Zellatmung
und den Energietransport in den Mitochondrien von Bedeutung. Diese wiederum hätten
ihre Funktion bei der Oxidation der Nährstoffe in der Zelle. Da eine
Behandlungsmöglichkeit von Mitochondriopathien nicht zur Verfügung stehe, sei
wissenschaftlich unbestritten, dass die Gabe von Coenzym Q zumindest zur Erzielung
symptomatischer Besserungen angezeigt sei. Gleichwohl scheide eine
Kostenübernahme aus. Nach § 31 SGB V bestünde grundsätzlich kein Anspruch auf
nicht-Apotheken-pflichtige Arzneimittel. Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließe
jedoch in besonderen Richtlinien, in welchen Fällen Vitamine und vergleichbare Stoffe
ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung mit einbezogen würden. In diesen
Arzneimittelrichtlinien sei geregelt, dass Diätpräparate grundsätzlich nicht von den
Krankenkassen übernommen werden dürften. Der MDK stufe Miticor aber ohne
Einschränkungen in den Bereich der Diätpräparate ein.
Dagegen hat die Klägerin am 17.12.2004 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf
erhoben. Sie weist nochmals darauf hin, dass die behandelnden Ärzte die Einnahme
von Miticor dringend empfohlen hätten. Seit Einnahme dieses Präparates hätten die
Krankheitssymptome deutlich nachgelassen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.02.2000 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 19.11.2004 zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung
mit Coenzym Q 10 für die Vergangenheit zu erstatten und für die Zukunft hin zu
übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es handele sich um ein Nahrungsergänzungsmittel, das u. a. in Drogerien und
Reformhäusern frei verkäuflich sei. Wie im Widerspruchsbescheid ausgeführt, sei es
von der Leistungspflicht von der gesetzlichen Krankenkasse ausgeschlossen.
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Auf Anfrage des Gerichtes teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
mit Schreiben vom 28.02.2005 mit, dass Miticor über keine arzneimittelrechtliche
Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder eine
Genehmigung für das Inverkehrbringen durch die Kommission der Europäischen
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Gemeinschaften oder den Rat der Europäischen Union, die seine Verkehrsfähigkeit in
der Bundesrepublik begründen könnte, verfüge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der
Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten
der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung oder Übernahme der Kosten für das
Mittel Miticor bzw. Coenzym Q 10. Der Grundsätzlich nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB
V bestehende Anspruch auf Krankenbehandlung in Form der Versorgung mit
Arzneimitteln unterliegt grundsätzlich den Einschränkungen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB
V: Qualität und Wirksamkeit von Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen und den Fortschritt zu berücksichtigen.
Sie müssen ausreichend, zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich sein. Um den
Anspruch auf das ausreichende und notwendige Maß zu beschränken hat der
Gesetzgeber in § 31 SGB V den Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln auf die
Arzneimittel beschränkt, die apothekenpflichtig sind. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V
ist der Gemeinsame Bundesausschuss jedoch ermächtigt in Richtlinien nach § 92 Abs.
1 Satz 2 Nr. 6 festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen
Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung
ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden könne. Bei
dem Mittel Miticor bzw. Coenzym Q 10 handelt es sich jedoch nicht um ein
apothekenpflichtiges Arzneimittel. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei diesem
Mittel überhaupt um ein Arzneimittel im Sinne des SGB V handelt, scheitert der
Anspruch auf Versorgung auch schon an der fehlenden arzneimittelrechtlichen
Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG). Mangels Zulassung kommt somit auch
eine die Zulassung überschreitende Verordnung nach Maßgabe der Kriterien zum sog.
"Off-label-use" nicht in Betracht. Bewertet man Miticor bzw. Coenzym Q 10 als
Nahrungsergänzungsmittel, so bestünde wegen des Ernährungszwecks ebenfalls kein
Versorgungsanspruch der Klägerin (vgl. BSG SozR 3- 2500 § 27 Nr. 10).
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Auch auf die Arzneimittelrichtlinien (Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln
in der vertragsätzlichen Versorgung vom 31.08.1993, zuletzt geändert am 15.06.2004,
Bundesanzeiger Nr. 164 vom 01.09.2004) kann sich die Klägerin nicht stützen. Nach §
31 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist zwar der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt,
bestimmt Stoffe in die Arzneimittelversorgung ausnahmsweise wieder einzubeziehen.
Um einen der im Gesetz genannten Fälle: Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate,
Elementardiäten und Sondennahrung handelt es sich hier jedoch nicht. Außerdem ist
unter Nr. 20.1 i der genannten Arzneimittelrichtlinien ergänzend bestimmt, dass
Elementardiäten (Gemische von Nahrungsgrundbausteinen, Vitaminen und
Spurenelementen) nur zulässig sind bei Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom, stark
Untergewichtigen mit Mukoviszidose, bei Patienten mit chronisch terminaler
Niereninsuffizienz unter eiweißarmer Ernährung und bei Patienten mit konsumierenden
Erkrankungen sowie medizinisch indizierter Sondennahrung. Keiner dieser
Fallgestaltungen liegt hier vor. Es handelt sich auch nicht um eine vergleichbar schwere
Erkrankung: In den vom Gemeinsamen Bundesausschuss positiv geregelten Fällen
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handelt es sich um schwerstkranke oder sogar lebensgefährlich erkrankte Personen,
während die Klägerin an einer weniger bedrohlichen Erkrankung leidet, die mit Hilfe
besonderer Ernährung noch eine volle Arbeitsfähigkeit zulässt, wie auch die
behandelnde Ärztin Frau F bestätigt.
Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung (BSGE 81, 240 und Urteil vom 05.07.2005, B
1 KR 12/03 R) eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für
Mehraufwendungen abgelehnt, die Versicherten dadurch entstehen, dass sie an Stelle
haushaltsüblicher Lebensmittel aus Krankheitsgründen eine Diät- oder Krankenkost
verwenden müssen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Ausweitung des
Arzneimittelbegriffs durch Einbeziehung von Diät- oder Krankenkost der begrenzten
Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung widerspräche. Dies verfolgt
nicht das Ziel, den Versicherten vor krankheitsbedingten Nachteilen umfassen zu
schützen. Mehrkosten und andere Nachteile und Lasten, die der Versicherte im
täglichen Leben wegen der Krankheit hat, sind der allgemeinen Lebenshaltung
zuzurechnen und nicht von der Krankenkasse zu tragen. Dies gilt grundsätzlich auch für
Mehraufwendungen, die durch eine besondere, krankheitsangepasste Ernährungsweise
entstehen. Der Krankenversicherungsschutz setzt also erst dann ein ,wenn der
Erkrankte verschreibungspflichtige Medikamente benötigt (so LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 05.04.2006 - L 5 KR 5106/05).
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Die Klägerin hat somit keinen Anspruch auf Versorgung bzw. Kostenübernahme mit
dem Mittel Miticor bzw. Coenzym Q 10 für die Zukunft.
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Zu Recht hat die Beklagte auch die Kostenerstattung für die Vergangenheit abgelehnt.
Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V besteht nicht. Danach hat die Krankenkasse die
Kosten für eine selbst beschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit
diese Leistung notwendig war und es sich entweder um eine unaufschiebbare
Maßnahme handelte oder die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Um
eine unaufschiebbare Leistung handelte es sich offensichtlich nicht. Die Ablehnung
erfolgt auch aus dem o. g. Gründen nicht zu Unrecht. Die Klägerin hat somit keinen
Erstattungsanspruch für die von ihr verauslagten Kosten für die Vergangenheit.
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Die Klage musste daher abgewiesen werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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