Urteil des SozG Dortmund vom 12.10.2005

SozG Dortmund: gesetzliche vermutung, beweis des gegenteils, schutz der ehe, witwenrente, versorgung, altersrente, wohnung, tod, behandlung, heirat

Sozialgericht Dortmund, S 34 RJ 219/04
Datum:
12.10.2005
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
34. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 34 RJ 219/04
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteilgten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von
Witwenrente.
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Die im Jahre 1936 geborene Klägerin bezog im Jahre 2003 eine Altersrente i.H.v.
599,89 Euro monatlich. Am 15.09.2003 heiratete sie den im Jahre 1929 geborenen
Versicherten T, der von der Beklagten Altersrente i.H.v. 978,40 Euro erhielt. Die
Klägerin kannte den Versicherten seit 1988. Sie lebte nach eigenen Angaben seit 2000
mit ihm in B zusammen, behielt jedoch ihre eigene Wohnung in C (Monatsmiete: 314,24
Euro) bei. Im Rahmen einer stationären Behandlung des Versicherten wurde im
September 2002 eine Lungenkrebserkrankung nach langjährigem Zigarettenkonsum
diagnostiziert (Entlassungsbericht des D-hospital N vom 24.09.2002). Die
Anschlussheilbehandlung in der D-Klinik C hatte nur mäßigen Erfolg. So zeigte der
Versicherte weiterhin einen deutlich reduzierten Allgemeinzustand mit eingeschränkter
Gehfähigkeit (Entlassungsbericht vom 16.12.2002).
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Ab dem 31.07.2003 befand sich der Versicherte erneut in stationärer Behandlung.
Ausweislich des Behandlungsberichtes des G-Hospitals B vom 30.09.2003 zeigten sich
u.a. eine Progredienz des Tumorleidens und Lymphknotenmetastasen. Die stationäre
Aufnahme erfolgte auf Grund einer zunehmenden Verschlechterung des
Allgemeinzustandes bei teilweiser Eintrübung des Patienten. Um eine häusliche
Betreuung durch die Klägerin zu gewährleisten, wurde von Seiten des Krankenhauses
Unterstützung beim ambulanten Pflegedienst des Caritasverbandes B und der
Hospizinitiative des Kreises X beantragt. Am 12.09.2003 wurde der Versicherte nach
Hause entlassen, bereits am 14.09.2003 jedoch wegen angeblich zunehmender
Eintrübung und in gleichbleibend schlechtem Allgemeinzustand wieder im Krankenhaus
aufgenommen. Am 15.09.2003 erfolgte die Trauung am Krankenbett durch einen
hinzugezogenen Standesbeamten. Vom 18.09.2003 bis zu seinem Todestag am
23.09.2003 befand sich der Versicherte im Hospiz N in B.
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Am 27.11.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von
Witwenrente. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 30.01.2004 ab,
weil die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe und die gesetzliche Vermutung
einer Versorgungsehe nicht durch besondere Umstände widerlegt worden sei.
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Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, sie habe Heiratsanträge des
Versicherten in früheren Jahren immer abgelehnt, weil sie nicht den Eindruck habe
erwecken wollen, nur auf finanzielle Versorgung aus zu sein. Die Wohnung in C habe
sie nicht aufgegeben, weil der Sohn ihres Mannes sie von Anfang an abgelehnt habe.
Am 15.09.2003 habe sie dann auf Drängen ihres Mannes geheiratet. Die Klägerin legte
u.a. eine Bescheinigung des Hausarztes Dr. I vom 20.02.2004 vor, wonach sie den
Versicherten bis zu seinem Tode betreut und gepflegt habe und seit seiner Erkrankung
am 16.08.2002 nicht von seiner Seite gewichen sei.
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Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom
23.09.2004 als unbegründet zurück. Nach § 46 Abs. 2a des Sozialgesetzbuchs –
Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) solle der Anspruch auf Witwenrente
ausgeschlossen werden, wenn Ziel der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung
sei. Dabei werde unterstellt, dass dieses regelmäßig der Fall sei, wenn ein Ehegatte
innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung versterbe. Diese gesetzliche
Vermutung könne widerlegt werden, wenn Umstände vorlägen, die trotz kurzer
Ehedauer nicht auf eine Versorgung schließen ließen. Solche Umstände könnten z.B.
vorliegen bei einem plötzlichen unvorhersehbaren Tod oder wenn die tödlichen Folgen
einer Krankheit bei der Eheschließung nicht vorhersehbar gewesen seien. Im Falle der
Klägerin sei es jedoch sehr wahrscheinlich, dass Sinn und Zweck der Eheschließung
die Erlangung einer Versorgung gewesen sei. Die tödlichen Folgen der
Krebserkrankung des Versicherten seien vorhersehbar gewesen, so dass bei der
Eheschließung im Krankenhaus Eile geboten gewesen sei. Auch die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der Eheleute legten den Schluss nahe, dass der Versicherte die
Klägerin im Bewußtsein seines baldigen Ablebens zur Eheschließung gedrängt habe,
um die Einkommensreduzierung durch Erlangung einer zusätzlichen Versorgung so
gering wie möglich zu halten.
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Zur Begründung der am 28.09.2004 erhobenen Klage führt die Klägerin an, dem
Drängen des Versicherten auf eine Legalisierung der langjährigen Beziehung
nachgegeben zu haben, als sich gezeigt habe, dass seine Erkrankung unheilbar
gewesen sei. Es handele sich nicht um eine Versorgungsehe. Die Klägerin sei in der
Lebensführung äußerst genügsam und in der Lage, mit den ihr zur Verfügung stehenden
662,85 Euro ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Darüber hinaus verfüge sie über
Vermögen in Höhe von ca. 00000,- Euro, so dass sie auf die Rente des verstorbenen
Ehemannes keinesfalls angewiesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 23.09.2004 zu verurteilen, ihr Witwenrente aus der
Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes Heinrich T zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte
und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben
vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig.
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Die Beklagte lehnt die Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung des T zu
Recht ab, weil die Ehe mit der Klägerin nicht mindestens ein Jahr gedauert hat und die
gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegt worden ist.
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Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten
Ehegatten Anspruch auf kleine und große Witwenrente nach Maßgabe des § 46 Abs. 1
und Abs. 2 SGB VI. Der Rentenanspruch ist nach § 46 Abs. 2a SGB VI ausgeschlossen,
wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den
besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der
alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf
Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
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Für alle seit dem 01.01.2002 geschlossenen Ehen gilt nach § 46 Abs. 2a SGB VI i.V.m.
§ 242a Abs. 3 SGB VI die gesetzliche Vermutung, dass bei Tod des Versicherten
innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel
der Eheschließung war. Die gesetzliche Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist
widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine
Versorgungsehe schließen lassen (z.B. Unfalltod, vgl. Gesetzesbegründung in BT-
Drucks. 14/4595, S. 44).
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Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) i.V.m. § 292 der Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils.
Die Folgen eines nicht ausreichenden Beweises trägt nach Ausschöpfung des
Amtsermittlungsgrundsatzes derjenige, der den Witwenrentenanspruch geltend macht
(Gürtner in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand: 12/2004, § 46 SGB
VI RdNr. 46b m.w.Nw.).
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Diese Regelung verstößt nicht gegen den in Art 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
garantierten Schutz der Ehe (BSG, Beschluss vom 23.09.1997, Az.: 2 BU 176/97,
HVBG-Info 1998, 621 m.w.Nw. zur Parallelvorschrift in der gesetzlichen
Unfallversicherung; Löns in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl. 2003, § 46 RdNr. 20).
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Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten hat nur wenige Tage und damit deutlich
weniger als ein Jahr gedauert. Die deshalb zur Anwendung kommende gesetzliche
Vermutung einer Versorgungsehe ist nicht durch besondere Umstände des Einzelfalles
widerlegt worden. Vielmehr lassen die Umstände der Eheschließung am 15.09.2003 es
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gerade als gerechtfertigt erscheinen, den überwiegenden Zweck der späten Heirat in
der Begründung eines Witwenrentenanspruchs für die Klägerin zu sehen. So räumt die
Klägerin ein, dass die Eheschließung erst nach Gewissheit über den unheilbaren
Verlauf der Krebserkrankung zu Stande kam. Die beigezogenen Krankenhausberichte
lassen dementsprechend keinen Zweifel daran, dass zum Zeitpunkt der
standesamtlichen Notfalltrauung allen Beteiligten das unmittelbar bevorstehende
Ableben des Versicherten bewusst war. So war die Zuhilfenahme eines Hospizes
bereits veranlasst. Der Versicherte zeigte bei deutlich verschlechtertem
Allgemeinzustand eine zunehmende Eintrübung. Der Versuch einer Betreuung im
häuslichen Umfeld war unmittelbar zuvor gescheitert.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute sind nicht geeignet, den erforderlichen
Nachweis besonderer Umstände, die gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe
sprechen, zu erbringen. So bezog der Versicherte eine deutlich höhere Altersrente als
die Klägerin. Die Altersrente der Klägerin lag im Bereich des Sozialhilferegelsatzes
zuzüglich der Wohnkosten. Da die Klägerin auf Grund ihres in Geldmarktfonds
angelegten Vermögens von ca. 00000,- Euro bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen
nicht in Anspruch nehmen kann, wäre eine zusätzliche Witwenrente für sie wirtschaftlich
attraktiv.
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Schließlich spricht die mehrjährige nichteheliche Verbindung der Klägerin mit dem
Versicherten nicht gegen die Annahme einer Versorgungsehe. So behielt die Klägerin
trotz erheblicher Zusatzkosten und der großen räumlichen Entfernung ihre eigene
Wohnung in C bei. Entsprechend ihrer hierfür gegebenen Begründung, der Sohn des
Versicherten sei gegen die Beziehung gewesen, könnte die Klägerin Vorsorge für ein
etwaiges Scheitern der Verbindung getroffen haben. So weist auch die Einlassung der
Klägerin, sie habe frühere Heiratsanträge zurückgewiesen, um den Eindruck einer
Versorgungsabsicht zu vermeiden, auf eine zunächst nicht beidseits gefestigte
Beziehung.
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Nach alledem erschließt sich der Kammer nicht, auf Grund welcher besonderen
Umstände die Eheschließung kurz vor dem Ableben des Versicherten einen anderen
Zweck gehabt haben könnte als die Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung für die
Klägerin.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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