Urteil des SozG Detmold vom 04.08.2010

SozG Detmold (wohnung, antragsteller, anordnung, überwiegende wahrscheinlichkeit, antrag, zusicherung, wohnfläche, umzug, bezug, hauptsache)

Sozialgericht Detmold, S 8 AS 1574/10 ER
Datum:
04.08.2010
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 8 AS 1574/10 ER
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 9 AS 1472/10 B ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
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I.
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Die Antragsteller begehren im vorliegenden Verfahren die Erteilung einer Zustimmung
zum Umzug in eine Wohnung in der Cstraße 0 in C1.
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Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der Antragsteller zu 2) bis 4). Die Antragsteller
bewohnen ein Haus in der Nstraße 0 in C1 mit einer Wohnfläche von 85 m², wobei die
Antragstellerin zu 1) und die Antragsteller zu 3) und 4) dort seit dem Umzug der Familie
nach C1 am 01.11.2009 wohnen und der Antragsteller zu 2) erst im Februar 2010 dort
zugezogen ist. In dem Haus wohnt seit dem 01.12.2009 außerdem der Herr B B1 T Q,
der Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1). Der Herr T Q ist Vater zweier Töchter im
Alter von sechs und sieben Jahren, die ihn regelmäßig besuchen.
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Nach dem Zuzug des Antragstellers zu 2) am 12.02.2010 bat die Antragstellerin zu 1)
erstmals um die Genehmigung eines Umzuges, da die Wohnung zu klein sei und zudem
Schimmelbildung vorhanden sei, was insbesondere der Gesundheit des Antragstellers
zu 4) schade, der Asthmatiker sei. Ein Wohnungsangebot für eine konkrete Wohnung
legte sie nicht vor. Mit Schreiben vom 12.03.2010 forderte die Antragsgegnerin die
Antragstellerin auf, ihre konkrete Wohnsituation zu schildern und mitzuteilen, ob immer
noch Aussicht auf eine neue Wohnung bestünde.
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Am 24.03.2010 beantragte die Antragstellerin zu 1) erneut die Genehmigung eines
Umzuges, da die Wohnung für sie und ihren Lebensgefährten sowie die drei Söhne zu
klein sei. Weiter seien die zwei Mädchen des Lebensgefährten jedes zweite
Wochenende und zur Hälfte der Ferien zu Besuch.
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In einem Telefongespräch am 27.04.2010 mit dem Herrn T Q verblieben die Beteiligten
so, dass sich die Antragsteller zunächst eine neue Wohnung suchen sollten und sich
dann bei der Antragsgegnerin melden wollten. Eine konkrete Entscheidung sollte dann
erfolgen.
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Am 11.05.2010 teilte die Antragstellerin zu 1) sodann mit, dass der Herr Q sich von ihr
getrennt habe. Sie forderte erneut die Zustimmung zum Umzug. Am 11.06.2010
wiederholte sie die Forderung.
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Mit Schreiben vom 17.06.2010 forderte die Antragsgegnerin sodann den Herrn T Q zur
Mitwirkung gemäß §§ 60, 66 SGB I auf. Insbesondere wurden Nachweise betreffend das
Umgangsrecht mit den Töchtern angefordert.
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Am 20.07.2010 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung
beantragt. Sie tragen vor: Die Antragsteller bildeten keine Bedarfsgemeinschaft mit
Herrn T Q. Sie verwiesen diesbezüglich auf ein weiteres anhängiges Eilverfahren,
welches unter dem Aktenzeichen S 8 AS 1408/10 ER geführt wird. Die Antragsteller
müssten umziehen. In der Wohnung seien Nacktschnecken, Ameisen, Schimmel,
Kellerasseln und anderes Ungeziefer. Eine Gasnachzahlung vom 16.02. bis 31.05.2010
belaufe sich auf 1.700,00 EUR. Zudem sei die Wohnung für die Ausübung des
Besuchsrechts der Herrn T Q mit seinen Töchtern zu klein. Die Antragstellerin habe
bereits Wohnungen angeschaut, ohne die Zustimmung der Antragsgegnerin könne sie
aber keinen Mietvertrag abschließen. Der Umzug eile, da der Antragsteller zu 4) ständig
Asthmaspray nehmen müsse.
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Auf Aufforderung des Gerichts haben die Antragsteller eine Mietbescheinigung für eine
Wohnung in der Cstraße 0 in C1 vorgelegt. Auf die Mietbescheinigung wird wegen der
weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
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Die Antragsteller beantragen,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die
Zustimmung zum Umzug in die Cstraße 0 in C1 zu erteilen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung führt sie aus: Bislang habe eine Zusicherung nicht erteilt werden
können, da ein konkretes Wohnungsangebot nicht vorgelegt wurde. Des Weiteren sei
auch noch nicht geklärt, ob der Auszug aus der bisherigen Wohnung erforderlich sei.
Aufgrund der nunmehr vorgelegten Mietbescheinigung könne eine Zusicherung zur
Übernahme der Kosten ebenfalls nicht erfolgen, da die Wohnung nach den bisherigen
Erkenntnissen nicht angemessen sei. Die Antragsgegnerin verweist auf ihre
Mitwirkungsaufforderung vom 17.06.2010 und führt aus, dass die dort angeforderten
Unterlagen erforderlich seien, um insbesondere auch festzustellen, inwiefern die
Töchter des Lebensgefährten bei der Bewertung der Angemessenheit der Wohnung zu
berücksichtigen seien. Andere Gründe seien nicht nachgewiesen. Über die Erteilung
der Zusicherung könne nach Erfüllung der Mitwirkungspflichten entschieden werden.
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Das Gericht hat ein Attest der Frau Dr. T1 G betreffend die Asthma-Erkrankung des
Antragstellers zu 4) sowie einen Hausbesuchsbericht vom 29.07.2010, die in dem
Verfahren S 8 AS 14.08/10 ER überreicht wurden, zum hiesigen Verfahren beigezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und
der Gerichtsakte zum Verfahren S 8 AS 1408/10 ER, die bei der Entscheidung
vorgelegen haben, Bezug genommen.
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II.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.
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Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr
besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines
vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen
Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der
der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll,
sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der
Anordnung begründet, voraus.
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Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander,
es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den
Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden
Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen
Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG –
Kommentar, 8. Auflage, § 86 b Rdnrn. 27 und 29 m. w. N.). Ist die Klage in der
Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige
Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil
ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache
dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen
Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen
Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen
Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des
Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu
entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers
umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die
Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht, Beschluss
vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05).
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Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Die
Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine
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überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die
tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des
Anordnungsgrundes (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., Rdnrn. 16 b, 16 c, 40).
Hiervon ausgehend haben die Antragsteller bereits einen Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht. Gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II soll vor Abschluss eines Vertrages
über eine neue Unterkunft der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Zusicherung des für die
Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den
Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Gemäß § 22 Abs. 2 S. 2 SGB II ist der
kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist
und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.
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Vorliegend ist bereits nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen
Prüfung nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Wohnung in der Cstraße
angemessen im Sinne der Vorschriften des SGB II ist. Dagegen spricht bereits, dass die
Wohnung mit einer Wohnfläche von 148 m² für die zur Zeit aus fünf Personen
bestehende Bedarfsgemeinschaft erheblich zu groß ist. Als angemessen ist für eine aus
fünf Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft lediglich eine Wohnfläche von 105 m²
anzusehen. Inwiefern ein weiterer Raumbedarf für die Töchter des Herrn Q zu
berücksichtigen ist, kann derzeit nicht beurteilt werden, da bislang die von der
Antragsgegnerin angeforderten Unterlagen über den Umfang des Umgangsrechts nicht
vorgelegt wurden. Dies kann jedoch für die Zwecke des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens dahinstehen, da jedenfalls den Töchtern, die sich nur zeitweilig
bei den Antragstellern aufhalten, nicht der gleiche Platzbedarf wie einem dauerhaft im
Haushalt wohnenden Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zugestanden werden kann,
sodann lediglich ein geringer Mehrbedarf an Wohnbedarf bestehen dürfte. Hier wäre die
Wohnung aber selbst dann noch zu groß, wenn man die Töchter als Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft berücksichtigte. Dann wäre lediglich eine Wohnfläche von 135 m²
angemessen, die Wohnung also immer noch zu groß. Tatsachen, die dafür sprächen,
dass die Wohnung trotz der zu großen Wohnfläche angemessen wäre, haben die
Antragsteller nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht.
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Darüber hinaus haben die Antragsteller auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft
gemacht. Ein solcher könnte nur bejaht werden, wenn den Antragstellern schwere und
unzumutbare Nachteile drohten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht
mehr revidiert werden könnten. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die in § 22 Abs. 2 SGB
II vorgesehene Zusicherung zur Übernahme der Kosten einer neuen Wohnung nach §
22 Abs. 2 SGB II im Fall des Unterkunftswechsels ist nicht Anspruchsvoraussetzung für
die Übernahme der nach § 22 Abs. 1 SGB II angemessenen Kosten für eine neue
Wohnung (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 Rn
27); vielmehr ist die Antragsgegnerin nach Bezug einer neuen Wohnung verpflichtet, die
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu übernehmen, soweit sie angemessen
i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB II sind und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB
II gegeben sind. Das Zusicherungsverfahren nach § 22 Abs. 2 SGB II hat lediglich den
Zweck, über Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren Entstehung eine
Entscheidung herbeizuführen und so für den Hilfebedürftigen das Entstehen einer
erneuten Notlage infolge der nur teilweisen Übernahme von Kosten zu vermeiden (LSG
NW, Beschluss vom 25.03-2008- L 19 B 55/08 AS). § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II begründet
nur die Obliegenheit eines Leistungsempfängers vor Anmietung einer neuen Wohnung
auf eine entsprechende Zusicherung hinzuwirken. (LSG NRW; Beschluss vom
27.08.2009, Az.: L 19 B 217/09 AS). Insofern bedarf es im vorliegenden Fall einer
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einstweiligen Anordnung nicht. Die Antragsteller sind nicht gehindert, die betreffende
Wohnung anzumieten und zu beziehen. Die anfallenden Kosten sind in angemessener
Höhe von der Antragsgegnerin zu übernehmen. Sollten die Kosten die angemessene
Höhe am Wohnort der Antragsteller übersteigen, kann eine einstweilige Anordnung
schon deshalb nicht ergehen, weil es für eine unangemessene Wohnung bereits an
einem Anordnungsanspruch fehlt.
Darüber hinaus fehlt es an einem Anordnungsgrund auch bereits deshalb, weil die
Antragsteller ihren Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren bislang nur
unzureichend nachgekommen sind. Da die Antragsteller erstmals im gerichtlichen
Verfahren konkrete Angaben bezüglich der anzumietenden Wohnung gemacht haben,
war es der Antragsgegnerin nicht möglich, eine Prüfung vorzunehmen und eine
Zusicherung zu erteilen. Nach wie vor haben die Antragsteller und der Lebensgefährte
der Antragstellerin zu 1) zudem die von der Antragsgegnerin angeforderten Unterlagen
betreffend die Ausgestaltung des Umgangsrechts mit den Töchtern des
Lebensgefährten nicht vorgelegt. Auch haben sie keine Gründe vorgetragen oder
glaubhaft gemacht, warum diese nicht vorgelegt werden können. Die Unterlagen sind
aber erforderlich, um beurteilen zu können, ob und in welchem Umfang Wohnraum zur
Ausübung des Umgangsrechts vorgehalten werden muss und damit bei der Beurteilung
der Angemessenheit der Wohnfläche zu berücksichtigen ist.
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Da der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz aus den oben genannten Gründen keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, haben die Antragsteller auch keinen Anspruch auf
Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwältin.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG in entsprechender Anwendung.
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