Urteil des SozG Dresden vom 29.05.2006

SozG Dresden: geburt, wohnung, schwangerschaft, falsche auskunft, bekleidung, begriff, form, rechtsschutz, unverzüglich, verfügung

Sozialgericht Dresden
Beschluss vom 29.05.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 23 AS 802/06 ER
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin auf ihren Antrag vom
16. März 2006 vorläufig unverzüglich Leistungen anlässlich Schwangerschaft und Geburt als Erstausstattungsbedarf
in Höhe von 826,00 EUR zu erbringen. II. Die Antragsgegnerin erstattet der Antragstellerin deren notwendige außerge-
richtliche Kosten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von einmaligen Leistungen für
Schwangerschaft und Geburt.
Die am ... 1979 geborene, in D. wohnhafte, seit ... 2005 verheiratete Antragstellerin ist hochschwanger. Der
voraussichtliche Entbindungstermin ist ausweislich des Mutterpasses ärztlicherseits auf den 25. Juni 2006 berechnet.
Die Antragstellerin ist ohne Einkommen und Vermögen. Ihr Ehemann ist erwerbstätig und erhält (soweit bekannt) seit
Februar 2006 einen monatlichen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 500,00 EUR (netto im Februar 2006: 392,50 EUR, netto
im März und April 2006: jeweils 441,93 EUR). Die Mietaufwendungen (inklusive Vorauszahlungen für Betriebskosten,
Heizung und Warmwasser) betragen für die von der Antragstellerin und ihrem Ehemann bewohnte 2-Raumwohung
monatlich 320,00 EUR.
Am 16. März 2006 beantragte die nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II stehende An-tragstellerin bei der
Antragsgegnerin einmalige Leistungen für Schwangerschaft und Ge-burt. Die Antragsgegnerin erteilte der
Antragstellerin daraufhin die falsche Auskunft, dass über die beantragten Leistungen erst nach Bewilligung von
Arbeitslosengeld II entschieden werden könne. Die daraufhin der Antragstellerin am 16. März 2006 übergebenen
Antrags-formulare für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II reichte die Antragstellerin
am 6. April 2006 im ausgefüllten Zustand nebst Nachweisen bei der Antragsgegnerin wieder ein. Ausweislich der
"BewA"-Vermerke der Antragsgegnerin ha-be die Antragstellerin diesen Antrag am 7. April 2006 mündlich widerrufen.
Am 18. April 2006 unterzeichneten die Antragstellerin und ihr Ehemann eine handschriftliche, nicht von der
Antragstellerin oder ihrem Ehemann angefertigte, Erklärung folgenden Inhalts: "Hier-mit bestätige ich, dass ich keine
Unterstützung laut SGB II für Sozialhilfe benötige oder in Anspruch nehmen möchte." Mit Bescheid vom 18. April
2006 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB
II auf Grund des Antrages der Antragstellerin vom 6. April 2006 mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin nach
ihren eigenen Angaben ihren Lebensunterhalt und den in der Bedarfsgemeinschaft der An-tragstellerin lebenden
Personen ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern könne. Sie sei daher nicht
bedürftig und habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2006 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen den Ableh-nungsbescheid der
Antragsgegnerin vom 18. April 2006 ein. Zur Begründung führte sie aus: Die Ablehnungsbegründung sei nicht
zutreffend. Ihr Ehemann habe geringes Ein-kommen (im März und April: 441,00 EUR). Sie wolle zwar ihren
Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten, so dass sie keine laufenden Leistungen in Anspruch nehmen wolle.
Da sie jedoch schwanger sei, habe sie einen Antrag auf einmalige Leistungen für Schwanger-schaft und Geburt
gestellt. Die Sachbearbeiterin habe ihr erklärt, dass es nicht möglich sei, einmalige Leistungen ohne den Bezug von
laufenden Leistungen zu erhalten.
Den Widerspruch hat die Antragsgegnerin bislang – soweit ersichtlich – noch nicht be-schieden.
Am 18. Mai 2006 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Dresden einstweiligen Rechtsschutz. Zur
Begründung führte sie aus: Sie sei dringend auf die Gewährung einma-liger Leistungen für Schwangerschaft und
Geburt angewiesen. Der voraussichtliche Ent-bindungstermin sei der 25. Juni 2006. Sie wolle keine laufenden
Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen, weshalb sie hierauf verzichtet habe. Sie wolle aber einmalige
Leistungen für Schwangerschaft und Geburt, was auch ohne den Bezug von laufenden Leistungen möglich sei.
Die Antragstellerin beantragt,
ihr vor dem Sozialgericht Dresden einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten,
einmalige Leistungen für Schwan-gerschaft und Geburt nach § 23 Abs. 3 SGB II zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus: Die Antragstellerin habe auf Leistungen nach dem SGB II verzichtet. Da § 23
Bestandteil des SGB II sei, gelte die Verzichtserklärung vom 18. April 2006 auch für die Leistungen nach diesem
Paragraphen. Daher sei der Antrag auf Gewäh-rung der Leistungen für Schwangerschaft und Geburt nach § 23 Abs. 3
SGB II abzulehnen.
Das Gericht hat zur Sachverhaltsaufklärung von der Antragstellerin folgende Unterlagen angefordert, die dem Gericht
vorgelegt wurden: · Mutterpass, · aktueller Mietvertrag, · aktuelle Verdienstbescheinigungen des Ehemannes, ·
aktuelle Girokontoauszüge seit Januar 2006.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte, die dem Gericht nicht fristgerecht vorgelegt wurde, der Antragsgegnerin mit der
Nummer: ... beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezoge-ne Akte sowie die
Gerichtsakte und die gewechselten Schriftsätze insgesamt ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet, so dass ihm statt-zugeben war.
Inhaltlich handelt es sich um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanord-nung nach § 86b Abs. 2
Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit dem Begehren, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die notwendigen
Leistungen für Erstausstattungen für Wohnung und Bekleidung aus Anlass der Schwangerschaft und bevorstehenden
Geburt nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) an die Antragstellerin zu gewäh-ren.
§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG lautet: "Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine sol-che Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint."
Der Antrag hat daher dann Aussicht auf Erfolg, wenn ein sog. Anordnungsanspruch und ein sog. Anordnungsgrund
vorliegen. Für eine vorläufige Entscheidung, d.h. bis zur Ent-scheidung der Antragsgegnerin über den Widerspruch der
Antragstellerin vom 15. Mai 2006 gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 18. April 2006, müssen
gewichtige Gründe vorliegen; dies ist der sog. Anordnungsgrund. Er liegt vor, wenn dem Antragsteller wesentliche,
insbesondere irreversible Nachteile drohen, die für ihn ein Ab-warten bis zur Entscheidung in der Hauptsache
unzumutbar machen und die Regelung zur Verhinderung dieser unzumutbaren Nachteile durch eine Anordnung nötig
erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.1977, Az: 2 BvR 42/76). Sinn und Zweck des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens liegen in der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit und der pro-zessualen Lage, um eine
endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheverfahren zu er-möglichen. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren
will nichts anderes, als allein wegen der Zeitdimension der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im
Hauptsachever-fahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden
Entwicklungen sichern (so ausdrücklich: Sächsisches LSG, Beschluss vom 11.02.2004, Az: L 1 B 227/03 KR-ER).
Weiterhin muss ein sog. Anordnungsanspruch vorliegen. Dabei muss es sich um einen der Durchsetzung
zugänglichen materiell-rechtlichen Anspruch (vgl. Berlit, info also 2005, 3, 7 sowie im Anschluss hieran ausdrücklich:
Sächsisches LSG, Beschluss vom 14.04.2005, Az: L 3 B 30/05 AS/ER und Sächsisches LSG, Be-schluss vom
19.09.2005, Az: L 3 B 155/05 AS/ER) des Antragstellers handeln.
Eine einstweilige Anordnung ergeht demnach nur, wenn sie zur Abwendung wesentlicher, nicht wiedergutzumachender
Nachteile für den Antragsteller notwendig ist. Dabei hat der Antragsteller wegen der von ihm geltend gemachten
Eilbedürftigkeit der Entscheidung die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §§ 202
SGG, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO), also Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, glaubhaft zu machen.
1.
Die Antragstellerin hat den Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie hat glaubhaft darge-legt und nachgewiesen, dass
ihr durch ein Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsa-che wesentliche Nachteile drohen.
Die Geburt des Kindes der Antragstellerin steht unmittelbar bevor, hieraus folgt bereits zwanglos der erforderliche
Anordnungsgrund (so auch zutreffend: SG Hamburg, Beschluss vom 23.03.2005, Az: S 57 AS 125/05 ER; SG
Speyer, Beschluss vom 13.06.2005, Az: S 16 ER 100/05 AS; SG Lüneburg, Beschluss vom 20.06.2005, Az: S 25 AS
231/05 ER). Der entstehende Bedarf ist gegenwärtig und auf Grund der finanziellen Situation der An-tragstellerin nicht
gesichert. Die Antragstellerin verfügt weder über Vermögen noch Ein-kommen; das Girokonto befindet sich lediglich
im geringfügigen Haben-Bereich (183,02 EUR). Anhaltspunkte dafür, dass Gegenstände des
Säuglingserstausstattungsbedarfs bei der Antragstellerin bereits vorhanden wären, liegen nicht vor. Gegenstand des
Verfah-rens sind zudem Leistungen der Grundsicherung, die garantieren sollen, dass der An-spruchsberechtigte ein
menschenwürdiges, existenzsicherndes Leben führen kann. Aus diesem Grund kann der Antragstellerin nicht
zugemutet werden, sich bis zur Entscheidung über den Widerspruch mit einem geringeren Lebensunterhalt zu
begnügen, wenn sie einen Anspruch darauf mindestens glaubhaft gemacht hat.
2.
Der Antragstellerin steht entgegen der Rechtsansicht der Antragsgegnerin auch ein Anord-nungsanspruch zu, weil sie
Anspruch auf die begehrte vorläufige Gewährung der notwen-digen Leistungen für Erstausstattungen für Wohnung und
Bekleidung aus Anlass der Schwangerschaft und bevorstehenden Geburt hat.
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Antragstellerin ist § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB II i.V.m. §§ 23 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 und Nr. 2, 23 Abs. 3 Satz 3 SGB II.
Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II sind Leistungen für die Erstausstattung für die Wohnung und für die
Erstausstattung für Bekleidung einschließlich bei Schwanger-schaft und Geburt nicht von der Regelleistung umfasst.
Sie werden daher gem. § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB II gesondert erbracht. Sie werden nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB II
auch er-bracht, wenn Hilfebedürftige keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ein-schließlich der
angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung benötigen, den Bedarf jedoch aus eigenen Kräften und Mitteln
nicht voll decken können. In diesem Fall kann gem. § 23 Abs. 3 Satz 4 SGB II das Einkommen berücksichtigt
werden, das Hilfebedürfti-ge innerhalb eines Zeitraumes von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erwer-
ben, in dem über die Leistung entschieden worden ist. Die Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II
können nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II als Sachleistungen oder Geldleistungen, auch in Form von
Pauschalbeträgen, erbracht werden. Nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II sind bei der Bemessung der Pauschalbeträge
geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.
Der Begriff der "Erstausstattungen" darf nicht zu eng ausgelegt werden, zumal es an einer Öffnungsklausel für
Sondersituationen fehlt und somit die Gefahr steter Bedarfsunterde-ckung besteht (so ausdrücklich zutreffend: SG
Hamburg, Beschluss vom 24.06.2005, Az: S 62 AS 406/05 ER; Lang in: Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II,
1. Aufl. 2005, § 23, Rn. 101 und 96; zur Problematik des Fehlens einer Öffnungsklausel – wie in § 28 Abs. 1 Satz 2
SGB XII – für unabweisbare Bedarfe vgl. bereits ausdrücklich und ausführ-lich: SG Dresden, Beschluss vom
20.05.2006, Az: S 23 AS 768/06 ER und SG Dresden, Beschluss vom 05.11.2005, Az: S 23 AS 982/05 ER) und im
Rahmen der historischen Ge-setzesinterpretation berücksichtigt werden muss, dass die durch § 23 Abs. 3 Satz 1
SGB II anerkannten Bedarfe an Stelle der Einmalleistungen nach dem BSHG getreten sind, für die aber anerkannt
war, dass sie nicht nur einmalig anfallen konnten (so ausdrücklich zutref-fend: Lang in: Eicher/Spellbrink, Kommentar
zum SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23, Rn. 96). Der Begriff der "Erstausstattungen" umfasst die Bedarfe an allen
Wohnungsgegenständen, die für eine geordnete Haushaltsführung und ein menschenwürdiges Wohnen erforderlich
sind (so auch ausdrücklich: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, Az: L 3 ER 45/05 AS). Der
Erstausstattungsbedarf beschränkt sich deshalb insbesondere nicht auf Si-tuationen, die durch den Neubezug aus
öffentlichen Unterkünften und Untermietverhältnis-sen ohne eigenen Hausstand sowie den erstmaligem Bezug einer
Wohnung gekennzeichnet sind (so zutreffend: SG Hamburg, Beschluss vom 24.06.2005, Az: S 62 AS 406/05 ER).
Damit würde der Begriff "Erstausstattungen" rein zeitlich interpretiert werden. Mit Blick auf Sinn und Zweck des § 23
Abs. 3 SGB II ist der Begriff indes bedarfsbezogen zu inter-pretieren (so bspw. zutreffend: LSG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 12.07.2005, Az: L 3 ER 45/05 AS; SG Aurich, Beschluss vom 06.12.2005, Az: S 25 AS 254/05 ER;
SG Gel-senkirchen, Beschluss vom 18.07.2005, Az: S 11 AS 75/05 ER; SG Hamburg, Beschluss vom 24.06.2005,
Az: S 62 AS 406/05 ER; Lang in: Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 1. Aufl. 2005, § 23, Rn. 97 und 103). Die
Vorschrift begegnet bestimmten Be-darfslagen, die typischerweise mit einem nicht aus der Regelleistung zu
deckenden Mehr-bedarf verbunden sind (so zutreffend: SG Speyer, Beschluss vom 13.06.2005, Az: S 16 ER 100/05
AS; SG Hamburg, Beschluss vom 24.06.2005, Az: S 62 AS 406/05 ER; SG Ham-burg, Beschluss vom 23.03.2005,
Az. S 57 AS 125/05 ER), weil nicht erwartet werden kann, dass diese besondere einmalige Bedarfslage aus der
Regelleistung gedeckt werden kann. Ein solcher Mehrbedarf entsteht ausweislich des Willens des Gesetzgebers bei-
spielsweise "nach einem Wohnungsbrand oder bei Erstanmietung nach einer Haft" (vgl. BT-Drs.: 15/1514, S. 60 zu §
32 Abs. 1 SGB XII-E, der inhaltsgleich sowohl § 31 Abs. 1 SGB XII als auch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB II entspricht).
Über diese vom Gesetzgeber an-geführten Beispiele hinaus, die wegen der beispielhaften Benennung gerade nicht ab-
schließend formuliert sind, entsteht ein Mehrbedarf für eine Wohnungserstausstattung – entgegen der von der
Antragsgegnerin vorgelegten Richtlinien – auch dann, wenn in eine bestehende Wohnungsausstattung ein
neugeborenes Kind zu integrieren ist (so ausdrück-lich zutreffend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
03.03.2006, Az: L 10 B 106/06 AS ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, Az: L 3 ER 45/05 AS; SG
Lü-neburg, Beschluss vom 20.06.2005, Az: S 25 AS 231/05 ER; SG Speyer, Beschluss vom 13.06.2005, Az: S 16
ER 100/05 AS; SG Hamburg, Beschluss vom 23.03.2005, Az. S 57 AS 125/05 ER). Zwar besteht in diesem Fall
schon grundsätzlich eine Wohnungsausstat-tung, jedoch ist diese nur auf die bisher in der Wohnung lebenden
Personen zugeschnitten. Ebenso wie in den oben angeführten Fällen mangelt es hier an der Ausstattung für das hin-
zukommende neugeborene Kind, welches im Übrigen eine ganz spezifische Wohnungsaus-stattung benötigt. Deshalb
handelt es sich bei einer Erstausstattung der Wohnung nicht nur um den Bedarf, der bei der Erstanmietung einer
Wohnung anfällt; vielmehr gehört dazu auch die Erstausstattung bei einem "neuen Bedarf aufgrund außergewöhnlicher
Umstän-de", wozu auch die Geburt eines Kindes führt (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Be-schluss vom 03.03.2006,
Az: L 10 B 106/06 AS ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, Az: L 3 ER 45/05 AS; SG Lüneburg,
Beschluss vom 20.06.2005, Az: S 25 AS 231/05 ER; SG Speyer, Beschluss vom 13.06.2005, Az: S 16 ER 100/05
AS; SG Hamburg, Beschluss vom 23.03.2005, Az. S 57 AS 125/05 ER). Einer solchen Auslegung, wonach unter die
Erstausstattung auch die in der Wohnung benötigte Erstausstattung eines Kindes, wie zum Beispiel Kinderbett,
Kinderzimmer usw. gefasst wird, steht auch der Wortlaut der Vorschrift nicht entgegen. Die Formulierung
"Erstausstattung für die Wohnung" erfasst auch den hier vorliegenden Fall, in dem durch das Hinzukommen eines
neugeborenen Kindes ein neuer ganz spezifischer Ausstattungsbedarf entsteht. Dieser ganz spezifische Bedarf des
Neugeborenen tritt dann zum ersten Mal auf. Es handelt sich insoweit auch begrifflich um eine "Erstausstattung".
Dieser Auslegung der Norm steht auch der Wille des Gesetzgebers nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht
entgegen (ebenso: SG Hamburg, Beschluss vom 23.03.2005, Az: S 57 AS 125/05 ER; SG Speyer, Beschluss vom
13.06.2005, Az: S 16 ER 100/05 AS; zustimmend: Geiger, info also 2005, 147, 150). Zwar hat die Bundesregierung
und der letztendlich verabschiedete Gesetzestext den Änderungsvorschlag des Bundesrates im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens zum "Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungs-verfahren im Sozialrecht
(Verwaltungsvereinfachungsgesetz)", in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II zur Klarstellung auch die sog.
Babyerstausstattung aufzunehmen, nicht übernom-men (vgl. BR-Drs. 676/04, S.6 ff; BT-Drs. 15/4228, S. 51 und BT-
Drs. 15/4751, S. 5 ff). Jedoch hat die Bundesregierung keine Aussage dazu getroffen und auch nicht treffen kön-nen,
in welcher Art und Weise der unverändert gelassene Gesetzestext auszulegen ist. Vielmehr wurde nur erneut darauf
hingewiesen, dass § 23 Abs. 3 SGB II nur für eng um-grenzte und von § 23 Abs. 3 SGB II benannte Bedarfe gelte.
Genau ein solcher Fall liegt jedoch nach Auffassung des erkennenden Gerichtes hier vor, weshalb die in den von der
Antragsgegnerin vorgelegten Richtlinien vertretene Ansicht: "Gleichfalls liegen die Bedin-gungen für eine
Erstausstattung" von Wohnungen "nicht bei der Geburt eines Kindes vor, wenn zusätzliche Einrichtungsgegenstände
benötigt werden." unzutreffend und daher rechtswidrig ist.
Umfasst vom Wohnungserstausstattungsbedarf eines Neugeborenen sind daher insbeson-dere: · ein Kinderbett mit
Lattenrost, Matratze und Decke (so zutreffend bspw.: LSG Ber-lin-Brandenburg, Beschluss vom 03.03.2006, Az: L 10
B 106/06 AS ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, Az: L 3 ER 45/05 AS; SG Speyer, Beschluss
vom 14. Juni 2005, S 16 ER 100/05 AS), · ein gebrauchter Kinderwagen, da dieser nach den soziokulturellen
Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland für einen Säugling erforderlich ist und nicht grundsätzlich auf ein
Tragetuch oder ähnliche Liege- und Beförderungsmöglichkei-ten verwiesen werden kann. Insbesondere unter
Berücksichtigung des grundgesetz-lich geforderten Schutzes der Familie (Art 6 Grundgesetz) gehört zur Erstausstat-
tung der Wohnung auch ein Kinderwagen für einen Säugling, obwohl dieser über-wiegend außerhalb der Wohnräume
genutzt wird (so zutreffend bspw.: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.03.2006, Az: L 10 B 106/06 AS ER;
LSG Rhein-land-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, Az: L 3 ER 45/05 AS; SG Speyer, Be-schluss vom 14. Juni 2005,
S 16 ER 100/05 AS), · eine Wickelkommode bzw. Wickelauflage (so zutreffend bspw.: LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 03.03.2006, Az: L 10 B 106/06 AS ER; SG Speyer, Beschluss vom 14. Juni 2005, S 16 ER 100/05
AS; SG Hannover, Beschluss vom 13. April 2005, S 46 AS 62/05), · ein Kinderhochstuhl (so zutreffend bspw.: LSG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.03.2006, Az: L 10 B 106/06 AS ER; SG Speyer, Beschluss vom 14. Juni
2005, S 16 ER 100/05 AS), · eine Babybadewanne (so zutreffend bspw.: SG Speyer, Beschluss vom 14. Juni 2005, S
16 ER 100/05 AS), · ein Laufstall (so zutreffend bspw.: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.03.2006, Az: L 10
B 106/06 AS ER).
Die Richtlinien der Antragsgegnerin sehen als – insoweit zulässige und zumindest im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens im Sinne der §§ 23 Abs. 3 Satz 5, 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II nicht zu beanstandende –
Pauschalen folgende Beträge vor: · für ein Kinderbett (komplett): 100,00 EUR und · für einen Kinderwagen (komplett):
120,00 EUR. Hinzukommen – wie ausgeführt – die Aufwendungen für eine Wickelkommode bzw. Wi-ckelauflage, eine
Babybadewanne, einen Kinderhochstuhl und einen Laufstall, die das er-kennende Gericht auf insgesamt weitere
130,00 EUR veranschlagt.
Dabei ist eine Verweisung auf gebrauchte Möbel nicht zu beanstanden, da Eltern, insbe-sondere mit geringem
Einkommen, sich durchaus mit gebrauchten Möbeln und einem ge-brauchten Kinderwagen ausstatten, um so Kosten
zu sparen (so auch ausdrücklich zutref-fend: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12.07.2005, Az: L 3 ER 45/05
AS). Darin ist keine Ausgrenzung der betreffenden Personen zu sehen, sondern ein sparsames Verhalten. Mithin kann
die Antragsgegnerin diese Gegenstände als Sachleistungen zur Verfügung stellen, wie dies § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II
ausdrücklich zulässt, oder die Antragstellerin auf eine vorhandene Bezugsmöglichkeit über gemeinnützige oder
kirchliche Einrichtungen oder vorhandene Secondhand-Läden verweisen, in dem sie der Antragstellerin die zuvor
dargelegten Geldleistungen in Form von Pauschalbeträgen oder in Form von Wertgut-scheinen zur Verfügung stellt,
damit sich die Antragstellerin die benötigten Erstausstat-tungsbedarfe selbst beschaffen kann.
Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II sind ferner einmalige Beihilfen für Erstausstattungen für Bekleidung
einschließlich bei Schwangerschaft und Geburt zu gewähren, mithin für Schwangerschaftskleidung wie auch für
Säuglingserstausstattung. Die Richtlinien der An-tragsgegnerin sehen als – insoweit zulässige und zumindest im
Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens im Sinne der §§ 23 Abs. 3 Satz 5, 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II nicht zu
beanstandende – Pauschalen folgende Beträge vor: · für den Schwangerschaftsbedarf einschließlich
Klinikausstattung: 274,00 EUR, · für den Bekleidungs- und Wäschebedarf des Neugeborenen: 202,00 EUR.
Mithin stehen der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 826,00 EUR zu, auch wenn sie kei-ne laufenden Leistungen
nach dem SGB II bezieht, was § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB II aus-drücklich klarstellt. Auch die Voraussetzungen des §
23 Abs. 3 Satz 3 SGB II liegen vor, weil die Antragstellerin den Bedarf in Höhe von 826,00 EUR nicht aus eigenen
Kräften und Mitteln decken kann. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin weder über Einkommen
noch Vermögen verfügt und auch der monatliche Nettoarbeitslohn ihres Ehe-mannes in Höhe von 441,93 EUR nicht
ausreicht, den notwendigen Lebensunterhalt zu de-cken. Die Berücksichtigung von Einkommen nach § 23 Abs. 3
Satz 4 SGB II dürfte dem-entsprechend gleichfalls nicht in Betracht kommen.
Die Antragsgegnerin kann sich bezüglich ihrer verweigernden und ablehnenden Haltung auch nicht auf den schriftlich
erklärten Leistungsverzicht der Antragstellerin vom 18. April 2006 berufen.
Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob sich der von der Antragstellerin erklärte Verzicht auch auf die von ihr begehrten
und im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend ge-machten einmaligen Leistungen für Erstausstattungen für
Wohnung und Bekleidung aus Anlass der Schwangerschaft und bevorstehenden Geburt bezieht und insoweit
überhaupt wirksam ist. Ein wirksamer Verzicht hätte vorausgesetzt, dass die Antragsgegnerin ihrer Aufklärungs- und
Beratungspflicht in sachgerechter und rechtskonformer Weise nachge-kommen wäre. Insoweit steht jedoch fest, und
dies hat die Antragsgegnerin sogar einge-räumt, dass bereits eine Falschberatung stattgefunden hat, indem die
Antragsgegnerin der Antragstellerin erklärte, dass über die beantragten Leistungen erst nach Bewilligung von
Arbeitslosengeld II entschieden werden könne. Diese Auskunft war so eindeutig falsch, wie sich das eindeutige
Gegenteil aus der gesetzlichen Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB II ergibt.
Zum anderen – und vom Vorstehenden unabhängig – ist in dem von der Antragstellerin sowohl mit dem
Widerspruchsschreiben vom 15. Mai 2006 als auch mit dem einstweiligen Rechtsschutzantrag vom 18. Mai 2006
geltend gemachten Anspruch auf einmalige Leis-tungen für Erstausstattungen für Wohnung und Bekleidung aus
Anlass der Schwanger-schaft und bevorstehenden Geburt, ein wirksamer Widerruf des erklärten Verzichts zu er-
blicken, sofern sich der Verzicht überhaupt wirksam auf die geltend gemachten Leistungen bezogen haben sollte.
Denn nach § 46 Abs. 1 Halbsatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetz-buch (SGB I) kann der nach § 46 Abs. 1
Halbsatz 1 SGB I schriftlich erklärte Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen, jederzeit mit Wirkung für die
Zukunft widerrufen werden. Ein solcher Widerruf kommt in den eindeutigen Erklärungen der Antragstellerin im Wider-
spruchsschreiben vom 15. Mai 2006 und im einstweiligen Rechtsschutzantrag vom 18. Mai 2006 mindestens
konkludent zum Ausdruck. Soweit man den Widerruf nur durch schriftli-che Erklärung, wie den Verzicht, für wirksam
erachtet, ist im vorliegenden Sachverhalt auch einem solchen Erfordernis Genüge getan.
Vor diesem Hintergrund ist es dem erkennenden Gericht unverständlich, wie die Antrags-gegnerin – geradezu unter
Perpetuierung ihrer Falschauskunft und Falschinformation be-züglich des Ignorierens des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB II –
im Fall der Antragstellerin ein weiteres Mal eine eindeutige gesetzliche Vorschrift, nämlich die des § 46 Abs. 1
Halbsatz 2 SGB I, ignoriert und damit ihr gesetzeswidriges Handeln fortsetzt. Der Antragserwide-rungsschriftsatz der
Antragsgegnerin vom 24. Mai 2006 ist deshalb nicht akzeptabel, was an dieser Stelle bedauerlicher Weise deutlich
zum Ausdruck gebracht werden muss. Das Gericht musste in Anbetracht der Dringlichkeit der Angelegenheit insoweit
allerdings von einem nochmaligen gerichtlichen Hinweisschreiben an die Antragsgegnerin absehen; die
Erstausstattungsbedarfe müssen wegen des unmittelbar bevorstehenden Geburtstermins unverzüglich zur Verfügung
gestellt werden.
Nach alledem musste das Gericht dem einstweiligen Rechtsschutzantrag der Antragstelle-rin unverzüglich stattgeben
und die Antragsgegnerin zur Gewährung der beantragten ein-maligen Leistungen für Erstausstattungen für Wohnung
und Bekleidung aus Anlass der Schwangerschaft und bevorstehenden Geburt verpflichten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung über den vorläufigen
Rechtsschutzantrag. Eine Kostengrundentscheidung ist auch im vor-läufigen Rechtsschutzverfahren zu treffen (vgl.
Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Aufl. 2002, § 86b, Rn. 17 und § 193, Rn. 2; Zeihe, Kommentar zum SGG,
Stand: April 2003, § 86b, Rn. 37f). Da die Antragstellerin weder einen bezifferten Antrag noch einen solchen gestellt
hat, der über den Beschlusstenor hinausgeht, kann das Gericht ein teilweises Unterliegen, mit der Folge der Bildung
einer Kostenquote, nicht erkennen.