Urteil des SozG Dortmund vom 25.08.2003

SozG Dortmund: unbestimmte dauer, unfallfolgen, entschädigung, verwaltungsverfahren, entzug, einverständnis, berechtigung, astigmatismus, klagebegehren, zustand

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Dortmund, S 23 (11) U 116/02
25.08.2003
Sozialgericht Dortmund
23. Kammer
Urteil
S 23 (11) U 116/02
Unfallversicherung
nicht rechtskräftig
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 21. August 2002 wird aufgehoben. Die
Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer Verletztenrente.
Die 1978 geborene Klägerin erlitt am 15.08.1999 bei einem Wegeunfall eine dislozierte
komplette rechtsseitige Unterarmfraktur sowie eine perforierende Glassplitter-Verletzung
des linken Auges. Im ersten chirurgischen Gutachten von Dr. aus wurden die Unfallfolgen
mit einer sichtbaren Narbe über dem Griffelfortsatz der rechten Speiche, der endgradigen
Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes und der geringgradigen
Muskelminderung des rechten Oberarmes beschrieben sowie die die unfallfolgebedingte
MdE mit 20 v.H. seit dem 01.01.2000 und mit 10 v.h. seit dem 04.05.2000 eingeschätzt. Im
Gutachten der Augenärztin Dr. aus vom 22.05.2000 wurde wegen der Binde- und
Hornhautnarbe nach Kataraktoperation am linken Auge, der Regenbogenhaut
einklemmung hinter der Kunststofflinse, der zentralen Nachstarbildung bei deutlich
herabgesetzter Sehschärfe und des räumlichen Sehens sowie der Pseudophakie mit 20 v.
H. bewertet. Mit dem bestandskräftig geworde nen Bescheid vom 04.10.2000 übernahm die
Beklagte die Gesamt-MdE-Bewer tung von Dr. vom 25.05.2000 auf 40 v.H. seit dem
01.01.2000 und 30 v.H. ab 04.05.2000 nur teilweise bis zum 30.09.2003, sondern folgte
dem beratenden Chirurgen Dr. aus , der unter dem 10.08.2000 ab 01.10.2000 eine MdE um
20 v.H. empfohlen hatte und gewährte dementsprechend eine vorläufige Entschädigung.
Im zweiten Gutachten der Chirurgen Dr. und Dr. aus vom 18.01.2002 gelangten diese Ärzte
unter Berücksichtigung der am 22.05.2000 auf augenfachärztlichem Gebiet mit 20 v.H. auf
Dauer geschätzten MdE zusammen mit den Unfallfolgen der endgradig einge schränkten
Handgelenksbeweglichkeit rechts mit belastungsabhängigen Schmerzen und einer Teil-
MdE von unter 10 v.H. zu einer Gesamt-MdE von 20 v.h. Im zweiten augenärztlichen
Gutachten von Prof. Dr. und dem Oberarzt aus wurde die MdE wegen der parazentral
gelegenen Hornhautnarbe bei ungleichmäßiger Wölbung der Hornhaut und herabgesetzter
Sehschärfe der Fernsichtigkeit sowie der Notwendigkeit einer Lesebrille nach
Kunstofflinsenimplantation links mit 10 v.H. bewertet.
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Danach schätzte Dr. zusammen mit Dr. unter dem 30.04.2002 die Gesamt-MdE auf 10. v.h
...
Nach der mit Schreiben vom 02.05.2002 erfolgten Anhörung der Klägerin zum
beabsichtigten Auslaufen der Verletztenrente entzog die Beklagte mit Bescheid vom
17.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2002 die vorläufige
Entschädigung mit Wirkung zum 01.07.2002 und lehnte, gestützt auf die letztgenannten
Beurteilungen, die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Dauer wegen der
seitdem nicht mehr rentenberechtigenden MdE ab.
Gegen den am 29.08.2002 abgesandten Widerspruchsbescheid hat sich die Klägerin mit
der am 30.09.2002 erhobenen Klage gewandt. Wegen der Dauer beschwerden, nämlich
den erheblichen Schmerzen und der Kraftlosigkeit in der rechten Hand und dem Gelenk bei
Kältegefühl sowie der durch die Sehkraftminderung, der erheblichen Blendung und des
sich entwickelnden grauen Stars bestehenden Schwierigkeiten bei der Arbeit am Computer
lie ge weiterhin eine MdE von mindestens 20 v.H vor.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.08.2002 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält diese Bescheide auch im Hinblick auf das Ergebnis der gerichtlichen
Beweisaufnahme für rechtmäßig, weil die auf unfallchirurgischem Fachgebiet
eingeschätzte MdE von unter 10 v.H. als nicht messbar gelte und daher zu
augenärztlicherseits bestehenden MdE nicht addiert werden dürfe.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines chirurgischen
Sachverständigengutachtens, dass der Leiter der Unfallchirurgischen Abteilung des
Krankenhauses in am 19.03. und 24.06.2003 zusammen mit Dr. unter Berücksichtigung
eines augenfachärztlichen Zusatzgutachtens von Prof. Dr. und Ass.-Arzt , Augenklinik des
Krankenhauses in , vom 14.05.2003 erstattet hat. Der Sachverständige schätzt die Ge
samt-MdE auf 20 v.H., zusammengesetzt aus einer Teil-MdE von 15v.H. von Seiten der
Augen und von 5 v.H. chirurgischerseits, weil keine Überschneidung der Unfallfolgen
vorliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichts- und den der Unfallakten der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung waren,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über das Klagebegehren hat die Kammer ohne mündliche Verhandlung entschieden, weil
die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 17.06.2002 in
der Fassung des Wi derspruchsbescheides vom 21.08.2000 zu Unrecht der Klägerin die
Gewäh rung einer Verletztenrente auf unbestimmte Dauer gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 des
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Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) verweigert, die Klägerin wird hierdurch
beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichts gesetz - SGG -).
Aufgrund der gerichtlichen Beweisaufnahme ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt,
dass die bei der Klägerin seit dem Entzug der vorläufigen Verletztenrente zum 01.07.2002
noch vorliegenden Unfallfolgen eine renten berechtigende MdE um 20 v. H. (§ 56 Abs. 1
Satz 1 SGB VII) hervorgerufen haben, die die Berechtigung zum Bezug einer
Verletztenrente auf unbe stimmte Dauer zur Folge hat (§ 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Bei der Klägerin bestehen noch Unfallfolgen augenfachärztlicherseits am linken Auge im
Sinne einer Pseudophakie bei Hornhautnarbe mit dadurch bedingtem Astigmatismus,
reduzierte Sehschärfe mit möglicher Kontaktlinsenkorrektur und Gesichtsfeldeinschränkung
sowie ein eingeschränktes Dämmerungsehen und erhöhte Blendempfindlichkeit. Daneben
liegen unabhängig davon auf unfallchirurgischem Gebiet ein Zustand nach distaler
Unterarmfraktur rechts mit endgradiger Bewegungseinschränkung des rechten
Handgelenks sowie eine endgradig eingeschränkte Unterarmdrehbeweg lichkeit vor. Die
Kammer stützt sich dabei auf das augenfachärztliche Sachverständigengutachten von Prof.
Dr. und das unfall chirurgische Sachverständigengutachten von Prof. Dr ... Soweit es die
Beschreibung der Unfallfolgen an der rechten oberen Extremität angeht, weicht diese nicht
von der Einschätzung des im Wege des Urkundsbe weises gewürdigten, im
Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. nicht ab. Die Unfallfolgen am linken
Auge, wie sie von Prof. Dr. beschrieben werden, weichen allerdings vom Ergebnis des im
Verwaltungsverfahren eingeholten, ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises gewürdigten
Gutachtens von Prof. Dr. ab. Der gerichtliche Sachverständige hat allerdings im Gegensatz
zu Prof. Dr. darlegen können, dass sowohl die Blendempfindlichkeit als auch die
Gesichtsfeldeinschränkung und das erschwerte Dämmerungssehen wegen der
Hornhautnarbe als Unfallfolgen zu berücksichtigen sind. Die Kammer gibt dem
gerichtlichen Sachverständigengutachten wegen der vollständigeren Beschreibung der
Unfallfolgen auf augenfachärztlichem Gebiet den Vorzug.
Die von Seiten der Augen zu schätzende MdE beträgt 15 v.H. und nicht nur 10 v.H., wie
dies die Beklagte in ihrem Bescheid vom 17.06.2002 zugrunde gelegt hat. Sie setzt sich
zusammen aus der für die Hinterkammerlinsen pseudophakie links anzusetzenden MdE
von 10 v.H. und der hornhautbedingten Blendempfindlichkeit und
Gesichtsfeldeinschränkung von 5 v.H. Das Gericht folgt insoweit der eingehend
begründeten und überzeugenden Beur teilung des Sachverständigen Prof. Dr. , der die
Beklagte nicht entgegengetreten ist, und nicht der angesichts der unvollständigen
Beschreibung der Unfallfolgen unzutreffenden MdE-Bewertung auf 10 v.H. durch Prof. Dr ...
Die verbliebenen Unfallfolgen wegen der distalen Unterarmfraktur rechts sind zwar mit
weniger als 10 v.H. - so die übereinstimmende Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr.
und des Gutachters Dr. zu bewerten. Dies bedeutet aber nicht, dass sie als "nicht messbar"
und deshalb nicht berücksichtigungsfähig im Rahmen der Gesamt-MdE-Festset zung
anzusehen sind, wie dies die Beklagte unter Hinweis auf Rechtspre chung des
Bundessozialgerichts (BSG) zur Neufeststellung von Verletzten renten gemäß dem bis
31.12.1996 geltenden § 622 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) - ab 01.01.1997
gilt die gleichgelagerte Regelung des § 73 Abs. 3 SGB VII i.V.m. § 48 Abs. 1 des Zehnten
Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) - ausgeführt hat. Im vorliegenden Fall ist nicht
über die Neufeststellung einer Verletztenrente auf unbestimmte Dauer, sondern darüber zu
entscheiden, ob bei der erstmaligen Festsetzung eine Entschädigung auf unbestimmte
Dauer innerhalb von drei Jahren nach dem Unfall gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 SGG auch
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eine geringe Teil-MdE von weniger als 10 v.H. zu einer Erhöhung einer auf anderem
Fachgebiet ohne Überschneidung von Unfallfolgen vorliegenden Teil-MdE um 15 v.H. auf
20 v.H. führt. Die Kammer hält dies mit dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. für
geboten, weil die Folgen der rechtsseitigen Unterarmfraktur eben nicht lediglich mit 0 v.H.,
sondern mit mindestens 5 v.H. zu bewerten sind. Zwar bewirkt ein MdE-Grad in dieser
Höhe noch keine Stützrentenberechtigung im Sinne des § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB
VII, jedoch ist sie als Wert im Rahmen der Gesamt-MdE-Schätzung verwertbar. Jedenfalls
ist das Gericht der Auffassung, dass bei Vorliegen von Teil-MdE-Sätzen von 15 v.H.
einerseits und 5 v.H. andererseits eine Ge samt-MdE um 20 v.H. zutreffender ist, als
lediglich von einer nicht rentenberechtigendem MdE im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB
VII von unter 20 v.H. auszugehen. Die Auswirkungen der Unfallfolgen für die Klägerin
insgesamt sind als so schwerwiegend anzusehen, dass der Mindest
rentenberechtigungsgrad in dieser Höhe dadurch erreicht wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.