Urteil des SozG Dortmund vom 14.05.2007

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Sozialgericht Dortmund, S 23 KN 7/06 U
Datum:
14.05.2007
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 23 KN 7/06 U
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) entsprechend
der Nr. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie die Gewährung
von Leistungen deswegen.
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Der 1945 geborene Kläger war von Dezember 1970 bis Mai 1991, davon seit
18.01.1971 unter Tage als Schlepper, Hauer, zuletzt als Kolonnenführer angelegt,
seitdem ist er Rentner. Auf die BK-Anzeige vom 13.05.2005 zog die Beklagte zunächst
den Bericht des T-Hospital, neurochirurgische Abteilung, vom 04.04.2005 mit der
Entlassungsdiagnose: lumbale Spinalkanalstenose in Höhe LWK 4/5, rückläufige
zervikale Myelopathie bei. Sodann veranlasste sie die Stellungnahme ihres
Technischen Aufsichtsdienstes (TAD), der in der undatierten, allgemein gehaltenen
Stellungnahme darauf Bezug nahm, dass aufgrund der Feststellung einer
Arbeitsgruppe, bestehend aus Technischen Aufsichtsbeamten der Beklagten sowie
Ingenieuren und Medizinern aus dem Bereich des Steinkohlenbergbaus davon
auszugehen sei, dass das Tragen der mehr als 50 kg wiegenden Lasten auf der
Schulter der Mehrzahl der verfahrenen Schichten nur wenige Minuten pro Schicht
ausmache. Unabhängig davon müsse unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
davon ausgegangen werden, dass weder das Tragen von Ausbausegmenten,
hydraulischen Einzelstempeln und Schienen bzw. Kappen noch der Transport von
Rohrleitungen, EHB-Schienen oder Elektrokabeln auf der Schulter zu einer Gefährdung
im Sinne der streitbefangenen BK führen könne, da es sich jeweils nur um starre
Gegenstände mit relativ kleinen Abmessungen handele, wobei es weder zu maximalen
Muselanspannung der nur seitlich geneigten HWS noch der maximal gefäßdrosselnden
Verdrehung der HWS, wie etwa bei einem Fleischträger, komme.
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Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.08.2005 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2005 die Anerkennung der
streitbefangenen BK ab mit der Begründung, der Kläger sei keinen Tragebelastungen
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im Steinkohlenbergbau unter Tage ausgesetzt gewesen, wie sie für die streitige BK
vorauszusetzen seien.
Mit seiner hiergegen am 04.01.2006 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, er
habe häufig ohne Hilfsmittel schwere Lasten auf der Schulter transportiert, auch in
gebückter Körperhaltung, was zu einer erheblichen Mehrbelastung der HWS geführt
habe. Bei ihm lägen Bandscheibenerkrankungen an der HWS und der LWS vor. Die
Ausführungen des TAD lägen neben der Sache, es sei nicht belegt, auf welche konkrete
Untersuchung sie sich bezögen. Seine Situation sei mit denen von Fleischträgern
vergleichbar, zumal nicht erkennbar sei, inwieweit sie sich davon unterscheide.
Insbesondere bei den engen Raumverhältnissen unter Tage habe er die Gewichte
hautnah und bei seitlich geneigter HWS getragen. Der TAD der Beklagten habe sich
nicht mit seiner konkreten Tätigkeit unter Tage auseinandergesetzt.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 05.12.2005 zu verurteilen, beim ihm eine Berufskrankheit
entsprechend der Nr. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen
und dementsprechende Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen,
mindestens aber eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt Bezug auf die Rechtsprechung der Landessozialgerichte (LSG) Baden-
Württemberg und Niedersachsen, wonach eine schwere Hebetätigkeit auf der Schulter
ohne die vergleichbare Belastung wie bei Fleischträgern nicht von der streitige BK
erfasst werde. Sie hat dazu eine weitere Stellungnahme ihres TAD vom 01.12.2006
überreicht, die im Anschluss an die Befragung des Klägers am 21.11.2006 erstellt
worden ist. Unter Bezugnahme auf die früheren Ausführungen hält der TAD danach an
seiner Auffassung fest, dass die z.B. bei Fleischträgern beobachtete nach vorn und
seitwärts erzwungene Kopfbeugehaltung und das gleichzeitige maximale Anspannen
der Nackenmuskulatur, was zu einer Hyperlordosierung und auch zu einer Verdrehung
der HWS führe, beim Tragen von starren Gegenständen mit vergleichsweiser großer
Gesamtlänge und einem geringen Querschnitt, wie sie der Kläger verrichtet habe, nicht
vorkomme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichts- und den der BK-Akten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Beklagte hat es mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.08.2005 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2005 zu Recht abgelehnt, beim Kläger die
streitbefangene BK entsprechend der Nr. 2109 der Anlage zur BKV anzuerkennen, der
Kläger wird durch diesen Bescheid nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1
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Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Voraussetzung für die Feststellung der streitbefangenen BK ist, dass die versicherte
Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der
Entschädigungsleistungen beansprucht werden, nachgewiesen sind, insbesondere
müssen die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Entstehen der
BK 2109 nachgewiesen sein. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat zur
streitbefangenen BK ein Merkblatt herausgegeben (BArbBl. 3/93, S. 53 ff.), das
Anhaltspunkte für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "langjähriges
Tragen schwerer Lasten auf der Schulter", wie es in der BK-Ziffer 2109 beschrieben
ist,gibt. Nach den Ergebnissen epidemiologischer Studien wird das vermehrte Auftreten
von bandscheibenbedingten Erkrankungen der HWS bei Transportarbeitern in
Schlachthöfen wird deshalb angenommen, weil Tierhälften oder -viertel hautnah auf
dem Schultergürtel getragen werden müssen und die besondere Belastung der HWS
sich dadurch ergibt, dass durch das Tragen von mindestens 50 kg schweren
Gegenständen auf der Schulter nach vorn und seitlich eine erzwungene Kopfhaltung bei
gleichzeitiger maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur mit Hyperlordosierung mit
Verdrehung der HWS eingenommen wird.
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Derartige Tätigkeiten, wie sie vom Verordnungsgeber beispielhaft für die Annahme
bandscheibenbedingter Erkrankung aufgrund schwerer Tragebelastung von mindestens
50 kg auf der Schulter vorausgesetzt werden, hat der Kläger durch die Tragetätigkeit von
Ausbauteilen im untertägigen Steinkohlenbergbau nicht verrichtet. Er musste
insbesondere bei dieser Tragebeanspruchung den Kopf bzw. den Hals nicht seitgeneigt
halten, damit die Last nicht abrutscht, wie dies bei dem Tragen von Tierhälften und -
vierteln zur Stabilisierung der Last auf der Schulter erforderlich ist. Gleichzeitig ist es
dabei nicht zu der in den Ärztlichen Merkblättern für erforderlich erachteten maximalen
Anspannung der Nackenmuskulatur mit Hyperlordosierung und gleichzeitiger
Verdrehung der HWS gekommen. Aus diesem Grunde sieht die Kammer ebenso wie
die Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte (vgl. dazu u.a. LSG Baden-
Württemberg vom 22.05.2003 - L 10 U 4524/01 mit weiteren Hinweisen) beim Tragen
insbesondere von starren schweren Gegenständen mit einem Gewicht von mehr als 50
kg keine Belastung, wie sie für die streitbefangene BK vorausgesetzt wird.
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Da die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die streitbefangene BK im
Fall des Klägers nicht nachgewiesen sind, bedürfte es keiner weiteren Ermittlung
hinsichtlich der Frage, ob die beim Kläger beschriebenen Veränderungen an der HWS,
insbesondere die Operationsfolgen wegen der Fusion bei HWK 5/6 und HWK 6/7 als
bandscheibenbedingte Veränderung im Sinne der streitbefangenen BK anzusehen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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