Urteil des SozG Düsseldorf vom 23.05.2006

SozG Düsseldorf: fristlose kündigung, wohngemeinschaft, angemessenheit, heizung, haushalt, erlass, wohnungsbau, sport, unterbringung, niedersachsen

Sozialgericht Düsseldorf, S 24 AS 81/06 ER
Datum:
23.05.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 24 AS 81/06 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe:
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Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordert danach
einen Anordnungsgrund, als Ausdruck einer besonderen Eilbedürftigkeit, und einen
Anordnungsanspruch, also das materiell bestehende Recht.
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Vorliegend hat das Gericht bereits Bedenken an dem Vorliegen eines
Anordnungsgrundes, da der Antragsteller eine besondere Eilbedürftigkeit nicht
glaubhaft gemacht hat. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass ihm in absehbarer
Zeit Wohnungslosigkeit drohe, wenn er den im Eilverfahren begehrten Differenzbetrag
hinsichtlich der Kosten für die Unterkunft in Höhe von etwa 110,- Euro nicht im Wege
des Eilverfahrens erhält. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass im Hinblick auf
etwa rückständige Mietzinszahlungen die fristlose Kündigung droht.
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Unabhängig davon fehlt es jedoch auch an einem Anordnungsanspruch. Der
Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und
Heizung in Höhe der derzeitigen tatsächlichen Aufwendungen. Die von ihm gemeinsam
mit zwei anderen Personen bewohnte 130 qm-Wohnung die vom Antragsteller mit
einem Wohnraum von 43 qm genutzt wird und auf einen Mietpreis inklusive
Nebenkosten von 289,07 Euro sich beläuft, ist nicht angemessen. Bei der Beurteilung,
ob der Aufwand für die Unterkunft einen angemessenen Umfang hat, ist von der
tatsächlich entrichteten Miete auszugehen und eine den Besonderheiten des Einzelfalls
gerecht werdende Betrachtung vorzunehmen (vgl. Bundesverwaltungsgerichtsentscheid
97, 110, 112; 75, 168, 171 im Hinblick auf die Frage der Angemessenheit nach dem
BSHG). Es ist also eine individualisierte Betrachtungsweise vorzunehmen, die neben
den konkreten Verhältnissen auf dem örtlichen Mietmarkt auch die persönlichen
Lebensumstände der Hilfebedürftigen in die Prüfung einzubeziehen hat. Es handelt sich
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hier unbestrittenermaßen um eine "reine" Wohngemeinschaft. Anhhaltspunkte dafür,
dass eine Wohngemeinschaft der Besonderheit einer Wirtschaftsgemeinschaft (vgl.
dazu Niedersächsisches OVG, Urteil vom 16.06.2004, AZ: 12 L C 67/04, Juris) vorliegt,
bestehen nicht. Im übrigen ist auch nicht nachvollziehbar, welche Auswirkungen auf die
Angemessenheit der Unterkunftskosten der Umstand haben soll, ob in einer
Wohngemeinschaft gemeinsam gewirtschaftet wird oder getrennt. Nach § 19 Abs. 1 Nr.
1, 20 ff. SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II, die
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und die angemessenen Kosten für
Unterkunft und Heizung umfassen. Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nach
§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit
diese angemessen sind. Die Bestimmung der Angemessenheit der Größe erfolgt unter
Rückgriff auf die Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz, Runderlass
des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport vom 08.03.2004
(Ministerialblatt Nordrhein-Westfalen vom 10.05.2002, Nr. 23) zu § 5 Abs. 2
Wohnungsbindungsgesetz bzw. die dort festgelegten Wohnungsgrößen im sozialen
Wohnungsbau; die Rechtsprechung hat die darin zum Ausdruck kommende Typisierung
für zulässig erachtet (vgl. insoweit Bundesverwaltungsgericht, NJW 1993, 124, 125).
Danach werden je nach Anzahl der Bewohner folgende Wohnraumgrößen für
angemessen erachtet: Bei einem Einpersonen-Haushalt 40 bis 50 qm, bei einem
Zweipersonen-Haushalt 60 qm und bei einem Dreipersonen-Haushalt 75 qm.
Die Frage der Angemessenheit der Wohnung ist vorliegend unter Berücksichtigung des
tatsächlich bestehenden Dreipersonen-Haushaltes zu prüfen. Nicht abzustellen ist auf
einen fiktiven Bedarf dreier Einpersonen-Haushalte. Denn der tatsächliche Bedarf des
vom Antragsteller frei gewählten Wohnmodells der Dreier-Wohngemeinschaft ist
maßgebend. Die Frage der Angemessenheit der Unterkunft ist vielmehr aus der
Richtung der angemessenen Unterbringung als vielmehr der Frage einer erreichten
Obergrenze zu beantworten. Eine fiktive, an Besitzstandsgesichtspunkten orientierte
Bedarfsberechnung liefe dem Rechtscharakter der Sozialhilfe zuwider (vgl. zu § 300
Satz 1 BSHG, Niedersächsisches OVG, Urteil vom 16.06.2004, a.a.O.). Es beruht auf
der höchstpersönlichen Entscheidung des Antragstellers nicht in einem Einzelhaushalt
zu leben, sondern in einer Wohngemeinschaft. Allein vor diesem Hintergrund ist der
jeweils angemessene Unterkunftsbedarf zu bestimmen. Eine andere Betrachtungsweise
würde auch zu einer Ungleichbehandlung von Lebensformen kommen je nach dem, ob
diese eine Bedarfsgemeinschaft bilden oder eine reine Wohngemeinschaft. Für eine
solche Ungleichbehandlung gibt es jedoch keinen sachlich rechtfertigenden Grund.
Durch die Lebensform der Haushaltsgemeinschaft - ohne dass es sich um eine
Bedarfsgemeinschaft handelt - werden von den daran Beteiligten infolge zumindest
gemeinsamen Wohnens Kosten gegenüber einem getrennten Wohnen eingespart.
Diese Situation ist der von Familien- bzw. Bedarfsgemeinschaften vergleichbar. Der
Bedarf solcher Familien- oder Lebensgemeinschaften, die eine Bedarfsgemeinschaft
bilden, wird dabei jeweils anhand der für diese Bedarfsgemeinschaft vorgegebenen und
als angemessen betrachteten Wohnungsgröße ermittelt. Nicht abgestellt wird auf den
Bedarf eines einzelnen Mitglieds dieser Bedarfsgemeinschaft. Wohngemeinschaften
wären diesen gegenüber leistungsrechtlich besser gestellt, wenn für die
Wohngemeinschaften auf einen fiktiven Bedarf abgestellt würde (vgl. Bayrisches
Landessozialgericht, Beschluss vom 15.09.2005, L 10 B 429/05 AS ER), andere
Auffassung Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen, Beschluss vom 23.03.2006, L
6 AS 96/06 ER.
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Ob im Hinblick darauf, dass Hilfebedürftige in Wohngemeinschaften die Aufwendung
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durch einen Umzug in eine nur von ihnen bewohnte Wohnung senken könnten und
damit sowohl hinsichtlich der monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung als auch
durch die erforderlich werdende Gestellung einer Mietkaution sowie die Begleichung
von Umzugskosten durch die Antragsgegnerin dem Steuerzahler deutlich höhere
Kosten entstünden, unter Umständen eine andere Betrachtung im Einzelfall angezeigt
sein kann, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls wenn - wie hier - die in der
Wohngemeinschaft anteilig entstehenden Kosten sowie auch die individuell genutzte
Wohnfläche nahezu an die Kostenobergrenze sowie die Quadratmeterobergrenze einer
einzel genutzten Wohnung heranragt, ist die Unterkunft als angemessen anzusehen.
Wenn sich nur geringfügige Überschreitungen ergeben, kann es im Einzelfall durchaus
angezeigt sein, im Sinne einer Gesamtbetrachtung solche geringfügigen
Überschreitungen noch als angemessen anzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193
SGG.
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