Urteil des SozG Dortmund vom 22.04.2009

SozG Dortmund: haushalt, eltern, unterhalt, versicherung, tod, sonntag, enkel, familiengemeinschaft, ausbildung, zuwendung

Sozialgericht Dortmund, S 15 (2) R 155/06
Datum:
22.04.2009
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 15 (2) R 155/06
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.2006 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2008 verurteilt, dem
Kläger Halbwaisenrente aus der Versicherung seines am xxx
verstorbenen Großvaters xxx nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen
Kosten des Klägers. Im Übrigen haben die Beteiligten außergerichtliche
Kosten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Halbwaisenrente aus der
Versicherung eines Großvaters des Klägers.
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Der am xxx geborene Kläger ist leibliches Kind des am xxx geborenen xxx und der am
xxx geborenen Beigeladenen. Beide Elternteile befanden sich auch nach der Geburt
des Klägers noch in der Ausbildung und lebten im jeweiligen Haushalt ihrer Eltern.
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Der am xxx geborene und am xxx verstorbenen Versicherte xxx war Großvater des
Klägers.
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Am 18.05.2005 beantragte der Kläger Hinterbliebenenrente aus der Versicherung
seines Großvaters.
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Für den Kläger wurde ein Erhebungsbogen zu dessen Anmeldung am Wohnsitz des
Versicherten eingereicht. Der Erhebungsbogen datiert auf den 30.09.2005 und weist als
Hauptwohnung des Klägers die Anschrift seiner Mutter, der Beigeladenen aus. Unter
der Anschrift des Versicherten bestehe seit dem 26.02.2003 eine Nebenwohnung.
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Die Beklagte holte eine Auskunft des Kreisausschusses des xxx-Kreises, Abteilung
Kinder- und Jugendhilfe ein. Danach war das Jugendamt des xxx-Kreises auf Grund der
Minderjährigkeit der Mutter bis zum 19.09.2005 zum Vormund des Klägers bestellt. Das
Kindergeld erhalte die Beigeladene als Mutter des Klägers.
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Mit angegriffenem Bescheid vom 17.02.2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf
Zahlung einer Halbwaisenrente ab, weil nicht nachgewiesen worden sei, dass der
Kläger vom Versicherten überwiegend unterhalten worden sei. Der Kläger sei nur mit
Nebenwohnung unter der Adresse des verstorbenen Versicherten gemeldet. Zudem sei
der Umstand, dass die Beigeladene für den Kläger Kindergeld erhalten habe, ein
wesentlicher Anhaltspunkt dafür, dass diese den überwiegenden Unterhalt für den
Kläger geleistet habe und der Kläger in ihren Haushalt aufgenommen war.
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Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, von Geburt an auf Dauer im
Haushalt des verstorbenen Versicherten aufgenommen gewesen zu sein. Der
verstorbene Versicherte habe die Babyausstattung angeschafft, für Nahrung und
Kleidung gesorgt und ihn zusammen mit seiner Ehefrau die überwiegende Zeit betreut.
Das Kindergeld sei der Beigeladenen überlassen worden, weil man sich zu seinem
Wohle nicht um Geld habe streiten wollen.
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Auf Nachfrage der Beklagten gab die Ehefrau des Versicherten an, dass sich der Kläger
montags und dienstags bei der Familie der Beigeladenen, mittwochs, donnerstags,
freitags, samstags und sonntags aber in der Familie des Versicherten aufgehalten habe.
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Der Kreisausschuss des xxx-Kreises Abteilung Kinder- und Jugendhilfe teilte mit, dass
der Kläger zusammen mit seiner Mutter, der Beigeladenen bei deren Eltern gewohnt
habe, wegen der Ausbildung der Beigeladenen wechselseitig aber auch von der
Familie des Versicherten betreut worden sei. Die Beigeladene habe zusätzlich zum
Kindergeld Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten, da sich der
ursprünglich zahlungspflichtige Vater noch in der Ausbildung befunden habe und
unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig gewesen sei.
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Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2006 zurückgewiesen.
Eine zeitlich begrenzte Unterbringung stelle keine dauernde Haushaltsaufnahme dar.
Dass der Versicherte in der Zeit der Betreuung des Klägers für diesen auch finanziell
gesorgt habe, stelle noch keinen überwiegenden Unterhalt dar.
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Hiergegen richtet sich die am 21.08.2006 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein
Begehren weiterverfolgt. Der Kläger behauptet, sich von Mittwoch 8.00 Uhr bis
Donnerstag 20.00 Uhr und Freitag 8.00 Uhr bis Sonntag 20.00 Uhr und damit 96 von
168 Stunden der Woche im Haushalt des Versicherten aufgehalten zu haben. Dort sei
ihm entsprechendes Mobiliar und Bekleidung zur Verfügung gestellt worden. Darüber
hinaus habe der Versicherte auch die im Haushalt der Beigeladenen benötigten
Kindermöbel angeschafft.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.02.2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.08.2006 zu verurteilen, ihm Halbwaisenrente aus der
Versicherung seines am 27.01.2004 verstorbenen Großvaters xxx nach Maßgabe der
gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, aber geltend gemacht, sich in der
maßgeblichen Zeit von Freitag bis Sonntag ebenfalls im Haushalt des Versicherten
aufgehalten zu haben, weil sie zu dieser Zeit noch eine Partnerschaft mit dem
Kindesvater unterhalten habe. Außerdem hat sie Berichte und Vermerke des
Kreisausschusses des xxx-Kreises aus der Zeit nach dem Tod des Versicherten zu den
Akten gereicht.
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Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht den Sachverhalt mit den
Beteiligten erörtert. Dabei hat die Beigeladene erklärt, dass sich der Kläger regelmäßig
von Mittwoch 08:00 Uhr bis Donnerstagnachmittag oder -abend und von Freitagmittag
bis Sonntagabend im Haushalt des Versicherten aufgehalten habe. Den täglichen
Unterhalt für den Kläger hätten beide Großelternteile in etwa zu gleichen Teilen
aufgebracht. Größere Anschaffungen wie zum Beispiel Kindermöbel seien aber zumeist
vom Versicherten getätigt worden, auch wenn sie im Haushalt des anderen
Großelternteiles zum Einsatz gekommen seien. Während der Kläger im Haushalt ihrer
Eltern ein eigenes Kinderzimmer gehabt habe, sei dies im Haushalt des Versicherten
nicht der Fall gewesen. Dort habe er überwiegend im Schlafzimmer seiner Großeltern
geschlafen.
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Außerdem hat das Gericht als Zeugen die zuständige Mitarbeiterin des xxxl-Kreises
Frau xxx, die Ehefrau des Versicherten, Frau xxx und die Tochter des Versicherten, Frau
xxx als Zeugen vernommen.
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Die xxx war bis zur Volljährigkeit der Beigeladenen als Vormund für den Kläger tätig.
Sie hat ausgesagt, dass ihr Berichte vorlägen, aus denen sich ergebe, dass sich der
Kläger mittwochs und donnerstags sowie gemeinsam mit seinen Eltern freitags bis
sonntags im Haushalt des Versicherten aufgehalten habe. Der laufende Unterhalt sei
jeweils von den Großelternteilen aufgebracht worden, bei denen sich der Kläger gerade
aufgehalten habe. Seine Kleidung sei allerdings überwiegend vom Versicherten
angeschafft worden. Auch größere Anschaffungen für den Kläger seien zumeist vom
Versicherten getätigt worden.
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Die xxx hat ausgesagt, dass sich der Kläger von Mittwochmorgen bis Donnerstagabend
und Freitagmorgen oder -mittag bis Sonntagabend im Haushalt des Versicherten
aufgehalten habe. Der Versicherte habe für den Kläger Kleidung und auch Mobiliar
angeschafft, das im Haushalt der Eltern der Beigeladenen Verwendung gefunden habe.
Da die erst 15-jährigen Eltern des Klägers mit dessen Erziehung überfordert gewesen
seien, sei diese durch die Großeltern erfolgt.
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Die xxx hat ausgesagt, dass sich der Kläger an zwei Tagen der Woche und beginnend
mit Freitag und endend am Sonntag auch während der Wochenenden im Haushalt ihrer
Eltern aufgehalten habe. Dort hätten sich umfänglich und nachts fast ausschließlich
seine Großeltern um ihn gekümmert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der
Beteiligten, das Protokoll der Nichtöffentlichen xxx vom 10.02.2009 mit den anliegenden
Zeugenaussagen sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die
vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Bescheid vom 17.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2006
ist rechtswidrig und beschwert den Kläger. Der Kläger hat Anspruch auf
Halbwaisenrente aus der Versicherung seines am xxx verstorbenen Großvaters xxx.
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Nach Maßgabe des § 48 Abs. 1 SGB VI haben Kinder nach dem Tode eines Elternteils
Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet
der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und der verstorbene Elternteil die
allgemeine Wartezeit erfüllt hat.
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Gemäß § 48 Abs. 3 Nr. 2 SGB VI werden als Kinder auch berücksichtigt Enkel, die im
Haushalt des Verstorbenen aufgenommen wurden oder von ihm überwiegend
unterhalten wurden.
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Enkel werden den Kindern mithin schon dann gleichgestellt, wenn sie entweder in den
Haushalt des verstorbenen Versicherten aufgenommen waren oder aber von diesem
überwiegend unterhalten wurden (Bohlken, in: jurisPK-SGB VI § 48 Rz. 52).
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Wesentlich für die Haushaltsaufnahme ist, dass das Kind innerhalb der
Familiengemeinschaft versorgt und betreut wird. Insoweit kommt es auf das Bestehen
einer Familiengemeinschaft an, die eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher,
materieller und immaterieller Art darstellt. Diese Kriterien xxx in enger Beziehung
zueinander und können sich auch teilweise überschneiden. Keines davon darf jedoch
gänzlich fehlen beziehungsweise entfallen (BSG, Urt. v. 30.01.2002, B 5 RJ 34/01 R).
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Das durch die Haushaltsaufnahme begründete Band muss während des letzten
Dauerzustandes vor dem Tod des Versicherten fortbestanden haben.
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Eine Haushaltsaufnahme durch die Großeltern setzt nicht voraus, dass das Kind zu
seinen leiblichen Eltern keine Bindung mehr hat. Auch wenn ein oder beide Elternteile
mit zu den Großeltern ziehen ist eine Haushaltsaufnahme durch diese nicht
ausgeschlossen. Der Haushalt muss dann aber zumindest gleichwertig den Großeltern
zuzuordnen sein, so dass diese neben der Wohnungsgewährung und Zuwendung von
Fürsorge einen nicht unerheblichen Bar- oder Betreuungsunterhalt leisten (BSG, Urt. v.
20.04.1992, 5 RJ 28/91; Bohlken, in: jurisPK-SGB VI § 48 Rz. 56). Ein
Betreuungsunterhalt ist insoweit nicht unerheblich, wenn er zumindest ein Viertel des
insgesamt für das Kind aufzubringenden zeitlichen Betreuungsaufwandes beansprucht
(Gürtner, in: Kasseler Kommentar § 48 SGB VI, Rz. 21 m.w.N.).
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Überwiegend unterhalten im Sinne des § 48 Abs. 3 Nr. 2 SGB VI werden Enkel, wenn
der Versicherte mehr als die Hälfte zu deren Lebensunterhalt beiträgt, wobei hier sowohl
Geld- als auch Sachleistungen zu berücksichtigen sind (Bohlken, in: jurisPK-SGB VI §
48 Rz. 57).
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Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass beide Elternteile des Klägers im
maßgeblichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten keinen eigenen Haushalt
führten, sondern im jeweiligen Haushalt ihrer Eltern lebten. Da aber nicht vorstellbar ist,
dass der Kläger in keinem Haushalt aufgenommen war, muss er entweder im Haushalt
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der Eltern der Beigeladenen oder aber im Haushalt des Versicherten untergebracht
gewesen sein.
Für die Zeit von Montagmorgen bis Donnerstagabend vermag die Kammer nicht
festzustellen, ob der Kläger bei den Eltern der Beigeladenen oder im Haushalt des
Verstorbenen aufgenommen war, weil sich die Betreuungszeiten auf die beiden
Großelternteile in etwa hälftig verteilten.
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Als ausschlaggebend sieht die Kammer daher die Verhältnisse an den Wochenenden
an. In dieser Zeit war der Kläger fast ausschließlich im Haushalt des Versicherten
untergebracht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich zur gleichen Zeit beide Elternteile
des Klägers im Haushalt des Versicherten aufhielten und damit die auf Grund des
jugendlichen Alters der Eltern schwer herzustellende Familiengemeinschaft erüben ließ.
Gleichzeitig aber erfolgte neben der Wohnungsgewährung eine Zuwendung von
Fürsorge und ein nicht unerheblicher Bar- und Betreuungsunterhalt durch den
Versicherten und dessen Ehefrau. So wurde nach den glaubhaften Aussagen der
Zeuginnen xxx die Erziehung des Klägers durch die Großeltern getragen, weil sich die
Eltern des Klägers ob ihres jugendlichen Alters hiermit noch überfordert zeigten. Rein
beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass nicht Mutter oder Vater nächtens aufstanden,
wenn der Kläger betreut werden musste, sondern die Großmutter oder der Versicherte.
Anlass, an der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen zu zweifeln, sieht die Kammer nicht.
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Den Umstand, dass dem Kläger nur im Haushalt der Eltern der Beigeladenen ein
eigenes Kinderzimmer zur Verfügung stand, sieht die Kammer bei einem Kleinkind als
unerheblich an.
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Ebenso wird als unerheblich angesehen, dass der Kläger mit Hauptwohnsitz bei den
Eltern der Beigeladenen gemeldet war, da maßgeblich für die Haushaltsaufnahme nur
die tatsächlichen Verhältnisse sind.
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Selbst wenn man diesen Erwägungen der Kammer nicht folgen will ergibt sich die
Gleichstellung des Klägers mit einem Kind des Versicherten aus der überwiegenden
Unterhaltsgewährung.
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Der Versicherte hat mehr als die Hälfte zum Lebensunterhalt des Klägers beigetragen.
Zwar haben beide Großelternteile den laufenden Unterhalt des Klägers an Nahrung und
Hygieneartikeln in etwa hälftig aufgebracht, doch wurde seine Kleidung überwiegend
vom Versicherten und seiner Ehefrau angeschafft. Hinzu kommt, dass Kindermöbel,
auch soweit sie im Haushalt der Eltern der Beigeladenen Verwendung fanden, vom
Versicherten gekauft und bezahlt worden sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz, wobei zu
berücksichtigen ist, dass die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat.
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