Urteil des SozG Detmold vom 27.07.2006

SozG Detmold: kreis, juristische person, aufnahme einer erwerbstätigkeit, satzung, anrechenbares einkommen, verordnung, stadt, gemeinde, delegation, sozialhilfe

Sozialgericht Detmold, S 13 AS 40/05
Datum:
27.07.2006
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 13 AS 40/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 19 AS 34/96
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 09.03.2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2005 in Form des
Änderungsbescheides vom 26.08.2005 verurteilt, dem Kläger ab dem
01.03. bis zum 31.10.2005 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Berücksichtigung der
Eigenheimzulage als Einkommen nach den gesetzlichen Bestimmungen
zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Klägers. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Anrechnung einer Eigenheimzulage als Einkommen.
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Dem am 07.04.1944 geborenen Kläger und seiner in Bedarfsgemeinschaft lebenden
Ehegattin wurden durch Bescheid der Beklagten vom 09.03.2005 für März 2005
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) zur Sicherung des
Lebensunterhaltes bewilligt. Dabei wurde für die von den Eheleuten bewohnte
Eigentumswohnung vom Finanzamt Minden in Höhe von 2761,00 EUR jährlich
gewährte Eigenheimzulage in Höhe des nicht an Kreditgeber abgetretenen Anteils in
Höhe von 1483,00 EUR (monatlich 123,58 EUR) als Einkommen angerechnet.
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Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug vor, bei Antragstellung sei ihm ein ca.
200,00 EUR höherer Betrag in Aussicht gestellt worden. Er könne die Berechnung der
Leistung nicht nachvollziehen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2005 wies der Kreis Minden-Lübbecke den
Widerspruch im Wesentlichen zurück und half in Höhe einer noch zu
berücksichtigenden Werbungskostenpauschale von 15,33 EUR ab. Zur Begründung
wurde ausgeführt, bei der Eigenheimzulage handele es sich um zu berücksichtigendes
Einkommen, soweit dieses nicht abgetreten sei. Die Zulage sei auf einen Zeitraum von
12 Monaten zu verteilen und der entsprechende Anteil monatlich anzurechnen.
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Hiergegen hat der Kläger am 19.08.2005 Klage erhoben mit der er die Anrechnung der
Eigenheimzulage weiterhin rügt. Durch die Einreichung der Kreditunterlagen habe er
nachgewiesen, dass er zur Finanzierung der Eigentumswohnung auf die Zulage
angewiesen sei. Die Beklagte habe die Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens auch selbst
erkannt und rechne die Zulage ab November 2005 nicht mehr an. Auch für März bis
Oktober 2005 scheide eine Anrechnung aus. Dies werde auch durch die
Gesetzesänderungen bestätigt.
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Auch die Anrechnung für die Zeit von April bis Oktober 2005 mit Bescheid vom
26.08.2005 sei rechtswidrig.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 09.03.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.07.2005 in der Form des Änderungsbescheides vom
26.08.2005 zu verurteilen, ihm ab dem 01.03.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Berücksichtigung der
Eigenheimzulage als Einkommen nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist zunächst der Auffassung, dass richtige Beklagte der Kreis Minden-Lübbecke sei.
Nach § 1 Abs. 1 der Satzung über die Durchführung der Grundsicherung für
Arbeitssuchende nach dem SGB II im Kreis Minden-Lübbecke habe der Kreis Minden-
Lübbecke als nach § 6a Abs. 2 SGB II zugelassener kommunaler Träger den
kreisangehörigen Städten und Gemeinden die Durchführung des
Verwaltungsverfahrens zur Entscheidung im eigenen Namen übertragen. Gleichzeitig
habe er sich aber in § 8 Satz 1 der Satzung die Durchführung von Rechtsbehelfs- und
Rechtsstreitverfahren in allen Fällen vorbehalten. Auch nach dem AG-SGB II NRW sei
er berechtigt, die Entscheidung darüber zu treffen, wer den Kreis als Träger der
Leistungen nach dem SGB II gerichtlich vertrete. Er sei der Auffassung, dass richtiger
Klagegegner nicht die jeweilige kreisangehörige Stadt oder Gemeinde, sondern der
Kreis Minden-Lübbecke sei. § 8 der Satzung sei nach dem Willen des Satzungsgebers
nicht lediglich als Regelung zur Prozessführungsbefugnis, sondern als
Zuständigkeitsregelung anzusehen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wenn der Kreis
Minden-Lübbecke als optierender Leistungsträger aus seiner verfassungsrechtlich
garantierten Position der Selbstverwaltung heraus mit einer gegenüber den
kreisangehörigen Kommunen ausgestalteten Weisungsbefugnis lediglich
Prozessbevollmächtigter der Delegationsnehmer sein solle. Diese seine Auffassung
werde von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
bestätigt.
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Im Übrigen sei die Eigenheimzulage für die Zeit bis zur Änderung der Arbeitslosengeld-
II-Verordnung (ALG-II-VO) zum 01.10.2005 als Einkommen anzurechnen. Es handele
sich insbesondere nicht um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 SGB
II. Dies ergebe sich auch aus verschiedenen sozialgerichtlichen Entscheidungen und
der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Sozialhilfe. Bei der Änderung der
ALG-II-VO zum 01.10.2005 handele es sich nicht um eine Klarstellung der bisherigen
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Rechtslage, sondern um eine Änderung der Rechtslage. Dies ergebe sich auch daraus,
dass die Bundesregierung noch am 27.05.2005 in einer Antwort auf eine
parlamentarische Anfrage mitgeteilt habe, in den Regelungen des SGB II sei eine
Privilegierung der Eigenheimzulage nicht vorgesehen. Ab dem 01.11.2005 sei die
Eigenheimzulage nicht mehr angerechnet worden, weil die Beklagte in Anbetracht der
Tatsache, dass die Tilgungsleistungen im Jahre 2004 (2.970,82 EUR) die
Eigenheimzulage (2.761,00 EUR) überstiegen habe, davon ausgegangen sei, dass die
Eigenheimzulage nachweislich zur Finanzierung einer nicht als Vermögen zu
berücksichtigenden Immobilie genutzt werde.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Streitakte und der Verwaltungsakte der Beklagten; diese war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG), denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit der nicht
abgetretene Teil der Eigenheimzulage als Einkommen angerechnet wurde.
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Richtiger Beklagter und damit passiv legitimiert ist die Stadt Bad Oeynhausen. Für das
sozialgerichtliche Verfahren gilt insoweit ebenso wie nach § 78 VwGO für das
verwaltungsgerichtliche Verfahren das Rechtsträgerprinzip, wonach Beteiligter die
juristische Person ist, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat oder für den
Erlass des begehrten Verwaltungsaktes sachlich zuständig ist (Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, § 70 Rn. 4; Koch/Schenke
VwGO, 12. Auflage, § 78 Rn. 3). Passiv legitimiert ist daher derjenige Rechtsträger, der
auch materiell verpflichtet ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O.; § 69 Rn. 4).
Sachlich zuständig und materiell verpflichtet zur Erbringung der mit der Klage begehrten
Leistung ist hier die Stadt Bad Oeynhausen. Der Kreis Minden-Lübbecke ist zwar
gemäß § 6a des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch (SGB II) zugelassener Träger für
die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Er hat diese Aufgaben jedoch entsprechend §
5 Abs. 2 AG-SGB II NRW vom 16.12.2004 durch Satzung an die Stadt Bad Oeynhausen
delegiert. Nach § 1 der Satzung vom 16.12.2004 überträgt der Kreis Minden-Lübbecke
den kreisangehörigen Städten und Gemeinden die in §§ 4 und 5 der Satzung näher
bezeichneten Aufgaben zur Entscheidung im eigenen Namen. Zu diesen Aufgaben
gehört gemäß § 4 Nr. 3 und Nr. 4 der Satzung unter anderem die Erbringung von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Erlass von entsprechenden
Verwaltungsakten im eigenen Namen. § 1 der Satzung des Keises Minden-Lübbecke
vom 16.12.2004 enthält damit eine delegationsähnliche Aufgabenübertragung und nicht
nur eine Übertragung eines Mandats. Ein Mandatsverhältnis liegt nur vor, wenn die
Heranziehung der Gemeinde ein Handeln im Namen des Kreises aufgibt
(Grube/Wahrendorf, Wahrendorf, SGB XII, § 99 Rn. 5). Hier liegt vielmehr eine
delegationsähnliche Aufgabenübertragung vor. Unter Delegation ist ein Rechtsakt zu
verstehen, durch den ein Hoheitsträger seine ihm durch das Recht eingeräumte
Befugnis zum Erlass von Hoheitsakten auf ein anderes Subjekt überträgt, auch wenn er
selbst weisungsbefugt bleibt (vgl. Schenke, Delegation und Mandat im öffentlichen
Recht, Verwaltungsarchiv Band 68, 118, 120, 148). Da hier der Stadt Bad Oeynhausen
entsprechend dem Ausführungsgesetz zum SGB II vom 16.12.2004 die Aufgaben zur
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Entscheidung im eigenen Namen übertragen wurde, handelt es sich, auch wenn der
Kreis Minden-Lübbecke weiterhin zugelassener kommunaler Träger der SGB II
Leistungen bleibt, um eine Delegation im weiteren Sinne. Dementsprechend werden die
kreisangehörigen Gemeinden in § 8 der Satzung auch als "Delegationsnehmer"
bezeichnet. Diese Unterscheidung hat entscheidende Auswirkungen auf die Frage der
Beteiligung im Prozess, weil der in eigenem Namen entscheidende Delegationsnehmer
auch Beklagter ist (vgl. Hauck/Noftz, Schlette, Kommentar zum SGB XII, § 99 Rn. 15;
OVG Münster, Urteil vom 17.05.1988 - 8 A 825/86; Schmidt-Jorzig, Strukturen einer
Einbeziehung kreisangehöriger Gemeinden in den Vollzug von Kreiszuständigkeiten,
Verwaltungsarchiv 75. Band, 1984, 418). Nur wenn die herangezogene Kommune im
Namen des zuständigen Trägers entscheiden würde, würde gegenüber dem
leistungsberechtigten Bürger klargestellt, dass dieser gegenüber dem Bürger
verantwortlich bleibt und dass er auch als Beklagter in einem gerichtlichen Verfahren
anzugreifen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.09.1991 - 4 L 148/90).
Der teilweise entgegenstehenden im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen
Rechtsprechung des LSG NRW (vgl. Beschluss vom 22.11.2005 - L 12 B 38/05 AS ER
und vom 24.11.2005 - L 9 B 87/05 AS ER) vermag die Kammer nicht zu folgen.
Zutreffend wird in diesen Entscheidungen zwar darauf hingewiesen, dass sich der Kreis
Minden-Lübbecke in § 8 der Satzung die Durchführung von Rechtbehelfs- und
Rechtsstreitverfahren vorbehalten hat und diese Satzungsregelung nicht gegen
höherrangiges Recht verstößt. Dies ändert jedoch nichts an der materiellen
Verpflichtung zur Erbringung der Leistung auf Seiten der herangezogenen Kommunen.
Ausschlaggebend ist nicht die weiterbestehende Leistungsträgerschaft des Kreises
nach § 6a SGB II, sondern die Frage, welcher Rechtsträger leistungsverpflichtet ist.
Diese Frage kann im Sozialhilferecht und im Recht der Grundsicherung für
Arbeitssuchende nach dem SGB II nur einheitlich beantwortet werden. Der Gesetzgeber
wollte durch die Einführung der Heranziehungsmöglichkeit in § 6 Abs. 2 SGB II eine mit
der Sozialhilfepraxis übereinstimmende Verfahrensweise ermöglichen. Unter der
Geltung des BSHG war es in vielen Ländern üblich, die kreisangehörigen Gemeinden
zur Durchführung der Hilfe zum Lebensunterhalt heranzuziehen und so die untere
kommunale Ebene einzubeziehen. Diese Praxis sollte nach der Begründung des
kommunalen Optionsgesetzes ausdrücklich fortgeführt werden (vgl. BT-Drucks.
15/2816). Auch das Ausführungsgesetz des Landes NRW zum SGB XII vom 16.12.2004
(GVBl., Seite 816) sieht in § 3 vor, dass der örtliche Träger der Sozialhilfe die
kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der ihnen als Träger der Sozialhilfe
obliegenden Aufgaben heranziehen kann. Auch in diesem Bereich entscheiden die
Kommunen dann im eigenen Namen. Diese Regelung gibt insoweit nur den bereits vor
dem 01.01.2005 geltenden Rechtsstand wieder. Insoweit war - und soweit ersichtlich -
ist unumstritten, dass die Rücknahme der Delegation bezüglich des
Widerspruchsverfahrens und des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht dazu
führt, dass der Landkreis nunmehr als Beklagter zu führen ist. Diese Regelung
entspricht vielmehr § 90 des Sozialgesetzbuches, Zehntes Buch (SGB X) und § 6 Abs. 2
SGB II. Es handelt sich hierbei um eine Ausnahme von der allgemeinen Delegation und
diese Sonderregelung erfasst lediglich die Zuständigkeit im Vorverfahren. Für das
Klageverfahren blieb es unter der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) bis
zum 31.12.2004 weiterhin dabei, dass Beklagte die kreisangehörige Gemeinde bleibt,
es sei denn, der Widerspruchsbescheid hat den Kläger erstmals im Sinne des § 78 Abs.
2 VwGO beschwert (Schellhorn, Kommentar zum BSHG, 16. Auflage, § 96 Rn. 20).
Diese Grundsätze gelten im Bereich der Sozialhilfe auch weiterhin, obwohl nach § 99
Abs. 1 SGB XII die Kreise nunmehr den Widerspruchsbescheid nach dem SGG
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erlassen müssen und § 78 VwGO damit keine direkte Geltung mehr beanspruchen
kann. Nach wie vor sind Klagen des Hilfeempfängers gegen im Rahmen von
Auftragsverhältnissen ergangenen Verwaltungsakten gegen den Verwaltungträger zu
richten, in dessen Namen der Verwaltungsakt erlassen worden ist (vgl. Hauck/Noftz,
Schlette, Kommentar zum SGB XII, § 99 Rn. 15). Für eine abweichende Handhabung im
Bereich des SGB II sind Sachgründe nicht zu erkennen. Auch im Bereich des SGB II
entfällt wegen der Durchführung des Widerspruchsverfahrens durch den Kreis nicht die
Passivlegimitation der materiell verpflichteten Kommunen. Vielmehr ist die Klage auch
weiterhin gegen diejenige juristische Person des öffentlichen Rechts zu richten, die den
Verwaltungsakt erlassen hat und von der eine Leistung begehrt wird (vgl. Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O. § 54 Rn. 45).
Soweit in § 8 der Satzung vom 16.12.2004 dem Kreis die Durchführung der
Rechtsstreitverfahren obliegt, handelt es sich lediglich um eine Befugnis zur
Prozessvertretung in gerichtlichen Streitigkeiten. Die oben dargelegte Stellung der
Kommunen als Beklagte wird im Wesentlichen durch Verfahrensgrundsätze des
Sozialgerichtsgesetzes und damit durch ein Bundesgesetz bestimmt, welches durch
eine untergesetzliche Satzungsbestimmung nicht modifiziert werden kann. Dem Kreis
Minden-Lübbecke bleibt es unbenommen, das Rechtsstreitverfahren sowohl schriftlich
als auch durch Entsendung eines Beamten des Kreises als Prozessvertreter der
Gemeinde durchzuführen. Ein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz wird nach der
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in einem solchen Vorgehen nicht gesehen.
Die Beteiligtenrolle der Gemeinde als Beklagte wird allerdings hierdurch nicht berührt
(vgl. OVG Münster, Beschluss vom 29.07.1979 - VIII B 295/78).
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Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass diejenigen Rechtsträger, die in erster Linie
und im eigenen Namen über die Ansprüche der hilfsbedürftigen Entscheiden sich mit
allen verfahrensrechtlichen und auch kostenrechtlichen Konsequenzen der
Verantwortung in einem sozialgerichtlichen Verfahren stellen müssen und so dem
Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auf effiziente Weise zur Geltung
verholfen wird.
21
Im Übrigen spricht auch die gerichtsbekannte Handhabung durch den Kreis Minden-
Lübbecke und die kreisangehörigen Kommunen in Fragen der örtlichen Zuständigkeit
für die Beklagteneigenschaft der Kommunen. Da die Kommunen bei einem Umzug in
eine andere Kommune die Ansprüche mangels örtlicher Zuständigkeit ablehnen und
diese Vorgehen auch in Gerichtsverfahren vom Kreis Minden-Lübbecke als rechtens
betrachtet wird, gehen offensichtlich die kommunalen Beteiligten solcher Verfahren
selbst davon aus, dass nur die kreisangehörigen Kommunen als Delegationsnehmer
materiell verpflichtet sind (vgl. Beschluss der 13. Kammer des Sozialgerichts Detmold
vom 09.12.2005 - S 13 AS 51/05 ER). Die hier vertretene Auffassung zur Frage der
Beklagteneigenschaft bei Delegationen wird inzwischen auch von der neuen
Rechtsprechung des LSG NRW jedenfalls für das Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung geteilt (LSG NRW, Beschluss vom 24.02.2006 - L 19 B 100/05
AS ER unter Aufgabe seiner bisher entgegenstehenden Rechtsprechung; Beschluss
vom 24.05.2006 - L 20 B 40/06 AS ER).
22
Die Klage ist auch begründet, denn die Beklagte hat zu Unrecht bei ihrer Entscheidung
über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (ALG II) für den Zeitraum vom 01.03. bis
zum 31.10.2005 die nicht abgetretenen Anteile der dem Kläger gewährten
Eigenheimzulage als seinen Anspruch gemäß § 19 Abs. 2 SGB II minderndes
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Einkommen angerechnet.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II haben erwerbsfähige Personen nur Anspruch auf
Leistungen nach diesem Buch, soweit sie hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist, wer
seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit
ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen
sichern kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Bei grundsätzlich bestehender Hilfebedürftigkeit
mindert u.a. das zu berücksichtigende Einkommen die Geldleistungen der Agentur für
Arbeit (§ 19 Satz 2 SGB II).
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Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in
Geld oder Geldeswert, zu denen grundsätzlich auch die dem Kläger gezahlte
Eigenheimzulage gehört, zu berücksichtigen. Ausgenommen sind die in § 11 Abs. 1
Satz 1 2. Halbsatz aufgeführten Sozialleistungen sowie die in § 11 Abs. 3 SGB II und in
§ 1 Alg II-Verordnung aufgeführten Einkommensarten.
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§ 1 Abs. 1 der Alg II-Verordnung vom 20.10.2004 sieht hier erst in der ab dem
01.10.2005 geltenden Fassung vor, dass die Eigenheimzulage nicht als Einkommen zu
berücksichtigen ist, soweit sie sich nachweislich zur Finanzierung einer nach § 12 Abs 3
Nr. 4 SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigenden Immobilie verwendet wird (§ 1
Abs. 1 Nr. 7 der Alg II-Verordnung in der Fassung ab dem 01.10.2005).
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Die §§ 1 - 3 in der bis zum 30.09.2005 geltenden Fassung sind gemäß der in § 6 Alg II-
Verordnung n.F. getroffenen Übergangsregelung weiterhin anzuwenden für
Bewilligungszeiträume die vor dem 01.10.2005 beginnen, längstens jedoch bis zur
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-Verordnung n.F. ist damit im
vorliegenden Fall noch nicht zu Gunsten des Klägers direkt anwendbar.
27
Die Beklagte durfte aber auch die im März 2005 an den Kläger gezahlte
Eigenheimzulage nicht als den Anspruch des Klägers minderndes Einkommen
anrechnen. Dem steht § 11 Abs. 3 Ziff. 1 a SGB II entgegen. Danach sind Einnahmen
nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen
einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des
Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II
nicht gerechtfertigt wären.
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Bei der Eigenheimzulage handelt es sich um eine zweckbestimmte Leistung dieser Art
(ebenso LSG Niedersachsen, Beschluss vom 25.04.2005, L 8 AS 39/05 ER, Schleswig-
Holsteinisches LSG, Beschluss vom 08.06.2005, L 10 B 99/05 ER AS, LSG Hamburg,
Beschluss 07.07.2005, L 5 B 116/05 ER AS; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom
01.08.2005, L 7 AS 2875/05 ER-B; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB
II, § 11 Anm. 235; a.A. Brühl in: LPK-SGB II § 11Anm. 43).
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Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 28.05.2003 (5 C 41/02,
DVBl 2004, 54) zu der einen ähnlichen Fall im früheren Sozialhilferecht regelnden
Vorschrift des § 77 Abs. 1 BSHG ausgeführt, dass die Eigenheimzulage nach dem
Eigenheimzulagengesetz vom 15.12.1995 in der Fassung der Bekanntmachung vom
26.03.1997 (BGBl. I, S. 734 - EigZulG -) keine zweckbestimmte Leistung sei. Diese
Auslegung beruht aber wesentlich auf dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 BSHG, der in den
hier maßgeblichen Punkten lautet: "Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher
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Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden ...". Dagegen war
nach der Vorschrift des § 194 Abs. 3 Nr 4 SGB III a.F. im Bereich der Arbeitslosenhilfe
die Eigenheimzulage ausdrücklich von der Bewertung als anrechenbares Einkommen
ausgenommen. Nunmehr verlangt § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II nur, dass es sich um
zweckbestimmte Einnahmen handelt, die einem anderen Zweck als die Leistungen
nach dem SGB II dienen. Bereits nach dem unterschiedlichen Wortlaut liegt es nahe, die
Rechtsprechung des BVerwG nicht als maßgeblich für das Recht des SGB II
anzusehen. Dem Bundesverwaltungsgericht ist zwar insoweit zuzustimmen, als dass
Eigenheimzulagegesetz nicht ausdrücklich einen Zweck für die Verwendung der
Eigenheimzulage festlegt, so dass die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 BSHG nicht
gegeben waren. Die Regelung in § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II stellt aber in diesem Punkt
nicht auf die ausdrückliche Nennung des Zwecks ab. Es reicht vielmehr, dass die
Eigenheimzulage einem vom SGB II abweichenden Zweck dient. Die Kammer stimmt in
diesem Punkt dem LSG Niedersachsen-Bremen zu, das im Beschluss vom 25.04.2005 -
L 8 AS 39/05 ER - ausgeführt hat, die Darlehen zum Erwerb eines begünstigten
Objektes würden gekündigt, wenn sie nicht bedient würden, was letztlich die Folge
habe, dass das Objekt verkauft oder versteigert werden müsse. Damit entfällt auch der
Anspruch auf die Zulage (vgl § 11 Abs. 3 EigZulG). Die Eigenheimzulage dient dem
Zweck, die Bildung von Wohneigentum für bestimmte Schichten der Bevölkerung zu
ermöglichen. § 2 Abs. 1 EigZulG bestimmt demgemäß, dass begünstigt im Sinne des
Gesetzes die Erstellung oder Anschaffung einer Wohnung in einem im Inland
gelegenen eigenen Haus oder einer im Inland gelegenen eigenen Eigentumswohnung
ist. Nach § 5 EigZulG dürfen die dort genannten Einkommensgrenzen nicht
überschritten werden. Der Anspruch entsteht mit Beginn der Nutzung der hergestellten
oder angeschafften Wohnung zu eigenen Wohnzwecken (§ 10 EigZulG) und besteht nur
für die Kalenderjahre, in denen der Anspruchsberechtigte die Wohnung zu eigenen
Wohnzwecken nutzt (§ 4 Satz 1 EigZulG). Damit wird klargestellt, dass es dem
Gesetzgeber nicht um Vermögensbildung als solche, sondern um die Schaffung von
Wohnraum für bestimmte Bevölkerungsschichten geht. Dass dies so ist, ergibt sich auch
aus der in § 6 Abs. 1 des EigZulG enthaltenen Beschränkung auf eine Wohnung.
Schließlich errechnet sich die Eigenheimzulage gemäß § 8 des Gesetzes auf der
Grundlage der konkreten Herstellungs- oder Anschaffungskosten zuzüglich der
Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen innerhalb eines
bestimmten Zeitraums. Bei dieser Sachlage spricht viel dafür, dass die
Eigenheimzulage in der Tat nicht - wie das SGB II - der Sicherung der Wohnung als
Lebensmittelpunkt, sondern der Sicherung der Wohnung als privilegiertes Eigentum
i.S.v. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II dient. Damit hat sie einen anderen Zweck als die
Sicherung der Kosten der Unterkunft im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 22 SGB II
(so auch LSG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005 - L 5 B 116/05 ER AS m.w.N. Die
entgegenstehende im einstweiligen Rechtsschutz vertretene Auffassung der Kammer im
Beschluss vom 26.04.2005 - S 13 AS 9/05 ER wird hiermit aufgegeben.
Die hier gefundene Auslegung muss jedenfalls dann gelten, wenn die Eigenheimzulage
tatsächlich für den vom Gesetz vorgesehenen Zweck verwendet worden ist oder
verwendet wird. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung und
seinen im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen steht für die Kammer außer
Zweifel, dass die im März 2005 ausgezahlte Eigenheimzulage für die Tilgung der im
Zusammenhang mit der von ihm und seiner Ehefrau bewohnten Eigentumswohnung
aufgenommenen Darlehen verwendet worden ist. Insoweit hat die Beklagte ausweislich
des Vermerkes vom 04.01.2006 zutreffend festgestellt, dass die Tilgung für das Jahr
2004 mit 2970,82 EUR die Eigenheimzulage in Höhe von 2761,00 EUR übersteigt. Wie
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aus den Unterlagen zu ersehen und auch vom Kläger in der mündlichen Verhandlung
versichert worden ist, wurden 2005 vergleichbar hohe Tilgungsleistungen erbracht. Der
Verwendungsnachweis im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-Verordnung ist damit als
erbracht anzusehen (vgl. SG Dortmund, Urteil vom 09.03.2005 - S 27 AS 240/05).
Die weiteren Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 SGB II, dass die Einnahmen die Lage
des Klägers und seiner Ehefrau nicht so günstig beeinflussen, dass daneben
Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären, sind nach Auffassung der
Kammer ebenfalls erfüllt.
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Dabei schließt sich die Kammer aufgrund eigener Überzeugung den zutreffenden
Ausführungen des LSG Hamburg im Beschluss vom 07.07.2005 - L 5 B 116/05 ER AS
an, die lauten: "Wenn man bedenkt, dass es einerseits im öffentlichen auch fiskalischen
Interesse liegt, nicht besonders einkommensstarke Bürger bei der Anschaffung von
eigenem Wohnraum als Teil einer privaten Altersvorsorge zu unterstützen, und dass bei
diesen andererseits die Zahlungen der Eigenheimzulage einen reinen Durchlaufposten
darstellen und sie dadurch keinen Cent mehr zum Leben haben, so gibt es keinen
Grund, die Leistungen zu kürzen."
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 144 Abs. 2
Nr. 1 SGG zugelassen.
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