Urteil des SozG Dortmund vom 29.03.2004

SozG Dortmund: witwenrente, rechtskräftiges urteil, erwerbstätigkeit, unfallversicherung, gesetzeslücke, tod, zukunft, wiederverheiratung, befristung, entschädigung

Sozialgericht Dortmund, S 23 U 63/03
Datum:
29.03.2004
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 23 U 63/03
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 25. September 2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 06. Juni 2003 wird aufgehoben. Die
Beklagte hat die außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung einer
Geschiedenen-Witwenrente zurückgenommen hat.
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Die 1960 geborene Klägerin ist die geschiedene Witwe des 1951 geborenen und am
12.08.1997 als LKW-Fahrer tödlich verunglückten Versicherten H I. Durch
rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 23.07.2001 (S 23 (11) U 66/00) war die Beklagte
unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide verurteilt worden, der Klägerin
Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, weil sie
gegen ihren früheren Ehegatten im letzten Jahr vor dem Tod wegen der Betreuung
minderjähriger Töchter einen Unterhaltsanspruch von wenigstens 135 DM, also
mindestens ¼ des damals gültigen Sozialhilfesatzes nach dem Bundessozialhilfegesetz
(BSHG) hatte, und ihr Leistungen in dieser Höhe auch tatsächlich zugeflossen waren.
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Durch den Ausführungsbescheid vom 26.11.2001 bewilligte die Beklagte ab 01.10.1997
Witwenrente bis auf weiteres auf der Basis von 40 v.H. des Jahresarbeitsverdienstes
(JAV), solange eines der Kinder, T geboren 1981, und L, geboren 1983, erzogen werde
bzw. worden sei. Ab 01.12.2001 betrage die Rente 30 v.H. des JAV. Durch den
weiteren, ebenfalls bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 17.04.2002 nahm die
Beklagte wegen des Bezuges von Erziehungsrente seitens des
Rentenversicherungsträgers eine neue Berechnung vor und rechnete die festgestellte
Überzahlung von XXX DM mit dem wegen der Nachzahlung der Witwenrente
aufgelaufenen Zinsanspruch auf.
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Mit Schreiben vom 29.05.2002 kündigte die Beklagte an, sie habe zu prüfen, ob die
Witwenrente zeitlich zu begrenzen sei. Die Klägerin übersandte daraufhin das
Scheidungsurteil des Amtsgerichts Hamm (32 F 160/94) vom 29.08.1995, mit dem der
Klägerin das elterliche Sorgerecht für die beiden Töchter übertragen worden war. Durch
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das weitere Schreiben vom 03.09.2002 hörte die Beklagte die Klägerin dahingehend an,
dass gemäß § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) beabsichtigt
sei, die Bewilligung von Witwenrente ab 01.10.2002 zurückzunehmen.
Mit Bescheid vom 25.09.2002 nahm die Beklagte daraufhin den Bescheid vom
26.11.2001 teilweise mit Wirkung ab 01.10.2002 zurück und stellte die Zahlung von
Witwenrente seitdem ein. Die Bewilligung dieser Leistung über die Vollendung des 18.
Lebensjahres der Tochter L hinaus ab 26.11.2001 sei rechtswidrig gewesen, und zwar
im Hinblick darauf, dass die Klägerin seitdem in der Lage gewesen sei, für ihren
Unterhalt selbst aufzukommen. Die Unterhaltsverpflichtung des verstorbenen
Versicherten gemäß § 1570 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wäre spätestens zu
diesem Zeitpunkt entfallen. Zwar nenne das Gesetz in § 66 Abs. 1 Satz 2 des Siebten
Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) nicht den Unterhaltsanspruch gemäß § 1570
BGB, diese Vorschrift sei aber auf diesen Unterhaltsanspruch auszudehnen, weil jede
andere Rechtsanwendung zu sinnwidrigen Ergebnissen führe. Im Übrigen legte die
Beklagte die Gründe dar, warum sie Leistungen in der Vergangenheit nicht
zurückforderte, sondern eine Vertrauensschutzabwägung zu dem Ergebnis führe, dass
in Zukunft die Witwenrente vorzuenthalten sei.
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Mit ihrem Widerspruch vom 04.12.2002 machte die Klägerin geltend, dass die von der
Beklagten zur Begründung herangezogene Rechtsauffassung durch andere
Kommentatoren nicht geteilt werde. Zudem sei nach allgemeinen Auslegungsregeln
eine Ausnahmevorschrift nicht analogiefähig. Die Herausnahme des § 1570 BGB habe
ihren Grund darin, dem Ausgleich beruflich bedingter Nachteile Kinder erziehender
Eltern wegen des damit verbundenen Ausscheidens aus dem Berufsleben zu dienen.
Zudem hätte eine zeitliche Begrenzung nach der höchstrichterlichen
Zivilrechtsprechung in die Ursprungsentscheidung mit aufgenommen werden müssen.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 06.06.2003 als unbegründet
zurück. Da sich nach dem Vorbringen der Klägerin weder ein lebenslanger
Unterhaltsanspruch ableiten lasse noch das sozialgerichtliche Urteil vom 23.07.2001
hierauf abgestellt habe, sei bei Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruchs gemäß §
1573 BGB auf der Basis des zur Zeit der Ehe erreichten Lebenszuschnittes sowie des
vor dem Tod des früheren Ehegatten verfügbaren Gesamtnettoeinkommens der Familie
lediglich von einem Unterhaltsanspruch der Klägerin deutlich unterhalb eines Viertels
des BSHG-Regelsatzes auszugehen; auf die nähere Berechnung der Beklagten
insbesondere hinsichtlich des weiterhin angenommenen Unterhaltsanspruches der
Tochter L gegen beide Elternteile wird Bezug genommen.
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Mit der hiergegen am 24.06.2003 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide sowie den weiteren Bezug von
Witwenrente unter Vertiefung ihres Widerspruchsvorbringens zum Analogieverbot im
Hinblick auf die Regelung des § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB VII weiter. Der Gesetzgeber hätte
längst Gelegenheit gehabt, eine Gesetzeskorrektur vorzunehmen. Sie stellte der
Berechnung der Beklagten ihre eigene des nachehelichen Unterhalts entgegen, den sie
ab Oktober 2002 mit 122,40 Euro und ab Oktober 2003 mit 222,68 Euro beziffert; auf die
Berechnung im Einzelnen wird verwiesen. Die Beklagte verkenne zudem die
Vorrangigkeit ihres Unterhaltsanspruches im Vergleich zu der volljährig gewordenen
Tochter L gegenüber ihrem geschiedenen Ehegatten.
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Die Klägerin beantragt ihrem schriftsätzlichem Vorbringen entsprechend,
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den Bescheid der Beklagten vom 25.09.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 06.06.2003 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich zur Anwendung des § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB VII im vorliegenden Fall
ergänzend auf die vom Verwaltungsausschuss "Rechtsfragen der Unfallversicherung"
des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vertretene Auffassung,
dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen sei. Die ausdrücklich
geregelten Tatbestände seien dem vorliegenden vergleichbar, so dass der von der
Norm beabsichtigte Kompensationszweck durch die Rente nicht mehr trage. Dass der
Gesetzgeber diese Lücke bisher nicht ausdrücklich gefüllt habe, spreche nicht gegen
eine Analogie, weil er in einer Vielzahl von herrschend anerkannten Analogieschlüssen
dies ebenfalls nicht aufgegriffen habe. In Ermangelung entsprechender
sozialgerichtlicher Urteile sei eine entsprechende Klärung erforderlich. Selbst wenn -
einer Anregung des Gerichts entsprechend - die nacheheliche Einkommensituation mit
den in der gesetzlichen Unfallversicherung gültigen Anpassungsfaktoren zugrunde
gelegt werde, sei ab Oktober 2002 lediglich von einem Unterhaltsanspruch der Klägerin
in Höhe von 71,32 Euro auszugehen, während ¼ des BSHG-Regelsatzes 73,25 Euro
ab Oktober 2002 betragen habe.
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Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichts- und den der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der
Entscheidung waren, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Über das Begehren hat die Kammer im Hinblick auf die übereinstimmende Zustimmung
der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
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Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin wird durch den rechtswidrigen Bescheid
der Beklagten vom 25.09.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
06.06.2003 beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte verweigert der Klägerin
zu Unrecht die ihr auch seit dem 01.10.2002 zustehende Witwenrente als geschiedener
Ehefrau des Versicherten H I. Durch die Aufhebung der in Rede stehenden Bescheide
im Wege der Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative SGG ist der
maßgebliche Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 26.11.2001 mit dem Anspruch
auf Witwenrente in Höhe von 30 v.H. des darin festgestellten JAV des Versicherten
weiterhin rechtsgültig, so dass es der Verurteilung der Beklagten zur Weitergewährung
der Witwenrente ab Oktober 2002 nicht bedarf.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten war der in Ausführung des Urteils der Kammer
vom 23.07.2001 ergangene Bescheid vom 26.11.2001 weder bei seinem Erlass noch
bei seinem Zugang am 3. Werktag im Anschluss an die Postaufgabe vom 27.11.2001
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gemäß § 37 Abs. 2 SGB X und auch nicht ab 27.11.2001, dem Zeitpunkt der Vollendung
des 18. Lebensjahres der gemeinsamen Tochter der L der geschiedenen Ehegatten,
rechtswidrig im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X. Vielmehr erweist sich der Bescheid vom
26.11.2001, mit dem der Klägerin bis zur Wiederverheiratung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 erster
Halbsatz i.V.m. § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) Witwenrente gemäß § 65 Abs. 2 Nr. 2 SGB
VII bewilligt worden ist, ohne Einschränkung als rechtmäßig mit der Folge, dass die von
der Beklagten gemäß § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 1 und 2 und Abs. 3 Satz 1 SGB X
mit Wirkung vom 01.10.2002 erfolgte Rücknahme der Bewilligung von Witwenrente für
die Zukunft nicht vom Gesetz gedeckt ist. Die von der Beklagten angestellten
Vertrauensschutzabwägungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 35 Abs. 1 Sätze 2 und
3 SGB X sind daher nicht entscheidungserheblich.
Das Gericht folgt nicht der von der Beklagten vertretenen Auffassung einer zeitlich
befristeten (Geschiedenen-)Witwenrente im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB VII bei
Vorliegen eines im sogenannten letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes im letzten Jahr
vor dem Tod des Versicherten bezogenen und zu beanspruchenden nachehelichen, ins
Gewicht fallenden Unterhalts der Klägerin gegenüber ihrem früheren Ehegatten gemäß
§ 1570 BGB. Dies folgt sowohl aus der wörtlichen Auslegung des § 66 Abs. 1 Satz 2
SGB VII als auch aus dem Umstand, dass entgegen der Auffassung der Beklagten die
Regelung in § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB VII keine planwidrige, im Wege der Analogie zu
schließende Gesetzeslücke enthält.
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In § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist im Wortlaut her eine zeitliche Befristung ( ... solange
der frühere Ehegatte ohne den Versicherungsfall unterhaltsberechtigt gewesen wäre)
nur bei Unterhaltsansprüchen gemäß § 1572 BGB (Unterhalt wegen Krankheit oder
Gebrechen, z.B. nach Beendigung der Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes
gemäß § 1572 Nr. 2 BGB), gemäß § 1573 BGB (Unterhalt des geschiedenen Ehegatten
ohne Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1570 - 1572 BGB bis zur Erlangung angemessener
Erwerbstätigkeit), gemäß § 1575 BGB (Unterhalt bis zum Abschluss einer Ausbildung,
Fortbildung oder Umschulung) oder gemäß § 1576 BGB (Unterhalt aus
Billigkeitsgründen) vorgesehen. Der enumerativen Aufzählung ist folgerichtig zu
entnehmen, dass der Gesetzgeber sowohl Unterhaltsansprüche des überlebenden
geschiedenen Ehegatten im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des
Versicherten wegen Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes (§ 1570
BGB) als auch wegen des Alters im Bezug auf beispielsweise die Erziehung eines
Kindes gemäß § 1571 Nr. 2 BGB nicht zumutbare Erwerbstätigkeit nicht zum Anlass
nehmen wollte, die Geschiedenen-Witwenrente gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 erster
Halbsatz i.V.m. Satz 2 SGB VII zeitlich zu befristen.
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Die Nichteinbeziehung der Unterhaltsansprüche gemäß §§ 1570, 1571 BGB im Sinne
der in Abweichung zu § 66 Abs. 1 Satz 1 in § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB VII geregelten
zeitlichen Befristung stellt indes keine "planwidrige Gesetzeslücke" dar, die im Wege
des Analogieschlusses geschlossen werden könnte. Diese von der Beklagten so
bezeichnete "planwidrige Gesetzeslücke" existiert mit einer geringfügigen, lediglich
redaktionellen und nicht ins Gewicht fallenden Änderung seit dem 01.07.1977 durch das
1. Eherechtsänderungsgesetz vom 14.06.1976 (BGBl. I S. 1421). Sie wurden
fortgeschrieben zum 01.01.1986 (Gesetz zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten
sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen
Unfallversicherung vom 11.07.1985 - BGBl. I S. 1450). Zunächst war sie in der bis zum
31.12.1996 geltenden (§§ 212, 214 SGB VII) Vorschrift des § 592 Abs. 1 Satz 2
Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelt, seit dem 01.01.1997 wurde sie mit
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geringfügigen redaktionellen Änderungen in die Vorschrift des § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB
VII, das die RVO ablöste, übernommen. Der Gesetzgeber des SGB VII hat indes vielfach
nicht nur redaktionelle, sondern auch inhaltliche Änderungen im Sinne von
Leistungseinschränkungen vorgenommen: Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII besteht
Anspruch auf eine Verletztenrente erst bei einer nach Ablauf der 26. Woche
bestehenden MdE von 20 v.H. bzw. 10 v.H. im Falle einer Stützrentensituation gemäß §
56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII. Demgegenüber war in § 580 Abs. 1 RVO geregelt,
dass diese Leistungen schon dann zu gewähren waren, wenn eine MdE in diesem
Sinne nach Ablauf der 13. Woche feststellbar war. In § 62 Abs. 1 und 2 SGB VII ist eine
vorläufige Entschädigung bis zu 3 Jahren nach dem Unfallereignis und danach erst eine
Entschädigung auf unbestimmte Zeit vorgesehen, während in § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO
die Dauerrente spätestens nach 2 Jahren zu gewähren war bzw. von Gesetzes wegen
als solche galt. Schließlich ist auf den in § 46 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII begrenzten
Verletztengeldanspruch bis zum Ablauf der 78. Woche nach dem Unfallereignis
hinzuweisen, während vorher § 560 Abs. 1 RVO im Prinzip keine zeitliche Begrenzung
vorsah und nur über § 580 Abs. 3 RVO in bestimmten Fällen eine Begrenzung
vorgenommen werden konnte.
Zu einer Änderung der Vorschrift des § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hat der Gesetzgeber
bis heute keinen Anlass gesehen, obwohl im Hinblick auf die Empfehlung des
Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (vgl. HVBG-Info 1992,
1792), bei Betreuungs- bzw. Erziehungsunterhaltsansprüchen § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB
VII entsprechend anzuwenden, spätestens bei der Einführung des SGB VII und der
Regelungen des § 66 Anlass zur inhaltlichen und nicht nur zur redaktionellen
Überprüfung der Regelung des § 592 Abs. 1 Satz 2 RVO a.F. gegeben war. Im Übrigen
ist auffällig, dass teilweise die Kommentierungen die seit 1977 bestehende "planwidrige
Lücke" erst nach dem HVBG-Info (a.a.O.) erkannt haben (vgl. dazu Bereiter-
Hahn/Schieke/Mehrtens, Handkommentar zur Unfallversicherung, Stand September
1991 in RdNr. 9 und 10 zu § 592 und im Gegensatz dazu Anm. 9 zu § 66 SGB VII, letzter
Stand April 2000, ferner Lauterbach, Kommentar zur Unfallversicherung, Stand Juni
1991, keine Ausführungen in den Anmerkungen 11 a - 15 zu § 592, während später
(Stand Juni 1994) in Anmerkung 17 c zu § 592 die entsprechende Anwendung unter
wörtlichem Hinweis auf das HVBG-Info (a.a.O) vorgeschlagen wird, weil man ansonsten
zu sinnwidrigen Ergebnissen gelange.
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Die Kammer hält dieses Festhalten des Gesetzgebers an dieser gesetzlichen Regelung
auch für angemessen, weil insbesondere der Unterhaltsanspruch wegen Erziehung
eines Kindes seine Berechtigung in dem Umstand hat, dass der erziehende Ehegatte
währenddessen keiner oder nur einer teilweisen Erwerbstätigkeit nachgeht, die sich seit
der Neuregelung des Scheidungsrechts zum 01.07.1977 dauerhaft auch auf die
nacheheliche Erwerbstätigkeit und die Versorgung des die Erziehung übernehmenden
Ehegatten auswirkt. Die zur Zeit der Ehe zwischen den Eheleuten gewählte Konzeption
der jeweiligen Erwerbsobliegenheit während der Minderjährigkeit des Kindes bzw. der
Kinder prägt damit die Einkommens- und Versorgungssituation des überlebenden
Ehegatten nachhaltig, sie kann mit der Volljährigkeit des Kindes oder der Kinder im
Regelfall nicht mehr aufgefangen oder kompensiert werden, zumal sich mit dem
Unfalltod des Versicherten die Ausgangslage weiter verschlechtert.
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Selbst wenn entgegen der vorstehenden Darlegungen im Sinne der Auffassung der
Beklagten und des HVBG-Infos eine planwidrige Gesetzeslücke zugrunde gelegt wird,
kann diese nicht im Wege der Analogie, also der entsprechenden Anwendung des § 66
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Abs. 1 Satz 2 SGB VII, geschlossen werden. Wie die Klägerin zutreffend dargelegt hat,
sind derartige Analogieschlüsse bei einer Untätigkeit des Gesetzgebers nur in
Ausnahmefällen zulässig, wenn die Gesamtregelung des Gesetzgebers diesen
Analogieschluss zulässt (vgl. dazu die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -
BSG - in USK 91110, in HVBG-Info 1999, 1682 ff., in SozR 3-3100 § 62 Nr. 3, in SozR 3-
2700 § 46 Nr. 1, in SozR 3-4100 § 59 e Nr. 1, in SozR 4-2000 § 47 Nr. 1, und in SozR 4-
4300 § 147 Nr. 1). Die Kammer hält in Anlehnung an diese Rechtsprechung eine
Analogie deshalb für nicht zulässig, weil insbesondere der Ausnahmecharakter einer
befristeten Witwenrente dem in § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgesprochenen Grundsatz
der unbefristeten Gewährung dieser Leistung bis zur Wiederverheiratung des
überlebenden Ehegatten zuwiderliefe. Die Ausnahmeregelegung des § 66 Abs. 1 Satz 2
SGB VII ist vom Gesetzgeber sowohl der RVO als auch des SGB VII im Hinblick auf die
namentlich genannten Regelungen des BGB für bestimmte, von vorne herein absehbare
Fälle einer kürzeren und überschaubaren, zeitlich befristeten Unterhaltsleistung an den
überlebenden geschiedenen Ehegatten konzipiert. Die von der Beklagten befürwortete
Analogie würde auch dann zu einer befristeten Witwenrentengewährung führen, wenn
der Versicherungsfall im frühen Kindesalter eintritt, die Erziehung des Kindes bzw. der
Kinder 10 Jahre und länger notwendig ist und der überlebende Ehegatte erst danach
einer (vollen) Erwerbstätigkeit nachgehen sowie seine Versorgungssituation nachhaltig
verbessern kann. Dies wird auch im Falle der Klägerin, die wegen der Erziehung der 2
Töchter nur einer eingeschränkten Erwerbstätigkeit während und nach der Ehezeit
nachgegangen ist, deutlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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