Urteil des SozG Dortmund vom 17.07.2009

SozG Dortmund: heizung, minderung, verfügung, nebenkosten, nachzahlung, mitteilungspflicht, verwaltungsakt, glaubwürdigkeit, sorgfalt, gerichtsakte

Sozialgericht Dortmund, S 22 As 66/08
Datum:
17.07.2009
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
22. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 22 As 66/08
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 04.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 24.10.2007 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die
erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
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Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten
Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).
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Der am xxx geborene Kläger stand seit dem 01.01.2005 im Leistungsbezug bei der
Beklagten. Ihm waren im Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 15.10.2006 Leistungen für
die Kosten der Unterkunft für seine Wohnung in der xxxstr in xxx Höhe von monatlich
187,26 Euro - davon 119,26 Euro Kaltmiete, 26,00 Euro Heizkosten und 42,00 Euro
Nebenkosten - bewilligt worden. Ab dem 1.10.2006 waren ihm nach einem Umzug in
die xxxstraße in xxx zunächst Leistungen für die Kosten der Unterkunft in Höhe von
monatlich 200,25 Euro, ab November in Höhe von monatlich 213,24 - davon 120,24
Euro Kaltmiete, 49,00 Euro Heizkosten und 44,00 Euro Nebenkosten - bewilligt worden.
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Mit Schreiben vom 19.03.2007 forderte die Beklagte den Kläger zur Mitwirkung auf,
insbesondere dazu, Nachweise über die geleisteten Mietzahlungen für den Zeitraum
vom 01.01.2006 bis zum 31.03.2007 zu erbringen. Der Kläger reichte daraufhin ein
Schreiben des Zeugen, datierend vom 04.04.2007, bei der Beklagten ein, laut dem der
Zeuge im Zeitraum von Januar 2006 bis März 2007 die Miete für den Kläger gezahlt
habe. Wörtlich heißt es: "Von Januar 2006 bis März 2007 habe ich meinem Patenonkel
geholfen, bis er eine feste Arbeitsstelle hat und dann zahlt er es mir zurück". Mit
Schreiben vom 18.05.2007 hörte die Beklagte den Kläger wegen einer Überzahlung der
Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 31.03.2007 an mit der
Begründung, der Kläger habe seit 01.01.2006 keine Mietzahlungen geleistet.
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Mit Bescheid vom 04.06.2007 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit
vom 01.01.2006 bis zum 31.03.2007 teilweise in Höhe von 2951,79 Euro auf und
forderte diese Überzahlung zur Erstattung zurück. Wörtlich heißt es: "Die Überzahlung
berechnet sich wie folgt: Leistungen für Unterkunft und Heizung (Erstattungszeitraum:
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1.1.2006 bis 31.3.2007) 2951,79 Euro." Zur Begründung führte die Beklagte aus, die
bewilligten Kosten für die Unterkunft seien nicht zweckgebunden für die Mietzahlungen,
sondern für den allgemeinen Lebensunterhalt verbraucht worden, da die Miete seit
Januar 2006 von dem Neffen des Klägers bezahlt worden sei. Der Kläger legte gegen
den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid Widerspruch unter dem 29.06.2007 ein mit
der Begründung, er habe alle erforderlichen Auskünfte erteilt. Auch die darlehnsweise
Unterstützung durch den Zeugen in Höhe von monatlich 200,- Euro habe er mitgeteilt.
Dass diese für die Mietzahlung verwendet worden sei, sei unerheblich. Im übrigen hätte
die Beklagte Direktzahlung der Miete an den Vermieter veranlassen müssen. Mit
Schreiben vom 04.07.2007 gab die Beklagte dem Kläger weitere Gelegenheit zur
Stellungnahme, worauf der Kläger ergänzend vortrug, dass bei Berechnung des
Leistungsanspruches des Klägers dessen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinem
Kind nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Bei dieser Sachlage sei es mehr als
unbillig, die Kosten der Unterkunft von der Gesamtleistung abzukoppeln.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2007 wurde der Widerspruch als unbegründet
zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe wissen
müssen, dass die 200,- Euro, die er monatlich für die Miete erhalten habe, seinen
Leistungsanspruch mindern bzw. entfallen lassen würde. Diesen Umstand habe er der
Beklagten nicht angezeigt, damit sei er seinen Mitteilungspflichten nach § 48 Abs. 1 S. 2
Nr. 2 SGB X nicht nachgekommen. Der Kläger habe erst im April 2007 im Rahmen
seines Fortsetzungsantrages angegeben, dass er Unterstützungen von seinem
Patensohn erhalte. Er sei jedoch darüber belehrt gewesen, dass Veränderungen
unverzüglich anzugeben seien. Der Kläger habe das Geld seines Patensohnes für die
Mietzahlungen verwandt, so dass keine Kosten der Unterkunft angefallen seien.
Zumindest aber handele es sich bei den Zahlungen um Einkommen, welches vom
Kläger nicht angegeben worden sei. Die Beklagte stützte die Aufhebungsentscheidung
für den Zeitraum vom 01.01. bis zum 30.03.2006 auf § 45 Abs. 1 SGB X sowie ab dem
01.10.2006 auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X.
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Der Kläger hat daraufhin am 23.11.2007 Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, er
habe monatlich 200,- Euro erhalten und dadurch die monatlichen Mietschulden
beglichen, es habe sich um darlehnsweise Zahlungen gehandelt, zudem habe er von
der Beklagten ohnehin zu wenig Leistungen erhalten, da seine
Unterhaltsverpflichtungen nicht berücksichtigt worden seien. Mit weiterem Schriftsatz
vom 07.04.2008 hat der Kläger mitgeteilt, dass er nunmehr jeden Monat 100,- Euro an
den Zeugen zurückzahle und bereits im Dezember 2007 einen Betrag in Höhe von
1600,- Euro zurückgezahlt habe.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 04.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2007
aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
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Das Gericht hat den Kläger angehört und den Patensohn als Zeugen vernommen. Der
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Kläger und der Zeuge haben angegeben, es seien monatlich 200,- Euro in bar an den
Kläger gezahlt worden. Es sei vereinbart worden, dass das Geld zurückzuzahlen sei,
sobald der Kläger wieder Arbeit gefunden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie auf die Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
sind, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn diese sind rechtswidrig.
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Die ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen können weder auf Grundlage von § 45
noch auf Grundlage von § 48 SGB X aufgehoben werden. Gemäß § 48 Abs. 1 SGB X
soll ein Verwaltungsakt rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse
aufgehoben werden, soweit der Betroffene vorsätzlich oder grob fahrlässig eine
Mitteilungspflicht verletzt, Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur
Minderung des Anspruchs geführt haben würde oder der Betroffene wusste oder nicht
wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt hat, dass
sein Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise
weggefallen ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Weder hat der Kläger
Einkommen erzielt, noch haben sich die Verhältnisse auf andere Weise geändert.
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Soweit die Beklagte die Aufhebungsentscheidung darauf stützt, dass die Kosten der
Unterkunft wegen der Zahlungen durch den Zeugen tatsächlich nicht angefallen seien,
so steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Zeuge nicht unmittelbar
die Mietzahlungen veranlasst, sondern dem Kläger monatlich Geld zur Verfügung
gestellt hat, das dieser seinerseits für Mietzahlungen verwendete. Die Kosten der
Unterkunft im Sinne von § 22 SGB II sind demnach tatsächlich entstanden und auch
vom Kläger beglichen worden.
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Soweit die Beklagte hilfsweise ihre Aufhebungsentscheidung darauf gründet, dass der
Kläger durch die Zahlungen des Zeugen jedenfalls Einkommen erzielt habe, das zur
Minderung des Anspruchs geführt haben würde, so ist bereits zweifelhaft, ob diese
Erwägungen den Aufhebungsbescheid vom 04.06.2007 zu tragen vermögen, denn
dieser hebt konkret Leistungen für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.01.2006
bis 31.03.2007 auf, bei Anrechnungen von Einkommen hätte jedoch die Regelleistung
teilweise aufgehoben werden müssen. Dies kann jedoch offen bleiben, da der Kläger
auch kein Einkommen erzielt hat. Zwar sind gemäß § 11 SGB II als Einkommen alle
Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen. Einkommen in diesem Sinne
stellt ein Darlehn jedoch nicht dar, weil durch ein Darlehn die wirtschaftliche Situation
des Empfängers nicht verbessert wird. Das Darlehn stellt deshalb keinen
vermögenswerten Vorteil dar, weil zugleich seine Rückzahlung geschuldet wird (vgl.
Urteil des Bundessozialgerichts vom 13.06.1985, Az.: 7 R AR 27/84, Urteil des
Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11.12.2008, Az.: L 7 AS 62/08,
Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 03.03.2008, Az.: L 7 B
240/07 AS). Dabei ist entscheidungerheblich, ob im Zeitpunkt des Geldzuflusses eine
Rückzahlungsverpflichtung festgestellt werden kann, was nach den Umständen des
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Einzelfalles zu würdigen ist. Die Kammer hat sich durch Anhörung des Klägers und
Vernehmung des Zeugen davon überzeugt, dass es sich bei den von Januar 2006 bis
März 2007 dem Kläger durch den Zeugen zur Verfügung gestellten monatlichen
Beträgen um ein Darlehn und nicht etwa um ein Geschenk gehandelt hat. Die Kammer
hat insbesondere keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers
und des Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben gesehen. Die Kammer hat sich
insbesondere der Auffassung angeschlossen, dass es unschädlich ist, dass bei
Vereinbarung des Darlehns der konkrete Zeitpunkt für die Begleichung der Forderung
zunächst offen gelassen wurde (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-
Westfalen vom 11.12.2008, Az.: L 7 AS 62/08), denn der Kläger und der Zeuge haben
jedenfalls vereinbart, dass die Darlehnssumme zurückgezahlt werden sollte, sobald der
Kläger ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen haben würde. Schließlich hat der
Kläger ein Teil der Darlehnsschuld nach Erhalt einer Nachzahlung der Beklagten aus
einer anderen Angelegenheit in Höhe von 1600,- Euro in einer Summe zurückbezahlt
und sodann ab Januar 2008 monatliche Rückzahlungen in Höhe von 100,- Euro
geleistet.
Die Aufhebungsentscheidung konnte auch nicht auf § 45 SGB X gestützt werden, weil
die ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen nicht rechtswidrig waren. Weder waren
im streitgegenständlichen Zeitraum Kosten der Unterkunft zu Unrecht bewilligt worden,
noch war die Anrechnung von Einkommen unterblieben. Kosten der Unterkunft waren
tatsächlich entstanden. Ebensowenig war Einkommen anzurechnen, weil es sich bei
den Zahlungen durch den Zeugen an den Kläger um ein Darlehn und somit nicht um
Einkommen im Sinne des § 11 SGB II gehandelt hat.
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Die Klage hatte daher in vollem Umfang Erfolg.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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