Urteil des SozG Dresden vom 21.07.2006
SozG Dresden: verbot der diskriminierung, krankenkasse, fahrtkosten, klinik, leib, krankenversicherung, fahrkosten, behandlungsbedürftigkeit, rehabilitation, ambulanz
Sozialgericht Dresden
Urteil vom 21.07.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 18 KR 576/05
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Fahrkosten zur ambulanten
ärztlichen Behandlung in der C.-Klinik B. zu erstatten.
Der 1944 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger hatte sich im Oktober 2003 bei einem
Fahrradsturz die rechte Hand verletzt. In der Folge entwickelte sich eine Sudeck sche Reflexdytrophie mit erheblichen
therapieresistenten Schmerzen und Steifigkeit im rechten Handgelenk, den Fingern, dem Ellenbogen und der Schulter
sowie eine Kapsulitis mit Impingement der rechten Schulter. Der Kläger ist aus diesem Grund anerkannt als
Behinderter mit einem Grad der Behinderung von 40 und bezieht eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Am 12.06.2005 überwies der behandelnde Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. med. G. den Kläger zur Abklärung
einer operativen Handgelenksrevision und Schultergelenksdekompression an das Muskuloskeletale Zentrum der C.-
Klinik in B.
Am 05.07.2005 erkundigte sich der Kläger in der Geschäftsstelle Bautzen der Beklagten mündlich nach der
Übernahme der Kosten für die Fahrt zur ärztlichen Vorstellung in B. Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten
habe er keinen Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen oder einen Nachweis über eine Pflegestufe vorlegen
können, woraufhin ihm bei der Vorsprache eine "allgemeine Information lt. Leistungsrecht" erteilt worden sei.
Gegen die darin liegende Ablehnung seines Leistungsbegehrens wandte sich der Kläger noch mit seinem Widerspruch
vom selben Tag, der zusammen mit der Kopie eines Überweisungsschein vom 04.07.2005 bei der Beklagten am
07.07.2005 einging. Er selbst könne die Kosten der Fahrt aus dem ihm zur Verfügung stehenden Krankengeld von
monatlich nur 327,00 EUR nicht aufbringen.
Am 11.07.2005 stellte sich der Kläger zunächst in bei Oberarzt Priv.-Doz. Dr. Dr. med. K. in der orthopädischen
Ambulanz des Muskuloskeletalen Zentrums zur Diagnostik und Evaluation der Behandlung der Kapsulitis und des
Impingementsyndroms an der Schulter vor.
Am 21.07.2005 - zwischenzeitlich hatte die Beklagte dem Kläger gegenüber in einem Telefongespräch am 14.07.2005
bestätigt, dass die Voraussetzungen für eine Fahrtkostenübernahme nicht vorlägen - suchte der Kläger die
handchirurgische Sprechstunde bei der Oberärztin Dr. med. L. zur Untersuchung und Klärung des weiteren Vorgehens
hinsichtlich des Morbus Sudeck auf.
An beiden Tagen ließ sich der Kläger im eigenen PKW von seiner Ehefrau nach B. fahren. Die gefahrene Strecke
beziffert er mit 896 km.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005, der am 06.10.2005
abgesandt wurde, zurück. Gemäß § 60 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche
Krankenversicherung - in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung
von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V
(Krankentransport-Richtlinien [KrTrRL]) komme eine Übernahme von Fahrt- und Krankentransportkosten nur noch in
besonderen Ausnahmefällen bei zwingender medizinischer Notwendigkeit in Betracht, namentlich wenn der Patient mit
einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, dieses Therapieschema eine hohe
Behandlungsfrequenz - ähnlich der bei Dialyse, Strahlen- oder Chemotherapie - über einen längeren Zeitraum -
mindestens 6 Monate - aufweist und diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den
Patienten in einer Weise beeinträchtigen, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben
unerlässlich ist. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Der Kläger sei auch nicht von einer durch Zuerkennung der
Merkzeichen "aG", "Bl" oder "H" im Schwerbehindertenausweis oder eine Einstufung in die Pflegestufen 2 oder 3
nachgewiesenen Mobilitätseinschränkung betroffen.
Hiergegen richtet sich die am 27.10.2005 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage vom 26.10.2005. Der
Kläger macht geltend, es sei ihm auf Grund seines geringen Einkommens nicht möglich, die Fahrtkosten, deren Höhe
er unter Anwendung einer Kilometerpauschale von 0,26 EUR mit 232,96 EUR beziffert, selbst zu tragen. Das
erforderliche Geld habe er sich leihen müssen. Nach Aussage seines Arztes sei die Vorstellung in der C.-Klinik für ihn
lebensnotwendig gewesen. Zudem übernehme die Beklagte anstandslos die ihm durch die Teilnahme an einer
ambulanten Rehabilitationsmaßnahme entstehenden Aufwendungen für einen Fahrdienst.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des mündlichen Ablehnungsbescheids vom 05.07.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 05.10.2005 zu verurteilen, die ihm durch die Fahrten zur ambulanten Behandlung im
Muskuloskeletalen Zentrum der C.-Klinik in B. am 11.07.2005 und am 21.07.2005 entstandenen Aufwendungen in
Höhe von 232,96 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren. Eine Serienbehandlung als notwendige Voraussetzung der
einschlägigen Ausnahmeindikationen nach den Krankentransport-Richtlinien erschöpfe sich nicht in einer Vielzahl von
Arztbesuchen. Zudem sei für die vom Kläger herangezogene Kilometerpauschale keine Grundlage erkennbar.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte mit den Schriftsätzen
nebst Anlagen, den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Niederschrift über
die mündliche Verhandlung vom 21.07.2006 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten zu den
ambulanten ärztlichen Terminen in B. Der mündliche Ablehnungsbescheid vom 04.07.2005 und der diesen
bestätigende Widerspruchsbescheid vom 05.10.2005 sind rechtmäßig.
Als einzig mögliche Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung kommt § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V in
Betracht. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten
für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die
Leistung notwendig war.
Die Voraussetzungen für diesen Anspruch sind nicht erfüllt, weil die Beklagte die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt
hat. Der Kläger hatte keinen Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten durch die Beklagte.
1. Hinsichtlich der Darstellung der Rechtslage wird zunächst auf die Begründung des Widerspruchsbescheids der
Beklagten vom 05.10.2005 verwiesen, der das Gericht in vollem Umfang folgt (§ 136 Abs. 3 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V die
Krankenkasse Kosten für Fahrten übernimmt, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus
zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Die Krankenkasse übernimmt Fahrkosten zu einer ambulanten
Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in
besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in den Krankentransport-Richtlinien nach § 92
Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V festgelegt hat. Gemäß § 8 Abs. 1 KrTrRL können in besonderen Ausnahmefällen auch
Fahrten zur ambulanten Behandlung bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von der Krankenkasse übernommen
werden. Dabei bedarf es einer vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse. Voraussetzung für eine Verordnung
und Genehmigung ist gemäß § 8 Abs. 2 KrTrRL, dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung
vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz aufweist, und dass diese
Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigt,
dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist. In Anlage 2 zu § 8 KrTrRL
sind Ausnahmen aufgeführt, die diese Voraussetzungen in der Regel erfüllen. Konkret sind Dialysebehandlung,
onkologische Strahlentherapie und onkologische Chemotherapie genannt. Diese Liste ist nicht abschließend.
Beim Kläger liegt keiner der Anlage 2 zu § 8 KrTrRL beispielhaft aufgeführten Ausnahmefälle vor. Die Beschwerden
des Klägers sind auch nicht mit diesen Diagnosen vergleichbar. Die in Anlage 2 genannten Diagnosen weisen, wie
von § 8 Abs. 2 KrTrRL gefordert, eine hohe Behandlungsfrequenz im Sinne einer Serienbehandlung auf. Bereits daran
fehlt es beim Kläger. Die zweimalige Vorstellung zur diagnostischen Abklärung der weiteren Therapieoptionen an den
betroffenen Funktionskomplexen des rechten Arms und der Schulter erfüllt weder nach der Art noch nach der
Häufigkeit der ärztlichen Behandlung die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung.
Der Kläger, der ausweislich seiner Selbstauskunft vom 31.12.2005 nicht über einen Schwerbehindertenausweis mit
den Merkzeichen aG, Bl oder H oder eine Einstufung in die Pflegestufe 2 oder 3 verfügt, weist keine
Mobilitätseinschränkung auf, die angesichts der nachgewiesenen Schwere und Nachhaltigkeit der Beeinträchtigung
gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 KrTrRL ausnahmsweise eine Übernahme der Fahrtkosten rechtfertigt. Er ist auch nicht von
einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Mobilität betroffen, die, wenn der Versicherte einer ambulanten Behandlung
über einen längeren Zeitraum bedarf, gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KrTrRL ebenfalls eine Fahrtkostenübernahme auslösen
kann. Die zweimalige ambulante Vorstellung zur Feststellung der weiteren Behandlungsoptionen stellt keine
Behandlung über einen längeren Zeitraum dar. Zudem ist der Kläger angesichts des Funktionsausfalls des kompletten
rechten Arms bis zur Schulter zwar nachvollziehbar am Führen eines PKW gehindert, nicht aber am Gehen oder der
Benutzung von Verkehrsmitteln als Mitfahrer. Er ist damit nicht weniger mobil als Gesunde ohne Führerschein oder
PKW.
Schließlich trifft auch die Auffassung der Beklagten zu, dass sich ein Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten auch
nicht aus § 60 Abs. 2 Nr. 4 SGB V ergibt, wonach die Krankenkasse die Fahrkosten bei Fahrten zu ambulanten
Behandlungen nach den selben Vorschriften wie bei Fahrten zur stationären Behandlung übernimmt, wenn dadurch
eine an sich gebotene voll- oder teilstationäre Krankenhausbehandlung vermieden oder verkürzt wird oder diese nicht
ausführbar ist. Die in B. durchgeführten Untersuchungen dienten nicht der Vermeidung einer voll- oder teilstationären
Krankenhausbehandlung, sondern es sollte zunächst nur geprüft werden, ob und welche Behandlungsoptionen als
Weiteres überhaupt in Frage kommen. Die dazu erforderliche Diagnostik bedurfte ausweislich der vom Kläger
vorgelegten Arztberichte vom 12.07.2005 und vom 28.07.2005 schon dem Grunde nach keines teil- oder
vollstationären Krankenhausaufenthalts.
2. Ergänzend ist klarzustellen:
a) Soweit es gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V für die Übernahme von Fahrtkosten entscheidend darauf ankommt,
dass die Fahrten bzw. Transporte im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden
medizinischen Gründen notwendig sind, ist es nicht ausreichend, dass die Leistung, zu der die Fahrt erfolgt,
medizinisch geboten ist, dass also die Notwendigkeit der Fahrt allein aus dem Erfordernis resultiert, dem Versicherten
die Inanspruchnahme der notwendigen Behandlung zu ermöglichen, weil ihm ohne die Behandlung Schäden an Leib
und Leben drohen.
Entscheidend ist vielmehr, ob die Beförderung als solche medizinisch indiziert ist. Dies folgt zum Einen aus dem
Wortlaut des Gesetzes. Die Voraussetzung "aus medizinischen Gründen notwendig" bezieht sich, wie sich aus der
Mehrzahlform des Prädikats "sind" ergibt, nicht auf die "eine Leistung" (Einzahl), sondern auf die "Fahrten"
(Mehrzahl), die mit der Leistung im Zusammenhang stehen. Zum anderen würde, da letztlich jede Behandlung der
Vermeidung von Schäden an Leib und Leben dient, die Einschränkung im nachgestellten Nebensatz des Satzes 1 von
§ 60 Abs. 1 SGB V leer laufen, wenn es auf die medizinische Erforderlichkeit der Behandlungsmaßnahme ankäme;
dies kann nicht gewollt gewesen sein.
Es spielt also im vorliegenden Fall keine Rolle, ob die Vorstellung in der Orthopädischen Ambulanz medizinisch
zwingend erforderlich war; ausschlaggebend für eine Fahrtkostenübernahme nach den Maßstäben des § 60 Abs. 1
Satz 1 SGB V sind vielmehr die Eigenheiten der Fahrt selbst, die durch eine spezifische medizinische Notwendigkeit
gekennzeichnet sein muss. Dies war bei der Fahrt des Klägers nicht der Fall.
b) Eine soziale Notlage allein rechtfertigt nicht die Übernahme der Fahrtkosten durch die Krankenkasse. Denn hierbei
handelt es sich mangels krankheits- bzw. behandlungsspezifischen Bezugs nicht um ein Risiko für das die
Gesetzliche Krankenversicherung aufzukommen hat.
Dass der Kläger gezwungen gewesen sei, sich das Benzingeld zu borgen, erscheint zwar zweifelhaft, denn neben den
laufenden Unterhaltungskosten [für] den Opel Omega fallen die jeweils ca. 40 bis 45 EUR Benzinkosten für die zwei
Fahrten nach B. im Verhältnis kaum ins Gewicht. Die Kammer unterstellt jedoch zu Gunsten des Klägers ungeprüft,
dass er insoweit nicht lügt.
Nach der bis zum 31.12.2003 geltenden Gesetzeslage war eine Übernahme der Kosten von Fahrten im
Zusammenhang mit Leistungen der Krankenkasse auch dann vorgesehen, wenn die Höhe der entstandenen Kosten
die finanzielle Belastungsgrenze des Versicherten überschritt. Diese Rechtslage hat sich jedoch durch das GKV-
Modernisiserungsgesetz grundlegend geändert. Mit Wirkung ab dem 01.01.2004 hat der Gesetzgeber die Abgrenzung
zwischen den Kosten der Mobilität als Ausdruck der allgemeinen Lebensführung einerseits und den besonderen
Aufwendungen durch die Krankenbehandlung als Teil des in der Gesetzlichen Krankenversicherung versicherten
Risikos andererseits neu geregelt. Die Übernahme von Fahrtkosten allein auf Grund sozialer Bedürftigkeit ist dabei
aus dem Kreis der Versicherungsleistungen ausgeschlossen worden. Dabei hat der Gesetzgeber den Zusammenhang
mit dem versicherten Risiko stärker als früher betont, indem es nun nicht mehr ausreicht, dass ein unvermeidlicher
ursächlicher Zusammenhang zwischen einer konkreten Behandlung und der Fahrt dorthin besteht. Vielmehr muss das
Angewiesensein auf ein Transportmittel selbst Ausdruck einer Krankheit bzw. Behandlungsbedürftigkeit sein, indem
es eine Spezifik aufweist, die über das Erfordernis, eine bestimmte Entfernung bis zum Ort einer Behandlung
zurückzulegen, hinausgeht.
Hierzu hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V besondere Fälle geregelt, in denen dieser spezifische
Zusammenhang sich aus dem besonderen Zweck der Fahrt oder der Spezifik des Transportmittels ergibt
(Bedürftigkeit stationärer Behandlung oder diese vermeidender Behandlung, Rettungsfahrten, Krankentransporte).
Darüber hinaus hat er dem Gemeinsamen Bundesausschuss die Aufgabe übertragen, unter Beachtung des in § 60
Abs. 1 Satz 1 SGB V formulierten Grundsatzes für Fahrten zu ambulanten Behandlungen Ausnahmefälle zu
benennen, die in medizinischer Hinsicht einen ausreichend engen Zusammenhang zu dem in der versicherten Risiko
der Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit aufweisen. In Umsetzung dieses Normsetzungsauftrages hat der
Gemeinsame Bundesausschuss in § 8 Abs. 2 und 3 KrTrRL Fallgruppen benannt, in denen Versicherte entweder
durch die Schwere ihres Leidens und das quantitative Ausmaß der damit einhergehende ambulante
Behandlungsbedürftigkeit oder durch die Schwere ihrer funktionellen Einschränkungen bei der Inanspruchnahme von
ambulanten Behandlungsleistungen von den krankheitsbedingten Auswirkungen im Bereich der Mobilität besonders
schwer betroffen sind.
Den Vorgaben des Gesetzes ist damit entsprochen. Soweit dies zur Folge hat, dass bedürftige Versicherte trotz
krankheitsbedingter Notwendigkeit einer Fahrt von der Übernahme der damit verbundenen Kosten ausgeschlossen
sind, verletzt dies weder den allgemeinen Gleichheitssatz und das Verbot der Diskriminierung Behinderter (Artikel 3
Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 GG) noch das in Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verankerte Sozialstaatsprinzip.
Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung, wie er unter Berücksichtigung der
individuellen Bedarfssituation dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß an sozialer Absicherung gerecht wird,
sofern er sich dabei nicht offensichtlich ungeeigneter oder willkürlicher Mittel bedient. Diesen Anforderungen wird die
Neufassung der Abgrenzung zwischen den der Eigenverantwortung des Versicherten zugewiesenen und den in den
Bereich der Versicherungsleistungen fallenden Fahrtkosten gerecht.
Zudem haben Versicherte, die nicht im Stande sind, für einen nicht anderweitig zu deckenden unabweisbaren
Mehrbedarf in Folge krankheits- bzw. behandlungsbedingter Fahrten aus eigener Kraft aufzukommen, die Möglichkeit,
ergänzende Leistungen der Sozialhilfe nach § 28 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch
(XII) - Sozialhilfe - oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 23 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs
(SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - zu beantragen (vgl. exemplarisch zu § 28 Abs. 1 Satz
2 Alt. 2 SGB XII: Sozialgericht Reutlingen, Urteil vom 23.02.2006, Az. S 3 KR 3033/04, in Bezug auf Mehrbedarf für
Fahrten zur Methadonsubstitution; zu § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II: Sozialgericht B., Beschluss vom 23.11.2005, Az. S
37 AS 8519/05 ER, in Bezug auf Mehrbedarf für die Pflege und Betreuung eines schwerstkranken Kindes,
Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 11.08.2005, Az. S 30 AS 328/05 ER, in Bezug auf Mehrbedarf für nicht vom
Leistungsumfang der Krankenversicherung umfasste notwendige Medikamente und Medizinprodukte). Ob der Kläger
angesichts seines niedrigen Einkommens die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme solcher
bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen erfüllt, konnte das Gericht im vorliegenden Fall dahin gestellt lassen, weil
ausschließlich die nachträgliche Erstattung bereits erbrachter Aufwendungen im Streit steht und eine Verpflichtung der
in Frage kommenden Leistungsträger für in der Vergangenheit liegende Leistungen ausscheidet.
c) Daraus, dass die Beklagte die Fahrtkosten zur ambulanten Rehabilitationsmaßnahme anstandslos übernimmt, lässt
sich kein Anspruch auf Übernahme auch der Kosten für die Fahrten nach B. herleiten. Die ärztliche Vorstellung in der
orthopädischen Ambulanz [der] C.-Klinik als Teil der von der Beklagten als Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz
1 und Satz 2 Nr. 1 SGB V geschuldeten Leistungen unterliegt trotz Ähnlichkeit eines Teils der im jeweiligen Rahmen
konkret erbrachten Behandlungsleistungen anderen gesetzlichen Regelungen als die medizinischen Leistungen der
Rehabilitation. Für Letztere gelten die speziellen rehabilitationsrechtlichen Vorschriften über die Erstattung von
Reisekosten in § 53 Abs. 1 bis 3 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen -, auf die § 60 Abs. 5 SGB V verweist. Weil es sich bei Leistungen der Rehabilitation nicht nur
um medizinische Leistungen handelt, sondern die Regelungen auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
erfassen, und medizinische Rehabilitationsleistungen in der Regeln nicht der Beseitigung einer akuten
Behandlungsbedürftigkeit des Behinderten dienen, hat der Gesetzgeber die Fahrtkostenerstattung in diesen Fällen
nicht von medizinischen Kriterien abhängig gemacht. Diese Differenzierung zwischen den Leistungsbereichen hält
sich im Rahmen des dem Gesetzgeber angesichts notwendiger Pauschalisierungen zustehenden Beurteilungs- und
Gestaltungsspielraums.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 in Verbindung mit § 193 Abs. 1 SGG.