Urteil des SozG Düsseldorf vom 23.06.2006
SozG Düsseldorf: eheähnliche gemeinschaft, fristlose kündigung, vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, zusammenleben, wohnung, verfügung, gefahr, glaubhaftmachung, erlass
Sozialgericht Düsseldorf, S 28 AS 157/06 ER
Datum:
23.06.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
28. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 28 AS 157/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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Der am 24.05.2006 von dem Antragsteller gestellte Antrag,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm
Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
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hat keinen Erfolg.
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Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht in der Hauptsache auf
Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr
wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass
einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h.
des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller
betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Der
geltend gemachte Anspruch -hier auf Leistungen zur Sicherstellung des
Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch -Grundsicherung für
Arbeitssuchende- (SGB II)- (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die
Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes -die Eilbedürftigkeit-
(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung
mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf
die einschränkte gerichtliche Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewißheit für die tatsächlichen
Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im
einstweiligen Verfahren (LSG NRW Beschluss vom 14.06.2005 -L 1 B 2/05 AS ER-).
Die Entscheidung des Gerichtes im einstweiligen Rechtsschutz darf zudem
grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsache enthalten (vgl. Meyer-
Ladewig/Leitherer/Keller, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 86 b Rdn. 31).
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Im vorliegenden fehlt es an einer hinreichenden Glaubhaftmachung eines
Anordnungsgrundes. Das Gericht kann nicht erkennen, dass dem Antragsteller
wesentliche Nachteile drohen würden, die abzuwenden wären (§ 86b Abs. 2 Satz 1
SGG), also die Gefahr der Vereitelung des Rechts bestünde oder er schwere rechtliche
oder wirtschaftliche Nachteile hätte, wenn er bis zur Entscheidung in der Hauptsache
warten müsste. Die Gefahr, dass das beanspruchte Recht -hier Leistungen nach dem
SGB II- rechtlich oder tatsächlich vereitelt würde, ist nicht ersichtlich, da der Anspruch im
Rahmen des gültigen Rechts geltend gemacht und die leistungsverpflichtete öffentliche
Hand nicht konkursfähig ist. Es verbleibt für die Annahme der Eilbedürftigkeit zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nur das Auftreten einer akuten, existenziellen Not
des Antragstellers, die es rechtfertigen könnte, ausnahmsweise die Hauptsache vorweg
zu nehmen und die Antragsgegnerin vorläufig zur Zahlung von Leistungen zu
verpflichten (LSG NRW Beschluss vom 09.06.2005 -L 9 B 25/05 AS ER-). Eine akute,
existenzielle Not, wie beispielsweise fehlende finanzielle Mittel zur Deckung des zum
Leben unerlässlichen Bedarfs, Obdachlosigkeit oder drohender Verlust der Unterkunft
wegen erfolgter Kündigung oder Räumungsandrohung o.ä., die das sofortige
Einschreiten des Gerichtes notwendig macht, ist im Fall des Antragstellers nicht
ersichtlich. Dem Antragsteller stehen zur Zeit hinreichende Mittel zur Sicherung seines
unerlässlichen Lebensunterhaltes zur Verfügung, auch verfügt er über eine
(ungekündigte) Unterkunft.
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Aus seiner Tätigkeit als Pizzafahrer erwirtschaftet der Antragsteller nach eigenen
Angaben monatlich ca. 150,00 Euro. Des weiteren erhält er eine darlehensweise
Unterstützung von Frau T in Höhe von 150,00 Euro monatlich. Vor dem Hintergrund,
dass im Eilverfahren lediglich 80% des in einem Hauptsacheverfahren
zuzusprechenden Regelbedarfs nach § 20 Abs. 2 SGB II (für alleinstehende
Hilfebedürftige in Höhe von 345,00 Euro), d.h. folglich lediglich in Höhe von 276,00 Euro
monatlich zu zusprechen sind (ständige Rechtsprechung des OVG NRW,
beispielsweise Beschluss vom 10.05.2002 -12 B 423/02- in juris; ebenso SG Düsseldorf
Beschluss vom 24.08.2005 -S 28 AS 15/05 ER-; SG Düsseldorf Beschluss vom
30.08.2005 -S 37 AS 152/05 ER-; a.A. 19. Senat des LSG NRW Beschluss vom
1.8.2005 -L 19 B 33/05 AS ER-), kann eine akute Bedarfslücke im Fall des
Antragstellers nicht festgestellt werden, denn er verfügt über monatliche Einnahmen in
Höhe von 300,00 Euro. Auch der Umstand, dass Frau T dem Antragsteller seinen
Bedarf teilweise durch darlehensweise Zuwendungen vorfinanziert, rechtfertigt keine
vorweggenommene Entscheidung im Eilverfahren. Denn Frau T hätte im Fall des
Obsiegens des Antragstellers in der Hauptsache einen Erstattungsanspruch für die
vorgestreckten Beträge (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 04.05.2005 -L9 B 4/05
ER-). Schließlich sind für das Gericht keine begründeten Anhaltspunkte ersichtlich, dass
Frau T nicht auch weiterhin bereit wäre, dem Antragsteller darlehensweise
Zuwendungen zu kommen zu lassen. Sie hat insoweit mit Schreiben vom 20.06.2006
bestätigt, den Antragsteller bis zur Klärung des "Alg II-Verfahrens" zu unterstützen, so
dass sein unerlässlicher Lebensunterhalt für die Zeit des Hauptsacheverfahrens
sichergestellt sein dürfte. Auch kann das Gericht nicht erkennen, dass der Antragsteller
derzeit von Obdachlosigkeit bedroht ist. Die Mietzahlungen für seine Unterkunft zur
Untermiete werden ihm nach eigenen Angaben von der Hauptmieterin Frau T
gestundet. Dem Schreiben von Frau T vom 20.06.2006 ist zu entnehmen, dass sie sich
die fristlose Kündigung -abhängig vom Ausgang des Verfahrens- vorbehält. Eine
tatsächliche Kündigung der Unterkunft ist damit bislang nicht erfolgt. Das Gericht hat in
seine Entscheidungsfindung auch einbezogen, dass es sich bei den Wohnverhältnissen
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des Antragstellers offensichtlich nicht um ein übliches Untermietverhältnis handelt, denn
das laut Untermietvertrag vom 01.11.2005 an ihn vermietete 18 qm große Zimmer steht
ihm ausweislich des Berichtes der Antragsgegnerin vom 13.06.2006 über einen
Hausbesuch in der Wohnung der Hauptmieterin Frau T nicht zur separaten Verfügung.
Es dürfte ein Zusammenleben des Antragstellers mit Frau T im Sinne eines
gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens in der Wohnung von Frau T gegeben sein,
was wiederum auf eine persönliche Beziehung zwischen den beiden hindeutet. Bei
dieser Sachlage liegt es nach allgemeiner Lebenserfahrung nahe, dass Frau T den
Antragsteller nicht ohne weiteres "auf die Straße setzt" und damit der Obdachlosigkeit
aussetzt. Sollte Frau T dem Antragsteller in Zukunft tatsächlich den Wohnraum
kündigen bzw. ihn aus ihrer Wohnung verweisen, steht es dem Antragsteller frei, erneut
bei Gericht einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen, sofern das Hauptsacheverfahren
noch nicht abgeschlossen ist. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die streitige
Rechtsfrage, ob dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II zustehen und in diesem
Rahmen die Klärung der Frage, ob von einer Bedarfsgemeinschaft bzw. eheähnliche
Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau T auszugehen ist, allein im
Hauptsacheverfahren zu klären ist.
Abschließend bleibt auszuführen, dass ein offensichtlich begründeter
Anordnungsanspruch für den Antragsteller, der ggf. geeignet wäre, die Anforderungen
an den Anordnungsgrund zurücktreten zu lassen, nicht festgestellt werden kann. Das
Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau T
kann nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, auch nicht aufgrund des
Umstandes, dass er und Frau T erst seit November 2005 zusammenleben. Die kurze
Dauer des Zusammenlebens steht für sich der Annahme einer eheähnlichen
Gemeinschaft nicht zwingend entgegen, denn eine zeitliche Mindestgrenze hinsichtlich
der Dauer des Zusammenlebens der Partner (3 Jahre, 1 Jahr o.ä.), unterhalb derer das
Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft in jedem Fall verneint werden muss, kann
nicht vertreten werden (vgl. 9. Senat des LSG NRW Beschluss vom 21.04.2005 -L 9 B
6/05 SO ER-). Vielmehr ist anhand der Gesamtumstände des Einzelfalls festzustellen,
ob eine die eheähnliche Gemeinschaft prägende Einstands- und Fürsorgegemeinschaft
zwischen den Partnern besteht, welche grundsätzlich auch vom ersten Tag des
Zusammenlebens an gegeben sein kann (vgl. auch LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 02.12.2005 -L 8 AS 4496/05 ER-B-), so dass auch bei kürzerem
Zusammenleben eine eheähnliche Gemeinschaft möglich ist (vgl. 20. Senat des LSG
NRW Beschluss vom 20.02.2006 -L 20 B 2/06 AS ER-; a.A. offensichtlich 19. Senat des
LSG NRW Beschluss vom 17.02.2006 -L 19 B 85/05 AS ER-).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
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