Urteil des SozG Dortmund vom 29.10.2007

SozG Dortmund: versicherungsträger, witwenrente, hinterbliebenenrente, steuerpflicht, unfallversicherung, verständigungsverfahren, auszahlung, republik, vorsteuerabzug, unterliegen

Sozialgericht Dortmund
Urteil vom 29.10.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dortmund S 23 KN 41/06 U
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Hinterbliebenenleistungen durch die Beklagte.
Die Klägerin ist die Witwe des am xxx geborenen und am xxx in Polen in einem Bergwerk tödlich verunglückten xxxx.
Sie siedelte am 08.07.19xx in die Bundesrepublik Deutschland über. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom
10.11.1970 Hinterbliebenenrente nach dem Fremdrentengesetz (FRG).
Nachdem die zunächst vom polnischen Versicherungsträger gezahlten Leistungen eingestellt worden waren, wurden
sie mit Wirkung vom 01.09.1972 wieder aufgenommen. Seitdem rechnete die Beklagte diese Leistungen an bzw.
vereinnahmte sie für sich.
Unter dem 13.09.2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die polnische Verbindungsstelle (ZUS) zahle seit März
2005 die polnischen Rentenleistungen nur noch nach Abzug eines Steueranteils als Nettorente aus. Da die von ihr zu
erbringende Rentenleistung ungekürzt gezahlt werde, könne es zu einer Überzahlung in Höhe des wegen der
Einkommenssteuervorauszahlung reduzierten Rentenbetrages kommen, so dass ab 01.10.2005 die von ihr
ausgezahlte Hinterbliebenenrente um diesen Betrag, und zwar um monatlich 81,00 EUR reduziert werde.
Der Widerspruch der Klägerin hiergegen vom 29.09.2005 mit dem Vorbringen, es sei nicht in Ordnung, wenn der
"Pole" jetzt noch von ihr Steuern wolle. Ihrer Ansicht nach sei die Beklagte verpflichtet, die volle Rentenleistung
auszuzahlen. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 24.01.2006 als unbegründet zurück.
Zur Vermeidung von Doppelleistungen seien nach dem FRG die vom polnischen Versicherungsträger gezahlten
Leistungen auf die Deutsche Rentenleistung anzurechnen. Seit März 2005 seien die von Polen erfolgenden
Rentenleistungen wegen der Einkommenssteuervorauszahlungen gemindert, das FRG gebiete ihr aber, die polnischen
Rentenleistungen ohne diesen Steuerabzug zu berücksichtigen. Ansonsten trüge sie als deutscher
Versicherungsträger die polnische Steuerlast der Klägerin.
Mit ihrer hiergegen am 23.02.2006 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr begehren weiter. Sie erwartet die
Erstattung der ihr vom polnischen Versicherungsträger abgezogenen Beträge durch die Beklagte.
Durch Bescheid vom 03.11.2006 hat die Beklagte eine endgültige Abrechnung für die Zeit 2005 und 2006
vorgenommen, auf die Bezug genommen wird, sowie die errechnete Überzahlung von 764,99 EUR von der Klägerin
zurückgefordert, die in monatlichen Raten von 127,50 EUR einbehalten wird.
Nachdem die ZUS seit 2007 Zahlungen nicht mehr an die Beklagte, sondern nur noch unmittelbar an die Klägerin
vornimmt, hat die Beklagte mit dem weiteren Bescheid vom 17.01.2007 die laufende Leistung mit dem 01.02.2007 nur
noch in Höhe von 232,20 EUR monatlich vorläufig festgestellt. Den Widerspruch der Klägerin hiergegen hat die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2007 als unbegründet zurückgewiesen; sie wiederholt im
Wesentlichen ihre Rechtsauffassung zur Berücksichtigung der - ohne Berücksichtigung des polnischen
Steuerabzuges - Bruttorentenbezüge der Klägerin aus Polen, die seit Januar 2007 unmittelbar - nach Steuerabzug -
der Klägerin überwiesen werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.05.2007 ebenfalls Klage erhoben (S 23 KN 202/07 U). Die Verfahren sind durch
Beschluss vom 01.08.2007 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen
S 23 KN 41/06 U weitergeführt worden.
Die Klägerin macht geltend, die ihr seit Februar 2007 vom polnischen Versicherungsträger angesichts schwankender
Wechselkurse monatlich ausgezahlten Beträge beliefen sich auf 473,43 und 452,40 EUR. Sie habe Anspruch auf
ungekürzte Auszahlung der ihr nach dem FRG zustehenden Hinterbliebenenleistungen. Zum Zeitpunkt der Bewilligung
diesr Leistung habe weder das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen (DPSVA) noch das deutsch-
polnische Doppelbesteuerungsabkommen (DPDBA) vom 14.05.2003 gegolten. Durch diese Abkommen könnten ihre
Ansprüche nicht verringert werden, sie genieße Bestandsschutz. Wenn überhaupt könne die Beklagte nur die ihr
früher selbst und nunmehr an sie, die Klägerin, ausgezahlten Nettobeträge nach Abzug von Steuern durch die
polnische Seite berücksichtigen. Sie werde durch die Verfahrensweise der Beklagten entgegen dem das FRG
beherschende Eingliederungsprinzip nachträglich einer Steuerlast des Staates unterworfen, zu dem sie keine
Beziehung mehr unterhalte. Sie werde im Verhältnis zu anderen Verletztenrenten aus Ungarn, Rumänien und der
Tschechischen Republik sowie die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, mit denen derartige Regelungen wie das
DPDBA nicht vereinbart worden seien, diskriminiert. Zwar werde sie vermutlich hinsichtlich der Steuerlast mit
polnischen Staatsbürgern gleich behandelt, in tatsächlicher Hinsicht sei sie aber erheblich benachteiligt, weil ihr die
Rechtsverhältnisse, die Rechtsbehelfsmöglichkeiten, die zur Steuerminderung führenden Befreiungstatbestände bzw.
Steuerfreibeträge nicht bekannt seien. Zudem würden Hinterbliebenenrenten in Deutschland in der Regel nicht
besteuert.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten hinsichtlich der Bescheide vom 13.09.2006 und
03.11.2006 einen Teilvergleich abhängig vom Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits im Übrigen geschlossen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2007 zu ändern
und ihr Witwenrentenleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ohne Berücksichtigung des in Polen
gemachten Vorsteuerabzuges zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf das ihre Rechtsauffassung bestätigende Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 16.05.2007 (S
4 KN 10/06 U).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und den der
Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, nur noch zu Entscheidung des Gerichts gestellte Klage ist nicht begründet. Die Beklagte gewährt der
Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
10.04.2007 die ihr zustehende Witwenrente in zutreffender Höhe, die Klägerin wird hierdurch nicht beschwert (§ 54
Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Der zwischen den Beteiligten dem Grunde nach nicht streitige Witwenrentenanspruch der Klägerin gegen die Beklagte
beruht auf dem Umstand, dass der Klägerin als Ehefrau des im früheren Oberschlesien, Polen, bei einem Arbeitsunfall
vom 24.07.1969 tödlich verunglückten Versicherten Ernst Bergel als Hinterbliebene eines Deutschen diese
Rentenleistung gem. §§ 1 a und e, 5 Abs. 1 Nr. 2 a, 7 FRG in Verbindung mit § 589 Reichsversicherungsordnung
(RVO) in der bis zum 31.12.1996 gültigen Fassung zusteht.
Dieser dem Grunde nach ohne Kürzungen zu gewährende Hinterbliebenenanspruch erfährt nach § 11 Abs. 1 FRG
jedoch dann eine Einschränkung, wenn dem Berechtigten, hier also der Klägerin, von einem Träger der
Sozialversicherung oder einer anderen Stelle außerhalb der Bundesrepublik Deutschland für denselben
Versicherungsfall, also den Tod des Versicherten Ernst Bergel, eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
gewährt wird. Insofern ruht die Rentenleistung des in Euro umgerechneten Betrages, der als Leistung des Trägers der
Sozialversicherung gewährt wird. Dieser "Ruhensgrundsatz" wird von der Klägerin auch nicht in Frage gestellt. Sie
akzeptiert auch, dass die teilweise von polnischen Zloty in Euro umgerechnete Hinterbliebenenrente des polnischen
Versicherungsträgers jedenfalls in Höhe des tatsächlich an sie erfolgten Auszahlungsbetrages (Nettobetrag) in Bezug
auf den Witwenrentenanspruch gegenüber der Beklagten ruht.
Soweit die Beklagte demgegenüber nicht nur in Höhe der von der ZUS ausgezahlten "Nettorente", sondern unter
Berücksichtigung des in Polen erfolgten Steuervorabzuges vom polnischen Versicherungsträger festgestellte
"Bruttorente" das Ruhen der von ihr auszuzahlenden Witwenrente feststellt, ist dies in Anwendung des § 11 Abs. 1
FRG nicht zu beanstanden (s. dazu auch die zu diesem Ergebnis gelangte Entscheidung des SG Duisburg vom
16.05.2007 a.a.O.).
§ 11 Abs. 1 FRG nimmt insoweit keine Unterscheidung zwischen "Brutto- und Nettorenten" vor, was auch damit
zusammenhängt, dass die Besteuerung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland
praktisch nur in wenigen Fällen und abhängig vom sogenannten Ertragsanteil (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 55
Einkommenssteuergesetz - EStG -) in eher geringem Maße erfolgt und zudem Unfallrenten aus der gesetzlichen
Unfallversicherung überhaupt keiner Besteuerung unterliegen. Diese Nichtbesteuerung von Unfallrenten, Lebzeiten-
wie Hinterbliebenenrenten, greift in Polen nicht Platz, vielmehr wird dort ein Vorsteuerabzug, vergleichbar den
Einkünften aus Kapitalvermögen in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen. Mit dem Inkrafttreten des DPDBA
ist auch durch Art. 18 Abs. 2 dieses Abkommens klargestellt, dass jeder Vertragsstaat, also auch Polen, die von ihm
gezahlten Bezüge aus der gesetzlichen Sozialversicherung, hier die Unfallhinterbliebenenrente aus Polen, nur dort
besteuern darf.
Diese die Klägerin in Polen treffende Steuerpflicht kann nicht der Beklagten aufgebürdet werden, sie trifft als
Versicherungsträger keinerlei Steuerpflicht. Ihr, der Beklagten gegenüber, ist die vom polnischen Versicherungsträger
(ZUS) festgestellte Bruttorente vor dem Steuerabzug, den die ZUS, vergleichbar dem Lohnsteuerabzug bzw. dem
Kapitalsteuerabzug in Deutschland vornimmt, zu berücksichtigen. Die die Klägerin als Leistungsbezieherin persönlich
treffende Steuerlast hat hierbei außer Betracht zu bleiben.
Die Kammer hält die Ruhensberechnung ausgehend vom Bruttobetrag der polnischen Rente auch deshalb für
zutreffend, weil das Ruhen von Ansprüchen im Deutschen Rentenversicherungssystem (vgl. dazu insbesondere § 93
des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI -) ebenfalls auf Bruttobeträge abstellt, also nicht etwa auf
die Nettorente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach Abzug des vom Rentenbeziehers zu entrichtenden
Beitragsanteils zur gesetzlichen Rentnerkrankenversicherung (§§ 5 Abs. 1 Nr. 11, 226 Abs. 1 Nr. 2, 247 des Fünften
Buches des Sozialgesetzbuches - SGB V -). Dieses vom Gesetzgeber auch in anderen Vergleichsfällen zum
Ausdruck kommende Bruttoprinzip ist nicht zu beanstanden, weil damit individuellen Gegebenheiten, u.a. auch die
steuerrechtlichen Konsequenzen, nicht zu unterschiedlichen Leistungsgewährungen bei vergleichbaren
Versicherungsfällen führen können.
Soweit die Klägerin gegen die so vorgenommene Ruhensberechnung der Beklagten weiter einwendet, dass sie gegen
die Beklagte aufgrund des FRG einen Anspruch auf unbeschränkte Auszahlung der ihr zustehenden Witwenrente
habe, ist dies unzutreffend, weil in § 11 eben die unbeschränkte Leistungspflicht eines deutschen
Versicherungsträgers bei gleichzeitigem Leistungsbezug seitens eines Versicherungsträgers außerhalb der
Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich nicht vorgesehen ist. Auch ist es nach dem Wortlaut und dem Sinngehalt
des § 11 Abs. 1 FRG nicht angängig, der Beklagten mehr oder weniger das Risiko des (vollständigen, ungekürzten)
Erhalts der anderweitigen Leistung aus dem Ausland aufzubürden. Vielmehr Deutschen Sozialversicherung vor, so
dass bereits der Anspruch auf die Rentenleistungen seitens des ausländischen Versicherungsträgers ganz oder
teilweise das Ruhen des aus dem FRG hergeleiteten Anspruchs bewirkt.
Wenn die Klägerin auf die in tatsächlicher Hinsicht ggf. eingeschränkten Möglichkeiten verweist, von Deutschland aus
eine Verringerung bzw. den Wegfall der Besteuerung durch die Republik Polen zu erreichen, so ist dies kein Grund
dafür, die Ruhensregelung des § 11 Abs. 1 FRG nicht anzuwenden. Vielmehr bleibt es der Klägerin unbenommen,
gem. Art. 26 des DPDBA ein dort vorgesehenes Verständigungsverfahren einzuleiten. Die "zuständige Behörde" in
Art. 26 ist das Bundesfinanzministerium, das entsprechend dem Sinn und Zweck des in Art. 26 geregelten
Verständigungsverfahren auf Antrag der Klägerin tätig werden müsste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.