Urteil des SozG Dortmund vom 06.11.2003
SozG Dortmund: gemeinschaftspraxis, gemeinsames konto, formelles gesetz, schuldübernehmer, verrechnung, schuldbeitritt, zivilrecht, vergleich, öffentlich, verbindlichkeit
Sozialgericht Dortmund, S 14 KA 178/00
Datum:
06.11.2003
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 14 KA 178/00
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Tatbestand:
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Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Übertragung einer Schuld eines
der Partner der Gemeinschaftspraxis auf das Konto der Gemeinschaftspraxis streitig.
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Ab dem 01. Juni 1999 führte der Kläger unter der Arztnummer 19 1 eine radiologische
Gemeinschaftspraxis mit dem Arzt Dr.ir.P (Kläger zu 2). Zuvor waren die beiden Partner
mit einer Einzelpraxis zugelassen. Bei Dr. P waren bis zur Gründung der
Gemeinschaftspraxis erhebliche Schuldsaldi aufgelaufen. lm Kontoauszug für das
Quartal 1/99 ist ein Betrag in Höhe von 81.289,82 DM ausgewiesen. Dieser
Schuldsaldo, erhöht um die Lastschriften des Quartals 2/99 der Einzelpraxis P, wurde in
den Quartalen 2/99 bis 4/99 auf das Konto der Gemeinschaftspraxis übertragen. Die
Beklagte unterrichtete die Gemeinschaftspraxis der Kläger mit Schreiben vom
27.09.1999 über die Übertragung. In dem Schreiben wurde auch mitgeteilt, dass die
Schuld in Raten von 8 Monaten vom Honorar der Gemeinschaftspraxis einbehalten
werde.
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Mit Schreiben vom 10.11.1999, 11.02.2000 und 15.05.2000 legten die Kläger
Widersprüche gegen die Honorarbescheide 2/99, 3/99 und 4/99 ein, die sie wie folgt
begründen: Die Verrechnung und Einbehaltung eines Betrages in Höhe von 10.000,-
DM je Quartal wegen des gegen Herrn Dr. P bestehenden Anspruches sei rechtswidrig.
Der Kläger zu 1 habe bis zum Ablauf des 31.05.1999 allein eine radiologische Praxis in
C geführt, Dr. P ebenso. Dementsprechend habe jeder allein an der vertragsärztlichen
Versorgung teilgenommen und gemäß § 85 Abs. 4 Sozialgesetzbuch V (SGB V) einen
Anspruch auf die Teilhabe an der Gesamtvergütung gehabt. Die Gründung der
Gemeinschaftspraxis stelle eine Zäsur dar. Die Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform
einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts selbst habe deshalb seit dem 01.06.1999
einen Anspruch auf eine Teilhabe an der Vergütung. Die Gemeinschaftspraxis sei somit
ein neues Rechtssubjekt. Dies werde bereits daran deutlich, dass sie eine neue
Vertragsarztnummer erhalten habe.
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Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.2000 zurück.
Sie führt aus: Der Vortrag der Kläger beziehe sich auf § 719 Abs. 2 BGB. Nach dieser
Vorschrift kann der Schuldner gegen eine Forderung, die zum Gesellschaftervermögen
gehöre, nicht mit einer ihm gegen einen einzelnen Gesellschafter zustehende
Forderung aufrechnen. Diese Vorschrift könne aber nicht auf die kassenärztlichen
Abrechnungsverhältnisse übertragen werden. Anderenfalls wäre es möglich, dass sich
der Schuldner der Kassenärztlichen Vereinigung in Fällen der Honorarrückforderung
seiner Schulden entziehen könnte, indem er eine Gemeinschaftspraxis gründen und
dann auf die Unteilbarkeit der gemeinschaftlichen Honorarforderungen verweisen
würde.
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Gegen den Widerspruchsbescheid, der am 23.08.2000 zugestellt worden ist, haben die
Kläger am 25.09.2000 Klage erhoben.
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Sie tragen vor: Die Verrechnung der Schuldsaldi des Dr. P mit Honoraransprüchen der
Gemeinschaftspraxis Dres. L/P sei rechtswidrig. Die Beklagte bedient sich im Wege der
Honorarverteilung und aus dem Abrechnungsverhältnis mit den Klägern vorrangig und
umgehe in unzulässigerweise die Regelungen der lnsolvenzordnung (InsO). Nach § 87
der InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften der
Insolvenzordnung verfolgen. Die hierfür maßgebliche Zäsur sei die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens gemäß § 80 Abs. 1 InsO. Von der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Dr. P sei die Beklagte durch das
Schreiben des Insolvenzverwalters vom 14.05.1999 informiert worden. Zum Zeitpunkt
des Insolvenzverfahrens bestand eine Aufrechnungslage allein zwischen der Beklagten
und Dr. P. Deshalb sei die Beklagte insoweit als Insolvenzgläubigerin anzusehen und
könne die Forderung gegen Dr. P nicht gegen die Gemeinschaftspraxis geltend
machen.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid der Beklagten für die Quartale 2/99, 3/99 und 4/99 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 09.08.2000 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor: Der Eintritt des Dr. P in die Praxis des Klägers, verbunden mit der
vertraglichen Bindung einer Gemeinschaftspraxis, sei wie ein Schuldbeitritt zu werten,
mit der Folge, dass sich auch der Kläger die Altschulden des Dr. P anrechnen lassen
müsste. Deshalb würden Schulden, die nur ein Mitglied der Gemeinschaftspraxis
betreffen, auf das Konto der Gemeinschaftspraxis gebucht.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten über die Sach- und
Rechtslage wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der
Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Die Honorarbescheide der Beklagten für die Quartale 2/99 bis 4/99 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 09.08.2000 sind rechtmäßig und beschweren die Kläger
nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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Nach Auffassung des Gerichts hat die Beklagte nicht rechtswidrig gehandelt, als sie die
Altschulden des Dr. P (81.289,82 DM) auf das Konto der klägerischen
Gemeinschaftspraxis übertragen und dann in Raten mit den Honoraransprüchen der
Gemeinschaftspraxis für die streitigen Quartale verrechnet hat.
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Rechtsgrundlage für die Übertragung der Schuld des Dr. P auf die Gemeinschaftspraxis
sind die §§ 414, 415 des bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in analoger Anwendung. Im
Rahmen dieser Vorschriften über die Schuldübernahme ist die Rechtsfigur des
Schuldbeitritts entwickelt worden. Sie hat zum Inhalt, dass der Mitübernehmer - in
diesem Fall die Gemeinschaftspraxis - neben den bisherigen Schuldner - hier Dr. P - tritt
und beide zu Gesamtschuldnern werden. Im Zivilrecht wird der Schuldbeitritt
überwiegend durch einen Vertrag zwischen dem Schuldübernehmer und dem Gläubiger
begründet. Anerkannt sind aber auch hier Formen des gesetzlichen Schuldbeitritts
(Jauernig, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vorbemerkung zu den §§ 414 ff
Anm. 2). Bei einer analogen Anwendung dieser Vorschriften im Vertragsarztrecht, das
zum öffentlich-rechtlichen Normenkreis gehört, muss der nichtrechtsgeschäftliche
Schuldbeitritt nicht nur durch ein formelles Gesetz, sondern auch durch Satzungsrecht
begründet werden können. Das Recht der Beklagten, die Gemeinschaftspraxis zum
Mitübernehmer der Altschuld des Dr. P zu machen, beruht auf der Befugnis, die
Honorarabrechnungen und Honorareinbehaltungen in eigener Satzungskompetenz zu
regeln. Ermächtigungsnorm hierfür ist § 81 Abs. 1 Nr. 4 des Sozialgesetzbuches V.
Aufgrund der sich hieraus ergebenden Normsetzungsbefugnis hat die Beklagte
Regelungen für die Honorarabrechnung aufgestellt. Zu diesen gehört unter anderem,
dass für eine Gemeinschaftspraxis nur eine Arztnummer ausgegeben und nur ein
gemeinsames Konto eingerichtet wird. Wegen der Besonderheiten in der
vertragsärztlichen Abrechnung ist bei der Gründung der Gemeinschaftspraxis häufig
nicht überschaubar, ob das Honorarkonto aus der früheren Einzelpraxis des
Gemeinschaftspartners im Plus oder im Minus steht. Das stellt sich vielfach erst nach
der Gründung der Gemeinschaftspraxis heraus. Der Grund hierfür ist die "Vorläufigkeit"
der Honorarbescheide. Ihre Verbindlichkeit beginnt nicht mit der Bekanntgabe, sondern
erst nach der Überprüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Da somit häufig die Schuld eines Gemeinschaftspartners aus der Zeit der Einzelpraxis
erst nach Gründung der Gemeinschaftspraxis verbindlich feststeht, kommt es
grundsätzlich zu einer gesamtschuldnerischen Haftung (§§ 421 ff BGB), die auch die
Gemeinschaftspraxis mit einbezieht. Die Übertragung des Regelungsinhalts der §§ 414,
415 BGB auf die Honorarabrechnung führt nicht zu einem unbilligen Ergebnis für den
Schuldübernehmer (Gemeinschaftspraxis), wenn die Kassenärztlich Vereinigung
(Beklagte) die Übertragung der Altschuld auf das Konto der Gemeinschaftspraxis durch
Verwaltungsakt vornimmt, wie es in diesen Fall durch das Schreiben vom 21.09.1999
geschehen ist. Die Rechtsmittel des Verwaltungsaktes ermöglichen es dem
Schuldübernehmer alle Einwendungen, die sich aus dem Altschuldverhältnis ergeben,
der Kassenärztliche Vereinigung entgegenzuhalten. Eine Schlechterstellung des
Schuldübernehmers im Vergleich zum Zivilrecht ist damit ausgeschlossen.
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Der § 719 Abs. 2 BGB, auf den sich die Kläger berufen, ist nicht einschlägig. Die
Schuldbeitrittswirkung und die gesamtschuldnerische Haftung der Gemeinschaftspraxis
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schaffen eine Rechtslage, die dem Aufrechnungsverbot gegen die Forderung des
einzelnen Gesellschafters (Gemeinschaftspartners) die Voraussetzungen entzieht. Die
Beklagte konnte daher gemäß § 8 Abs. 3 der Abrechnungsrichtlinien die Altschuld des
Dr. P mit den Abschlagszahlungen an die Gemeinschaftspraxis verrechnen.
Dieser Verrechnungsvorgang ist keine Umgehung der Regelungen der
Insolvenzordnung. § 87 InsO ist bei dieser Sach- und Rechtslage nicht anwendbar.
Durch die Gründung der Gemeinschaftspraxis ist im Vergleich zu den Einzelpraxen eine
Statusänderung eingetreten und es ist dadurch ein neuer Rechtsträger entstanden. Die
Beklagte hat gegen den neuen Rechtsträger (Gemeinschaftspraxis) eine Forderung aus
den §§ 414, 415 in Verbindung mit § 421 BGB, die nicht zu dem vom Insolvenzverfahren
erfassten Vermögen des Dr. P gehört. Die daneben bestehende Forderung der
Beklagten wegen der Altschuld gegen Dr. P ist durch die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens in das Insolvenzvermögen gefallen. Diese Forderung ist aber nicht
die Grundlage für die hier streitige Verrechnung. Die Reichweite des § 87 InsO bezieht
sich nicht auf die Forderung der Beklagten gegen die Gemeinschaftspraxis. Das ergibt
sich aus dem Normzweck des § 87 InsO. Dieser soll nur verhindern, dass ein Gläubiger
des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusätzlich gegen den
Insolvenzschuldner Klage erhebt oder erheben will (Braun, Kommentar zur InsO zu § 87
Anm. 1).
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Dementsprechend konnte dem Begehren der Kläger nicht entsprochen werden. Die
Klage war daher abzuweisen.
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