Urteil des SozG Düsseldorf vom 17.01.2005

SozG Düsseldorf: familie, erlass, hauptsache, obsiegen, beschränkung, gesetzesänderung, asylbewerber, beendigung, interessenabwägung, aufenthalt

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
1
2
3
4
5
6
7
Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Düsseldorf, S 35 AY 1/05 ER
17.01.2005
Sozialgericht Düsseldorf
35. Kammer
Beschluss
S 35 AY 1/05 ER
Sozialhilfe
nicht rechtskräftig
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller und seiner
Familie einstweilen bis zur Entscheidung über seinen Widerspruch vom
30.12.2004 Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz ab dem
01.01.2005 ​ nach der Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften ​ zu
gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen
außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
I. Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Er ist am 00.00.1951 geboren und mit
seiner 1965 geborenen Frau sowie vier minderjährigen Kindern am 01.12.1998 nach
Deutschland eingereist.
In Deutschland hat er einen Asylantrag gestellt. Im Rahmen dieses Asylantrages hat er
angegeben, seinen Pass vernichtet zu haben, um eine sofortige Abschiebung zu
verhindern.
Die Asylanträge des Antragstellers wurden 1999 abgelehnt. Eine hiergegen vor dem
Verwaltungsgericht erhobene Klage blieb im Jahre 2001 erfolglos. Seit 1999 erhält der
Antragsteller Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Seit September 2001
wurden durch die Ausländerbehörde der Stadt S keine aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen gegen den Antragsteller mehr durchgeführt, da bei drei Personen seiner
Bedarfsgemeinschaft langfristig Reiseunfähigkeit besteht.
Bis zum 31.12.2004 erhielt der Antragsteller Leistungen nach § 2
Asylbewerberleistungsgesetz.
Mit Bescheid vom 16.12.2004 wurden diese Leistungen eingestellt und dem Antragsteller
wurden ab 01. Januar 2005 Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6
Asylbewerberleistungsgesetz bewilligt. Hiergegen hat der Antragsteller am 30.12.2004
Widerspruch erhoben, über den bis heute nicht entschieden worden ist.
Ebenfalls unter dem 30.12.2004 ​ eingegangen beim Sozialgericht am 07. Januar 2005 ​ hat
der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Der Antragsteller hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller und seiner Familie einstweilen
Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz ab dem 01.01.2005 ​ nach der Maßgabe
der gesetzlichen Vorschriften ​ zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, dass nach der Neufassung des § 2 Asylbewerberleistungsgesetzes
Leistungen nach dieser Vorschrift nicht mehr in Betracht kommen, wenn der Antragsteller
die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Dies sei vorliegend
der Fall, weil der Antragsteller seinen Reisepass und die Pässe seiner Angehörigen
vernichtet habe. Die Vorschrift des § 2 Asylbewerberleistungsgesetzes n. F. sei auch auf
Fälle anzuwenden, in denen die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der
Aufenthaltsdauer vor dem 01.01.2005 gelegen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den
Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II. Gemäß § 86 b Abs. 2 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch
die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des
Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Diese Vorschrift ist
vorliegend anwendbar, weil der Antragsteller in der Hauptsache sich nicht mit einer
Anfechtungsklage wehren kann, denn der betreffende Bescheid nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz ist kein Dauerverwaltungsakt im Sinne des § 48 SGB X.
Der somit zulässige Antrag ist begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung im Sinne des Antragstellers liegen vor.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die dem Antragsteller
nunmehr lediglich bewilligten Leistungen nach §§ 3 ff Asylbewerberleistungsgesetz, sind
deutlich geringer als die Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz und auch
deutlich geringer als Leistungen nach dem SGB II bzw. dem SGB XII. Die Beschränkung
auf derart geringfügige Leistungen ist grundsätzlich ​ nach dem gesetzgeberischen Willen ​
nur zulässig, wenn die besonderen Voraussetzungen für geringere Leistungen nach §§ 3 ff.
Asylbewerberleistungsgesetz vorliegen.
Ob die Voraussetzungen für verminderte Leistungen nach §§ 3 ff
Asylbewerberleistungsgesetz vorliegend gegeben sind, erscheint - bei der hier gebotenen
summarischen Prüfung - eher zweifelhaft. Es spricht vielmehr Vieles dafür, dass der
Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegen wird.
Der Gesetzgeber hat in seinen Motiven zur Gesetzesänderung (Bundestagsdrucksache
15/420 Seite 121) zwar ausgeführt, dass Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz
nicht gewährt werden sollen, wenn der Asylbewerber rechtsmissbräuchlich die Dauer des
Aufenthalts beeinflusst hat. Wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt, ist dabei schon
fraglich, ob die neue Regelung auch auf Rechtsmissbräuche anzuwenden ist, die vor dem
Inkrafttreten des Gesetzes liegen. Diese Frage dürfte allerdings hier nicht
streitentscheidend sein, denn der Gesetzgeber hat im nächsten Absatz ausgeführt, es
19
20
entspreche seiner Intention, zwischen denjenigen zu unterscheiden, die unverschuldet
nicht ausreisen können und denen, die ihrer Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht
nachkommen. Der Antragsteller fällt aber heute zweifellos unter den Personenkreis, der
unverschuldet nicht ausreisen kann, denn sein Aufenthalt beruht seit 2001 auf der
Tatsache, dass zwei seiner Kinder und seine Ehefrau erkrankt sind. Der Antragsteller
kommt also nicht rechtsmissbräuchlich seiner Ausreisepflicht nicht nach, so dass für
Sanktionen nach §§ 3 ff Asylbewerberleistungsgesetz kein Raum sein dürfte.
Unter diesen Umständen fällt die gebotene Interessenabwägung zu Gunsten des
Antragstellers aus. Die Gewährung von verminderten Leistungen nach §§ 3 ff.
Asylbewerberleistungsgesetz bedeutet für den Antragsteller eine erhebliche rechtliche
Benachteiligung. Der Antragsteller müsste bis zur Beendigung des
Widerspruchsverfahrens mit minimalen Leistungen auskommen. Dies erscheint vor dem
Hintergrund der oben dargelegten Rechtslage nicht gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.