Urteil des SozG Düsseldorf vom 25.09.2008

SozG Düsseldorf: verschlechterung des gesundheitszustandes, innere medizin, rente, diabetes mellitus, gutachter, klinik, behandlung, berufsunfähigkeit, arbeitsamt, meldung

Sozialgericht Düsseldorf, S 26 R 322/06
Datum:
25.09.2008
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 26 R 322/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 4 R 87/08
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der Kläger ist am 00.00.1959 in der Türkei geboren. Seit ca. 1969 lebt er in
Deutschland. Er hat keinen Beruf mit Abschluss erlernt. Er hat bisher bei verschiedenen
Arbeitgebern als angelernter Arbeiter gearbeitet, zuletzt als Möbelpacker. In 2003 wurde
er arbeitslos und bezog Sozialleistungen bzw. Arbeitslosengeld bis Dezember 2004.
Beim Arbeitsamt hat sich der Kläger nach Dezember 2004 nicht mehr arbeitslos bzw.
arbeitssuchend gemeldet; nach Angaben des Klägers deshalb nicht, weil ihm der
Eindruck vermittelt worden sei, eine Arbeitslosenmeldung käme nicht mehr in Frage,
weil der Kläger nicht in der Lage sei, eine Arbeit aufzunehmen. Nach 2004 ist der Kläger
nur zeitweilig geringfügig versicherungsfrei beschäftigt gewesen auf 400 Euro-Basis.
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Am 26.08.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen
Erwerbsminderung. Zur Begründung wurden diverse internistische und psychiatrische
Leiden angegeben. Ärztliche Berichte wurden zur Verwaltungsakte gereicht bzw.
eingeholt. Die Beklagte veranlasste die Erstellung eines internistischen und eines
neurologisch-psychiatrischen Gutachtens durch T1 und T2. Diese Gutachter hielten den
Kläger - aufgrund Untersuchungen vom 25.10.2005 bzw. 15.11.2005 - noch für in der
Lage, alle leichten zeitweilig bis mittelschweren Tätigkeiten in wechselnder
Körperhaltung verrichten zu können, dies auch 6 Stunden und mehr täglich. Der Kläger
könne allerdings nicht mehr als Möbelschlepper arbeiten.
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Mit Bescheid vom 13.12.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur
Begründung nahm sie Bezug auf die ärztlichen Feststellungen. Der Kläger sei noch in
der Lage, ihm zumutbare Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6
Stunden täglich zu verrichten, und damit weder berufsunfähig noch voll oder teilweise
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erwerbsgemindert.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, weil die Beklagte seinen
Gesundheitszustand verkenne. Die Beklagte holte daraufhin noch weitere Berichte ein
und legte diese dem beratungsärztlichen Dienst zur Überprüfung vor.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Sie begründete dies damit, dass der Kläger nach ihren ärztlichen Feststellungen weder
als berufsunfähig noch als voll oder teilweise erwerbsgemindert anzusehen sei. Der
Kläger könne, auch wenn die letzte Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden könne, als
angelernter Arbeiter noch auf die ihm zumutbaren Tätigkeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes verwiesen werden. Auch durch die eingeholten Berichte ergebe sich
keine andere Beurteilung. Nach dem Herzinfarkt in 2003 läge eine weitere
Einschränkung für leichte Tätigkeiten nicht mehr vor.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 22.12.2006 Klage zum Sozialgericht
Düsseldorf erhoben.
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Er begründet sie damit, dass die Beklagte seinen Gesundheitszustand verkenne und
sein Leistungsvermögen falsch beurteile. Er sei nicht mehr in der Lage, im bisherigen
Beruf oder sonst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Die bisherigen
Gutachter würden die Leistungsfähigkeit falsch beurteilen. Der behandelnde Arzt L1
unterstütze eine Berentung. In seinem Attest vom 21.04.2008 bescheinige er eine
Befundverschlechterung, sowohl körperlich wie seelisch. Nach dem inzwischen
vorliegenden Bericht der psychiatrischen Klinik über den stationären Aufenthalt im
Februar und März 2008 vom 11.04.2008 sei davon auszugehen, dass er schon bei
Antragstellung bzw. bis spätestens Januar 2007 nicht mehr in der Lage gewesen sei,
noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.12.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.11.2006 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller,
hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf der Grundlage eines
Versicherungsfalls vom 26.08.2005, hilfsweise ab einem späteren Zeitpunkt, nach
Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, ein Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit bzw. der
Erwerbsminderung sei nicht eingetreten. Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der
angefochtenen Bescheid. Alle Gutachten bestätigten ihre Auffassung. Im übrigen wären
für einen Versicherungsfall der Erwerbsminderung nach Januar 2007 die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ohnehin nicht mehr erfüllt, sodass Befunde
und Funktionen ab Februar 2007 irrelevant seien für die Beurteilung. Nach den
Gutachten von C und W1 sei davon auszugehen, dass ein Versicherungsfall jedenfalls
nicht mehr schon bis Januar 2007 eingetreten sei, denn diese Gutachter hätten den
Kläger am 12.02. bzw. 09.01.2008 untersucht und zu diesen Zeitpunkten eine
rechtserhebliche Einschränkung für alle leichten Tätigkeiten des allgemeinen
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Arbeitsmarktes nicht festgestellt.
Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen. Der Allgemein-
mediziner L1 hält den Kläger für generell nicht mehr einsetzbar wegen der Depression
einerseits und der Herzerkrankung andererseits; die Neurologin Frau L2 berichtet über
Behandlungen in Juni und August 2004 und der Psychiater T3 berichtet über
Behandlung nur bis 16.01.2006.
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Sodann hat das Gericht durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten
Beweis darüber erhoben, welche Erkrankungen im Einzelnen bei dem Kläger vorliegen
und wie diese sich auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Der Arzt für Innere Medizin C,
Chefarzt der St. M-Klinik T4, kommt unter Berücksichtigung eines neurologisch-
psychiatrischen Zusatzgutachtens durch W (Chefarzt der Klinik St. B in W2) zur
Beurteilung, bei dem Kläger lägen im Einzelnen folgende Diagnosen vor: auf
internistischem Fachgebiet 1.koronare Herzerkarnkung Zustand nach
Posterolateralinfarkt am 18.04.2003 mit frustanem Rekanalisationsversuch RCX am
18.04.2003 und am 07.05.2003 08/2003 Diagnose eines langstreckigen rakanalisierten
Verschlusses der RCX sowie 30- bis 40%ige RCA-Stenose durch Plaque (LV Funktion
56 %) aktuell Verdacht auf belastungsinduzierte Ischämie 2.arterielle Hypertonie
3.tablettenpflichtiger Diabetes mellitus, nicht optimal eingestellt 4.Hypertriglyceridämie
5.Steatosis hepatis 6.Verdacht auf asymptomatische Nephrolithiasis links mit
chronischen entzündlichen Veränderungen im Bereich der linken Niere 7.COPD
8.Adipositas
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auf nervenärztlichem Fachgebiet: 9.Stimmungs- und Affektlabilität, wiederkehrende
depressive Reaktion auf persönliche Belastungsfaktoren.
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Mit diesen Befunden könne der Kläger noch, so diese Gutachter, vollschichtig eine
körperlich leichte Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung verrichten, überwiegend im
Sitzen, ohne ungünstige Bedingungen wie Zwangshaltungen und ohne besonderen
Zeitdruck. Eine wesentliche Einschränkung des geistigen Leistungsvermögens bestehe
nicht. Das Umstellungsvermögen sei genügend. Eine psychische Fehlhaltung liege
nicht vor. In Betracht käme auch noch eine Tätigkeit als Sortierer und Montierer von
Kleinteilen, oder als Pförtner, dies auch vollschichtig. Die seit August 2005 zeitweiligen
verschiedenen Tätigkeiten auf 400-Euro-Basis würden nicht auf Kosten der Gesundheit
ausgeübt. Der Kläger könne auch noch Wegstrecken zu Fuß von 4 x mehr als 500
Metern täglich zurücklegen (in einer Zeit von weniger als 15 Minuten für 500 Meter) und
öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Beurteilung gelte auch seit ca. Mai 2005.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den
Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
war, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der
Beklagten, nämlich der Bescheid vom 13.12.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23.11.2006, sind nicht rechtswidrig und beschweren den
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Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die
Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Rente wegen voller
oder auch nur teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat. Der dahingehenden
begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war daher nicht zu
entsprechen.
Wegen des Wortlautes der maßgeblichen Vorschriften der §§ 240, 43 SGB VI über
Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung
wird gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug genommen auf den Inhalt des angefochtenen
Bescheides vom 13.12.2005. Dort hat die Beklagte den Wortlaut dieser Vorschriften
bereits wiedergegeben.
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Um einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung zu haben, müsste der
Kläger bereits im Zeitraum bis spätestens Ende Januar 2007 voll erwerbsgemindert,
teilweise erwerbsgemindert oder teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit
geworden sein. Denn da der Kläger die Meldung beim Arbeitsamt nach Dezember 2004
nicht erneuert hat, lägen die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für
eine Rente wegen Erwerbsminderung nur bis Ende Januar 2007 vor. Dies ergibt sich
aus § 43 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und § 43 Abs. 4 bzw. § 240 Abs. 1
und § 241 Abs. 2 SGB VI. Aufgrund der Lücke im Versicherungsverlauf nach Dezember
2004 hat der Kläger hier nach Januar 2007 für einen Versicherungsfall nicht mehr
mindestens 3 Jahre Pflichtbeitragszeiten in den letzten 5 Jahren vor einem potentiellen
Versicherungsfall. Die fehlende Meldung beim Arbeitsamt nach Dezember 2004 führt
dazu, dass bei dem Kläger nach Januar 2004 auch keine Anrechnungszeit mehr
vorliegt, die den 5-Jahres-Zeitraum verlängern könnte. Unerheblich ist dabei, ob der
Kläger im Dezember 2004 bei Auslaufen des Arbeitslosengeldes vom Arbeitsamt falsch
beraten wurde oder nicht (vgl. BSGE 58, 104; BSGE 63, 113, 116; vgl. auch
Bundesverfassungsgericht in SozR 2200 § 1259 Nr. 11). Denn die fehlende Meldung
kann auch nicht durch einen Herstellungsanspruch im Sinne der Anerkennung von
Anrechnungszeiten geheilt werden. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
könnten auch nicht hergestellt werden durch eine eventuelle Möglichkeit freiwilliger
Beitragszahlung für Zeiten nach Dezember 2004; denn der Kläger hat in seinem
Versicherungsverlauf bereits Lücken nach 1984, z. B. im Januar 1986 und von
September 1991 bis August 1994, sodass der Kläger nicht mehr lückenlos alle Zeiten
seit 1984 schließen könnte im Sinne von § 241 Abs. 2 SGB VI.
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Dies vorausgeschickt, geht die Kammer davon aus, dass im hier allein maßgeblichen
Zeitraum bis Ende Januar 2007 bei dem Kläger keine teilweise oder volle
Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes
eingetreten ist. Dies ergibt sich aus den von der Beklagten eingeholten Gutachten und
den vom Gericht eingeholten Gutachten von C und W1. Nach den zuletzt genannten
Gutachtern des Gerichts, die seit langen Jahren erfahrene ärztliche Sachverständige
und Gutachter sind, ist davon auszugehen, dass bis zu deren
Untersuchungszeitpunkten bzw. bis spätestens Januar 2007 nur diejenigen
Erkrankungen vorlagen, die in den gerichtlichen Gutachten genannt sind, und dass
damit noch eine leichte Tätigkeit ohne besondere unübliche Einschränkungen im
Umfang von Vollschicht, d. h. 8 Stunden täglich, möglich war. Wesentliche
substanziierte Einwendungen dagegen sind nach Zuleitung der Gutachten nicht
erhoben worden. Im Schriftsatz vom 08.05.2008 ist auch nur die Rede von einer
Verschlechterung des Gesundheitszustandes (nach Untersuchung durch die
Gerichtsgutachter) und beigefügt eine ärztliche Bescheinigung des
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Allgemeinmediziners L1, der auch von einer Verschlechterung der psychischen und
physischen Verfassung erst seit Anfang 2008 berichtet. In der mündlichen Verhandlung
ist zwar eingereicht worden der Entlassungsbericht der psychiatrischen Klinik vom April
2008; dieser bezieht sich aber auf einen stationären Aufenthalt auch erst nach
Untersuchung durch die Gutachter, nämlich über einen stationären Aufenthalt vom
14.02. bis 10.03.2008. Es kann damit nicht einfach die Situation im Frühjahr 2008
übertragen werden auf Zeiträume vor Februar 2007; dafür gibt es keinen ausreichend
sicheren Anhalt, angesichts der Vorbegutachtung durch W1 und den Gutachter der
Beklagten T2. Zwar war der Kläger bereits schon einmal in Behandlung der Klinik O in
2005, damals jedoch noch in Behandlung der dortigen Tagesklinik bei depressiver
Episode. Bei anderen Nervenärzten war der Kläger nur bis Januar 2006 in Behandlung
(bei Frau L2 und T3, die wegen nur kurzer Behandlung keine Aussage zur
Erwerbsfähigkeit treffen wollten - Bl. 37 und 39 Gerichtsakte). Es kann damit nicht
rückschauend der Zustand und die Situation im Februar und März 2008 übertragen
werden auf Zeiträume vor Februar 2007; dabei kann offen bleiben, ob überhaupt derzeit
aufgrund von einem Versicherungsfall der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung
bzw. der teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auszugehen ist. Jedenfalls
für Zeiträume bis Januar 2007 ist nach Lage der eingeholten Gutachten, auch der
Gutachten der Beklagten, davon auszugehen, dass der Kläger bis dahin noch leichte
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes 8 Stunden täglich verrichten konnte. Auf
solche ist er als angelernter Arbeiter ohne abgeschlossene Berufsausbildung auch
verweisbar, sodass er bis Januar 2007 nicht berufsunfähig im Sinne von § 240 SGB VI
gewesen sein kann, und erst recht nicht teilweise oder voll erwerbsgemindert im Sinne
von § 43 SGB VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
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