Urteil des SozG Dortmund vom 05.09.2008

SozG Dortmund: eltern, begriff, einkünfte, vormundschaft, hauptsache, eigenschaft, kreis, haushalt, niedersachsen, ausnahme

Sozialgericht Dortmund, S 47 AY 191/08
Datum:
05.09.2008
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
47. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 47 AY 191/08
Sachgebiet:
Sonstige Angelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen
Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit von Juli
2008 bis Oktober 2008 Leistungen nach § 3
Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 192,41 EUR zu gewähren. Im
Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Kosten des Rechtsstreites
werden der Antragsgegnerin auferlegt. Dem Antragsteller wird
Prozesskostenhilfe bewilligt und zu seiner Vertretung Rechtsanwalt xxx
beigeordnet.
Gründe:
1
I.
2
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller Leistungen nach § 3
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in einem höheren Umfang als 6,99 EUR
monatlich beanspruchen kann.
3
Der xxx geborene Antragsteller erhielt unter dem 02.10.2008 eine Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz durch den Kreis xxx als Ausländerbehörde
nachdem er am 01.03.2008 von xxx in das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin
umgesiedelt war.
4
Nach Angaben des Antragsteller erfolgte die Übersiedlung in das Gemeindegebiet der
Antragsgegnerin, weil der Antragsteller hier eine Therapie durchführt, die im
Zusammenhang damit steht, dass seine Eltern bei der Tsunami-Katastrophe im Jahre
2005 ums Leben gekommen sind.
5
Der Antragsteller lebt in einer Wohnung zusammen mit seiner Tante xxx xxx, die durch
Beschluss des Amtsgerichtes xxx vom 17.11.2006 (Az.: 5 VII 6/05) zum Vormund des
Antragstellers bestellt worden ist. Ebenfalls im Haushalt lebt die minderjährige Tochter
von Frau xxx
6
Mit Bescheid vom 17.03.2008 bewilligte die ARGE für den Kreis xxx Frau xxx und ihrer
7
Tochter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für
Arbeitssuchende - (SGB II) in Höhe von 877,33 EUR für die Zeit vom 01.03.2008 bis
zum 31.05.2008.
Mit an Frau xxxx gerichteten Bescheid vom 15.05.2008 bewilligte die Antragsgegnerin
monatliche Leistungen nach dem AsylbLG in Höhe von 14,00 EUR für den Monat Mai
2008. In der dem Bescheid beigefügten Bedarfsberechnung führte die Antragsgegnerin
aus, bei dem Antragsteller bestehe ein Bedarf nach dem AsylbLG in Höhe von 360,07
EUR. Hierauf seien Einkünfte in Höhe von 346,07 EUR von Familienangehörigen
anzurechnen, so dass sich ein Bedarf an laufender Hilfe von 14,00 EUR ergebe.
8
Gegen den Bescheid legte Frau xxx Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie
ausführte, es sei nicht nachvollziehbar, dass auf den Gesamtbedarf des Antragstellers
von 360,07 EUR ein Einkommen in Höhe von 346,07 EUR angerechnet worden sei. Der
Antragsteller verfüge über kein eigenes Einkommen. Die Leistungen nach dem SGB II
benötige Frau xxx für ihren eigenen Unterhalt und den ihrer Tochter. Überschießendes
Einkommen sei nicht vorhanden.
9
Mit Bescheid vom 18.06.2008, der ebenfalls an Frau xxx gerichtet war, bewilligte die
Antragsgegnerin für den Monat Juli 2008 nur noch 6,99 EUR an Leistungen nach dem
AsylbLG. Aus der dem Bescheid beigefügten Bedarfsberechnung ging hervor, dass die
Antragsgegnerin von einem Bedarf für den Antragsteller in Höhe von 360,07 EUR
ausgegangen war, auf den sie ein Einkommen von 353,08 EUR anrechnete.
10
Mit weiterem Bescheid vom 26.06.2008 bewilligte die Antragsgegnerin auch für den
Monat August 2008 einen Betrag von 6,99 EUR. Auch diesen Bescheid richtete sie an
Frau xxx.
11
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2008 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 15.05.2008 mit der Begründung zurück, die Einkünfte bzw.
Bezüge der Widerspruchsführerin Frau xxx seien als Familieneinkünfte nach § 7 Abs. 1
AsylbLG einzustufen, da es sich bei den monatlichen Bezügen der Frau xxx um
Leistungen nach dem SGB II handele. Diese Leistungen seien nach einem Erlass des
Innenministeriums als anrechenbare Einkünfte im Sinne des § 7 Abs. 1 AsylbLG zu
behandeln. Insoweit seien die Bezüge von Frau xxx auf die Leistungen des
Antragstellers nach dem AsylbLG abzugsfähig anzurechnen.
12
Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 03.07.2008 wies die Antragsgegnerin mit
gleicher Begründung auch den zwischenzeitlich eingelegten Widerspruch gegen den
Bescheid vom 18.06.2008 zurück. Am 14. Juli 2008 hat Frau xxx sowohl Klage erhoben
als auch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, wobei sie
später klarstellte, dass sie den Antrag in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des
Antragstellers für diesen gestellt hat.
13
Der Antragsteller trägt, gesetzlich vertreten durch Frau xxx zur Begründung des
Eilantrages vor, Frau xxx habe ihn bei sich aufgenommen, nachdem seine Eltern bei der
Tsunami-Katastrophe im Jahre 2005 ums Leben gekommen seien. Bei ihrer
Bescheiderteilung über Leistungen nach dem AsylbLG habe die Antragsgegnerin
fehlerhaft die Leistungen nach dem SGB II an Frau xxx als Einkommen des
Antragstellers angesehen.
14
Zur Definition des Einkommens könne beispielhaft auf § 10 SGB II bzw. § 82 SGB XII
zurückgegriffen werden, wonach als Einkommen zu berücksichtigen seien Einnahmen
in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach SGB II bzw. SGB XII.
Bereits daraus ergebe sich, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf
Leistungen nach § 3 AsylbLG nicht anzurechnen seien. Eine andere Auffassung führe
zu einem Verstoß gegen Artikel 1 und Artikel 3 des Grundgesetzes. Frau xxx erhalte für
sich und ihre 19xx geborene Tochter nur Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes in Höhe von insgesamt 883,33 EUR. Darin seien Kosten für
Unterkunft und Heizung in Höhe von 321,33 EUR enthalten, so dass nur ein Betrag in
Höhe von 562,00 EUR zum Leben verbleibe. Rechne man die dem Antragsteller
bewilligte Leistung nach dem AsylbLG in Höhe von rund 7,00 EUR noch hinzu, so
verbliebe Frau xxx für drei Personen jeweils nur noch ein Betrag von 190,00 EUR zur
Bestreitung des gesamten Lebensunterhaltes. Von diesem Betrag könne keine
körperlich erwachsene Person unterhalten werden, soweit es den Erwerb von Nahrung,
Kleidung, Mitteln für den Schulbesuch und Teilhabe am sozialen Leben gehe. Hiervon
könne der Antragsteller nicht menschenwürdig auf Mindestniveau existieren. Der Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei auch wegen der besonderen Dringlichkeit
des Falles zulässig. Frau xxx sei aufgrund der angegriffenen Bescheide nicht in der
Lage, sich, ihre Tochter und den Antragsteller zu unterhalten und zu ernähren. Sie sei
auf permanente Kleinkredite angewiesen, die sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen
Situation nicht zurückführen könne.
15
Der Antragsteller beantragt nunmehr noch,
16
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab
sofort vorläufig Leistungen nach dem AsylbLG in Höhe von 199,40 EUR monatlich zu
gewähren.
17
Die Antragsgegnerin beantragt,
18
den Antrag abzulehnen.
19
Sie hält an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest und
verweist auf einen Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom
30.05.2005, in dem das Ministerium ausgeführt habe, Leistungen nach den
Sozialgesetzbüchern II und XII seien als Einkommen von Familienangehörigen gemäß
§ 7 AsylbLG zu behandeln.
20
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen.
21
II.
22
Der Eilantrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2
Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang auch begründet.
23
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine Einstweilige Anordnung
zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitiges Rechtsverhältnis
nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die einstweilige Anordnung dient damit lediglich der Sicherung von Rechten
24
eines Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf grundsätzlich nicht die Ent-
scheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Eine Ausnahme wird in der sozialgericht-
lichen Rechtsprechung für den Fall anerkannt, dass ohne einstweilige Anordnung ein
wirksamer Rechtsschutz in der Hauptsache nicht erreicht werden kann und dies im
Interesse des Antragstellers unzumutbar wäre (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005, §
86 b Rn. 31 m. w. N.).
Gemäß § 86 b SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) hat der
Antragsteller glaubhaft zu machen, dass ihm der umstrittene und zu sichernde Anspruch
zusteht (Anordnungsanspruch) und die Regelung eines vorläufigen Zustandes nötig er-
scheint (Anordnungsgrund). In den Fällen der Vorwegnahme der Hauptsache -wie hier-
sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und -grund strenge
Anforderungen zu stellen.
25
Dabei stellt Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz besondere Anforderungen an die
Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr
zu beseitigen wären (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom
12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05).
26
Wird daher über einen Eilantrag anhand einer Prüfung der mutmaßlichen
Erfolgsaussicht in der Hauptsache entschieden, muss das besondere Gewicht
grundrechtlich geschützter Begehren der Antragsteller ausreichend gewürdigt werden.
27
Hieraus folgt, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf
Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es um die Beurteilung der
Hilfebedürftigkeit der Antragsteller geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt
werden darf. Umstände in der Vergangenheit dürfen insoweit herangezogen werden, als
sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers
ermöglichen (vgl. Bundesverfassungs- gericht a.a.O).
28
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt sowohl ein Anordnungsanspruch als auch
ein Anordnungsgrund vor.
29
Zu Unrecht ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass die Einkünfte von Frau
xxx und ihrer Tochter nach dem SGB II als Einkommen anzusehen sind, das auf die
Ansprüche des Antragstellers nach § 3 AsylbLG anzurechnen ist.
30
Nach § 7 Abs. 1 AsylbLG sind Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden
kann, von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben
Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach dem AsylbLG aufzubrauchen.
31
Fraglich ist insoweit bereits, ob Frau xxx und ihre Tochter Familienangehörige des
Antragstellers im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sind.
32
Der Begriff des Familienangehörigen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ist streitig.
Der insoweit vertretenen engen Auffassung zu Folge sind hiervon nur der Ehegatte und
die minderjährigen Kinder des Leistungsberechtigten erfasst, während nach dem weiten
Verständnis des Begriffes - über den Ehegatten und die minderjährigen Kinder hinaus -
alle Verwandten und Verschwägerten der Leistungsberechtigten gleich welchen Grades
33
erfasst sein sollen (vgl. zuletzt Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom
19.06.2007, L 7 AY 80/06). Für den weiten Begriff des Familienangehörigen hat sich
zunächst das Oberverwaltungsgericht NRW (Urteil vom 01.03.2004, Az.: 12 A 3543/01
ausgesprochen und zur Begründung ausgeführt, das AsylbLG definiere den Begriff des
Familienangehörigen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht. Für die weite
Auslegung, die über die Ehegatten oder minderjährigen Kinder hinaus auch weitere
Angehörige des Leistungsberechtigten umfasse sprächen § 2 Abs. 2 AsylbLG 1993 und
der 1998 eingefügte § 1 a AsylbLG. Aus dem Umstand, dass § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG
1993 bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG 1997 nur Ehegatten oder minderjährige Kinder
eines leistungsberechtigten Ausländers nenne, könne nicht geschlossen werden, dass
das AsylbLG generell nur diesen Personenkreis meine, wenn es von
Familienangehörigen spreche. Wenn dem so wäre, hätte es des Zusatzes "im Sinne des
§ 1 Abs. 1 Nr. 3" in § 2 Abs. 2 AsylbLG 1993 bzw. "nach § 1 Abs. 1 Nr. 6" in § 1 a
AsylbLG 1998 nicht bedurft. Das der Gesetzgeber diesen Zusatz für erforderlich
gehalten habe, zeige, dass er von einem weiter gefassten Begriffsverständnis des
Angehörigen ausgegangen sei. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch würden als
Familienangehörige auch Verwandte, wie die Großeltern oder Onkel und Tante sowie
Schwager und Schwägerin bezeichnet, wenn auch unter Familie nicht selten die aus
Eltern und ihren minderjährigen Kindern bestehende kleine Familie verstanden werde.
Auch im Zusammenhang anderer gesetzlicher Bestimmungen werde der Begriff des
Familienangehörigen im weiteren Sinne verstanden. Zudem müsste der
Gesetzeszweck, Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gegenüber
Leistungsberechtigten nach dem Bundessozialhilfegesetz herabzustufen und
strengeren Beschränkungen zu unterwerfen, auch bei der Auslegung des § 7 AsylbLG
Rechnung getragen werden.
Diesen und weiteren Erwägungen des OVG Nordrhein-Westfalen ist das
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 19.06.2007 (L 11 AY
80/06) überzeugend entgegengetreten. Das Landessozialgericht Niedersachsen-
Bremen hat insoweit maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte des AsylbLG
abgestellt. Es hat darauf hingewiesen, dass die Vorläuferregelungen zum AsylbLG in §
120 BSHG a. F. geregelt gewesen sei, so dass auch der dem BSHG zugrunde liegende
Familienbegriff maßgebend sei. § 120 habe Leistungen für die aus den Eltern und ihren
minderjährigen Kindern bestehende Bedarfsgemeinschaft vorgesehen, also den engen
Familienbegriff zugrunde gelegt. Auch nach § 19 Abs. 1 SGB XII sei der Kreis der im
Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigenden Personen auf die nicht
getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die zum Haushalt gehörenden
minderjährigen unverheirateten Kinder beschränkt. Volljährige Kinder oder sonstige
Verwandte seien von dieser Regelung nicht erfasst. Der Gesetzgeber habe es
unterlassen, durch die Formulierung im § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG oder durch tragfähige
Ausführungen in den Gesetzesbegründungen hinreichend deutlich zu machen, dass er
im Gegensatz zu den sozialhilferechtlichen Regelungen von einem weiten Begriff des
Familienangehörigen in § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG im Rahmen der Bedarfs- bzw.
Einstandsgemeinschaft ausgehen wolle. Der enge Begriff der Familienangehörigen
widerspreche auch nicht den mit dem AsylbLG verfolgten Zweck, etwa den Anreiz zur
Einreise von Ausländern aus wirtschaftlichen Gründen zu verringern, ein eigenes
Konzept zur Sicherung des Lebensbedarfs zu entwickeln und Regelungen über die
Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen. Die
deutlich unter das Sozialhilfeniveau abgesenkten Leistungen, der Vorrang von
Sachleistungen im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach § 3, die weitgehend
ungeschützte Anrechnung von Einkommen und Vermögen nach dem AsylbLG
34
unterschieden sich auch dann noch erheblich von den Regelungen des
Sozialhilferechts, wenn der Gesetzesanwendung des § 7 AsylbLG ein enger
Familienbegriff zugrunde gelegt werde. Es sei daher nicht zutreffend, wenn das OVG
NRW davon ausgehe, dass unter Berücksichtigung des Gesetzeszweckes eine weite
Auslegung des Familienangehörigenbegriffes in § 7 geboten sei.
Dieser Auffassung schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung und Überzeugung
an und gelangt im vorliegenden Fall zu der Schlussfolgerung, dass Frau xxx nicht als
Familienangehörige des Antragstellers im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 anzusehen ist.
Das sie sich bereit erklärt hat, die Vormundschaft für den Antragsteller zu übernehmen,
weil dessen Eltern mutmaßlich ums Leben gekommen sind, führt nicht zu einem
anderen Ergebnis. Anderenfalls würde die Bereitschaft, für ein elternloses Kind die
Vormundschaft zu übernehmen, in der hier vorliegenden Konstellation dazu führen,
dass die Leistungen des Haushaltes vom Niveau der Grundsicherung für
Arbeitssuchende nach dem SGB II für sämtliche Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft
auf das Niveau der Asylbewerberleistungen nach § 3 herabgesenkt würden. Dies dürfte
mit dem Gesetzeszweck der §§ 3 und 7 unter Berücksichtigung der Besonderheiten des
Vormundschaftsrechtes, das nicht zu einer Elternschaft führt, nicht vereinbar sein. Durch
die Vormundschaft wird Frau xxx den Eltern des Antragstellers nicht in vollem Umfang
gleichgestellt. Dass sie bereit ist, sich eines minderjährigen Kindes anzunehmen,
dessen Eltern mutmaßlich ums Leben gekommen sind, darf nicht dadurch sanktioniert
werden, dass ihre Sozialleistungen auf das Niveau des AsylbLG herabgesetzt werden.
Eine andere Auslegung würde die Gefahr heraufbeschwören, dass es zu der
gesellschaftlich erwünschten Übernahme einer Vormundschaft erst gar nicht kommt
bzw. eine solche abgebrochen wird. Ist Frau xxx aber nicht Familienangehörige des
Antragstellers im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 des AsylbLG, können ihre Einkünfte nach
dem SGB II die Ansprüche des Antragstellers aus § 3 Abs. 1 AsylbLG nicht mindern.
35
Es liegt auch ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit vor, weil es dem
Antragsteller mit dem ihm zuerkannten Betrag von 6,99 EUR monatlich nicht möglich ist,
seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
36
Ergänzend weist das Gericht noch darauf hin, dass die von der Antragsgegnerin
erlassenen Bescheide einschließlich des Widerspruchsbescheides unter dem
Gesichtspunkt des Bestimmtheitserfordernisses erheblichen rechtlichen Bedenken
begegnen. Die Bescheide sind insofern unbestimmt, als sie hinsichtlich ihres
Adressaten unklar und widersprüchlich abgefasst sind.
37
Sämtliche Bescheide sind an Frau xxx gerichtet, ohne dass auch nur ansatzweise
deutlich gemacht wird, dass sie in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des
Antragstellers angesprochen wird. Sie selbst wird als Antragstellerin und
Widerspruchsführerin bezeichnet, was sich unter Berücksichtigung des im Eilverfahren
nachgeschobenen Vortrages der Antragsgegnerin, die Bescheide sollten sich an den
Antragsteller, vertreten durch Frau xxx richten, nicht vereinbar ist. Denn wenn dem
Antragsteller Leistungen gewährt werden sollten, so ist dieses im Bescheid auch
unbedingt so zu formulieren. Im Adressfeld ist zu dem deutlich zu machen, dass andere
Personen in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter und nicht als Antragsteller oder
Widerspruchsführer angesprochen werden. Alles andere beschwört die Gefahr herauf,
dass für die Bescheidempfänger nicht klar ist, ob sich die Leistungsbewilligung an sie
selbst oder an Dritte richtet. Dies ist mit dem Erfordernis nicht vereinbar, dass
behördliche Bescheide auch und gerade hinsichtlich ihres Adressatenkreises bestimmt
38
abgefasst werden müssen.
Die Einlassung der Antragsgegnerin, dies könne mit den verwendeten EDV-
Programmen nicht bewerkstelligt werden, muss mit Unverständnis und Erstaunen zur
Kenntnis genommen werden. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, dass die heutzutage
verwendeten EDV-Programme es nicht zulassen, im Adressfeld eine Eintragung
dahingehend vorzunehmen, dass der Adressat in Gestalt seines gesetzlichen Vertreters
angesprochen wird. Zum anderen wird nicht ernsthaft vertreten werden können, dass
gesetzliche Anforderungen durch die Unzulänglichkeiten verwendeter EDV-Programme
in Frage gestellt werden können. Notfalls wird eine manuelle Änderung erfolgen
müssen, um den gesetzlichen Anforderungen zu genügen. Keinesfalls darf es aber bei
der bisherigen Praxis bleiben.
39
Keinen Erfolg hatte der Eilantrag insoweit, als er auf einen unbestimmten Zeitraum
gerichtet war und bei ausdrücklicher Beschränkung auf die Regelleistungen ohne
Kosten der Unterkunft nicht berücksichtigte, dass die Antragsgegnerin im Umfang von
6,99 EUR monatlich Zahlungen leistete. In diesem Umfang war der Antrag daher
abzulehnen.
40
Dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes folgend hat die Kammer Leistungen nur
bis zum Ende des Monats zugesprochen, der auf den Monat der Entscheidung folgt. Zur
Vermeidung weiterer Eilverfahren mit demselben Ergebnis dürfte aber die Erwartung
gerechtfertigt sein, dass die Antragsgegnerin nach Eintritt der Rechtskraft dieses
Beschlusses ihre weitere Vorgehensweise hiernach ausrichten wird.
41
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.
42