Urteil des SozG Dresden vom 13.05.2004

SozG Dresden: krankenpflege, hauptsache, werkstätte, verwertung, sparvertrag, kostenersatz, pflegeleistung, voranschlag, unverzüglich, umkehrschluss

Sozialgericht Dresden
Beschluss vom 13.05.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 10 KR 216/04 ER
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. II. Die Beteiligten haben einander keine
außergerichtli-chen Kosten zu erstatten.
Gründe:
A
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur häuslichen
Kranken-pflege.
Die Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin krankenversi-chert. Sie ist auf Grund einer Fehlbildung des
Rückenmarkes seit der Geburt querschnittsgelähmt und leidet infolgedessen u. a. an Blasen- und
Darmentleerungsstörungen. Der die Antragstel-lerin behandelnde Urologe führte in einem Schreiben an die An-
tragsgegnerin aus, dass die Antragstellerin zur Entleerung der Blase mehrmals täglich einmalkatheterisiert werden
müsse; zur Vermeidung von Harnwegsinfekten sei die Entleerung intermittie-rend vorzunehmen.
Am 10.10.2003 beantragte die Antragstellerin bei der Antrags-gegnerin die Gewährung von häuslicher Krankenpflege
in Form der täglichen Einmalkatheterisierung der Blase. Zur Begründung führte sie aus, dass sie seit dem 01.10.2003
werktäglich zwi-schen 8 Uhr 30 und 13 Uhr 30 an einer Berufsbildungsmaßnahme in den O. Werkstätten für behinderte
Menschen, B., teilnehme; ih-rer Mutter, die zu Hause die Katheterisierung vornehme, sei die gesonderte Anfahrt zur
Werkstätte und der erhöhte körperliche Aufwand, der durch die fehlende Ausstattung der Werkstätte ent-stehe, nicht
zuzumuten.
Mit zwei Bescheiden vom 21.10.2003 und 04.11.2003 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung der begehrten
Krankenpflege ab. Die hiergegen am 28.10.2003 und am 01.12.2003 erhobenen Wider-sprüche wies sie mit
Widerspruchsbescheid vom 19.03.2004 als unbegründet zurück. Am 20.04.2004 hat die Antragstellerin gegen die
Ablehnung Klage erhoben, welche beim erkennenden Gericht unter dem Az.: S 10 KR 218/04 geführt wird. Am
gleichen Tage hat sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung der mit der Klage begehrten häuslichen
Krankenpflege bereits jetzt im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt.
Sie ist der Ansicht, dass ihr ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten sei. Sie erziele
als monatli-ches Einkommen lediglich Ausbildungsgeld und Pflegegeld, welche sich zur Zeit auf EUR 722,-
summierten. Darüber hinaus verfüge sie über Vermögen in Höhe von EUR 621,60 auf einem Girokonto und EUR
4.124,72 auf einem Sparbuch mit gesetzlicher Kündi-gungsfrist. Letzteres könne wegen der Kündigungsfrist
zumindest zur Zeit nicht eingesetzt werden. Bei den zu erwartenden Kosten der Behandlung in Höhe von EUR 164,68
monatlich reiche aber we-der das restliche Vermögen noch das Einkommen für eine vorläu-fige Selbstbeschaffung
aus.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweili-gen Anordnung zu verpflichten, ihr häusliche Krankenpflege für die
tägliche Einmalkathe-terisierung während des Aufenthaltes in der Werkstatt für Behinderte zu gewähren,
hilfsweise die Kosten für eine zur Durchführung dieser Maßnahme selbst beschaffte Pflegekraft zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt
die Ablehnung des Antrages.
B
Haupt- und Hilfsantrag der Antragstellerin waren abzulehnen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet sind.
I.
Die Anträge waren abzulehnen, weil es am Anordnungsgrund fehlt. Es sind keine Gründe dargelegt, die eine
Vorabentscheidung durch einstweilige Anordnung rechtfertigten.
1. Der Hauptantrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im We-ge einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung
einer häuslichen Krankenpflege zur kalendertäglichen Einmalkatheterisierung zu verpflichten, ist unbegründet. Die
Antragstellerin hat keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil sie keine wesentlichen Nachteile aufgezeigt hat,
die durch die nur vorläufig wirkende Anordnung abgewendet werden könnten.
Denn eine einstweilige Anordnung ist zur Regelung eines vorläu-figen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentli-cher Nachteile nötig erscheint, §
86b Abs. 2 Satz 2 des Sozial-gerichtsgesetzes (SGG). Solche wesentliche Nachteile sind nicht ersichtlich.
Die Antragstellerin kann vielmehr –zumindest zur Zeit- auf den Einsatz ihrer eigenen finanziellen Mittel verwiesen
werden, um die Durchführung der Einmalkatheterisierung bis zur Entschei-dung in der Hauptsache zu gewährleisten.
Denn die Regelungsan-ordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG dient der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit des
Hauptsacheverfahren vor zeitüberho-lenden Entwicklungen; das Hauptsachebegehren soll nicht infolge Zeitablaufs
oder anderer Hemmnisse durch die lange Verfahrens-dauer eines Hauptsacheverfahrens entwertet oder vereitelt wer-
den (Berliner Kommentar zum SGG, § 86b, Rz. 13). Sie kann nach dem eindeutigen Wortlaut ("vorläufiger Zustand")
nur vorläufig wirken und darf die dem Hauptsacheverfahren vorbehaltene end-gültige Entscheidung in dem strittigen
Rechtsverhältnis grund-sätzlich nicht vorwegnehmen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 86b, Rz. 31;
Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 19.06.2003, Az.: L 9 B 69/03 KR, zu finden in juris). Wegen dieses
vorläufigen, nur sichernden Charakters der einstweiligen Anordnung kann ein Antragsteller auf die Selbstbeschaffung
und die Umstellung des Klagebegehrens im Hauptsacheverfahren auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 Satz 1 des
Fünften Buches So-zialgesetzbuch (SGB V) verwiesen werden, wenn ihm hierzu aus-reichend finanzielle Mittel zur
Verfügung stehen und ihm der Einsatz dieser Mittel zumutbar ist (Beschluss des Sächsichen Landessozialgerichtes
vom 11.02.2004, Az.: L 1 B 227/03 KR). Die Antragstellerin verfügt aber über ausreichende Mittel, de-ren Einsatz
auch zumutbar ist.
a) Die Antragstellerin verfügt über ausreichend Mittel, um die Kosten der Pflegeleistung vorzuschießen. Denn ihr
gehört Vermö-gen in Höhe von EUR 4.746,32 auf Giro- und Sparkonto. Über die-ses Vermögen kann sie auch ganz
überwiegend verfügen; die Kün-digungserfordernis des Sparbuches steht dem nicht entgegen. Denn zum einen ist die
Kündigung für den Einsatz des überwie-genden Teils des Guthabens nicht erforderlich, weil Abhebungen jederzeit
möglich sind; sie gilt nur, wenn der Sparvertrag ganz gekündigt werden soll. Zum anderen kann zuerst das Guthaben
auf dem Girokonto, das keinerlei Beschränkungen unterliegt, einge-setzt werden, bis die Kündigung des Sparbuches
wirksam wird. Denn das Giroguthaben reicht nach dem eingereichten Voranschlag des Pflegedienstes für die
nächsten drei Monate aus; dann aber wird eine unverzüglich ausgesprochene Kündigung des Sparbuches wirksam.
b) Der Einsatz dieses Vermögens ist der Antragstellerin auch zu-mutbar. Denn unzumutbar ist die Selbstbeschaffung
nicht schon dann, wenn bestimmte Einkommensgrenzen unterschritten sind, die zur Befreiung von Zuzahlungen zu
Arzneimitteln berechtigen (Be-schluss des Sächsichen Landessozialgerichtes vom 11.02.2004, Az.: L 1 B 227/03 KR;
abweichende Ansicht im Ausgangsbeschluss des Sozialgerichts Dresden vom 14.11.2003, Az.: S 4 KR 496/03 ER).
Der vorrangige Einsatz des Vermögens ist aber zumutbar, weil dessen Wert über dem Wert desjenigen Vermögens
liegt, das einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundesso-zialhilfegesetz (BSHG) nicht
entgegensteht. Denn ohne Hinzutre-ten weiterer Umstände ist davon auszugehen, dass der Antrag-stellerin keine
wesentlichen Nachteile drohen, solange sie über Vermögen oberhalb dieser Grenze verfügt. Insofern hat nämlich der
Gesetz- und Verordnungsgeber einen Mindestbehalt definiert, dessen Unterschreitung keinem zumutbar ist. Dann ist
aber im Umkehrschluss die Verwertung von Vermögen oberhalb dieser Gren-ze zumindest dann zumutbar, wenn nicht
aus anderen Gründen wie die Verfehlung eines besonderen Vermögenszwecks wesentliche Nachteile durch die
Verwertung zu befürchten sind. Das verwert-bare Vermögen der Antragstellerin übersteigt aber den Freibe-trag, der
einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nicht entgegensteht; dieser beträgt nämlich im Falle der Antragstel-
lerin EUR 2.301,-, § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) zweiter Halbsatz der
Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG.
Andere wesentliche Rechtsnachteile, die durch ein Zuwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren
entstehen, sind nicht dargetan.
2. Gleiches gilt auch für den hilfsweise gestellten Antrag zur Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Kostenersatz.
Der Antrag-stellerin ist zumindest vorläufig die Inanspruchnahme des Pflegedienstes auf eigene Kosten zuzumuten.
Auf die oben ausgeführ-ten Gründe wird Bezug genommen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und folgt der
Entscheidung in der Hauptsache des Beschlusses.