Urteil des SozG Dortmund vom 30.06.2003

SozG Dortmund: nahrungsaufnahme, versicherungsschutz, arbeitspause, unfallversicherung, erhaltung, aufenthalt, verbringen, unfallfolgen, lebensmittel, gaststätte

Sozialgericht Dortmund, S 23 U 65/02
Datum:
30.06.2003
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 23 U 65/02
Sachgebiet:
Sozialrecht
Rechtskraft:
Nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides bom 02.01.2002 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2002 verurteilt,
der Klägerin wegen der Folgen des Unfalls vom 00.00.2001 Leistungen
nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu
gewähren.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen, insbesondere darüber, ob
das Unfallereignis vom 00.00.2001 unter dem Schutz der gesetzlichen
Unfallversicherung gestanden hat.
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Die 1936 geborene Klägerin befand sich entsprechend der Unfallanzeige des
Beschäftigungsunternehmens, der Bauunternehmung L aus I, vom 00.00.2001 an
diesem Tag gegen 8:15 Uhr (Arbeitsbeginn 8:10 Uhr) auf dem Weg in die Büroküche,
um - wie an jedem Morgen - die mitgebrachte Buttermilch, die sie später in der Pause
verzehren wollte, in den dort befindlichen Kühlschrank zu legen. Wegen des
regnerischen Wetters rutschte sie auf den Fliesen im Küchenbereich aus und fiel auf die
linke Schulter. Im Durchgangsarztbericht der St.-C-Klinik I vom Unfalltag werden als
Unfallfolgen eine nicht dislozierte Oberarmfraktur sowie die des Tuberculummajus
beschrieben.
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Nachdem auf ihre Veranlassung das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren
abgebrochen worden war, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.01.2002 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2002 die Gewährung der
ausdrücklich beantragten Leistungen ab, weil die Klägerin am Unfalltag einer
eigenwirtschaftlichen, unversicherten Tätigkeit nachgegangen sei. Zwar seien Wege zur
Nahrungsaufnahme innerhalb oder außerhalb des Betriebsgeländes versichert, die
versicherten Wege endeten jedoch an der Außentür der einer Kantine
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gleichzustellenden Büroküche. Das Unterbringen des verderblichen Lebensmittels
Buttermilch in den Kühlschrank sei daher keine betriebliche und damit eine
unversicherte Tätigkeit gewesen.
Mit der hiergegen am 21.05.2002 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter. Sie vertritt die Auffassung, dass sich der Versicherungsschutz auf die gesamte
Büroküche erstrecke, zumal die Aufbewahrung im dort befindlichen Kühlschrank der
Erhaltung ihrer Arbeitskraft gedient habe.
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Die Klägerin beantragt ihrem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.01.2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 14.04.2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des
Unfallereignisses vom 00.00.2001 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung
zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Ihrer Auffassung nach handelt es sich bei der Einnahme von Mahlzeiten auf der
Betriebsstätte um eine private eigenwirtschaftliche Tätigkeit, solange kein besonderer
Umstand für eine aus betrieblichen Gründen, etwa zur Erlangung oder Erhaltung der
Arbeitsfähigkeit, erfolgten Nahrungsaufnahme vorliege. Der versicherte Weg zur
Kantine/Büro- bzw. Teeküche ende an der Zugangstür. Das gelte auch für die Fälle, in
denen die Kantine/Küche nicht zum Verzehr, sondern zum Vorbereiten der
Nahrungsaufnahme bzw. dem Zubereiten aufgesucht werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichts- und den der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der
Entscheidung waren, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Mit Zustimmung der Beteiligten hat die Kammer über das Klagebegehren ohne
mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
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Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin wird durch den Bescheid der Beklagten
vom 02.01.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2002, mit dem
der Klägerin zu Unrecht Leistungen wegen der Folgen des Unfallereignisses vom
00.00.2001 verweigert werden, beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil die Klägerin
beim Gang zum Verbringen der mitgebrachten Buttermilch in den Kühlschrank der
betriebseigenen Küche einer unfallversicherungsrechtlich geschützten Verrichtung
nachgegangen ist.
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Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den
Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit
(versicherte Tätigkeit). Entgegen der Auffassung der Beklagten hat es sich beim
Verbringen der mitgebrachten Buttermilch in den Kühlschrank der Betriebsküche zu
Beginn der Arbeitsschicht um eine versicherte Tätigkeit in diesem Sinne gehandelt. Wie
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das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl.
Urteil vom 26.01.1988 - 2 RU 1/87 - veröffentlicht in USK 8820 m. w. Hinweisen auf die
Rechtsprechung) entschieden hat, steht die nicht aus besonderem betrieblichen Anlass
erfolgende Nahrungsaufnahme sowie der Aufenthalt deswegen in einer Kantine nach
dem Durchschreiten der Eingangstür als eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht unter dem
Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Demgegenüber sind die Wege zur
Nahrungsaufnahme bis dahin ebenso unfallversichert (vgl. dazu beispielsweise: BSG in
USK 81220) wie der Nahrungsmitteleinkauf während einer Betriebspause (vgl. BSG in
SozR 2200 § 548 Nr. 73 und 97).
Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung entnimmt die Kammer, dass lediglich der
Aufenthalt in einer Kantine (Betriebs- oder Teeküche bzw. einer Gaststätte oder einem
Restaurant während einer Dienstreise) im Zusammenhang mit dem beabsichtigten
Verzehr nicht den versicherten Tätigkeiten zuzurechnen ist. Zur besseren Abgrenzung
der im Gegensatz dazu versicherten Wege wird auf das Durchschreiten der Eingangstür
abgestellt. Auch hinsichtlich dieses Abgrenzungskriteriums schließt sich die Kammer
der höchstrichterlichen Rechtsprechung an. Die der Entscheidung der Kammer
zugrunde liegende Fallkonstellation ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass die
Klägerin die Betriebsküche nicht zum Verzehr der mitgebrachten Buttermilch aufsuchte,
sondern um dieses Lebensmittel bis zur späteren Arbeitspause kühl zu lagern. Damit ist
dieser Vorgang eher vergleichbar mit dem Besorgen von alsbald zum Verzehr
vorgesehenen Lebensmitteln während einer Arbeitspause, das grundsätzlich unter
Versicherungsschutz steht. Deshalb ist nach Auffassung der Kammer die Eingangstür
zur Betriebsküche auch kein geeignetes Abgrenzungskriterium, solange - wie
vorliegend - sicher feststeht, dass der Weg zur Betriebsküche nicht dem (alsbaldigen)
Verzehr von Lebensmitteln, also der Nahrungsaufnahme, dienen sollte. Wenn
demgemäss aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass die zum Unfall führende
Tätigkeit lediglich dem Besorgen bzw. der Haltbarkeit des während der Arbeitspause
der in Rede stehenden Arbeitsschicht zum Verzehr vorgesehenen Lebensmittels diente,
steht diese Tätigkeit auch nach und nicht nur bis zum Durchschreiten der Eingangstür
der Kantine/Betriebsküche unter Versicherungsschutz.
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Obwohl im vorliegenden Fall angesichts des durch die Beklagte abgebrochenen
berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens nicht feststeht, wie lange und welche
Leistungen von der Klägerin, etwa Verletztengeld und/oder Verletztenrente) zu
beanspruchen sind, hat die Kammer es für zulässig erachtet, im Sinne einer
Grundentscheidung gemäß § 131 Abs. 2 SGG die Beklagte zur Gewährung von
Leistungen zu verurteilen, weil auf grund der schwerwiegenden Unfallfolgen, nämlich 2
Frakturen im linken Schulterbereich, der Anspruch zumindest auf die Gewährung von
Verletztengeld feststeht.
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Wegen der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits im Hinblick auf die
ergänzende Auslegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG hat die
Kammer gemäß § 150 Nr. 1 SGG die Berufung zugelassen.
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