Urteil des SozG Dortmund vom 16.05.2002
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Sozialgericht Dortmund, S 8 KR 38/01
Datum:
16.05.2002
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 KR 38/01
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Untersuchung und
Behandlung der ..., geboren am ..., verstorben am ..., 1.556,02 Euro
nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 23.06.2000 zu zahlen. Die Beklagte trägt die
erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Höhe der der Klägerin anlässlich der vollstationären
Behandlung der bei der Beklagten versicherten zustehenden Behandlungskosten.
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Die bei der Beklagten Versicherte wurde am 17.05.2000 mit der Diagnose
Cholelythiasis mit Cholezystitis im Krankenhaus der Klägerin aufgenommen. Nach
Durchführung einer offen-chirurgischen Cholezystektomie verstarb die o.g. Patientin am
20.05.2000.
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Mit Rechnung vom 07.06.2000, bei der Beklagten eingegangen am 09.06.2000, machte
die Klägerin einen Betrag von 6.046,19 DM geltend; sie rechnete insoweit die
Fallpauschale 12.03 ab.
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Die Beklagte zahlte hierauf einen Betrag von 3.011,88 DM und erläuterte mit Schreiben
vom 12.07.2000, dass die Voraussetzungen der Fallpauschale 12.03 nicht erfüllt seien,
vielmehr von dem Sonderentgelt 12.10 und tagesgleichen Pflegesätzen auszugehen
sei.
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Mit weiteren Schreiben vom 12.07. und 26.07.2000 vertrat sie gegenüber der Klägerin
die Auffassung, dass die Fallpauschale gemäß § 14 Abs. 5 Nr. 2
Bundespflegesatzverordnung (BPflV) mangels Erbringung der Hauptleistung nicht
berechnet werden könne. Hinter dem Begriff der Hauptleistung verberge sich nicht allein
die Operationsleistung, sondern auch die präoperative und postoperative (pflegerische)
Leistung. Bei vorzeitiger Beendigung des bestimmten Krankheitsfalles durch Tod sei
statt der Fallpauschale das Sonderentgelt dann anzusetzen, wenn offensichtlich ist,
dass wesentliche und zur Fallpauschale gehörende Leistungsinhalte gar nicht mehr
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erbracht werden konnten.
Die Klägerin wies sodann unter dem 17.09.2000 darauf hin, dass eine Legaldefinition
des Begriffs "Hauptleistung" zwar nicht bestehe, maßgeblich aber die
Hauptleistungsbeschreibung im Katalog der Anlage 1 zur BPflV sei. Mithin definierten
die OPS-301, ICD-Codes und die textliche Beschreibung die Hauptleistung.
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Die Beklagte erwiderte abschließend, dass in Ermangelung einer Legaldefinition des
Terminus "Hauptleistung" ein Vergleich der Bewertungsrelationen der Fallpauschale mit
dem korrespondierenden Sonderentgelt und der für die Kalkulation der Fallpauschale
maßgeblichen Verweildauer mit den tatsächlichen Belegungstagen erforderlich sei.
Vorliegend sei die für die Fallpauschale maßgebende Verweildauer (11,38 Tage) bei
drei Belegungstagen deutlich unterschritten, die durchschnittliche Verweildauer der mit
der Fallpauschale 12.03 abgerechneten stationären Leistungen unterschreite die
Bewertungsrelation hingegen nicht.
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Mit der am 13.02.2001 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von 1.556,02
Euro. Sie ist der Auffassung, dass bei operativen Leistungen Hauptleistung die
Operation sei, mithin ein Ausschlusstatbestand im Sinne des § 14 Abs. 5 Satz 1 BPflV
nicht vorliege.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, für die Untersuchung und Behandlung der Patientin ...,
1.556,02 Euro nebst 2 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank
seit dem 23.06.2000 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist weiterhin der Auffassung, dass neben dem Fehlen einer Legaldefinition der
"Hauptleistung" auch keine Aussage des Gesetzgebers vorliege, dass die
Hauptleistung einer Fallpauschale mit einer Operation gleichzusetzen sei. Aufgrund
einer Minderleistung von mehr als 8 Tagen zwischen tatsächlichem
Behandlungsaufwand (drei Tage) und der für die maßgebliche Fallpauschale
ausgewiesenen Bewertungsrelation (11,38 Tage) seien wesentliche
Behandlungsleistungen nicht erbringbar gewesen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und
der Gerichtakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist als sogenannte echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, da die Beteiligten einander im
Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21.08.1996, Az.
3 RK 2/96). Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung
weiterer 1.556,02 Euro aus Anlass der stationären Behandlung der Versicherten.
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Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus den §§ 10 Abs. 1 Nr.1, 11 Abs. 1, 14 Abs. 4
der Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze
(Bundespflegesatzverordnung -BPflV) vom 26. September 1994 (BGBl I S 2750) in der
Fassung der vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) in Verbindung mit der
Fallpauschale 12.03 des bundesweiten Fallpauschalen-Katalogs für Krankenhäuser
nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 4 BPflV.
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Als Behandlungsfall der Fallpauschale 12.03 findet sich die offen-chirurgische
Cholezystektomie als Therapie einer diagnostizierten Cholezystitis bzw.
Cholezystolithiasis. Die Leistungsbeschreibung des Entgeltkataloges findet sich im zu
beurteilenden Behandlungsfall einschließlich Operationsschlüssel (OPS-301) und
Diagnose (ICD- 10 SGB V) vollständig abgebildet.
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Dem Anspruch der Klägerin steht die Regelung des § 14 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BPflV nicht
entgegen. Danach wird eine Fallpauschale nicht berechnet, wenn eine Behandlung vor
Erbringung der Hauptleistung beendet wird.
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Die Voraussetzungen dieses Ausschlusstatbestandes liegen nicht vor, da die Klägerin
die Hauptleistung erbracht hat. Eine Legaldefinition existiert, wie von den Beteiligten
übereinstimmend dargetan, nicht. Das Gericht sieht mit der Durchführung der Operation
(Cholezystektomie) die Hauptleistung als erbracht an.
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Dies ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass die Fallpauschale 12.03 in der
Leistungsbeschreibung neben der Operation keine weiteren die zu erbringende
(Gesamt-) Leistung näher qualifizierende Merkmale oder (Einzel-) Leistungen nennt
(z.B. keinen Mindestaufenthalt und keine anderen Bedingungen für den Abschluss des
Behandlungsfalls). Auch nach dem Willen der Beteiligten dürfte die Operation als solche
unzweifelhaft im Mittelpunkt der stationären Behandlung gestanden haben.
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Die Argumentation der Beklagten verkennt, dass § 14 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BPflV nicht
verlangt, dass die (Gesamt-) Leistungen überwiegend erbracht wurden. Dies würde im
Übrigen bei konsequenter Weiterführung der Argumentation dazu führen, dass nur
solche Fälle von einer Fallpauschale erfasst würden, in denen mindestens 50% aller
Leistungen erbracht wurden. Die sodann erforderliche Berechnung im Einzelfall würde
dem Willen einer pauschalierenden Betrachtung zuwider laufen.
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Die Beklagte legt zwar nachvollziehbar dar, dass grundsätzlich auch präoperative und
postoperative Maßnahmen einen Behandlungsfall charakterisieren, macht aber schon
durch diese Wortwahl deutlich, dass die Operation Ziel- bzw. Ausgangspunkt sämtlicher
weiterer Leistungsinhalte ist.
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Offenbar hat der Verordnungsgeber im Übrigen in Konstellationen wie der diesem
Verfahren zu Grunde liegenden keinen Bedarf für eine Ausnahmeregelung gesehen.
Die Regelung des § 14 Abs. 7 BPflV mit der Möglichkeit einer über die Fallpauschale
hinausgehenden Abrechnung bei die Grenzverweildauer überschreitenden
Verweildauern im Einzelfall macht deutlich, dass der Verordnungsgeber besondere
Konstellationen in seine Überlegungen mit einbezogen hat. Eine die Abrechenbarkeit
von Fallpauschalen einschränkende Vorschrift wäre ebenso denkbar wie möglich
gewesen, ohne dass sich der Verordnungsgeber zu einer solchen Regelung
entschieden hätte, obgleich es sich um eine in der Praxis immer wieder vorkommende
Situation handeln dürfte, dass Patienten alsbald nach Durchführung einer Operation
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versterben. Die Argumentation der Beklagten findet somit weder im Wortlaut der BPflV
noch im erkennbaren Willen des Verordnungsgebers eine hinreichende Stütze.
Es sei ergänzend darauf verwiesen, dass in der einschlägigen Kommentarliteratur (vgl.
etwa Scheinert u.a., Handbuch zur Abrechnung von Krankenhausleistungen,
Fallpauschalen und Sonderentgelten, Teil I, Kapitel 2.3.1.2.1 und das abgebildete
Abrechnungsbeispiel sowie Dietz/Bofinger u.a., Krankenhausfinanzierungsgesetz,
Bundespflegesatzverordnung und Folgerecht, Anm. 5 zu § 14 BPflV) regelmäßig davon
ausgegangen wird, dass bei operativen Leistungen Hauptleistung die Operation selbst
ist.
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Auch das Bundessozialgericht geht im Fall einer Cholezystektomie ohne weitere
Problematisierung davon aus, dass Hauptleistung die Gallenblasenoperation war, wenn
es ausführt: " ... Da die Abrechnung mit einer Fallpauschale nach den in § 14 Abs 5 Satz
1 und 2, Abs 11 Satz 1 BPflV geregelten Fallgestaltungen immer davon abhängt, ob
bzw in welchem Krankenhaus die Hauptleistung erbracht wird, ist grundsätzlich deren
Zeitpunkt - hier der Zeitpunkt der Gallenblasenoperation - maßgebend ..."
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Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem maßgeblichen Landesvertrag nach § 112 Abs. 2
Nr. 1 SGB V. Forderungen sind nach dessen § 15 Abs. 1 Satz 4 mit 2 v.H. über dem
jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen. Ab 1. Januar 1999 ist
die Vertragsbestimmung aufgrund der geänderten währungsrechtlichen Rechtslage in
modifizierter Weise anzuwenden. Seit dem 1. Januar1999 gibt es keinen Diskontsatz
der Deutschen Bundesbank mehr. Der Diskontsatz ist durch § 1 Diskontsatz-
Überleitungs-Gesetz (DÜG = Art 1Euro-Einführungsgesetz (EuroEG) vom 9. Juni 1998,
vgl. BGBl 1998 I S 1242 und BGBl 2000 I S 901) zum 1. Januar 1999 durch den sog
Basiszinssatz ersetzt worden, der von der Deutschen Bundesbank - ebenso wie bis
dahin der Diskontsatz - jeweils im Bundesanzeiger veröffentlicht wird (§ 1 Abs. 1 Satz 6
DÜG). Jede Bezugnahme auf den Diskontsatz der Deutschen Bundesbank im Rahmen
von Regelungen über Zinsen oder andere Leistungen wird ab 1. Januar 1999 durch
eine Bezugnahme auf den Basiszinssatz von Gesetzes wegen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 DÜG)
ersetzt. Bezugsgröße für den Basiszinssatz ist nach der Basiszinssatz-Bezugsgrößen-
Verordnung vom 10. Februar 1999 (BGBl I 139) der Zinssatz für längerfristige
Refinanzierungsgeschäfte der Europäischen Zentralbank (LRG-Satz); vgl. hierzu
Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl. 2000, § 245 RdNr. 9.
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Der Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 183, 193 SGG.
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