Urteil des SozG Detmold vom 12.10.2007

SozG Detmold: unterstufe, schüler, eltern, verwaltungsverfahren, aufwand, stift, gymnasium, beratung, hessen, aufenthalt

Sozialgericht Detmold, S 10 AS 24/07
Datum:
12.10.2007
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 10 AS 24/07
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 25.01.2006 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2007 verurteilt, an
den Kläger weitere 85,- EUR für die Klassenfahrt vom 12.03.2006 bis
zum 20.03.2006 zu zahlen. Die Beklagte trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Klägers auf Übernahme der vollen
Kosten für eine mehrtägige Klassenfahrt auf die Insel Spiekeroog für die Zeit vom
12.03.2006 bis zum 20.03.2006 nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
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Der 1994 geborene Kläger besucht das ev.-stift. Gymnasium in H ... Am 25.01.2006
beantragte er bei der Beklagten, vertreten durch seinen Vater als gesetzlichen Vertreter,
die Übernahme der Kosten der Klassenfahrt auf die Insel Spiekeroog in Höhe von
235,00 EUR.
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Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25.01.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger
lediglich einen Betrag in Höhe von 150,- EUR. Im Übrigen lehnte sie die Gewährung
weiterer (235,- EUR - 150,- EUR) 85,- EUR ab.
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Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom
27.12.2006 zurück. Anspruchsgrundlage für die Leistungen an den Kläger sei § 23 Abs.
3 Nr. 3 SGB II. Der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift zum Ausdruck gebracht, dass
Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen
Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst und daher gesondert zu erbringen
seien. Gemäß Punkt 2.1 der Richtlinien für Schulwanderungen und Schulfahrten
entschieden die Schulen über Durchführungen von Schulwanderungen und
Schulfahrten in eigener Verantwortung. Nach Punkt 2.2 der Richtlinien sei die
Kostenobergrenze für Schuldwanderungen und Schulfahrten möglichst niedrig zu
halten, um die Erziehungsberechtigten nicht unzumutbar zu belasten. Der finanzielle
Aufwand für sie dürfe kein Grund sein, dass ein Schüler oder eine Schülerin nicht
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teilnehmen könne. Hieraus ergebe sich, dass die Schulkonferenz bei der Festlegung
der Kostenobergrenze darauf achten müsse, dass von den Leistungsträgern nach dem
SGB II nur angemessene Fahrten bezuschusst werden könnten. Auch die
Schulkonferenz sei gehalten, einen angemessenen Kostenrahmen zu beachten. Gemäß
§ 2 Abs. 2 SGB II hätten erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer
Bedarfsgemeinschaft lebende Personen in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu
nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten.
Grundsätzlich würden die Kosten einer mehrtägigen Klassenfahrt in tatsächlicher Höhe
übernommen. Soweit die Kosten jedoch -wie vorliegend- 150,- EUR überschreiten
würden, sei das nicht der Fall. Bei dem Betrag von 150,- EUR handele es sich dabei
nicht um eine unzulässige Pauschalisierung der Leistungen im Rahmen des § 23 Abs. 3
Nr. 3 SGB II. Denn es würden grundsätzlich die tatsächlichen Kosten übernommen,
soweit sie nicht die Höchstgrenze überschritten. Zu übernehmen seien jedoch lediglich
die Kosten einer "angemessenen" Klassenfahrt. Für einen Betrag von 150,- EUR seien
entsprechende Klassenfahrten möglich. Insoweit werde beispielhaft auf die Angebote
der Internetseite www.klassenfahrten-kluehspies.de verwiesen. Fahrten nach Norderney
und nach Langeroog für fünf Tage würden dort ab 132,- EUR bzw. ab 137,- EUR
angeboten. Da die vorliegende Klassenfahrt zeitlich länger im Voraus geplant gewesen
sei, wäre es dem Kläger möglich gewesen, den Differenzbetrag von 85,- EUR zwischen
den bewilligten rund 150,- EUR und den tatsächlichen anfallenden Kosten in Höhe von
235,- EUR anzusparen. Weiterhin bestehe häufig die Möglichkeit, Klassenfahrten durch
Fördergelder eines Fördervereins o.ä. gefördert zu erhalten. Durch den im
Verwaltungsverfahren vorgelegten Überweisungsträger ergebe sich auch, dass der
Vater des Klägers die tatsächlichen Kosten in Höhe von 235,- EUR angewiesen habe,
also die Differenz von 85,- EUR aus eigenen Einkünften oder Vermögen habe bestreiten
können.
Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt der Kläger sein Ziel fort, die tatsächlichen
Kosten der Klassenfahrt erstattet zu bekommen und somit einen weiteren Betrag von
85,- EUR ausgezahlt zu erhalten. Er verweist darauf, dass nach dem Wortlaut des § 23
Abs. 3 SGB II der zuständige Träger für "mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der
schulrechtlichen Bestimmungen" einmalige Beihilfen leisten müsse. Darauf bestehe ein
Anspruch. Im Gesetz heiße es ausdrücklich, dass die Kosten für mehrtägige
Klassenfahrten nicht von der Regelleistung umfasst würden. Sie müssten daher
gesondert erbracht werden. Insofern sei auch die für die jeweiligen Kläger positiven
Urteile des Sozialgerichtes Lüneburg vom 26.01.2005 und des Sozialgerichts
Oldenburg vom 29.06.2006 zu verweisen, ebenso auf die Entscheidung des Hessischen
Landessozialgerichtes im Urteil vom 20.09.2005, L 9 AS 38/05 ER.
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Fördermöglichkeiten für die Klassenfahrt habe es nicht gegeben. Sein Vater habe sich
insofern bei der Schulleitung erkundigt. Im Übrigen hätten die Eltern auf das
Ausflugsziel, die Insel Spiekeroog, keinen Einfluss gehabt. Dorthin würde jedes Jahr in
der Unterstufe seines Gymnasiums gefahren. Das sei entsprechend vorgegeben
gewesen, ebenso die Kosten in Höhe von 235,- EUR.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.01.2007 zu verurteilen, an ihn weitere 85,- EUR für die
Klassenfahrt vom 12.03.2006 bis zum 20.03.2006 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf ihre Ausführungen und
Argumentation im Verwaltungsverfahren. Übernommen werden müssten nach § 23 Abs.
3 Nr. 3 SGB II nur die Kosten für eine mehrtägige Klassenfahrt, die sich im Rahmen der
schulrechtlichen Bestimmungen hielten. Nach diesen schulrechtlichen Bestimmungen
seien die Kosten möglichst niedrig zu halten, damit auch die Kinder von finanziell
leistungsschwachen Eltern mitfahren könnten. Diese Vorgabe würde lediglich erfüllt,
wenn man einen Höchstbetrag von 150,- EUR für mehrtägige Klassenfahrten in der
Unter- und Mittelstufe annehme. Entsprechend sehe das auch das Sozialgericht
Aachen, S 8 AS 39/05.
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Die Beteiligten haben im Erörterungstermin am 06.09.2007 eine Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung beantragt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten
betreffend den Kläger Bezug genommen. Sie lagen der Entscheidungsfindung
zugrunde.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht war gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berechtigt ohne
mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Beteiligten haben sich hiermit
einverstanden erklärt.
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid
vom 25.01.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2007 beschwert
im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Er hat gemäß § 23 Abs. 3 SGB II einen Anspruch
auf Übernahme der vollen Kosten der Klassenfahrt in Höhe von insgesamt 235,- EUR
und somit noch einen Anspruch auf Leistung weiterer 85,- EUR. Nach § 23 Abs. 3 Satz
1 Nr. 3 SGB II sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der
schulischen Bestimmungen nicht von der Regelleistung nach § 28 Abs. 1 SGB II in
Verbindung mit § 20 SGB II umfasst; sie sind vielmehr nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB II
gesondert zu erbringen. Der Kläger hat vom 12.3. bis zum 20.03.2006, d.h. acht Tage,
an der in der Unterstufe des von ihm besuchten Gymnasiums regelmäßig
durchgeführten mehrtägigen Klassenfahrt teilgenommen. Hierfür sind vom ev.-stift.
Gymnasium 235,- EUR angesetzt worden. Diese Kosten sind von der Beklagten zu
übernehmen. Eine Begrenzung der Leistungen auf die von der Beklagten als
angemessen erachtete Höchstgrenze von 150,- EUR ist im Gesetz nicht vorgesehen.
Die Fahrt muss sich lediglich im Rahmen der "schulrechtlichen Bestimmungen" halten.
Das ist vorliegend der Fall. Denn nach Nr. 2.2 der in Nordrhein Westfalen geltenden
Richtlinie für Schulwanderungen und Schulfahrten (Wanderrichtlinien - WRL) legt die
Schulkonferenz die Kostenobergrenze für Schulfahrten fest. Dabei ist der
Schulpflegschaft, dem Schülerrat und der Lehrerkonferenz Gelegenheit zur
vorbereitenden Beratung zu geben. Zudem ist die Kostenobergrenze für die
Schulwanderungen und Schulfahrten möglichst niedrig zu halten, um die
Erziehungsberechtigten nicht unzumutbar zu belasten. Schließlich darf der finanzielle
Aufwand kein Grund dafür sein, dass ein Schüler oder eine Schülerin nicht teilnehmen
kann. Die Kosten der Klassenfahrten sind damit auszurichten an dem, was die
Erziehungsberechtigten leisten können. Sie kommen dabei in einem pädagogisch
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geleiteten, demokratischen Prozess im Rahmen der Schulkonferenz zustande. Damit ist
ein ausreichendes Korrektiv geschaffen, welches dafür sorgt, dass auch der
Leistungsträger nach dem SGB II nicht übermäßig oder unverhältnismäßig Kosten zu
tragen hat. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall das vorgeschriebene
Verfahren zur Bestimmung der Art, des Umfangs und der Kosten der Wanderfahrt nicht
berücksichtigt worden sind, sind nicht ersichtlich. Auch sind Wanderfahrten von 8 Tagen
in der Unterstufe gerichtsbekannt als üblich anzusehen. Ein Betrag von 235,- EUR
hierfür bei einem Aufenthalt auf der Insel Spiekeroog erschiene, selbst wenn man eine
Angemessenheitsprüfung durch die Beklagte und das Gericht für zulässig hielte (so
offenbar LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.09.2007, L 11 B 340/06 AS ER;
anders offenbar LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.04.2007, L 5 B 437/07 AS
ER, und SG Detmold, Urteil vom 09.03.2007, S 7 AS 103/06), nicht als unangemessen.
Der Preis entspricht vielmehr den Preisen, welche die Beklagte selbst als angemessen
angegeben hat. Rechnet man nämlich die von der Beklagten genannten Mindestpreise
für 5-tägige Klassenfahrten auf andere Inseln, nämlich Langeroog und Norderney, um
von einer fünftägigen Reise auf die vorliegende achttägige Reise, so ergeben sich
Preise von rund 220,- EUR, das heisst im Preisrahmen der hier strittigen Reise.
Es kann daher dahinstehen, ob dem Sozialgericht Detmold in seiner Entscheidung vom
09.03.2007, S 7 AS 103/07 sowie dem Sozialgericht Hessen in seinem Beschluss vom
20.09.2005, L 9 AS 38/05 ER, oder dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht
im Beschluss vom 20.09.2006, L 11 b 340/06 AS-ER zu folgen und keine
Angemessenheitsprüfung durchzuführen ist. Auch bei einer derartigen
Angemessenheitsprüfung sieht das Gericht weder in dem gewählten Klassenfahrtziel,
der Insel Spiekeroog, noch der Dauer der Klassenfahrt oder in den daraus entstehenden
Kosten Anhaltspunkte dafür, dass die Klassenfahrt nicht den schulrechtlichen
Bestimmungen entspricht und dem Bemühen um eine möglichst kostengünstige
Schulwanderung. Kostengünstig heißt nämlich nicht, dass lediglich die günstigste Reise
oder die günstigsten Reisen sich im Rahmen der schulrechtichen Vorschriften halten.
Vielmehr ist nach den schulrechtlichen Bestimmungen und insbesondere nach Nr. 1
WAL zu beachten, dass Klassenfahrten Bestandteile der Bildungs- und
Erziehungsarbeit der Schulen sind. Entsprechend haben die Schulen zumindest eine
erhebliche Einschätzungsprärogative, mit welchen Klassenfahrten sie diesen Bildungs-
und Erziehungsaufgaben gerecht werden können und welche Kosten dafür zu tragen
sind.
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Der Kläger ist auch nicht auf eine Eigenbeschaffung der erforderlichen Finanzmittel
durch die Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit zu verweisen oder durch Ansparung des
Differenzbetrages zwischen den unstreitig zu erstattenden 150,- EUR und den
tatsächlichen anfallenden 235,- EUR. Eine solche Verweisung ist im Gesetz nicht
vorgesehen. Vielmehr heißt es in § 23 Abs. 3 Ziffer 3 SGB III ausdrücklich, dass die
Kosten mehrtägiger Klassenfahrten (ohne Einschränkung) zu übernehmen sind, da sie
"nicht von der Regelleistung umfasst" werden. Dass der Vater des Klägers die Differenz
zwischen den bisher erstatteten 150,- EUR und den tatsächlich angefallenen 235,- EUR
darlehnsweise ausgeglichen hat, ändert nichts an dem Erstattungsanspruch des
Klägers. Die Zahlung erfolgte offensichtlich (überobligatorisch) im Hinblick auf den vom
Kläger und seinem Vater zu Recht angenommenen Erstattungsanspruch gegen die
Beklagte. Diese sollte und wird hierdurch nicht entlastet. Zuschüsse Dritter, Ansprüche
hierauf oder zumindest Förderungsmöglichkeiten gab es nicht bzw. sind nicht
ersichtlich. Das hat die Nachfrage des Vaters des Klägers bei der Schulleitung ergeben.
Der Förderverein der Schule unterstützt nach seiner im Internet veröffentlichten Satzung
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nur Projekte, die sonst von niemandem - also auch nicht von der Beklagten - getragen
werden können und müssen, z.B. einen Beachvolleyballplatz.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 182, 193 SGG.
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Die Berufungssumme von 500,- EUR wird vorliegend nicht überstiegen, § 144 Abs. 1 S.
1 Ziffer 1 SGG. Die Berufung bedarf daher für ihre Zulässigkeit grundsätzlich der
Zulassung. Die Berufung ist jedoch nicht zuzulassen. Die Angelegenheit hat keine
grundsätzliche Bedeutung, es wird mit der vorliegenden Entscheidung nicht von
obergerichtlicher Rechtsprechung abgewichen, § 144 Abs. 2 SGG.
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