Urteil des SozG Detmold vom 21.12.2009

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Sozialgericht Detmold, S 19 R 135/09
Datum:
21.12.2009
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 19 R 135/09
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 8 R 122/10
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des
Verfahrens.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte von den Klägern zu Recht
Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.110,79 EUR nachfordert.
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Die Beigeladenen zu 1) und 2) waren bei den Klägern als Auszubildende beschäftigt.
Beide sollten laut ihren Arbeitsverträgen monatlich im ersten Ausbildungsjahr 325,-
EUR , im zweiten Jahr 400,- EUR und im dritten Ausbildungsjahr 460,- EUR an
Ausbildungsvergütung erhalten, wobei die Sozialversicherungsbeiträge von den
Klägern und den Beigeladenen zu 1) und 2) "nach Maßgabe der gesetzlichen
Bestimmungen" getragen werden sollten. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden
jedoch für den Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 01.01. bis zum 30.09.2007 und für die
Beigeladene zu 2) in der Zeit vom 01.09.2005 bis zum 05.06.2007 nicht "nach Maßgabe
der gesetzlichen Bestimmungen" von den Klägern und den Beigeladenen zu 1) und 2)
getragen. Beide Beigeladenen verdienten in den strittigen Zeiträumen mehr als den
gesetzlichen Grenzbetrag von 325,- EUR. Entsprechend hätten sie als Auszubildende
im Innenverhältnis zu den Klägern die Hälfte der Gesamtsozialversicherungsbeiträge
tragen müssen. Tatsächlich leisteten die Kläger an die Beklagte jedoch die
Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Beigeladenen zu 1) und zu 2) nicht nur in
voller Höhe, sondern kehrten an die beiden auch die vereinbarte Vergütung ohne Abzug
der Arbeitnehmeranteile an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen aus.
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Im Rahmen der Prüfung des Betriebs der Kläger am 10.09.2008 (Prüfzeitraum
01.09.2004 bis 31.07.2008) fiel dieser Sachverhalt den Klägern und der Beklagten
erstmals auf. Mit Schreiben vom 11.09.2008 hörte die Beklagte die Kläger zu diesem
Sachverhalt an und zu ihrer Absicht, 1.110,79 EUR an
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nachzufordern. Diesen Nachforderungsbetrag
ermittelte die Beklagte, indem sie für die Beträge, in deren Höhe die Kläger
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Arbeitnehmeranteile der Beigeladenen zu 1) und 2) vom Lohn hätten einbehalten
können, diese tatsächlich aber an die beiden Beigeladenen ausgekehrt haben,
Gesamtsozialversicherungsbeiträge ermittelte, insgesamt den strittigen Betrag.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.11.2008 forderte die Beklagte dann
Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.110,79 EUR nach. Mit dem
hiergegen eingelegten Widerspruch machten die Kläger geltend, die Zahlung des vollen
Ausbildungsgehaltes an die Beigeladenen zu 1) und 2) sei versehentlich erfolgt.
Gesetzlich sei man, nachdem der Fehler nun aufgefallen sei, an der Rückforderung der
Überzahlung an die Beigeladenen gehindert. Diesen Schaden auch noch der
Sozialversicherungspflicht zu unterwerfen sei widersinnig.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2009 zurück.
Die Kläger hätten zu Unrecht die gesamten Sozialversicherungsbeiträge und nicht nur
die Hälfte hiervon im Innenverhältnis zu den Beigeladenen zu 1) und 2) getragen. Für
den Teil der Ausbildungsvergütung, der der Höhe nach den übernommenen
Arbeitnehmeranteilen entspreche, seien ebenfalls Gesamtsozialversicherungsbeiträge
zu zahlen. Unerheblich sei, dass die Kläger die Arbeitnehmeranteile an den
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen unabsichtlich übernommen und entsprechend zu
viel Ausbildungsvergütung an die Beigeladenen ausgekehrt hätten, ebenso, dass
inzwischen eine Rückforderung der Überzahlung gesetzlich ausgeschlossen sei.
Sozialversicherungspflichtiges Entgelt seien nämlich alle laufenden oder einmaligen
Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die
Einnahmen bestehe, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet
würden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder bloß im Zusammenhang mit
ihr erzielt würden. Hierunter fielen auch die von den Klägern an die Beigeladenen zu 1)
und 2) ausgekehrten Beträge in Höhe der eigentlich einzubehaltenden
Arbeitnehmeranteile an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.
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Mit der dagegen gerichteten Klage verfolgen die Kläger ihr Ziel, die Aufhebung des
Beitragsbescheides vom 26.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15.04.2009 fort. Sie weisen erneut darauf hin, dass die Anteile der Beigeladenen zu 1)
und zu 2) an den Sozialversicherungsbeiträgen unabsichtlich nicht vom Lohn
einbehalten worden seien. Entweder habe der Kläger zu 3) in das der Berechnung der
Gehälter zugrunde liegende Computerprogramm unabsichtlich falsche Eingaben
getätigt, oder in dieses Programm sei im Rahmen eines sogenannten Updates
unbemerkt ein falscher Grenzwert für die Frage nach der hälftigen Tragung der
Sozialversicherungsbeiträge von Auszubildenden im Rahmen der
Geringverdienergrenze eingespielt worden. Das könne im Nachhinein, insbesondere
weil inzwischen weitere Updates eingespielt worden seien, nicht mehr nachvollzogen
werden. Die entsprechenden Gehaltsabrechnungen seien dann vom Programm
automatisch erstellt und ausgedruckt worden. Die Überweisung der Löhne inklusive der
strittigen, nicht einbehaltenen Arbeitnehmeranteile an den Gesamtsozial-
versicherungsbeiträgen sei vom Programm automatisch veranlasst worden. Man habe
den Fehler nicht bemerkt, insbesondere weil die Gehaltsabrechnungen nicht noch
gesondert unterschrieben worden seien. Der hierdurch entstandene Schaden könne
nun nicht noch der Sozialversicherungspflicht unterworfen werden.
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Die Kläger beantragen,
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den Bescheid vom 26.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
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15.04.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem
Verwaltungsverfahren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die
Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Sie waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 26.11.2008 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2009 ist rechtmäßig. Die Beklagte
hat zu Recht Sozialversicherungsbeiträge auch für die Geldbeträge berechnet und
festgesetzt, die der Höhe nach den Arbeitnehmeranteilen an den
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in den strittigen Zeiträumen entsprechen und
entgegen der Vereinbarung in den Arbeitsverträgen an die Beigeladnenen zu 1) und 2)
ausgekehrt worden sind.
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Gemäß § 249 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 58 Abs. 1 Elftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XI), § 168 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)
und § 346 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) tragen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge im Innenverhältnis hälftig. Bei
Geringverdienern, die zu ihrer Ausbildung beschäftigt sind - wie vorliegend die
Beigeladenen es waren - gilt dies ab 01.04.1999 dann, wenn das Arbeitsentgelt in der
Zeit ab 01.08.2003 325,- EUR überstieg (§ 20 Abs. 3 SGB IV). Das war in den strittigen
Zeiträumen unstreitig der Fall. Entsprechend hätten die Kläger zwar, wie auch
geschehen, die gesamten Sozialversicherungsbeiträge, d.h. den Arbeitgeber- und den
Arbeitnehmeranteil, abführen müssen, jedoch im Innenverhältnis die Hälfte vom
vereinbarten Lohn gem. § 28g Satz 1 SGB IV einbehalten dürfen. Dies geschah nicht.
Als dieser Fehler bemerkt wurde, waren die Beigeladenen bereits nicht mehr bei den
Klägern angestellt und auch die Dreimonatsfrist nach § 28g Satz 3 SGB IV war
abgelaufen. Da auch ein Fall des § 28g Satz 4 SGB IV nicht vorliegt, können die Kläger
die Beigeladenen wegen des unterlassenen Abzugs vom Lohn nicht mehr in Anspruch
nehmen.
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Infolge der, wenn auch versehentlichen, vollen Auszahlung des vereinbarten Lohns
durch die Kläger haben die Beigeladenen zu 1) und 2) sozialversicherungspflichtiges
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Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV in Höhe der eigentlich von ihnen zu
tragenden Arbeitnehmeranteile erzielt. Arbeitsentgelt sind nach dieser Vorschrift
nämlich alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung,
gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher
Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der
Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Nach dieser
weitgefassten gesetzlichen Bestimmung erfasst der Begriff des Arbeitsentgelts alle
Einnahmen, die dem Versicherten im ursächlichen Zusammenhang mit seiner
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Beschäftigung zufließen (BSGE 82, 260 = SozR 3 - 2400 § 14 Nr. 17 Satz 38 m.w.N.;
Seewald in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 59. Ergänzungslieferung
2008, Rdn. 23). Eine Finalität, Äquivalenz oder Adäquanz der Einnahmen wird nach
dem bewusst weit gehaltenen Gesetzeswortlaut nicht gefordert. Für dieses, bisher nicht
der Sozialversicherungsbeitragspflicht unterworfene Arbeitsentgelt sind von den
Klägern die von der Beklagten geltend gemachten Gesamtsozialversicherungsbeiträge
in Höhe von (unstreitig) 1.110,79 EUR zu entrichten. Soweit das BSG dies in seiner
Entscheidung vom 22.09.1988 -12 RK 36/86 - in Bezug auf die zumindest sehr
ähnlichen Regelungen der Beitragsabführung in den §§ 393 - 395 RVO anders beurteilt,
überzeugt dies nicht. In dem vom BSG zu entscheidenden Fall hatten Arbeitgeber und
Arbeitnehmer in kollusivem Zusammenwirken gegenüber dem Finanzamt und den
Sozialversicherungsträgern die wahre Höhe des Arbeitnehmereinkommens
verschwiegen und nur Einkünfte in nicht steuer- und sozialversicherungspflichtiger
Höhe angezeigt; dies fiel später auf. Das BSG stellt in seiner Entscheidung auf den
fehlenden Zuwendungswillen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab. Die alleinige
Tragung der nacherhobenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge beruhe nicht auf einer
entsprechenden, ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung von Arbeitgeber
und Arbeitnehmer, sondern auf den gesetzlichen Regelungen. Diese machten allein
den Arbeitgeber zum Schuldner der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und zwar
unabhängig von den gesetzlichen Regelungen, die im Innenverhältnis zum
Arbeitnehmer eine hälftige Tragung der Beiträge durch den Arbeitnehmer vorsehen,
jedoch der Art (Einbehalt vom Lohn) und der Zeit (i.d.R. Drei Monate lang) nach
eingeschränkt. Diese Einschränkung des Verständnisses des § 14 SGB IV hält das
BSG in weiteren Entscheidungen jedoch nicht aufrecht, versteht die Vorschrift ihrem
Wortlaut entsprechend vielmehr weit und fordert nur einen irgendwie ursächlichen
Zusammenhang der Einnahme mit der Beschäftigung (BSGE 82, 260). Auch in der
Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes, mit der - nach dem Willen des BSG - eine
möglichst weitgehende Übereinstimmung erzeugt werden soll (BSGE 83, 266) wird eine
(durchgängige oder zumindest überwiegende) Einschränkung des Verständnisses von
Einnahmen, ausschließlich im Sinne von zielgerichtet zugewandten Einnahmen, nicht
vertreten. Das Auseinanderfallen von steuerrechtlicher und
sozialversicherungsrechtlicher Bewertung eines einheitlichen Lebenssachverhalts wird
vom BSG in seiner Entscheidung vom 22.09.1988 -12 RK 36/86 - erkannt, jedoch - ohne
Not - in Kauf genommen. Im Übrigen weist das BSG in seiner Entscheidung selbst
darauf hin, dass der von ihm zu entscheidende Fall der Rechtslage in den Fällen
ähnele, in denen Beiträge irrtümlich vom Arbeitgeber nicht abgeführt worden seien, er
Beitragsfreiheit annehme oder zu gering berechne. Trifft das zu, spricht das indes für die
Auffassung der Kammer. In diesen Fällen ist nämlich der objektiv geschuldete Beitrag
vom Arbeitgeber nachzuentrichten. Zur Überzeugung der Kammer kann es keinen
Unterschied machen, ob ein Arbeitgeber einen Betrag X seinen Arbeitnehmern
zukommen lässt und dabei irrig davon ausgeht, Sozialversicherungsbeiträge müssten
hierfür nicht geleistet werden, oder ob er denselben Betrag dadurch zuwendet, dass er
vom Arbeitslohn entgegen § 28g SGB IV den entsprechenden Abzug nicht vornimmt.
Beidesmal erhält der Arbeitnehmer denselben Betrag aufgrund seiner Beschäftigung für
den Arbeitgeber. Nur hierauf stellt § 14 SGB IV nach seinem Wortlaut und zur
Überzeugung der Kammer auch nach seinem Sinn und Zweck ab. Entgegen der
Auffassung bzw. zumindest der Formulierung des BSG in seiner Entscheidung vom
22.09.1988 - 12 RK 36/86 - ergibt sich daraus auch keine
Sozialversicherungsbeitragspflicht von Arbeitnehmeranteilen an den
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen. Die Kläger werden von der Beklagten nicht
hierfür in Anspruch genommen, sondern für die Auszahlung des vollständigen Gehaltes
ohne Abzug der Arbeitnehmeranteile, d.h. für eine Zuwendungen an die Beigeladenen
zu 1) und 2), für die bisher keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden.
Nur bei dieser Betrachtungsweise wird das vom BSG selbst in seiner Entscheidung vom
22.09.1988 -12 RK 36/86 - geforderte Ergebnis erreicht, dass nämlich
Gesamtsozialversicherungsbeiträge vom gesamten "gezahlten (oder) geschuldeten
Arbeitsentgelt" (vorliegend gezahlt und geschuldet) erhoben werden. Die vom BSG zu
Recht auf Fälle einer ausdrücklichen Nettolohnvereinbarung beschränkte
Hochrechnung des Nettoentgelts mittels Abtastverfahrens auf das vereinbarte
Bruttoentgelt hat die Beklagte vorliegend nicht vorgenommen. Sie hat lediglich Beiträge
für die gesamten an die Beigeladenen zu 1) und 2 ) ausgezahlten und nach dem
Ausbildungsverträgen geschuldeten Vergütungsbeträge berechnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 197a SGG i.V.m. 154 Abs. 1 VwGO.
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