Urteil des SozG Düsseldorf vom 21.11.2007
SozG Düsseldorf: anteil, notfall, quote, gemeinschaftspraxis, behandlung, ausschuss, sanktion, rechtsform, zahnarzt, verfügung
Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 31/07
Datum:
21.11.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 2 KA 31/07
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 11 KA 15/08
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme.
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Der Kläger nimmt als Zahnarzt in E an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Er ist
Partner einer Praxisgemeinschaft, die (bezogen auf alle Mitglieder der
Praxisgemeinschaft) werktäglich Öffnungszeiten von 07:00 Uhr bis 24:00 Uhr, an
Wochenenden/Feiertagen von 07:00 Uhr bis 19:00 Uhr anbietet. Die der
Praxisgemeinschaft angehörenden Zahnärzte sind in unterschiedlichen Schichten
anwesend.
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Der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten (HVM) sah in den Jahren 1999 bis 2001
eine fallzahlabhängige Vergütung vor. Für Zahnärzte wurden nach Leistungsarten
(KCH, KB/KG, KFO, ZE, PAR) und Kassenbereichen getrennte Teilkontingente gebildet.
Für die Leistungsart KCH wurde ein maximales Punktzahlvolumen je Fall, für die
anderen Leistungsbereiche ein fester DM-Betrag bezogen auf die Fälle der KCH-
Abrechnung bestimmt. Die Summe der Teilkontingente ergab ein individuelles
Gesamtkontingent je Kassenart. Bis zum Erreichen der Teilkontingente nahmen die
angeforderten Punkte/DM-Beträge je Fall an dem mit den Krankenkassen vereinbarten
und vergüteten Punktwert teil. Für einzelne Fälle nicht verbrauchte Punkte/DM-Beträge
wurden auf andere Fälle innerhalb der Leistungsart desselben Kassenbereichs
übertragen. Nicht verbrauchte Teilkontingente einer Leistungsart kamen den anderen
Leistungsarten zugute, soweit nach der Jahresabrechnung von den Krankenkassen
gezahlte Vergütungsvolumina zur Verfügung standen. Soweit durch den
Wirkungsmechanismus der Regelung insgesamt eine Begrenzung des dem
Vertragszahnarzt im einzelnen Quartal und im Kalenderjahr zustehenden Honorars
hervorgerufen wurde, wurden angeforderte Punkte/DM-Beträge bei der
Honorarverteilung nicht berücksichtigt. Die Beklagte bat mit Schreiben vom 30.07.2001
wegen einer auffällig hohen Zahl von Patienten, die auch von Kollegen der
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Praxisgemeinschaft behandelt worden waren, den Kläger um Stellungnahme hierzu. Im
Jahre 1999 war es in durchschnittlich rund 27,9 % der Fälle, im Jahre 2000 in 33,1 %
der Fälle des Klägers zu Mitbehandlungen durch Partner der Praxisgemeinschaft
gekommen. Der Kläger erwiderte, dass keine Überweisung an andere Partner erfolgt
seien und lediglich bei Abwesenheit wegen Krankheit, Urlaub pp. Vertretungen erfolgt
seien. Es sei allerdings bei Notfällen auch nicht auszuschließen, dass andere
Zahnärzte die gleichen Patienten behandelten. Nach einem Gespräch zu den Gründen
der Doppelbehandlungen mit einem Mitglied der Praxisgemeinschaft, der für alle
betroffenen Partner erschienen war, forderte die Beklagte mit Bescheid vom 13.05.2003
für die Quartale I/1999 bis IV/2001 Honorar in Höhe von 26.655,02 EUR zurück.
Aufgrund der durch die Doppelbehandlungen hervorgerufenen Fallzahlvermehrung sei
es zu einer unzulässigen Erhöhung der HVM-Kontingente gekommen. Wenn man einen
berechtigten Anteil von etwa 10 % für Urlaubs- etc. Vertretungen berücksichtige, bleibe
ein relativ hoher Anteil doppelt behandelter Fälle, der nicht durch Praxisbesonderheiten
oder die Organisation der Praxis erklärbar sei. Bei der Berechnung der
Honorarrückforderung zog die Beklagte von den tatsächlich zur Abrechnung gelangten
Fällen die mehrfach behandelten Fälle ab. Ein eigener Anteil des Klägers an diesen
Fällen wurde in der Weise ermittelt, dass der Fall mit einem entsprechenden Bruchteil
nach der Zahl der beteiligten Behandler berücksichtigt wurde (d.h. bei zwei Behandlern
mit 0,5, bei drei Behandlern mit 0,33). Nach Addition dieser Anteile wurde die Fallzahl
um die von der Beklagten als vertretbar angesehene Quote von 10 % zulässiger
Mehrfachbehandlungen erhöht. Ein Vergleich der Abrechnungswerte unter
Zugrundelegung der tatsächlich abgerechneten Fallzahl und der nach der genannten
Berechnung ermittelten Fallzahl ergab den als Folge einer unzulässigen
Kontingenterhöhung unberechtigt erhaltenen Honoraranteil.
Einem hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers half die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 17.12.2003 in Höhe von 15.520,22 EUR ab, indem sie den
Anteil doppelt behandelter Patienten um die von der Oralchirurgin H abgerechneten
Fälle reduzierte. Diese Oralchirurgin war seinerzeit ebenfalls Mitglied der
Praxisgemeinschaft gewesen und ist inzwischen ausgeschieden. Im Übrigen wies die
Beklagte den Widerspruch zurück. In einer Praxisgemeinschaft sei der Vertretungsfall
der Ausnahmefall. Der Kläger und die Partner in der Praxisgemeinschaft hätten jedoch
den Praxisbetrieb so organisiert, dass während der Sprechstundenzeiten nicht alle
Vertragszahnärzte anwesend seien und die abwesenden Zahnärzte vertreten würden.
Diese Abwesenheit beruhe nicht auf den gesetzlich anerkannten Vertretungsgründen.
Die gewählte Organisationsform sei in einer Gemeinschaftspraxis möglich, nicht jedoch
bei einer Praxisgemeinschaft, da sowohl die Pflicht zur persönlichen
Leistungserbringung wie die Präsenzpflicht verletzt würden. Der Einwand, es habe sich
um Notfälle gehandelt, greife nicht durch. Aus den Behandlungsunterlagen gehe hervor,
dass in den Fällen der Doppelbehandlungen vor allem allgemeine Leistungen erbracht
worden seien, die sich als reguläre Fortsetzung einer längerfristig angelegten Therapie
darstellten.
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Die hiergegen erhobene Klage hat die erkennende Kammer mit Gerichtsbescheid vom
12.01.2005 - S 2 KA 20/04 - zurückgewiesen. Mit Urteil vom 13.12.2006 - L 11 KA 60/06
- hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) die Berufung des
Klägers gegen diesen Gerichtsbescheid zurückgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe
im Einzelnen wird Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 23.03.2004, zugestellt am 26.03.2004, setzte der
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Disziplinarausschuss bei der Beklagten gegen den Kläger eine Geldbuße in Höhe von
10.000,- EUR fest. Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe gegen seine
vertragszahnärztlichen Pflichten verstoßen, indem er die bei der Zulassung gewählte
Praxisform (Praxisgemeinschaft) nicht strikt beachtet habe. Vielmehr entspreche sein
Verhalten in wesentlichen Punkten dem Verhalten, das nur bei einer
Gemeinschaftspraxis zulässig sei. Hierdurch ergäben sich Verstöße gegen § 76 SGB V
bzw. § 5 Abs. 3 BMV-Z und § 7 VdAK/AEV-Vertrag. Durch diese unzulässige
Verquickung und den Verstoß gegen die vertraglichen Regelungen habe sich die
Praxisgemeinschaft einen Vorteil bei der Honorarverteilung verschafft. Selbst wenn der
Disziplinarausschuss von einer - um die Tätigkeit der Oralchirurgin - abgesenkten
Prozentzahl ausginge, betrüge die Anzahl der doppelt behandelten Patienten noch
immer 19,62 % für das Jahr 2001. Auch bei diesem Prozentsatz wäre der
Durchschnittswert doppelt behandelter Patienten deutlich überschritten. Die Maßnahme
- Geldbuße von 10.000,- EUR - sei in dieser Höhe notwendig, um endlich Einsicht zu
vermitteln, das Fehlverhalten abzustellen oder, wenn das nicht gewollt sei, ggf. eine
Organisationsform zu wählen, in der die gewählte Arbeitsweise vertragszahnärztlichen
Anforderungen nicht entgegenstehe. Der Ausschuss sei sich bewusst, dass er den
Rahmen der Sanktion der Geldbuße voll ausgeschöpft habe. Das erscheine indessen
notwendig, um dem Kläger zu verdeutlichen, dass eine Fortsetzung der
Vertragsverstöße nicht tolerierbar sei und im Wiederholungsfalle zu Weiterungen, sei es
disziplinar- oder gar zulassungsrechtlicher Art, führen könne.
Hiergegen richtet sich die am 02.04.2004 erhobene Klage.
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Der Kläger ist der Auffassung, dass er durch keinerlei positives Handeln gröblich gegen
Kassenzahnarztrecht verstoßen habe. Die Öffnungszeiten der Praxis seien ein
heutzutage normaler Service für Patienten. Er habe nicht planmäßig dazu beigetragen,
dass die Fallzahlen durch Notfall- und Urlaubsbehandlungen seiner Kollegen in der
Praxisgemeinschaft gestiegen seien. Die Patienten wären bei einem Notfall auch zu
einem anderen Arzt außerhalb der Praxisgemeinschaft gegangen und insofern wären
die Ausgaben der Krankenkassen gleich geblieben. Wenn dadurch Honorar vermehrt
werde, was der Kläger ohnehin nicht ausnutze, da er immer oberhalb der
Honorargrenze arbeite, möge dies noch angehen, nicht jedoch der persönliche Vorwurf
eines Verstoßes gegen Kassenzahnarztrecht, welcher mit einer Disziplinarstrafe
geahndet werde.
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Im Übrigen sei ihm ein Verstoß gegen vertragszahnärztliche Pflichten erst durch die
Gerichtsentscheidungen bekannt geworden. Er werde hieraus seine Konsequenzen
ziehen, habe dies jedoch nicht bereits zum Zeitpunkt der Erstellung des
Disziplinarbescheides gekonnt. Unabhängig hiervon habe er bereits erhebliche Beträge
an die Beklagte gezahlt und sei hierdurch nachdrücklich "bestraft", so dass es einer
zusätzlichen Maßnahme nicht bedürfe. Nach § 10 Abs. 3 b der Disziplinarordnung
könne das Verfahren eingestellt werden, wenn der Zahnarzt die Folgen seiner
Handlung wiedergutmache und ein von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung zu
wahrendes Interesse nicht verletzt habe. Dies sei hier der Fall; dann könne der bereits
vorab ergangene Disziplinarbescheid auch heute noch zurückgenommen werden.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, den Beschluss des Diszipli- narausschusses vom
23.03.2004 aufzuheben.
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Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält den angefochtenen Beschluss für rechtmäßig.
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Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Vorgaben des § 76 Abs. 3
SGB V, und die Vorgaben des § 33 ZV-Zahnärzte hätten sich seit der Niederlassung
des Klägers in Praxisgemeinschaft im Jahre 1995 nicht geändert und ihm bekannt sein
müssen. Der Disziplinarausschuss habe insbesondere berücksichtigt, dass der Kläger
auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Ausschusses nicht von einem Fehlverhalten
ausgegangen sei. Insbesondere habe der Ausschuss auf das auch mit dem Kläger
Anfang 2002 geführte Gespräch hingewiesen, in dem auf die rechtlichen
Rahmenbedingungen hingewiesen worden sei. Zudem sei durch entsprechende
Veröffentlichung im Rheinischen Zahnärzteblatt 2001, S. 208 f., auf die normativen
Vorgaben wie auf entsprechende Konsequenzen hingewiesen worden.
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Die gerichtlich festgestellte rechtmäßige Rückforderung des Honorars sei nicht als
Sanktion zu verstehen, vielmehr habe insoweit kein Anspruch auf diese Honoraranteile
bestanden. Nicht nachvollziehbar sei die Argumentation, der Kläger nutze eine
Honorarvermehrung nicht aus und arbeite immer oberhalb der Honorargrenze. Die
Honorarverteilung der Beklagten sehe vor, dass jeder abgerechnete Fall im Rahmen der
zur Verfügung stehenden Teilkontingente vergütet werde. Gleiches gelte für etwaige
Punktwertminderungen nach § 85 Abs. 4b SGB V; auch hier führe jeder abgerechnete
Punkt zu einer ggf. degressiv geminderten Vergütung. Schließlich entstünden ggf.
Vorteile im Rahmen der statistischen Betrachtung zwecks Überprüfung der
Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise.
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Bei der festgesetzten Geldbuße stünden die Missbilligung eines Verhaltens und der
Vorwurf der Verletzung vertragszahnärztlicher Pflichten im Raum. § 10 Abs. 3 lit. b der
Disziplinarordnung stelle eine verfahrensbeendigende Möglichkeit dar. Insbesondere
unter Würdigung des Verhaltens des Klägers und der von diesem vorgetragenen
Argumente habe sich der Disziplinarausschuss zutreffend dafür entschieden, eine
Disziplinarmaßnahme festzusetzen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Streitakte S 2 KA 20/04
sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Disziplinarausschusses ergänzend
Bezug genommen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
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Entscheidungsgründe:
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Da die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt hatten, konnte die Kammer ohne mündliche
Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid
des Disziplinarausschusses bei der Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2
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SGG, da dieser nicht rechtswidrig ist.
Entscheidungen der Disziplinarausschüsse auf der Grundlage des § 81 Abs. 5
Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sind
Ermessensentscheidungen, die die Gerichte nur eingeschränkt überprüfen können
(Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2500 § 81 Nrn. 6, 9). Die Gerichte müssen und
dürfen nur feststellen, ob der Disziplinarausschuss von einem vollständig ermittelten
Sachverhalt ausgegangen ist und sich von sachgerechten Ermessenserwägungen hat
leiten lassen. Dabei sind sie auf die im Beschluss des Disziplinarausschusses
mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt (BSG SozR 2200 § 368m Nr. 3; BSG
SozR 3-2500 § 81 Nr. 9).
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Der Disziplinarausschuss wirft dem Kläger hier vor, er habe gegen seine
vertragszahnärztlichen Pflichten verstoßen, indem er die bei der Zulassung gewählte
Praxisform (Praxisgemeinschaft) nicht strikt beachtet habe. Vielmehr entspreche sein
Verhalten in wesentlichen Punkten dem Verhalten, das nur bei einer
Gemeinschaftspraxis zulässig sei. Hierdurch ergäben sich Verstöße gegen § 76 SGB V
bzw. § 5 Abs. 3 BMV-Z und § 7 VdAK/AEV-Vertrag. Durch diese unzulässige
Verquickung und den Verstoß gegen die vertraglichen Regelungen habe sich die
Praxisgemeinschaft einen Vorteil bei der Honorarverteilung verschafft. Der von dem
Disziplinarausschuss hierzu festgestellte Sachverhalt trägt diesen Vorwurf.
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Der Disziplinarausschuss hat sich zutreffend die Erkenntnisse der Beklagten zu Eigen
gemacht, nach denen sich die Praxisgemeinschaft durch einen sehr hohen Anteil von
Patienten, die von mehreren Behandlern im selben Quartal behandelt worden waren,
und durch einen im Vergleich der Jahre 1999 und 2000 deutlichen Anstieg des Anteils
dieser mehrfach behandelten Patienten ausgezeichnet hat. Diese tatsächlichen
Feststellungen sind von der erkennenden Kammer im Gerichtsbescheid vom
12.01.2005 - S 2 KA 20/04 - sowie im Urteil des LSG NRW vom 13.12.2006 - L 11 KA
60/06 - bestätigt worden.
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Rechtsfehlerfrei hat der Disziplinarausschuss dieses Abrechnungsverhalten auch als
Verletzung vertragszahnärztlicher Pflichten gewertet. Die von ihm hierzu angestellten
Erwägungen hat das LSG NRW in dem o.g. Urteil ebenfalls geteilt und ausgeführt, das
BSG fordere in seiner Entscheidung vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - allgemein, dass
die nach außen gewählte Rechtsform von Vertrags(zahn)ärzten im Praxisalltag
transparent realisiert werden müsse, was es mit den wirtschaftlichen Folgen der
Doppelabrechnungen im entschiedenen Fall begründe. Ein Gestaltungsmissbrauch
liege vor, wenn die Partner einer Praxisgemeinschaft zu einem hohen Anteil Patienten
gemeinschaftlich behandelten, wobei das BSG offen gelassen habe, ab welchem vom-
Hundert-Satz gemeinsam behandelter Patienten in einer fachgebietsgleichen
Praxisgemeinschaft ein Missbrauch der Rechtsform anzunehmen sei. Das LSG NRW
habe keine Bedenken, dass bei einer Überschneidungsquote von 27,9 % bzw. 33,1 %
von einem Missbrauch auszugehen sei. Dies gelte vor dem Hintergrund der
wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Doppelbehandlungen, die wegen der
Fallzahlvermehrung nach dem HVM der Beklagten zu einer ungerechtfertigten
Erhöhung der Kontingente führe. Dabei sei wegen der Übertragbarkeit nicht
ausgeschöpfter Punktzahlvolumen/DM-Beträge in einzelnen Fällen auf andere Fälle der
"Anreiz" besonders hoch, durch eine nur kurzfristige Mitbehandlung eines Patienten der
eigenen Fallzahl sog. "Verdünnerfälle" zuzufügen.
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Durch die Praxisorganisation der Praxisgemeinschaft, der der Kläger angehört habe, sei
in hohem Maße vorbestimmt, dass die Patienten von wechselnden Ärzten behandelt
würden. Die nach außen kommunizierten Sprechzeiten "der" Praxisgemeinschaft von
07:00 Uhr bis 24:00 Uhr seien ohnehin irreführend, weil angesichts der rechtlichen
Selbständigkeit der einzelnen Einzelpraxis keiner der beteiligten Partner derart lange
Sprechzeiten anbiete und somit Patienten, die auf eine Behandlung zu bestimmten
Zeiten angewiesen seien oder darauf bestünden, notwendig den Arzt wechseln
müssten. Die Argumentation des Klägers, durch die langen Öffnungszeiten suchten
besonders viele Notfallpatienten die Praxisgemeinschaft auf, gehe an der Sache vorbei.
Patienten, die noch nicht in der Behandlung eines der Partner der Praxisgemeinschaft
seien und die Praxis im Notfall (statt des ärztlichen Notdienstes) aufsuchten, würden
überhaupt nicht als Doppelbehandlungen erfasst. Dieser Vorwurf betreffe nur Patienten,
die in Behandlung eines der Partner seien und dann von einem anderen mitbehandelt
würden. Es bedürfe keiner näheren Erörterung, dass eine Quote von 27,9 % bzw. 33,1
% von Doppelbehandlungen nicht durch medizinische Notfälle erklärt werden könne.
Wenn ein Patient innerhalb einer kurzen Zeitspanne von drei verschiedenen Ärzten
behandelt werde, könne kaum jeweils ein Notfall vorgelegen haben. Im Übrigen habe
die Beklagte im Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass in den fraglichen
Fällen vor allem allgemeine Leistungen erbracht worden seien, die sich nicht als
Behandlung eines aktuellen Notfalles darstellten. Dem sei der Kläger nicht fundiert
entgegengetreten.
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Die Beklagte habe für ihren Bereich einen Anteil von Doppelbehandlungen in
Praxisgemeinschaften von 3 bis 5 % ermittelt, so dass eine Quote von 27,9 % bzw. 33,1
% derart auffällig sei, dass sie nur mit einem Verstoß gegen die Gestaltungsform der
Praxisgemeinschaft erklärbar sei. Soweit der Kläger darauf hinweise, dass im Bereich
der KZV Westfalen-Lippe eine Doppelabrechnungsquote von 30 % gebilligt würde, sei
dem entgegen zu halten, dass nach den Feststellungen der Beklagten im
Verwaltungsverfahren die Quote der Doppelbehandlungen in der Praxisgemeinschaft im
dritten Quartal 2002 im "Normbereich" gelegen, also zumindest 10 % nicht überschritten
habe. Dies zeige, dass aus medizinischen (Notfallbehandlungen) oder sachlichen
Gründen (Vertretung) Mehrfachbehandlungen auch in der Praxisgemeinschaft, der der
Kläger angehöre, nicht in einem größeren Umfang anfielen und dass somit eher die
Quote der KZV Westfalen-Lippe mit Sachgründen nicht erklärbar sei. Auch der
Umstand, dass im Falle des Klägers im Jahre 1999 bei etwa gleich bleibender Fallzahl
sich die Anzahl der Doppelbehandlungen gegenüber dem ersten Quartal 1999 in den
Folgequartalen (im Durchschnitt) verdoppelt habe, weise darauf hin, dass keineswegs
Notfall- oder Vertretungsbehandlungen für den Umfang der Mehrfachbehandlungen in
den streitbefangenen Quartalen verantwortlich sein könnten, denn es wäre nicht
erklärlich, warum plötzlich Not- oder Vertretungsfälle innerhalb der Praxisgemeinschaft
derart zugenommen haben sollten. Diesen Erkenntnissen, denen sich die Kammer nach
eigener Überprüfung und Bewertung anschließt, ist nichts hinzuzufügen.
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Der Einwand des Klägers, er nutze eine Honorarvermehrung nicht aus und arbeite
immer oberhalb der Honorargrenze, verfängt insofern nicht. Der HVM der Beklagten
sieht vor, dass jeder abgerechnete Fall im Rahmen der zur Verfügung stehenden
Teilkontingente vergütet wird. Gerade der Umstand, dass die Kontingente
fallzahlbezogen bemessen werden und nicht ausgeschöpfte Punktzahlvolumina/DM-
Beträge in einzelnen Fällen auf andere Fälle übertragen werden können, schafft in
besonderem Maße den Anreiz, durch kurzfristige Mitbehandlung eines Patienten der
eigenen Fallzahl "Verdünnerfälle" zuzufügen, die das Kontingent erhöhen und dadurch
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Honorareinbehalten vorbeugen.
Den Kläger entlastet auch nicht, dass ihm der Verstoß gegen vertragszahnärztliche
Pflichten erst durch die Gerichtsentscheidungen bekannt geworden sei. Die normativen
Vorgaben des § 76 Abs. 3 SGB V und des § 33 ZV-Zahnärzte haben sich in den gut
zehn Jahren seit der Niederlassung des Klägers in Praxisgemeinschaft nicht geändert,
und auch der HVM der Beklagten sah bereits seit 1994 ein fallzahlbezogenes
Kontingent vor (BSG, Urteil vom 03.12.1997 - 6 RKa 21/97 -). Als in Praxisgemeinschaft
zugelassener Vertragszahnarzt hatte der Kläger von Beginn seiner Zulassung an die
Verpflichtung, eine rechtmäßige Abrechnungsweise zu pflegen und hierbei
insbesondere die Unterschiede zum Abrechnungsverhalten einer Gemeinschaftspraxis
zu beachten, ohne dass es besonderer Hinweise hierauf bedurfte. Sofern der Kläger
dies unterlassen hat, reicht auch ein fahrlässiges Verhalten aus, um einen
disziplinarrechtlich zu ahndenden Schuldvorwurf zu begründen (BSG, Beschluss vom
09.12.2004 - B 6 KA 70/04 B -).
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Auch die Rückzahlung von Honoraranteilen an die Beklagte ist nicht geeignet, die
Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme in Frage zu stellen. Die Rückforderung stellt
lediglich den Ausgleich dafür dar, dass der Kläger Honoraranteile erhalten hatte, auf die
er objektiv keinen Anspruch hatte. Demgegenüber verfolgt die disziplinarisch auferlegte
Geldbuße wie jede Disziplinarmaßnahme den Zweck, die Verletzung
vertragszahnärztlicher Pflichten zu missbilligen (BSG, Urteil vom 11.09.2002 - B 6 KA
36/01 R -) und den Zahnarzt im Interesse der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit
des Systems der vertragszahnärztlichen Versorgung künftig zur Beachtung seiner
vertragszahnärztlichen Pflichten anzuhalten (BSG, Urteil vom 06.11.2002 - B 6 KA 9/02
R -).
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Vor dem Hintergrund der Pflichtverletzungen des Klägers ist es nicht
ermessensfehlerhaft, dass der Disziplinarausschuss nicht das Verfahren nach der
Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 der Disziplinarordnung eingestellt hat. Der
Ausschuss hat mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass sich der
Kläger durch sein Abrechnungsverhalten wirtschaftliche Vorteile bei der
Honorarverteilung verschafft hat. Die der Beklagten nach § 85 Abs. 4 SGB V obliegende
rechtmäßige Honorarverteilung ist aber eine gesetzlich von ihr zu erfüllende Aufgabe,
an der sie in hohem Maße ein "zu wahrendes Interesse" haben muss.
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Schließlich ist auch die Auswahl der Disziplinarmaßnahme nicht zu beanstanden. Der
Disziplinarausschuss hat die Verletzung vertragszahnärztlicher Pflichten des Klägers in
dem viergliedrigen Maßnahmekatalog (Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis zu 10.000,-
EUR, Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu 2 Jahren) mit einer Geldbuße im
obersten Bereich geahndet und war sich bewusst, dass er insofern den Rahmen der
Sanktion der Geldbuße voll ausgeschöpft hat. Hierbei ist es nicht erheblich, inwieweit
der Disziplinarausschuss die Reduzierung der Honorarrückforderung von ursprünglich
26.655,02 EUR um 15.520,22 EUR im Widerspruchsverfahren berücksichtigt hat.
Entscheidend er-schien dem Ausschuss, dem Kläger zu verdeutlichen, dass eine
Fortsetzung der Vertragsverstöße nicht tolerierbar sei und im Wiederholungsfalle zu
Weiterungen führen könne, da der Kläger noch immer nicht verstanden habe, dass sein
Abrechnungsverhalten gegen vertragszahnärztliche Pflichten verstoße und ihm
ungerechtfertigte Honorarvorteile verschafft habe. Angesichts der general- und
spezialpräventiven Zielsetzung des Disziplinarverfahrens ist dabei die volle Höhe der
Geldbuße nicht zu beanstanden, zumal der Kläger seine Uneinsichtigkeit auch im
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vorliegenden Klageverfahren weiter gezeigt hat. Wenn er im letzten Schriftsatz vom
03.09.2007 wiederum lediglich auf Fallzahlsteigerungen durch Notfall- und
Urlaubsbehandlungen abstellen lässt, verkennt er entscheidend den ihm angelasteten
Vorwurf, dass die überhöhten Doppelabrechnungsquoten eben gerade nicht hierauf
zurückzuführen sind, sondern auf einen Gestaltungsmissbrauch der Rechtsform der
Praxisgemeinschaft.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 des 6.
Gesetzes zur Änderung des SGG sowie § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 155
Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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