Urteil des SozG Detmold vom 27.11.2008

SozG Detmold: sozialstaatsprinzip, prothese, anteil, heizung, inhaber, bekleidung, beihilfe, darlehen, behinderung, ernährung

Sozialgericht Detmold, S 10 (12) AS 84/07
Datum:
27.11.2008
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 10 (12) AS 84/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten noch über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines
Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung nach dem SGB II.
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Bei dem am 00.00.1975 geborenen Kläger wurde unter dem 01.10.2005 eine
Unterschenkelamputation rechts durchgeführt und eine computergesteuerte
Beinprothese "C-leg-Prothese" angepasst. In Folge dieser körperlichen und in Folge
psychischer Beeinträchtigungen setzte das Versorgungsamt C mit Bescheid vom
23.11.2005 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 und das Merkzeichen G fest.
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Mit Bescheid vom 18.09.2006 bewilligte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe dem
Kläger für die Zeit vom 21.02.2006 bis zum 28.02.2007 eine Eingliederungshilfe gemäß
§ 54 Absatz 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Absatz 2 Nr. 6 SGB IX für
ambulantes Wohnen. Auf einen Weiterbewilligungsantrag des Klägers wurde die
Eingliederungshilfe für ambulantes Wohnen bis zum Monat August 2009 fort bewilligt.
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Am 11.12.2006 beantragte der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) einschließlich eines
Mehrbedarfs für behinderte Hilfebedürftige. Mit Bescheid vom 22.12.2006 bewilligte die
Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 11.12.2006 bis zum
30.06.2007, wobei sie für den Zeitraum vom 11.12.2006 bis zum 28.02.2007 einen
Mehrbedarf zum Lebensunterhalt für behinderte Hilfebedürftige in Höhe von 35 vom
Hundert der maßgebenden Regelleistung bewilligte.
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Mit Bescheid vom 08.01.2007 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom
22.11.2006 aufgrund eines Krankengeldbezuges des Klägers mit Wirkung zum
01.02.2007 vollständig auf.
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Unter dem 23.03.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen
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zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Beklagte bewilligte dem
Kläger mit angefochtenem Bescheid vom 12.04.2007 die Fortzahlung der Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2007 bis
zum 31.05.2007 in Höhe von monatlich 507,13 EUR und für die Zeit vom 01.06.2007 bis
zum 30.09.2007 in Höhe von monatlich 546,65 EUR, errechnet aus 345 EUR
Regelleistung und 201,65 EUR anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die
Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen der bei dem Kläger vorliegenden Behinderung
lehnte die Beklagte ab.
Mit Schreiben vom 18. und 19.04.2007 erhob der Kläger gegen den Bescheid der
Beklagten vom 12.04.2007 Widerspruch, mit dem er einen behindertenbedingten
Mehrbedarf, einen befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II sowie anteilige Kosten für
Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 1.6.2007 bis zum 30.9.2007 in Höhe von
insgesamt 204,50 EUR geltend machte.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück und führte hierzu aus, dass das SGB II für den von dem Kläger
geltend gemachten behindertenbedingten Mehrbedarf keine Anspruchsgrundlage
enthalte. Ferner sei die Differenz der anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung in
Höhe von 2,85 EUR auf einen berechtigten Abzug von 10 % von den anfallenden
Heizkosten für die Kosten des Warmwassers zurückzuführen. Ein Anspruch auf einen
befristeten Zuschlag gemäß § 24 SGB II scheide zudem ebenfalls aus, da der Kläger
noch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I für einen Zeitraum von 30 Tagen habe.
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Hiergegen richtet sich die unter dem 24.05.2007 erhobene Klage, mit der der Kläger
weiterhin die Anerkennung eines pauschalen behindertenbedingten Mehrbedarfs als
Zuschuss, sowie ursprünglich den Zuschlag gemäß § 24 SGB II und für die Zeit vom
01.06.2007 bis 30.09.2007 anteilige monatliche Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe
von insgesamt 204,50 EUR begehrt. Bedingt durch die "C-Leg-Prothese" und die
dadurch vorliegende Materialbelastung entstehe ein erhöhter Verschleiß an Hosen,
Socken und Schuhen. Weiterhin müsse er sich zwei- bis viermal im Monat einer
ärztlichen Behandlung wegen Phantomschmerzen unterziehen. Es würden
Akkupunkturmaßnahmen, Massagen sowie Lichttherapie angewandt, deren Kosten er
selber tragen müsse. Die Behandlungskosten würden sich auf 10 bis 15 EUR pro
Anwendung belaufen. Weiterhin werde die "C-Leg-Prothese" durch einen Akku versorgt,
der täglich über Nacht geladen werden müsse. Hierdurch würden erhebliche zusätzliche
Stromkosten entstehen. Auch müsse er über der Prothese einen so genannten
Stumpfsocken tragen, der, um Infektionen zu vermeiden, alle zwei Tage bei
Kochwäsche gewaschen werden müsse. Hierdurch würden ebenfalls zusätzliche
Aufwendungen für Wäsche entstehen, die bei Nichtschwerbehinderten nicht anfallen
würden. Zwar sei es zutreffend, dass das SGB II für den vorbezeichneten Mehrbedarf
keine Rechtsgrundlage enthalte. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass nach § 28
Absatz 1 Nr. 4 SGB II für Sozialgeldempfänger sowie in § 30 SGB XII für den dort
benannten Personenkreis ein behinderungsbedingter Mehrbedarf von 17 vom Hundert
der Regelleistung im Falle des Merkzeichens G vorgesehen sei und demzufolge die
Nichtbewilligung von Mehrbedarf gegen den Gleichheitsgrundsatz und das
Sozialstaatsprinzip verstoße. Die Beklagte habe darüber hinaus auch in ihrem Bescheid
vom 22.12.2006 einen Mehrbedarf in Höhe von 35 vom Hundert bewilligt.
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Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 10.07.2007 seine Klage sowohl hinsichtlich der
Gewährung des Zuschlages gemäß § 24 SGB II als auch hinsichtlich der anteiligen
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monatlichen Unterkunftskosten und Heizkosten in Höhe von 204,50 EUR
zurückgenommen hat,
beantragt er nunmehr noch,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.04.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09.05.2007 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.4.2007
bis zum 30.9.2007 zusätzlich zu den bewilligten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II einen monatlichen behinderungsbedingten
Mehrbedarf in Höhe von 17 vom Hundert der Regelleistung zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladene beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Sie ist der Auffassung, dass weder ein Anspruch nach § 21 Absatz 4 und 5 SGB II noch
nach § 28 Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II bestehe. Der Kläger sei erwerbsfähig, so dass
ein Anspruch gemäß § 28 Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II ausscheide. Ferner würden dem
Kläger auch keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie
sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes im Arbeitsleben oder
Eingliederungshilfen nach § 54 I Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB XII gewährt, so dass auch ein
Anspruch gemäß § 21 Absatz 4 Satz 1 SGB II ausscheide. Eine kostenaufwändige
Ernährung im Sinne von § 21 Absatz 5 SGB II liege ebenfalls nicht vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der
mündlichen Verhandlung war.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 09.05.2007 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten
gemäß § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Gewährung eines behindertenbedingten
Mehrbedarfs im Rahmen der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Recht abgelehnt. Dem Kläger steht ein Anspruch
auf den geltend gemachten Mehrbedarf nicht zu.
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I. Dem Kläger steht kein Anspruch gemäß § 21 Absatz 5 SGB II zu, da seine
Schwerbehinderung nicht mit einer aus medizinischen Gründen kostenaufwändigen
Ernährung verbunden ist.
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II. Auch ein Anspruch gemäß § 21 Absatz 4 SGB II kommt nicht in Betracht, da der
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Kläger keine Leistungen im Sinne von § 21 Absatz 4 SGB II erhalten hat. Nach § 21
Absatz 4 SGB II erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung
eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Absatz 1
Satz 1 Nr.1 bis 3 SGB XII erbracht werden, einen Mehrbedarf von 35 vom Hundert der
nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung. Dem Kläger wurde mit Bescheid vom
18.09.2006 zunächst für die Zeit vom 21.02.2006 bis zum 28.02.2007 eine
Eingliederungshilfe nach § 54 Absatz 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 55 Absatz 2
Nr. 6 SGB IX und sodann bis zum August 2009 bewilligt. Eine Eingliederungshilfe im
vorbezeichneten Sinne für ambulantes betreutes Wohnen vermag einen
Mehrbedarfsanspruch gemäß § 21 Absatz 4 SGB II jedoch nicht zu begründen. Es
handelt sich hierbei weder um Eingliederungshilfen nach § 54 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 bis
3 SGB XII noch um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben i.S.v. § 33 SGB IX. Ferner
liegt auch eine sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes nicht vor.
Die dem Kläger gewährte Eingliederungsmaßnahme zielte gerade nicht auf eine Hilfe
zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes, sondern darauf ab, dem Betroffenen die
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen bzw. zu sichern. Ferner ist zu
berücksichtigen, dass § 21 Absatz 4 SGB II im Hinblick auf Leistungen, die neben der
Eingliederungshilfe gewährt werden können, nur auf § 33 SGB IX als
Mehrbedarfsleistungen begründende Hilfe verweist. Leistungen zur Teilhabe am Leben
in der Gemeinschaft gemäß § 55 SGB IX werden von § 21 Absatz 4 SGB II gerade nicht
erfasst (vgl. Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink SGB II § 21 Randnummer 45).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte dem Kläger
für den Zeitraum vom 11.12.2006 bis zum 28.2.2007 irrtümlich einen Mehrbedarf nach §
21 SGB II bewilligt hat. Aus einer Bewilligung einer nicht geschuldeten Leistung in der
Vergangenheit ergibt sich kein Anspruch auf die Leistung für die Zukunft.
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III. Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung eines
Mehrbedarfs auch nicht aus § 28 Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II herleiten, da er nicht
erwerbsunfähig ist. Gem. § 28 Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II erhalten nichterwerbsfähige
Personen einen Mehrbedarf von 17 vom Hundert, wenn sie Inhaber eines Ausweises
nach § 69 Absatz 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G sind. Der Kläger ist zwar Inhaber
eines Ausweises nach § 69 Absatz 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G, er ist allerdings
erwerbsfähig.
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IV. Dem Kläger steht ferner kein Anspruch aus einer analogen Anwendung des § 28
Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II zu. Insoweit fehlt es bereits an der für eine analoge
Anwendung notwendigen planwidrigen Regelungslücke. Wie sich aus der
nachträglichen Einfügung der Nr. 4 in § 28 SGB II ergibt, war sich der Gesetzgeber der
Problematik des Mehrbedarfs bei Personen, die Inhaber eines Ausweises nach § 69
Absatz 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G sind, bewusst. Der Gesetzgeber hat sich
allerdings bewusst lediglich für eine Einführung einer Mehrbedarfsregelung in § 28 SGB
II entschieden. Einer analogen Anwendung des § 28 Absatz 1 Satz 3 Nr.4 SGB II steht
ferner § 3 Absatz 3 Satz 2 SGB II entgegen. Nach § 3 Absatz 3 Satz 2 SGB II ist eine
Festlegung der Bedarfe, die von den im Zweiten Soziagesetzbuch (SGB II)
vorgesehenen Leistungen abweicht, ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat mit der
Einführung der Vorschrift durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für
Arbeitsuchende vom 20. 7. 2006 (BGBl I 2006, 1706) deutlich gemacht, dass das im
SGB II enthaltene Leistungssystem die Bedarfe des Hilfebedürftigen abschließend deckt
und für eine abweichende Leistungsbewilligung kein Raum bleibt.
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V. Ein Anspruch auf den geltend gemachten Mehrbedarf folgt auch nicht aus Artikel 1
Absatz 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem insbesondere auf Artikel 20 Absatz 1
GG beruhenden Sozialstaatsprinzip. Weder liegt ein Verstoß gegen das
Sozialstaatsprinzip vor noch könnte aus einem solchen Verstoß ein Rechtsanspruch auf
bestimmte Geldbeträge hergeleitet werde.
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1) Die vorbezeichneten Verfassungsnormen begründen für den Gesetzgeber lediglich
einen Gestaltungsauftrag. Dieser ist jedoch nicht geeignet, eine Verpflichtung des
Staates zur Gewährung sozialer Leistungen in einem bestimmten Umfang zu begründen
(vgl. BSG Urt. v. 23.11.2006 Az.: B 11b AS 1/06 R).
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2) Schließlich verstösst die Nichtgewährung eines pauschalen Mehrbedarfs für
erwerbsfähige Schwerbehinderte, bei denen das Merkzeichen G vorliegt, auch nicht
gegen dass Sozialstaatsprinzip. Zwar ergibt sich aus Artikel 1 GG in Verbindung mit
Artikel 20 GG eine objektiv-rechtliche staatliche Pflicht, den Bürger vor materieller Not
zu schützen. Dem Gesetzgeber bleibt allerdings ein erheblicher Wertungs- und
Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung dieser Pflicht. Es ist in einem durch die
Gewaltenteilung geprägten System nicht Aufgabe der Rechtsprechung,
Leistungsansprüche selbst auszubuchstabieren. Vielmehr ist lediglich zu entscheiden,
ob der Gesetzgeber den Rahmen des verfassungsrechtlich Gebotenen unterschritten
hat (vgl. Spellbrink in: Eicher/Spellbrink § 20 SGB II Rdnr. 47). Eine Unterschreitung des
verfassungsrechtlich Gebotenen liegt zur Überzeugung der Kammer nicht vor. Der
hilfsbedürftige erwerbsfähige Schwerbehinderte, der Leistungen nach dem SGB II
erhält, ist vor einer materiellen Notlage ausreichend geschützt. Selbst nämlich für den
Fall, dass der Hilfsbedürftige aufgrund seiner Schwerbehinderung einen Mehrbedarf
hat, den er im Einzelfall nicht aus der Regelleistung erbringen kann, ist er über die
Regelungen des § 23 SGB II und des § 73 SGB XII hinreichend vor materiellen
Notlagen abgesichert.
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VI. Dem Kläger steht ein Mehrbedarfsanspruch auch nicht aus Artikel 3 GG in
Verbindung mit § 28 Absatz 1 Satz 3 Nr. 4 SGB II und § 30 Absatz 1 SGB XII zu. Es
kann insoweit dahinstehen, ob bei der vorliegenden Sachlage überhaupt eine
Ungleichbehandlung vorliegt. Diese wäre jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Der von
dem Kläger geltend gemachte Mehrbedarf im Falle der Inhaberschaft eines Ausweises
nach § 69 Absatz 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G setzt sowohl nach § 28 SGB II als
auch nach § 30 SGB XII voraus, dass der Anspruchsteller nicht erwerbsfähig bzw. voll
erwerbsgemindert ist oder aber die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 SGB XII erreicht
hat. Leistungen sind mithin für Personen vorgesehen, die am Arbeitsleben nicht mehr
teilnehmen. Zwar ist nicht auszuschließen, dass auch ein erwerbsfähiger
Hilfebedürftiger mit dem Merkzeichen G einen Mehrbedarf durch seine Gehbehinderung
hat. Allerdings liegt gerade in der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen ein sachlicher
Grund für die Schlechterstellung. Der Leistungsempfänger nach dem SGB II ist
erwerbsfähig, derjenige nach dem SGB XII bzw. der Empfänger von Sozialgeld nicht.
Von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wird erwartet, dass er sich durch eigene
Aktivitäten wieder voll in den Arbeitsmarkt integriert, er also seinen Lebensunterhalt
durch eigene Arbeit sicherstellen kann. Unter diesem Gesichtspunkt ist es gerechtfertigt,
den insofern aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Sozialhilfe- bzw.
Sozialgeldempfänger stärker und damit letztlich individueller, abzusichern.
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VII. Der Kläger kann sich auch nicht auf einen Anspruch nach § 23 Absatz 1 SGB II
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berufen. Eine darlehnsweise Bewilligung von Leistungen ist vom Klageantrag nicht
umfasst. Nach § 23 Absatz 1 Satz 1 SGB II gewährt die Agentur für Arbeit bei
entsprechendem Nachweis für einen im Einzelfall von der Regelleistung umfassten und
nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts, der
weder durch das Vermögen nach § 12 Absatz 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt
ist, ein entsprechendes Darlehen. Der Kläger begehrt ausdrücklich die pauschale
Gewährung eines Mehrbedarfes i.H.v. 17 vom Hundert der Regelleistung, ohne zur
Rückzahlung verpflichtet zu sein. § 23 Absatz 1 Satz 1 SGB II sieht eine Bewilligung
von Leistungen als Zuschuss nicht vor.
IIX. Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch nach § 73 SGB XII gegenüber der
Beigeladenen zu. So ist das Begehren des Klägers auf Bewilligung eines pauschalen
Mehrbedarfs weder von der Rechtsfolge des § 73 SGB XII umfasst noch liegt eine
atypische Bedarfslage i.S.v. § 73 SGB XII noch eine im Rahmen einer
Ermessensvorschrift für einen Anspruch notwendige Ermessensreduzierung auf Null
vor.
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Nach § 73 SGB XII können Geldleistungen als Beihilfe oder Darlehen auch in sonstigen
Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen.
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1) § 73 SGB XII eröffnet dem Anspruchsberechtigten allerdings lediglich die Möglichkeit,
einen erhöhten Bedarf, in seiner konkret ermittelten Höhe geltend zu machen. Die
Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfs - wie vom Kläger ausdrücklich verlangt -,
kann im Rahmen des § 73 SGB XII nicht erreicht werden.
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2) Ferner liegt auch keine nach § 73 SGB XII erforderlich atypische Bedarfslage vor.
Zwar sind nach Auffassung der Kammer Leistungen nach § 73 SGB XII aufgrund der
Regelung des § 5 Absatz 2 SGB II für Bezieher von SGB II-Leistungen nicht generell
ausgeschlossen. Allerdings kann eine "sonstige Lebenslage" i.S.v. § 73 SGB XII nur
dann angenommen werden, wenn die bedarfsauslösende Lebenslage weder innerhalb
des SGB XII in den Kapiteln 3 - 9 (§§ 27 - 69) bzw. den sonstigen Hilfen in anderen
Lebenslagen (§§ 70 - 72, 74) noch in anderen Bereichen des Sozialrechts geregelt und
bewältigt wird (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 22.6.2007 Az.: L 1 B 7/07 AS ER;
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, zu § 73 SGB XII, Rdnr. 3) und die Situation
eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47-74 SGB XII geregelten Bedarfslagen
aufweist (vgl. BSG, Urteil vom 25.6.2008, Az.: B 11b AS 19/07 R). Hierbei ist zu
beachten, dass es dem in §§ 3 Absatz 3 Satz 2, 23 Absatz 1 Satz 4 SGB II zum
Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers widerspräche, wenn § 73 SGB XII in
eine allgemeine Auffangnorm umgedeutet würde, die in all den Fällen einen Anspruch
gegen den Sozialhilfeträger begründen würde, in denen die eigentlich einschlägigen
Normen den betreffenden Anspruch gerade ausschließen (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB
XII 2. Aufl. 2008 zu § 73 SGB XII, Rdnr. 3). Die vom Kläger geltend gemachten Bedarfe
wegen Verschleißes von Bekleidung, erhöhter Stromkosten und medizinischer
Behandlungen sind bereits von der Regelleistung nach § 20 SGB II bzw. von den in §
31 SGB VII geregelten Hilfsmitteln umfasst und damit abschließend geregelt. Nach § 2
der Regelsatzverordnung (RSV) ist im Regelsatz ein Anteil für Bekleidung,
Haushaltsenergie und Gesundheitspflege vorgesehen. Die Kammer hat insoweit zwar
berücksichtigt, dass der Kläger einen gegenüber einem normalen Hilfebedürftigen
erhöhten Bedarf hat. Allerdings vermochte auch dies kein anderes Ergebnis zu
rechtfertigen. Zunächst ist nicht ersichtlich, dass der in der Regelleistung enthaltene
Anteil für Kleidung und Haushaltsenergie zur Deckung des Bedarfs des Klägers nicht
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ausreicht. Auch ist der geltend gemachte Mehrbedarf wegen erhöhter Stromkosten für
ein Ladegerät bereits in § 31 SGB VII berücksichtigt. Nach § 31 Absatz 1 SGB VII ist der
Leistungsträger auch zur Übernahme der Kosten für die Versorgung eines
Körperersatzstückes mit Ladestrom verpflichtet (vgl. BSG Urteil vom 22.6.2004, Az.: B 2
U 11/03 R). Eine Übernahme der Stromkosten würde der Subsidiarität des § 73 SGB XII
zuwider laufen. Hinsichtlich des geltend gemachten Mehrbedarfs für Heilbehandlungen
hat der Kläger zwar dargelegt, dass der in der Regelleistung enthaltene Anteil für
Gesundheitspflege von 13,19 EUR nicht ausreicht. Allerdings hat der Kläger weder die
Notwendigkeit der Behandlungen dargelegt, noch rechtfertigt die vom Kläger dargelegte
Differenz zwischen dem dargelegten Mehrbedarf und dem in der Regelleistung
enthaltenen Anteil für Gesundheitspflege in Höhe von monatlich etwa 30 EUR die
Annahme einer atypischen Bedarfslage i.S.v. § 73 SGB XII.
3) Schließlich steht einem Anspruch nach § 73 SGB XII auch der Charakter der
Vorschrift als Ermessensvorschrift entgegen. § 73 SGB XII räumt dem Sozialhilfeträger
sowohl hinsichtlich der Frage, "ob" geleistet wird als auch in welcher Art und Weise
("wie") geleistet wird, Ermessen ein (vgl. Hauck/Noftz/Schlette SGB XII § 73 Rn 9).
Selbst, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 73 SGB XII zu bejahen gewesen
wären, wäre nach Auffassung der Kammer zumindest das Ermessen hinsichtlich des
"Wie" der Leistungen nicht auf Null reduziert gewesen. Besondere Umstände, die
lediglich die Gewährung der vom Kläger begehrten Beihilfe gerechtfertigt hätten,
bestehen nicht.
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IX. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kammer hat die gemäß § 144
Absatz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftige Berufung zugelassen, weil die Rechtssache
im Sinne des § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG grundsätzliche Bedeutung hat.
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