Urteil des SozG Düsseldorf vom 17.09.2007

SozG Düsseldorf: wiedereinsetzung in den vorigen stand, unterkunftskosten, wohnraum, wohnfläche, umzug, zuschuss, heizung, offenkundig, ermächtigung, vermessung

Sozialgericht Düsseldorf
Urteil vom 17.09.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Düsseldorf S 19 SO 1/07
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 20.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 28.11.2006 und unter Abänderung des Bescheides vom 22.11.2006 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum
01.10.2006 bis 30.09.2007 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Umfang von 51,59 EUR
monatlich zu gewähren. Die Beklagte trägt die der Klägerin entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand:
In dem Rechtsstreit geht es um die Gewährung höherer Unterkunftskosten im Rahmen der Leistungsgewährung zur
Sicherung des Unterhalts im Alter nach Maßgabe der §§ 41 ff des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (XII).
Die am 00.00.1940 geborene Klägerin ist verwitwet. Sie bezieht eine Witwenrente in Höhe von zuletzt (ab 01.10.2006)
250,20 Euro monatlich. Eine eigene Altersrente erhält sie nicht. Seit dem 01.10.2002 bewohnt die Klägerin eine laut
Wohnraummietvertrag vom 30.09.2002 ursprünglich ca. 65 qm, jetzt 60 qm (siehe Vermieterbescheinigung vom
01.08.2005) grosse 3-Zimmerwohnung. Die Grundmiete (kalt) hierfür beträgt 347,68 Euro monatlich; hinzu kommen 80
Euro monatlich an Vorauszahlungen für die Betriebskosten (ohne Heizung).
Bis zum 30.09.2005 bezog die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II); ab dem 01.10.2005 erhält sie Leistungen seitens der Beklagten nach Maßgabe des
Vierten Kapitels des SGB XII (§§ 41 ff., Grundsicherung im Alter).
Mit Bescheid vom 24.01.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin die oben genannten Leistungen unter
Berücksichtigung der vollen Unterkunftskosten zuzüglich einer Heizungs-pauschale in Höhe von 43 Euro monatlich für
die Zeit von Oktober 2005 bis September 2006. Diese Leistungsgewährung reduzierte die Beklagte mit Bescheid vom
22.03.2006 mit Wirkung ab dem 01.04.2006 um 51,59 Euro monatlich, da sie davon ausging, dass als
Unterkunftskosten ein Betrag von 296,09 Euro kalt (bezogen auf 45 qm) angemessen sei. Da die Beklagte den
Zugang eines entsprechenden Anhörungsschreiben vom 06.09.2005 bei der Klägerin nicht nachweisen konnte, half sie
dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 22.03.2006 ab. Mit dem Abhilfebescheid vom 18.07.2006
teilte sie der Klägerin mit, dass die tatsächlichen Unterkunftskosten bis zum Ende des Bewilligungs- zeitraumes
(30.09.2006) übernommen würden. Damit erledigte sich zugleich ein von der Klägerin insoweit eingeleitetes
vorläufiges Rechtsschutzverfahren (SG Düsseldorf S 24 S0 23/06 ER).
Mit weiterem Schreiben vom 18.07.2006, der Klägerin zugestellt am 04.08.2006, forderte die Beklagte die Klägerin
auf, die Unterkunftskosten auf die als angemessen erachtete Miete (siehe oben) zu senken. Die höhere Grundmiete
werde längstens bis zum 30.09.2006 übernommen. Von der gesetzlichen Regelfrist werde insoweit abgewichen, weil
der Klägerin die Unangemessenheit der (Kosten der) Wohnung seit dem Jahr 2004, aber auch durch die Schriftsätze
in dem sozialgerichtlichen Verfahren SG Düsseldorf S 24 S0 23/06 ER bekannt seien. Eine Fristverlängerung komme
nur in Betracht, wenn die Klägerin intensive Bemühungen um anderen Wohnraum nachweise. Insoweit übernahm die
Beklagte mit weiterem Bescheid vom 24.07.2006 die Kosten für zwei Zeitungsinserate. Eine gegen dieses
Anhörungsschreiben (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006) eingelegte Klage (S 19 S0 30/06)
nahm die Klägerin mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 27.11.2006 zurück.
Mit Bescheid vom 20.09.2006 setzte die Antragsgegnerin für den Leistungszeitraum Oktober 2006 bis Januar 2007
die Leistungshöhe auf insgesamt 630,40 Euro fest. Darin enthalten waren neben der Regelleistung in Höhe von 345
Euro ein Zuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 129,11 Euro sowie Unterkunftskosten in Höhe von 406,49
Euro (abzüglich der Rente von 250,20 Euro). Dabei zog die Antragsgegnerin von den ursprünglichen
Unterkunftskosten in Höhe von 347,68 Euro einen Betrag von 51,59 Euro ab. Hinzu rechnete sie einen
Betriebskostenvorschuss von 80 Euro monatlich sowie Heizungskosten in Höhe von 38 Euro, die um 7,60 Euro
bereinigt wurden. Eine weitere Änderung erfolgte mit Bescheid vom 22.11.2006: Der Zuschuss für die Krankenver-
sicherung wurde ab Oktober 2006 auf 136,56 Euro monatlich angehoben und der Bewilligungszeitraum auf die Zeit bis
September 2007 erstreckt; bei der Kürzung der Unterkunftskosten um 51,59 Euro monatlich verblieb es.
Gegen den Bescheid vom 20.09.2006 legte die Klägerin, soweit es um den Kürzungs-betrag von 51,59 Euro ging, am
27.09.2006 Widerspruch ein. Ebenso legte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten gegen den Bescheid vom
22.11.2006 Widerspruch ein (am 28.11.2006).
Den Widerspruch (vom 27.09.2006) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2006, abgesandt am
30.11.2006 und dem Bevollmächtigten am 02.12.2006 zugestellt, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die
Bekagte darin unter anderem sinngemäß aus, zwar seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen für die
Unterkunftskosten zu übernehmen, dies gelte aber nur für die insoweit angemessenen Kosten. Angemessen sei eine
Kaltmiete, die auf der Basis des öffentlichen Mietniveaus (=durchschnittlicher Quadratmeterpreis vergleichbaren
Wohnraums im Rhein-Kreis-Neuss unter Berücksichtigung örtlicher Verhältnisse) und des jeweils angemessenen
Wohnraums die vorgegebenen Beträge nicht übersteige. Dieser Betrag wurde von der Beklagten, aus-gehend von
einer Wohnfläche von 45 qm, mit 296,06 Euro angegeben. Es gebe auch hinreichenden Wohnraum in Neuss, der
diese Vorgaben erfülle, wie entsprechende Miet- angebote in den örtlichen Zeitungen belegten. Demgegenüber habe
sich die Klägerin um einen Wohnungswechsel nicht bemüht und soweit ersichtlich trotz entsprechender Kosten-
zusage noch nicht einmal Zeitungsinserate aufgegeben.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 29.12.2006, zur Post gegeben am 30.12.2006,
Klage zum SG Düsseldorf erhoben, die dort am 03.01.2007 einging.
Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf ihre Ausführungen in den vorhergehenden Streitverfahren, unter anderem
einem weiteren einstweiligen Anordnungsverfahren SG Düsseldorf S 19 S0 34/06 ER. Sie bestreitet, dass es
hinreichend Wohnraum gebe, der die Angemessenheitsanforderungen der Beklagten erfülle. Außerdem sei sie
aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme (Knieoperation) gar nicht in der Lage, einen Umzug durchzuführen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
28.11.2006 sowie des Bescheides vom 22.11.2006 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum 01.10.2006 bis 30.09.2007
weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Alter im Umfang von 51,59 Euro monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist bei ihrer Auffassung verblieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
Leistungsakten der Klägerin bei der Beklagten sowie der Akten des SG Düsseldorf S 19 S0 34/06 und S 19 S0 34/06
ER (= LSG NW S 20 B 1/07 S0 ER), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, soweit es auf ihren
Inhalt ankam, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Zwar hat die Klägerin die einmonatige Klagefrist des § 87 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) versäumt, doch war ihr
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG zu gewähren. Denn bei Absendung der Klage am
30.12.2006 konnte die Klägerin davon ausgehen, dass diese spätestens am 02.01.2007 bei Gericht eingehen würde.
Dann wäre die Klage aber noch rechtzeitig erhoben.
Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 20.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2006 sowie der
Bescheid vom 22.11.2006, der gemäß §§ 86, 96 SGG Gegen- stand des Widerspruchs- bzw. des Klageverfahrens
geworden ist, sind rechtswidrig, so dass die Klägerin hierdurch beschwert ist im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Beklagte hat zu Unrecht für den hier streitigen Zeitraum vom 01.10.2006 bis 30.09.2007 die der Klägerin
gewährten Unterkunftskosten um 51,59 Euro monatlich gekürzt.
Gemäß § 42 Satz 1 Nr. 2 SGB XII umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter, die die Klägerin unstreitig
und zu Recht erhält, auch die angemessenen tatsächlichen Auf- wendungen für Unterkunft und Heizung entsprechend
§ 29 SGB XII.
§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wiederholt, dass die Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht werden. Nicht angemessene Aufwendungen für die Unterkunft werden danach allerdings
längstens nur für 6 Monate übernommen.
Die Aufwendungen der Klägerin für ihre Unterkunft sind aber angemessen.
Welche Kosten angemessen sind, bestimmt das Gesetz nicht. Ebenso wenig enthält die Parallelvorschrift des § 22
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende hierzu eine
Aussage. Von einer Verordungs- ermächtigung in diesem Bereich, § 27 Nr. 1 SGB II hat der Verordnungsgeber
bislang keinen Gebrauch gemacht.
Bei Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten geht die Rechtsprechung inzwischen insoweit ersichtlich
einheitlich von der sogenannten Produkttheorie aus (siehe hierzu nur LSG NW, Beschluss vom 26.02.2007 - S 19 B
1/07 S0 ER, Seite 7; Grube/ Wahrendorf, SGB XII 2005, Randnummer 26 zu § 29 SGB XII), d. h. die angemessene
Höhe der Unterkunftskosten ist als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen
Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter zu ermitteln
(LSG NW, Beschluss vom 24.08.2005 - S 19 B 28/05 AS ER).
Bezüglich der Wohnraumgröße ist dabei die für Wohnberechtigte im sozialen Miet- wohnungsbau anerkannte
Wohnraumgröße zugrunde zu legen. Dies war früher im Wohnungsbindungsgesetz geregelt, an dessen Stelle das
Gesetz über die soziale Wohn- raumförderung - WoFG - vom 13.09.2001, BGBl. I Seite 2376 getreten ist. Nach § 10
WoFG können die Länder in gefördertem Mietwohnungsbau die Anerkennung von bestimmten Grenzen für
Wohnungsgrößen nach Grundsätzen der Angemessenheit regeln. Hierbei erlassen die einzelnen Bundesländer
Richtlinien (zu dem Vorstehenden vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7 b AS 18/06 R - Juris, Randziffer 19).
Für Nordrhein-Westfalen existiert hierzu ein Runderlass des Ministers für Stadtentwick-lung, Wohnen und Verkehr
vom 13.11.1989 - IV C 1-613-474/89 - der mit den nachfolgenden Änderungen im SMBl. NRW unter der Ziffer 238
abgedruckt ist. Danach ist in der Regel für einen Alleinstehenden von einer (angemessenen) Wohnfläche von 45 qm
auszugehen (Nr. 5.71). Das Abstellen auf diese Wohnungsgröße entspricht soweit ersichtlich auch der Praxis (das
mag in den einzelnen Bundesländern aufgrund unterschiedlicher Richtlinien gegebenfalls unterschiedlich sein; z. B.
werden auch allgemein 45 qm bis 50 qm noch als angemessen angesehen, vgl. Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II,
2005, Randnummer 43 zu § 22 SGB II). Übersehen wurde dabei bislang aber, dass die nordrhein-westfälischen
Richtlinien Abweichungen von dieser Regelgröße erlauben, und zwar nicht nur in sogenannten Härtefällen oder bei
besonderen Bedürfnissen, vgl. hierzu Nr. 5.4, 5.72, die im Wesentlichen Gegenstand der Ausführungen in den
Beschlüssen des erkennenden Gerichts vom 01.12.2006 - S 19 S0 34/06 ER und des LSG NW vom 26.02.2007 - L 20
B 1/07 S0 ER - in dem vorhergehenden einstweiligen Anordnungsverfahren waren. Das Vorliegen einer besonderen
Härte ist danach vielmehr erst dann zu prüfen, wenn mehr als nur geringfügig von der maßgeblichen Wohnungsgröße
im Sinne der Nr. 5.7 abgewichen werden soll, vgl. Nr. 5.42. Hierbei wird auf Nr. 4.3 der Richtlinie Bezug genommen.
Danach kann in der Regel eine Überschreitung der maßgeblichen Wohnfläche um bis zum 8 qm Wohnfläche als
geringfügig angesehen werden. Konsequenterweise weisen demzufolge viele (nicht alle) Gemeinden in NRW in ihren
Wohnberechtigungsscheinen auf diese Über-schreitungsmöglichkeit hin. Es handelt sich dabei um eine
Regelabweichung, von der nur ausnahmsweise (rück-) abgewichen werden darf (im Sinne einer geringeren Wohn-
flächenüberschreitung als 8 qm). Ob dies möglicherweise dann in Betracht käme, wenn unstreitig und offenkundig
massenweise Wohnraum mit geringerer Wohnfläche frei stünde, kann dahingestellt bleiben. Denn dies ist vorliegend
ersichtlich nicht der Fall, da die Beteiligten bereits darum streiten, ob nur einige wenige Wohnungen, die (engeren)
Angemessenheitsgrenzen der Beklagten erfüllen.
Ausgehend von einer Wohnungsgröße von 53 qm als angemessen, wird diese von der Klägerin deutlich überschritten,
und zwar unabhängig von der zutreffenden Vermessung ihrer Wohnung (60 oder 65 qm). Unter Zugrundelegung der
Produkttheorie (siehe oben) ist dies im Ergebnis jedoch unschädlich. Die Beklagte geht soweit ersichtlich von einem
an- gemessenen Quadratmeter-Preis (kalt) von 6,58 Euro aus (296,09 Euro bei 45 qm); bezogen auf 53 qm ergibt dies
eine angemessene Kaltmiete von 348,74 Euro, die gering-fügig über der von der Klägerin tatsächlich entrichteten
Kaltmiete von 347,68 Euro liegt.
Auf die weiteren hier streitigen Fragen, insbesondere ob überhaupt angemessener (freier) Wohnraum nach den
Kriterien der Beklagten in nennenswertem Umfang vorhanden war bzw. ist und - bejahendenfalls - , ob die Klägerin
sich hinreichend um einen Umzug bemüht hat bzw. ob ihr ein Umzug dann unter gesundheitlichen und finanziellen
Gesichts- punkten zuzumuten wäre, kommt es demgemäß nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.