Urteil des SozG Dortmund vom 13.03.2006

SozG Dortmund: heizung, stadt, unterkunftskosten, vermieter, angemessenheit, verbrauch, nebenkosten, unverzüglich, wohnfläche, senkung

Sozialgericht Dortmund, S 29 AS 176/05
Datum:
13.03.2006
Gericht:
Sozialgericht Dortmund
Spruchkörper:
29. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 29 AS 176/05
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 28.03.2006 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 verurteilt, die
Stadt Schmallenberg anzuweisen, der Klägerin für die Monate April bis
Juli 2005 monatlich weitere 14,40 EUR an Leistungen nach dem SGB II
zu gewähren. Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen
außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
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Streitig ist die Höhe der im Rahmen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) zu übernehmenden Heizkosten.
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Die 1969 geborene Klägerin bezog bis zum 02.10.2002 Arbeitslosengeld und
anschließend Arbeitslosenhilfe. Am 02.11.2004 beantragte sie die Gewährung von
Grundsicherung nach dem SGB II ab Januar 2005 für sich und ihren mit ihr in häuslicher
Gemeinschaft lebenden, 1990 geborenen Sohn. Die Kosten der Unterkunft für die 93,44
qm große, mit dem Sohn gemeinsam bewohnte Wohnung beliefen sich nach den
zunächst vorgelegten Unterlagen auf eine Kaltmiete von 375,00 EUR monatlich, eine
Heizkostenpauschale von 60,00 EUR und 125,00 EUR an monatlichen Nebenkosten.
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Die Arbeitsagentur N als Rechtsvorgängerin des Beklagten bewilligte für die Zeit bis
zum 30.03.2005 Grundsicherung unter Berücksichtigung der vollen, nachgewiesenen
Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 560,00 EUR monatlich (Bescheid vom
13.12.2004).
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Mit Schreiben vom 26.01.2005 teilte die im Wege der Delegation durch den
Hochsauerlandkreis für die Entscheidung über Leistungen nach dem SGB II zuständig
gewordene Stadt T der Klägerin mit, die Kosten der Unterkunft seien unangemessen
und würden nur noch bis einschließlich Juli 2005 berücksichtigt.
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Wegen der beantragten Fortzahlung der Grundsicherung legte die Klägerin eine
Mietbescheinigung vor, wonach die Nebenkosten insgesamt einschließlich der
Heizkostenpauschale lediglich 125,00 EUR monatlich betrugen. Mit Bescheid vom
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28.03.2005 bewilligte die Stadt Schmallenberg daraufhin für die Monate April bis Juli
2005 Grundsicherung nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten in
Höhe von nur noch 485,60 EUR, was u.a. auf der Kürzung der Heizkostenpauschale
von 60,00 EUR auf 45,60 EUR monatlich beruhte.
Der hiergegen am 08.04.2005 von der Klägerin erhobene und damit begründete
Widerspruch, die Übernahme der vollen Kosten sei bis Ende Juli 2005 zugesichert,
wurde mit Bescheid des Beklagten vom 28.04.2005 als unbegründet zurückgewiesen.
Dazu wurde ausgeführt, die unangemessenen Kosten der Unterkunft könnten zwar für
eine Übergangszeit übernommen werden, Heizkosten könnten dagegen von vornherein
nur in angemessener Höhe übernommen werden. Bei einer angemessenen Wohnfläche
von 60 qm für zwei Personen seien nach der gebotenen Pauschalierung bei einer
Beheizung mit Gas nur 45,60 EUR Heizkosten monatlich angemessen.
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Daraufhin hat die Klägerin am 25.05.2005 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, § 22 SGB
II lasse auch die Übernahme als unangemessen erachteter Heizkosten für eine
Übergangszeit zu. Wenn dies in der Vorschrift nicht ausdrücklich erwähnt werde,
handele es sich um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers. Auf weitere Anfrage
des Gerichts hat die Klägerin mitgeteilt, hinsichtlich der Heizkosten sei mit dem
Vermieter ein Pauschbetrag festgelegt, dessen Höhe sich an den Gesamtkosten des
Objekts orientiere. Die pro Wohneinheit verbrauchten Heizmittel würden nicht
gemessen, die Kosten seien also nicht vom individuellen Verbrauch abhängig. Obwohl
sie ohnehin nur das Wohn- und Kinderzimmer heize, habe sie deshalb im Zweifel
keinen Einfluss auf die insgesamt anfallenden und auf sie umgelegten Heizkosten.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 28.03.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 zu verurteilen, die Stadt Schmallenberg
anzuweisen, für die Monate April 2005 bis Juli 2005 weitere Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts in Höhe von 14,40 EUR monatlich zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Ansicht, § 22 SGB II lasse die Übernahme unangemessener Heizkosten nicht
zu und der Betroffene könne die entsprechenden Kosten durch sein persönliches
Heizverhalten auch unverzüglich senken. Von einem Redaktionsversehen des
Gesetzgebers könne daher keine Rede sein. Im Übrigen nimmt der Beklagte
insbesondere wegen der Heizkosten auf seine Richtlinien zur Gewährung von
Leistungen für Unterkunft und Heizung Bezug.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten sowie den der die Klägerin betrefffenden Verwaltungsakten der Stadt
Schmallenberg und des Beklagten ergänzend Bezug.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtene
Entscheidung des Beklagten im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
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beschwert, denn für den vom Bewilligungsbescheid vom 28.03.2005 umfassten
Zeitraum von April 2005 bis Juli 2005 steht ihr die Übernahme der Heizkosten in Höhe
der tatsächlich anfallenden Kosten von 60,00 EUR monatlich zu.
Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die
Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen
Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der
Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden
Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist,
durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die
Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate. Was die im
vorliegenden Fall allein streitige Übernahme der tatsächlichen Heizkosten für den
Zeitraum von 6 Monaten ab der von der Stadt Schmallenberg unter dem 26.01.2005
ausgesprochenen Aufforderung, die Kosten der Unterkunft zu senken, betrifft, enthält §
22 Abs. 1 SGB II keine ausdrückliche Regelung. Zwar bestimmt Abs. 1 der genannten
Vorschrift, dass Leistungen ... für Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
erbracht werden, soweit diese angemessen sind. Was in diesem Zusammenhang
angemessen sein soll, geht aus der Vorschrift nicht hervor. Bei der Angemessenheit der
Aufwendungen für Heizungen handelt es sich damit um einen unbestimmten
Rechtsbegriff, den es bei der Anwendung der Vorschrift auszufüllen gilt, der aber auch
der vollen Überprüfbarkeit durch die Gerichte unterliegt. Wenn der Gesetzgeber in § 22
Abs. 1 Satz 2 SGB II regelt, dass die Aufwendungen für die Unterkunft, falls sie den der
Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf (nur) so
lange zu berücksichtigen sind, wie es dem (den) Hilfebedürftigen nicht möglich oder
nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel die Aufwendungen zu senken, in
der Regel jedoch längstens für 6 Monate, sind Rückschlüsse, welche Regelung der
Gesetzgeber für die Heizkosten in diesem Übergangszeitraum treffen wollte, allein aus
der Formulierung der Vorschrift kaum zu ziehen. Grundsätzlich gilt, und davon dürfte
auch der Gesetzgeber ausgegangen sein, dass die Heizkosten für eine Unterkunft von
deren Beschaffenheit hinsichtlich Größe, Anzahl der Räume, Aufteilung der Wohnfläche
auf die Räume, Lage der Wohnräume im Gebäude (Stichwort: Wetterseite) und natürlich
von den klimatischen Bedingungen des Wohnortes abhängen. Im Hinblick auf die
vielfältigen Einflüsse, denen die tatsächlichen Heizkosten unterliegen, könnte § 22 Abs.
1 Satz 2 daher so zu verstehen sein, dass der Hilfebedürftige zwar hinsichtlich der
Aufwendungen für die Unterkunft auf seine Kostensenkungspflicht hingewiesen werden
kann und eine Einschränkung der Leistungen hinzunehmen hat, dass die Leistungen für
Heizung hiervon jedoch nicht betroffen sind, sondern nur bezüglich ihrer
Angemessenheit im Hinblick auf die aktuelle Wohnsituation zu prüfen sind.
Möglicherweise wollte der Gesetzgeber mit § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II aber auch zum
Ausdruck bringen, dass nach der behördlichen Aufforderung zur Senkung der
Unterkunftskosten lediglich die reinen Unterkunftskosten für einen Übergangszeitraum
in tatsächlich anfallender Höhe gezahlt werden, während die Übernahme der
Heizkosten von Anfang an auf den fiktiv für angemessen erachteten Betrag bei
Bewohnen einer Unterkunft angemessener Größe festzulegen sind. Einer
dahingehenden Auslegung der Vorschrift steht jedoch entgegen, dass seit längerem die
Wohnnebenkosten einschließlich Heizung bereits als "zweite Miete" bezeichnet
werden, weil ihre Höhe im Vergleich zur Miete überproportional zugenommen hat. Dies
dürfte auch dem Gesetzgeber bekannt gewesen sein, sodass nicht nachvollziehbar ist,
dass er zum einen zum Ausgleich von Härten die Übernahme der reinen
Unterkunftskosten für einen Zeitraum bis zu einem halben Jahr als gerechtfertigt
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angesehen, aber die Übernahme der Heizungskosten hiervon ausgenommen hat. Ein
Grund für eine derartig differenzierte Betrachtungsweise kann auch nicht in der
Annahme begründet gewesen sein, die Heizkosten seien vom Hilfebedürftigen
beeinflussbar und könnten bei entsprechender Aufforderung unverzüglich gesenkt
werden. Gerade bei größeren Mietwohnungsobjekten, in denen ein großer Teil der vom
SGB II und SGB XII betroffenen Bevölkerung leben dürfte, sind häufig
Sammelheizungen vorhanden, bei denen der Einzelne, selbst wenn der Verbrauch pro
Heizkörper gemessen wird, aufgrund der Mischberechnung des Verbrauchs anhand
eines Grundpreises und der tatsächlich gemessenen Verbrauchswerte durch sein
persönliches Heizverhalten den ihm zugerechneten Verbrauch nicht wesentlich
beeinflussen kann.
Nach Ansicht der Kammer ist § 22 Abs. 1 SGB II daher dahingehend auszulegen, dass
bezüglich der Heizungskosten bei unangemessen großem Wohnraum die
Angemessenheit anhand der konkreten Wohnsituation zu prüfen ist. Angemessen sind
dementsprechend für den Zeitraum, in dem der Verbleib in der unangemessen großen
Wohnung toleriert und die Kosten der Unterkunft weiter übernommen werden, die bei
sparsamem Verhalten auf die tatsächliche Wohnungsgröße bezogenen
unvermeidlichen Kosten. Es kann dem Leistungsbezieher in diesem Zusammenhang
zugemutet werden, nicht durchgängig genutzte Räume nicht oder nur schwach zu
beheizen, sofern die konkrete Wohnsituation dies zulässt. Dieses, und ob ein
sparsames Heizverhalten tatsächlich zu einer unverzüglichen Senkung der Heizkosten
führt, ist jedoch vom Leistungsträger im Einzelfall zu überprüfen. Hierfür kann er sich
z.B. eine Bescheinigung des Vermieters über die Möglichkeit der Heizkostensenkung
vorlegen lassen oder eine Erklärung des Energieversorgungsunternehmens dazu, ob
die von dort geforderten monatlichen Abschläge reduziert werden können, ohne dass
sich zum Jahresende eine wesentliche Nachzahlung für den Kunden ergibt, und unter
welchen Voraussetzungen hierzu Bereitschaft besteht. Auch kann sich der
Leistungsträger zur Vermeidung von Überzahlungen eventuelle
Rückzahlungsansprüche des Leistungsempfängers gegen den Vermieter oder das
Energieversorgungsunternehmen abtreten lassen.
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Da im Falle der Klägerin feststeht, dass sie auch durch noch so sparsames
Heizverhalten ihre in Form eines Abschlags an den Vermieter zu zahlenden Heizkosten
nicht wesentlich senken kann, insbesondere auch, weil ein nicht unwesentlicher Teil
des streitigen Zeitraumes in die Sommermonate fällt, sind bei der Klägerin bis zum
31.07.2005 die tatsächlichen Heizkosten von 60,00 EUR monatlich zu übernehmen.
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Im Hinblick darauf, dass die vorliegend entschiedene Problematik bei einer Vielzahl
anhängiger Verfahren streitig ist, hat die Kammer, worauf die Beteiligten in der
mündlichen Verhandlung auch hingewiesen wurden, die Zulassung der Berufung
beabsichtigt. Dies geht lediglich versehentlich nicht aus dem Entscheidungstenor
hervor.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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