Urteil des SozG Düsseldorf vom 21.09.2007

SozG Düsseldorf: vergütung, krankenpflege, abrechnung, feststellungsklage, zugang, aufwand, ernährung, sterilität, vergehen, arbeitsgemeinschaft

Sozialgericht Düsseldorf, S 8 (4) KR 87/06
Datum:
21.09.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 (4) KR 87/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 11 KR 91/07
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Es wird festgestellt, dass das Zubereiten und Anhängen einer
intravenösen Ernährungsinfusion einschließlich des Spülens des
Zugangs einerseits und das Abhängen der intravenösen
Ernährungsinfusion einschließlich des Spü- lens des Zugangs und der
Portfunktion andererseits zwei Vorgänge sind, die durch die Beklagte
jeweils gemäß Ziffer 2. c), DALE-Abrechnungspositions- nummer
032326 nach der Leistungsgruppe 3, derzeit mit je 14,52 Euro, zu ver-
güten sind, wenn zwischen dem Anhängen und Abhängen mehr als 6
Stunden vergehen.
Der Beklagten werden die Verfahrenskosten auferlegt.
Tatbestand:
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Zwischen den Beteiligten ist die Abrechnung einer intravenösen Ernährungsinfusion als
häusliche Behandlungspflege streitig, wenn zwischen dem Einleiten und dem
Abschließen der Infusion mehr als 6 Stunden liegen und zwei Einsätze (Anfahrten) der
Pflegekräfte erforderlich sind.
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Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst und ist Mitglied der S
Arbeitsgemeinschaft Häusliche Krankenpflege e.V. Die S Arbeitsgemeinschaft
häusliche Krankenpflege e.V. und die Beklagten schlossen am 29.01.2004 einen
Versorgungsvertrag gemäß §§ 132, 132 a des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches
(SGB V), der zwischen den Beteiligten verbindlich ist.
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Aus Anlass von drei (in der Klageschrift näher dargelegten) Abrechnungsfällen bei drei
Versicherten der Beklagten entstand zwischen den Beteiligten Streit um die Frage, wie
die Durchführung einer intravenösen Ernährungsinfusion unter den oben genannten
Umständen grundsätzlich abrechenbar ist. Die von der Klägerin zu erbringenden
intravenösen Ernährungsinfusionen umfassen in der Regel Infusionsmengen von 1.500
ml bis 2.000 ml und werden abends angelegt und morgens abgenommen.
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Die vorgerichtlichen Verhandlungen der Beteiligten führten zu keiner Einigung.
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Die Klägerin hat daraufhin beim Sozialgericht eine Feststellungsklage zur Klärung der
vertraglichen Vergütungspflicht erhoben.
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Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass eine intravenöse Ernährungsinfusion in
geschilderter Weise, die zwei Einsätze beim Versicherten erforderlich macht, von der
Beklagten zweimal mit der Leistungsgruppe 3 der Vergütungsvereinbarung zu
entlohnen ist. Dieser Abrechnungsanspruch ergäbe sich daraus, dass für die
Durchführung der Infusion jeweils zwei qualifizierte Einsätze erforderlich sind und zwar
in der Regel einer abends mit der Zubereitung der Infusion, dem Spülen des Zugangs
und dem Anhängen der Infusion - jeweils unter strengster Beachtung der zu wahrenden
Sterilität - und einer morgens mit dem Abhängen und Säubern des Zugangs sowie der
Versorgung des Port-Zugangs - ebenfalls unter strengster Wahrung der erforderlichen
Sterilität -. Nach der vertraglichen Vereinbarung sei eine solche Infusion mit zwei
Vergütungen zu entlohnen, weil zwei Einsätze erforderlich sind und darüber hinaus
jeder Einsatz mit einer Vergütung der Leistungsgruppe 3, da jeder Einsatz besonders
qualifiziertes Personal erfordere. Jede andere Auslegungsweise führe zu einer
wirtschaftlich unzureichenden Vergütung, die eine Durchführung dieser Pflege nicht
mehr gewährleiste.
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Die Klägerin beantragt,
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dass das Zubereiten und Anhängen einer intravenösen Ernährungsinfusion
einschließlich des Spülens des Zugangs einerseits und das Abhängen der intravenösen
Ernährungsinfusion einschließlich des Spülens des Zugangs und der Portfunktion
andererseits zwei Vorgänge sind, die durch die Beklagte jeweils gemäß Ziffer 2. c),
DALE-Abrechnungspositionsnummer 032326 nach der Leistungsgruppe 3, derzeit mit je
14,52 Euro, zu vergüten sind, wenn zwischen dem Anhängen und Abhängen mehr als 6
Stunden vergehen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält den geltend gemachten Anspruch nicht für gegeben. Sie ist der Auffassung,
dass die erforderliche Durchführung von zwei qualifizierten Einsätzen lediglich einmal
mit einer Vergütung der Leistungsgruppe 3, allenfalls mit einer Vergütung der
Leistungsgruppe 3 und zusätzlich einer Vergütung der Leistungsgruppe 1, zu entlohnen
ist. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Vertrages. Denn aus der Formulierung der
einschlägigen Abrechnungsposition - Nr. 032326 - ergäbe sich, dass eine Entlohnung
mit der dort aufgeführten Vergütung in Höhe von 14,52 Euro die vollständige
Durchführung der intravenösen Infusionstherapie erfasse. Die in der
Vergütungsvereinbarung erfolgte Bezugnahme auf die entsprechende Passage der
Häuslichen Krankenpflege-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ("16")
mache diese Auslegung deutlich. Denn die in Bezug genommene
Leistungsbeschreibung der Häuslichen Krankenpflege-Richtlinien umfasse alle
erforderlichen Tätigkeiten Infusionstherapie, von der Einleitung bis zum Abschluss:
"Wechseln und erneutes Anhängen der ärztlich verordneten Infusion bei ärztlich
gelegtem peripheren oder zentralen i.v.-Zugang oder des ärztlich punktierten Port-a-cath
zur Flüssigkeitssubtitution oder parenteralen Ernährung, Kontrolle der
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Laufgeschwindigkeit (ggf. per Infusionsgerät) und der Füllmengen, Durchspülen des
Zuganges nach erfolgter Infusionsgabe, Verschluss des Zugangs". Allein unter
Berücksichtigung des anzuerkennenden Umstandes, dass für die vollständige
Durchführung der Ernährungsinfusion zwei Einsätze erforderlich sind, komme eine
zusätzliche Vergütung gemäß der Leistungsgruppe 1 in Betracht. Dies entspräche
einem Wegegeld oder einer Hausbesuchspauschale, die das Vertragswerk eigentlich
nicht vorsähe. Mit dieser Abrechnung sei nicht in Frage gestellt, dass der zweite Einsatz
ebenso qualifiziertes Personal benötige wie der erste Einsatz. Er werde aber der
Formulierung der Leistungs-position in Gruppe 3 gerecht.
Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze
der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Feststellungsklage ist zulässig.
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Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung der
Vergütungspflicht der Beklagten für die aufgezeigten und sich wiederholenden
Pflegeleistungen, da durch die Klärung dieser Vergütungsfrage der Streit der Beteiligten
über die Abrechnung von intravenösen Ernährungsinfusionen, die sich über einen
Zeitraum von mehr als 6 Stunden erstrecken, im Ganzen bereinigt wird, § 55 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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Die Klage ist begründet.
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Der Klägerin steht für die Erbringung von häuslichen Krankenpflegeleistungen in Form
einer intravenösen Ernährungsinfusion mit einer mehr als 6-stündigen Dauer und zwei
Einsätzen eine zweimalige Vergütung gemäß der Leistungsgruppe 3 der
Vergütungsvereinbarung zum Vertrag gemäß §§ 132 und 132 a SGB V zu.
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Die Auslegung der Vergütungsvereinbarung zu § 14 des Vertrages ergibt, dass die
Beklagte für die Erbringung der Pflegeleistung im tenorierten Sinne jeden Einsatz mit
der Vergütungsgruppe 3 zu entlohnen hat.
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Zunächst ergibt die nähere Betrachtung der Vergütungsvereinbarung den Anschein,
dass länger als 6 Stunden dauernde Ernährungsinfusionen mit der Notwendigkeit von
zwei Pflegeeinsätzen nicht bedacht worden ist. Denn insoweit erscheint die
Vereinbarung auf Anhieb widersprüchlich: Die Formulierung der Leistungsbeschreibung
in Leistungsgruppe 3 "Infusionsthera- pie i.v. (16)" spricht zunächst dafür, dass
tatsächlich alle Tätigkeiten des Pflegedienstes vom Einleiten bis zum Abschluss der
Infusionstherapie von der Vergütungsgruppe erfasst sind. Andererseits wird aus der
Einleitung zur Vergütungsvereinbarung deutlich, dass sie von einer einsatzbezogenen
Vergütung ausgeht (Ziffer 2.: "Häusliche Krankenpflege ... je Einsatz").
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Unter Zugrundelegung der weiteren Leistungsbeschreibung in Gruppe 3 ist dieser
Widerspruch zu Gunsten des Einsatzprinzips im klägerischen Sinne aufzulösen. Dies
ergibt sich aus der weiteren Formulierung der Leistungsbeschreibung: " ...in der Regel
bis 500 ml". Diese mengenmäßige Begrenzung der parenteralen Ernährung ergibt sich
nicht aus den Häuslichen Krankenpflege-Richtlinien und ist damit eigens von den
Vertragsparteien in die Leistungs-Beschreibung aufgenommen worden. Hinsichtlich der
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hier vorliegenden Streitfrage ergibt diese Begrenzung nur bei einer Auslegung
dahingehend Sinn, dass nicht jede Infusionstherapie, unabhängig von ihrem Ausmaß,
der Länge ihres Vorgangs und damit auch der Erforderlichkeit mehrerer Einsätze, durch
die Zahlung einer einzigen Abrechnungsposition als abgegolten gilt. Denn es ist davon
auszugehen, dass sich mit steigender Infusionsmenge auch der Infusionsvorgang
zeitlich in die Länge zieht und damit zwangsläufig einen erhöhten und gegebenenfalls
einzeln zu entlohnenden Aufwand zweier Einsätze erfordert.
Darüber hinaus wäre bei dem der Vergütungsvereinbarung zu Grunde liegenden
"Einsatzprinzip" zu berücksichtigen, dass die Leistungsgruppen 1 und 2 keine
Leistungsbeschreibung beinhalten, die vom Aufwand her dem Einleiten oder Absetzen
der intravenösen Ernährungsinfusion bei Port-Zugang entspricht. Dies bedeutet, dass
unter der gebotenen Zugrundelegung des Einsatzprinzips zwei Einsätze zu honorieren
sind - was auch von der Beklagten grundsätzlich anerkannt wird - und für jeden Einsatz
eine passendere Leistungsbeschreibung als die der Infusionstherapie nicht gegeben ist.
Vielmehr erscheint es fraglich, ob ein Vergleich mit der Leistung "Pflege des zentralen
Venenkatheters und Port-Systemen" nicht ebenfalls die Vergütung des einzelnen
Einsatzes zur intravenösen Ernährungsinfusion gemäß der Leistungsgruppe 3 gebietet,
da jeder einzelne der beiden Einsätze zur Durchführung einer Ernährungsinfusion
bereits so aufwändig erscheint wie die Pflege eines zentralen Venenkatheters oder Port-
Systems.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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