Urteil des SozG Dortmund vom 17.12.2008

SozG Dortmund: rente, erwerbsfähigkeit, verwaltungsverfahren, widerspruchsverfahren, persönlichkeitsstörung, psychotherapie, psychiatrie, verfügung, arbeitsmarkt, aufmerksamkeit

Sozialgericht Dortmund, S 26 (1) R 40/08
Datum:
17.12.2008
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 26 (1) R 40/08
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der am xxx geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 20.12.2006 die
Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger ist seit 1998 arbeitslos.
Von August 2008 bis Januar 2009 arbeitete er im Rahmen einer durch die Arge
vermittelten Arbeitsgelegenheit ("Ein-Euro-Job") als Hausmeistergehilfe. Nach einer
Unterbrechung wegen seitens die Arge vorgenommener Einkommensanrechnung ist
der Kläger seit Mitte April 2009 wiederum in dieser Arbeitsgelegenheit als
Hausmeistergehilfe 6 Stunden pro Werktag beschäftigt.
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Nachdem die Beklagte diverse medizinische Unterlagen über den Kläger beizog, ließ
sie ihn durch den Arzt für Nervenheilkunde Dr. xxx, begutachten.
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In seinem Gutachten vom 19.03.2007 diagnostizierte Dr. xxx bei dem Kläger Angst und
depressive Störung, gemischt, sowie eine primär selbstunsichere Persönlichkeit. In
seiner Leistungsbeurteilung führte Dr. xxx aus, dass der Kläger in der Lage sei,
körperlich zumindest mittelschwere Arbeiten in Tagesschicht ohne Zeitdruck
vollschichtig auszuüben.
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Mit Bescheid vom 20.04.2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers unter
Bezugnahme auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen medizinischen
Feststellungen ab.
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Seinen hiergegen fristgerecht eingelegten Widerspruch begründete der Kläger im
Wesentlichen damit, dass es ihm seine psychische Erkrankung unmöglich mache, mit
anderen Personen außerhalb seiner Familie in Kontakt zu treten. Sobald er
angesprochen werde, bekomme er Angstzustände und könne kein flüssiges Gespräch
führen. Die Wahrnehmung des Gesprochenen sei gestört, und er könne nicht klar
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denken und antworten. Eine Tätigkeit sei ihm daher in keiner Form möglich.
Die Beklagte holte eine Bescheinigung der behandelnden Fachärztin für Neurologie N.
xxx ein, wonach seit Oktober 2006 keine wesentlichen Änderungen im
Gesundheitszustand des Klägers eingetreten seien. Seit Dezember 2006 befinde er sich
zusätzlich in psychotherapeutischer Behandlung bei einer russisch sprechenden
Psychotherapeutin.
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Daraufhin holte die Beklagte einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für
Psychiatrie und Psychotherapie Lxxx ein, ebenso einen Bericht des evangelischen
Krankenhauses xxx über eine Alkoholentzugsbehandlung des Klägers in der Zeit vom
07.01. bis 10.01.2008. Diese Unterlagen wurden dem beratenden Arzt der Beklagten Dr.
xxx zur ergänzenden Stellungnahme vorgelegt. Dieser ging von der Weitergeltung der
Leistungsbeurteilung des Vorgutachters Dr. xxx aus.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers als unbegründet zurück.
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Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass ausweislich der Stellungnahme
des beratungsärztlichen Dienstes die angeforderten Befundberichte die durch das im
Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten beschriebene Erkrankung bestätigt hätten, so
dass sich eine Änderung der Leistungsbeurteilung hierdurch nicht ergebe.
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Mit der fristgerecht am 11.06.2008 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren
weiter und nimmt zur Begründung auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren
Bezug. Da sich an den Gründen nichts geändert habe, sei er nach wie vor der
Auffassung, dass sein Anspruch berechtigt sei.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich und sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30.05.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihm ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsminderung nach Maßgabe der
gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt hierfür auf die im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren getroffenen
medizinischen Feststellungen Bezug.
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Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Fachärztinnen xxx und xxx eingeholt.
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Sodann hat es den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. xxx, zum
Sachverständigen ernannt.
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In seinem psychosomatisch-psychotherapeutischen/psychiatrischen Gutachten vom
26.06.2009 hat Dr. xxx bei dem Kläger folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert:
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Schwere soziale Phobie,
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Alkoholmissbrauch/schädlicher Gebrauch von Alkohol,
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depressive Störung i.S. einer rezidivierenden, mittelgradigen depressiven Episode vor
dem Hintergrund einer vorwiegend selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung sowie
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DD: Narzisstische Persönlichkeitsstörung.
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Zur Leistungsbeurteilung hat sich Dr. xxx wie folgt geäußert:
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Der Kläger könne grundsätzlich jegliche körperlich leichte, mittelschwere und schwere
Arbeit in Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne regelmäßigen Kundenkontakt bei
geistig einfachen Tätigkeiten und geringen bis zeitweise durchschnittlichen
Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit, Übersicht und
Verantwortungsbewusstsein durchführen. Er benötige ein Arbeitsumfeld mit einem
guten Betriebsklima sowie insbesondere ein oder zwei Ansprechpartner, die ihm
dauerhaft wohlwollend zur Seite stünden. Eine eher geringe Anzahl von unmittelbaren
Kollegen wäre dabei vorteilhaft. Die gegenwärtige Arbeitsstelle des Klägers entspreche
diesen Ansprüchen fast idealtypisch und zeige auch dessen grundsätzlich vorhandene
Arbeitsfähigkeit. Bei Beachtung der qualitativen Leistungseinschränkungen könne der
Kläger daher sechs Stunden und mehr regelmäßig arbeiten.
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Der Kläger hat hierzu ausgeführt, dass er mit dem Inhalt des Gutachtens einverstanden
sei und keine Einwände habe. Der Inhalt entspreche den wahren Gegebenheiten.
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Der Kläger ist zum Verhandlungstermin nicht erschienen. Er ist ausweislich der
Postzustellungsurkunde (Bl. 107 der Gerichtsakte) am 26.11.2009 ordnungsgemäß von
dem Termin benachrichtigt worden.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte den Rechtsstreit auch in Abwesenheit des Klägers verhandeln und
entscheiden, weil er ordnungsgemäß von dem Termin benachrichtigt und auf diese
Möglichkeit hingewiesen worden ist.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Kläger ist nicht gemäß § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert,
weil sich der angefochtene Bescheid der Beklagten als rechtmäßig erweist.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen
Erwerbsminderung gemäß § 43 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche
Rentenversicherung - (SGB VI), weil er unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei
Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI scheidet schon aufgrund des Geburtsdatums
des Klägers (26.10.1962) aus (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
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Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen hat sich nicht zur Überzeugung der
Kammer feststellen lassen, dass der Kläger für Tätigkeiten unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch über ein
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Restleistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich verfügt (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2
SGB VI).
Der Kläger ist zwar nicht uneingeschränkt leistungsfähig, da sich aufgrund seiner
Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet und der hieraus folgenden
Funktionsbeeinträchtigungen qualitative Einschränkungen in seiner Belastbarkeit
ergeben. Dennoch kann er noch körperlich leichte, mittelschwere und schwere Arbeiten
in Wechselschicht, ohne Nachtschicht sowie ohne regelmäßigen Kundenkontakt bei
geistig einfachen Tätigkeiten und geringen bis zeitweise durchschnittlichen
Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit, Übersicht und
Verantwortungsbewusstsein durchführen. Bei Beachtung der qualitativen
Leistungseinschränkungen ist er in der Lage, die ihm zumutbaren Tätigkeiten täglich
sechs Stunden und mehr regelmäßig zu verrichten, dies auch unter den üblichen
betrieblichen Bedingungen sowie regelmäßig fünf Tage pro Woche.
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Hinsichtlich dieser Feststellungen zur gesundheitlichen Leistungsfähigkeit des Klägers
im Erwerbsleben stützt sich die Kammer insbesondere auf das von Amts wegen
eingeholte psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. xxx vom 26.06.2009.
Der Sachverständige hat den Kläger gründlich untersucht, die aktenkundigen
medizinischen Unterlagen vollständig ausgewertet und ist zu einer überzeugenden
Leistungsbeurteilung gelangt. Den objektiv vorhandenen Erkrankungen wurde durch
Einschränkungen in qualitativer Hinsicht Rechnung getragen. Ferner werden die
Ausführungen und Feststellungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen durch
das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten des Arztes für Nervenheilkunde Dr. xxx
vom 19.03.2007 gestützt.
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So hat der Sachverständige Dr. xxx im Rahmen seiner gutachtlichen Befundung eine
nur mäßig niedergedrückte Stimmung bei lediglich etwas verminderter affektiver
Schwingungsfähigkeit festgestellt. Auch erschien der zielgerichtete Antrieb lediglich als
leicht vermindert. Im umfänglichen Untersuchungsverlauf ergab sich kein Anhalt für eine
schwerwiegende Antriebsstörung. Auch lieferten die zahlreichen, vom
Sachverständigen Dr. xxx durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen keine
solchen Ergebnisse, die auf ein in quantitativer Hinsicht vermindertes
Leistungsvermögen im bereits qualitativ geminderten Leistungsbild schließen lassen.
Endlich hat der Kläger gegen das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme keine
Einwände erhoben.
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Dieses Ergebnis wird im Übrigen auch durch die derzeitige Beschäftigung des Klägers
als Hausmeistergehilfe im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit i.S. des § 16d des
Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bestätigt. Die
tatsächliche Arbeitsleistung stellt insofern auch ein Beweismittel dar, das selbst eine
vom medizinischen Sachverständigen angenommene Erwerbsminderung widerlegen
kann. Dies gilt erst recht, wenn der medizinische Sachverständige zum Ergebnis einer
bestehenden Erwerbsfähigkeit des Versicherten (bei gewissen qualitativen
Leistungseinschränkungen) gelangt. Dass es sich bei dieser
Hausmeistergehilfentätigkeit des Klägers nicht um ein Arbeitsverhältnis i.S. des
Arbeitsrechts kraft gesetzlicher Fiktion (s. § 16d Satz 2 SGB II) handelt, steht der
Bestätigung der vorhandenen Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht entgegen, da es
hierbei auf die tatsächliche Arbeitsleistung bzw. Beschäftigung ankommt. Diese besteht
nach der glaubhaften Schilderung des Klägers im Rahmen der gutachtlichen
Untersuchung beispielsweise darin, dass er mit dem Hausmeister zusammen Zelte
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auseinander nimmt, diese säubert und einpackt, er einen Grill geschweißt hat und an
Aufräumarbeiten beteiligt gewesen ist. Auch hat er nach eigenen Angaben
Plakatständer vorbereitet und beim Anstreichen geholfen. Diese Tätigkeit übt der Kläger
täglich sechs Stunden aus. Ferner hat der Sachverständige Dr. xxx festgestellt, dass
sich das psychische Befinden des Klägers gerade seit Aufnahme bzw. Wiederaufnahme
seiner Tätigkeit verbessert hat. Es hat sich kein Hinweis darauf ergeben, dass die
aktuelle Arbeitssituation dem Kläger schadet oder beispielsweise zu nicht tolerablen
Schmerzen führt. Mithin verrichtet der Kläger die Tätigkeit auch nicht auf Kosten seiner
Gesundheit (vgl. hierzu KassKomm/Niesel, SGB VI, § 43 Rdnr. 28 m.w.N.).
Endlich steht der vorhandenen Erwerbsfähigkeit des Klägers auch die Tatsache nicht
entgegen, dass er eine Beschäftigung derzeit auf einem für seine Bedürfnisse
angepassten Arbeitsplatz ausübt, bzw. laut gutachtlicher Feststellungen hierbei ein
Arbeitsumfeld mit einem guten Betriebsklima sowie ihm wohlgesonnener Mitarbeiter in
geringer Anzahl benötigt. Denn hierbei handelt es sich nicht um ein nur
vergönnungsweise begründetes Beschäftigungsverhältnis oder um einen
Schonarbeitsplatz, der durch eine ungewöhnliche, von den üblichen betrieblichen
Bedingungen abweichende Gestaltung geprägt ist und der auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt nicht ohne weiteres zur Verfügung steht. Denn der Kläger leistet seine
Tätigkeit lediglich auf einem angepassten Arbeitsplatz aufgrund einer den betrieblichen
Bedingungen entsprechenden Beschäftigung. Dies steht einer fortbestehenden
Erwerbsfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes i.S.
des § 43 Abs. 1 SGB VI nicht entgegen (vgl. hierzu KassKomm/Niesel, a.a.O., § 43
Rdnr. 29 m.w.N.). Der Kläger ist mit einer typischen Gehilfentätigkeit betraut und übt
diese gemäß seinen eigenen Angaben im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung
ohne jede Einschränkung aus. Dass das Arbeitsumfeld gerade seinen Bedürfnissen
entspricht, zeigt, dass der Kläger unter Beachtung der qualitativen
Leistungseinschränkungen (kein Publikumsverkehr, geringe Anzahl von unmittelbaren
Mitarbeitern) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen
erwerbsfähig ist.
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Ist dies - wie hier - der Fall, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine
ausreichende Zahl von Erwerbsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Ob Arbeitsplätze für
den Kläger vermittelbar sind oder ob konkrete Einsatzmöglichkeiten bestehen, ist
rentenversicherungsrechtlich irrelevant. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz
zu finden, obliegt in diesen Fällen nicht der Rentenversicherung, sondern dem
Versicherten bzw. der Arbeitslosenversicherung (vgl. BSG GS 19.12.1996, SozR 3 -
2600 § 44 Nr. 8).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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