Urteil des SozG Detmold vom 28.06.2002

SozG Detmold: gemeinschaftspraxis, genehmigung, versorgung, berufliche tätigkeit, zusammenarbeit, sicherstellung, niederlassung, behandlung, ermächtigung, vertragsarzt

Sozialgericht Detmold, S 12 KA 8/01
Datum:
28.06.2002
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 12 KA 8/01
Nachinstanz:
Bundessozialgericht, B 6 KA 34/02 R
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Beschlusses vom 13.03.2001
verurteilt, die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit der
Kläger in einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis zu genehmigen. Der
Beklagte trägt die erstattungspflichtigen Kosten der Kläger. Die
Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Umstritten ist die Genehmigung zur Bildung einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis.
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Die Kläger sind Fachärzte für Laboratoriumsmedizin, die Kläger zu 1) und 2) mit
Praxissitz in Q und der Kläger zu 3) mit Praxissitz in C. Am 01.10.1999 beantragten die
Kläger zu 1) und 2) die Führung einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis mit dem
Kläger zu 3) zu genehmigen. Zur Begründung führten sie aus, die EBM-Reform habe zu
einer nicht mehr tragbaren Unterdeckung geführt mit den Folgen der
Personalentlassung und der Aufgabe von Untersuchungsverfahren. Zudem sei die
Ausübung einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis im Bereich der Kassenärztlichen
Vereinigung Niedersachsen für zulässig gehalten worden.
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In ihrer Stellungnahme vom 03.11.1999 führte die Beigeladene zu 2) aus, die
gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit von Ärzten in einer
Gemeinschaftspraxis drücke sich neben der gemeinsamen Beschäftigung von
Praxispersonal insbesondere in der gemeinschaftlichen Behandlung der Patienten und
der gemeinschaftlichen Karteiführung und Abrechnung aus. Sie erfordere im Hinblick
auf die im Vertragsarztrecht enthaltenen Grundsätze zum Vertragsarztsitz und zur
Präsenz- sowie Residenzpflicht eine räumliche Einheit bei der Ausübung der
vertragsärztlichen Tätigkeit. Aus diesen Gründen könne dem Antrag auf Genehmigung
einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis nicht entsprochen werden. Ebenso sah auch
die Beigeladene zu 1) ausweislich ihrer Stellungnahme vom 17.11.1999 keine
Rechtsgrundlage für die Gründung einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis. Darin heißt
es, zwischen Fachgruppen, die patientenbezogen arbeiteten und Fachgruppen, die
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keinen unmittelbaren Patientenkontakt hätten, könne kein Unterschied gemacht werden.
Im Übrigen sei auch die Berufsausübungsgemeinschaft nach Kapitel D II Nr. 8 des
Berufsausübungsgesetzes der Ärztekammer Westfalen-Lippe nur zulässig, wenn die
Tätigkeit an einem gemeinsamen Praxissitz ausgeübt werde.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Berufungsausschuss mit Beschluss
vom 13.03.2001 zurück und führte dazu aus, entscheidend sei, dass die gemeinsame
Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit an ein und demselben Vertragsarztsitz erfolge,
sonst stelle sie keine Gemeinschaftspraxis im Sinne des § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV dar.
Rechtlich handele es sich mithin um eine einheitliche Praxis mit einem Vertragsarztsitz.
Diese Definition schließe eine gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit
zwischen Ärzten aus, die verschiedene Vertragsarztsitze hätten. Eine wie auch immer
geartete Zusammenarbeit solcher Ärzte falle nicht unter § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV und sei
deshalb nach Vertragsarztrecht weder genehmigungspflichtig noch genehmigungsfähig.
Ob eine solche Zusammenarbeit nach anderen Vorschriften, etwa dem Berufsrecht,
genehmigungsfähig oder anzeigepflichtig sei, könne dahinstehen, da diese Frage nicht
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht
aus der Regelung über Ärztliche Berufsausübungsgemeinschaften in Abschnitt D II Nr. 8
der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Zwar sei nach dem Berufsrecht
eine Berufsausübungsgemeinschaft zwischen Ärzten, die nicht patientenbezogen tätig
seien, mit verschiedenen Vertragsarztsitzen zulässig. Jedoch werde nichts darüber
gesagt, ob es sich bei dieser Art der Zusammenarbeit um eine gemeinsame Ausübung
vertragsärztlicher Tätigkeit im Sinne des § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV handele. Schließlich
werde auch das Grundrecht der Freiheit der Berufsausübung (Artikel 12 Grundgesetz -
GG-) durch die Versagung der begehrten Genehmigung nicht berührt. Die gemeinsame
Ausübung vertraglicher Tätigkeit stelle eine besondere privilegierte Form der
Zusammenarbeit dar, für die der Gesetzgeber Voraussetzungen habe statuieren
können.
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Hiergegen richtet sich die am 07.06.2001 erhobene Klage, mit der die Kläger weiterhin
die Genehmigung zur Führung einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis begehren. Sie
tragen hierzu vor, die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV seien sämtlich erfüllt.
Zudem ständen die landesrechtlichen Vorschriften über die ärztliche Berufsausübung
einer Genehmigung nicht entgegen. Solch eine Genehmigung sei insbesondere
vereinbar mit der Berufsordnung der Ärztekammer- Westfalen Lippe. Nach Abschnitt B §
22 i.V.m. Abschnitt D I Nr. 8 BO dürften sich Ärzte, die ihrem typischen
Fachgebietsinhalt nach regelmäßig nicht unmittelbar patientenbezogen tätig seien, zu
einer Berufsausübungsgemeinschaft derart zusammenschließen, dass jeder
Gemeinschaftspartner seine Tätigkeit an einem Praxissitz ausübe, der den Mittelpunkt
seiner Berufstätigkeit bilde. Diese Voraussetzungen seien für Ärzte des Fachgebiets der
Laboratoriumsmedizin eindeutig erfüllt, da diese Ärzte ausschließlich auf Überweisung
anderer Ärzte tätig würden und die Auftragsleistungen zudem nicht unmittelbar
patientenbezogen seien. Ferner könne eine gemeinsame Berufsausübung in einer
Gemeinschaftspraxis auch an verschiedenen Vertragsarztsitzen erfolgen. Dies zeige
schon die Regelung des ärztlichen Berufsrechts, denn die tatsächliche gemeinsame
Berufsausübung in einer rein privatärztlichen überörtlichen Gemeinschaftspraxis
unterscheide sich nicht von derjenigen in einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis von
Vertragsärzten. In den §§ 98 Abs. 2 Nr. 13 SGB V und 33 Abs. 2 Ärzte-ZV fänden sich
keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die gemeinsame Berufsausübung auf eine
bestimmte vom ärztlichen Berufsrecht abweichende Gestaltung beschränkt sein solle.
Eine solche Beschränkung der gemeinsamen Berufsausübung entspräche auch nicht
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dem Sinn und Zweck der Vorschriften über die vertragsärztliche Versorgung. Im
Interesse des Patienten und der gesamten ärztlichen Versorgung dienten die
Vorschriften über den Vertragsarztsitz der Sicherstellung der örtlichen Versorgung der
Patienten. Einen Bezug zur gemeinsamen Berufsausübung hätten die Vorschriften über
den Vertragsarztsitz dagegen nicht. § 24 Ärzte-ZV regele nämlich nur den Ort der
ärztlichen Leistungserbringung, nicht dagegen den Ort, an dem Rechtsgeschäfte über
die Leistungserbringung geschlossen würden. Es sei daher ohne weiteres zulässig,
dass Behandlungsverträge durch andere Ärzte in Vertretung und mit Wirkung auch für
einen Arzt an einem anderen Ort geschlossen würden. Entscheidend sei nur, dass der
Arzt, der die Laboruntersuchung vornehme, diese Leistungen an seinem Vertragsarztsitz
erbringe. Nur diese Auslegung werde auch dem Grundrecht der Berufsfreiheit gerecht.
Denn eine vom ärztlichen Berufsrecht abweichende Regelung über die Unzulässigkeit
der überörtlichen Gemeinschaftspraxis für nicht unmittelbar patientenbezogen tätige
Ärzte würde die Berufsausübungsfreiheit verletzen. Eine überörtliche
Gemeinschaftspraxis beeinträchtige auch nicht die Versorgung der Versicherten.
Vielmehr ermögliche die überörtliche Zusammenarbeit mehrerer Laboratorien in der
Region eine verbesserte Versorgung der Versicherten, da durch
Rationalisierungsvorteile die im Interesse einer qualitativ guten Versorgung
unersetzlichen regional tätigen Laboratorien erhalten würden und durch Spezialisierung
an den einzelnen Praxisstandorten eine bessere Qualität erzielt werden könne. Auch
verwaltungspraktische Schwierigkeiten, wie sie für eine die KV-Grenzen
überschreitende überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft hinsichtlich der
Honorarabrechnung und der Zuständigkeit der Disziplinarausschüsse vorliegen
könnten, seien nicht gegeben, da die geplante überörtliche
Berufsausübungsgemeinschaft gerade die KV-Grenzen nicht überschreite. Den
konkreten Antrag auf Genehmigung der gemeinsamen Berufsausübung könnten
abstrakte Bedenken, die möglicherweise gegen eine KV-Grenzen überschreitende
überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft erhoben würden, nicht entgegen gehalten
werden.
Schließlich könne die bloße Möglichkeit eines Verstoßes gegen die berufs- und
vertragsarztrechtliche Pflicht des einzelnen Arztes, seine ärztliche Tätigkeit am Ort
seiner Niederlassung auszuüben, die Versagung der Genehmigung der gemeinsamen
Berufsausübung nicht rechtfertigen. Insoweit werde auf die Rechtsprechung des BGH
zu dem parallel gelagerten Problem überörtlicher Anwaltssozietäten im Hinblick auf die
auch nach dem anwaltlichen Berufsrecht bestehende Residenzpflicht verwiesen.
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Die Kläger beantragen,
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den Beklagten unter Aufhebung des Beschlusses vom 13.03.2001 zu verurteilen, die
gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit der Kläger in einer überörtlichen
Gemeinschaftspraxis zu genehmigen.
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Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 2), 3), 4) und 6) beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beziehen sich der Beklagte und die Beigeladenen im Wesentlichen auf
die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Darüber hinaus trägt die
Beigeladene zu 1) vor, die Ärzte-ZV kenne die gemeinschaftliche Berufsausübung nur
an einem gemeinsamen Praxissitz. Dieses Erfordernis sei zwar nicht ausdrücklich in §
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33 Abs. 2 Ärzte-ZV geregelt. Es sei jedoch der gemeinsamen Ausübung der
vertragsärztlichen Tätigkeit immanent. Nach § 24 Ärzte-ZV würde eine Zulassung nur für
einen konkreten Vertragsarztsitz erteilt mit der Folge, dass der Vertragsarzt am
Vertragsarztsitz berechtigt und auch verpflichtet sei, die vertragsärztliche Versorgung
sicherzustellen. Wenn die Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit zwingend an die
Örtlichkeit des Vertragsarztsitzes gebunden sei, könne die gemeinschaftliche Tätigkeit
von Vertragsärzten nur an einem gemeinschaftlichen Praxissitz erfolgen. Eine
ortsübergreifende Gemeinschaftspraxis beinhalte zudem Gefährdungsmomente für die
Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, insbesondere wenn die beteiligten
Vertragsärzte in verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen gelegene
Vertragsarztsitze führten. Aus dem für Gemeinschaftspraxen prägenden
Wesensmerkmal der gemeinschaftlichen Abrechnung aller Fälle ergebe sich die Frage,
bei welcher Kassenärztlichen Vereinigung die Gemeinschaftspraxis bei KV-
übergreifender Zusammensetzung ihre Leistung abrechnen könne. Bei einem Wahlrecht
der Gemeinschaftspraxis würde die steuernde Wirkung der Honorarverteilung für die
Sicherstellung damit obsolet. Darüber hinaus wäre bei einer KV-übergreifenden
überörtlichen Gemeinschaftspraxis die Frage der Disziplinargewalt zu klären. Auch sei
nicht festgelegt, welcher Zulassungsausschuss zur Entscheidung über die jeweilige
Genehmigung berufen sei. Zudem ergäbe sich auch aus der Vertragsrechtsprechung
des BSG (BSG-Urteil vom 12.09.2001 - Az.: B 6 KA 64/00 R), dass die berufliche
Kooperation von Ärzten an einen gemeinsamen Praxissitz gebunden sei.
In der öffentlichen Sitzung vom 28.06.2002 haben der Klägerbevollmächtigte, der
Beklagtenvertreter und die übrigen anwesenden Beigeladenen beantragt,
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die Sprungrevision zuzulassen.
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Der Klägervertreter erklärte zudem sein Einverständnis mit der Einlegung der
Sprungrevision durch den Beklagten, der Beklagtenvertreter und die übrigen
Anwesenden erklärten ihr Einverständnis mit der Einlegung der Sprungrevision durch
den Klägerbevollmächtigten.
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Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes nimmt die Kammer
Bezug auf die Gerichtsakte sowie auf die über die Kläger geführten
Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die das Gericht beigezogen hat und deren Inhalt
Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der angefochtene Beschluss des Beklagten vom 13.03.2001 ist rechtswidrig, da die
Kläger einen Rechtsanspruch auf die Genehmigung der gemeinsamen Ausübung der
vertragsärztlichen Tätigkeit in einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis haben.
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Nach § 33 Abs. 2 Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) bedarf die gemeinsame
Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit, die nur unter Vertragsärzten zulässig ist (Satz 1),
der vorherigen Genehmigung durch den Zulassungsausschuss (Satz 2). Die
Genehmigung darf nur versagt werden, wenn die Versorgung der Versicherten
beeinträchtigt wird oder landesrechtliche Vorschriften über die ärztliche Berufsausübung
entgegenstehen (Satz 4).
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Diese Verordnungsregelung ist gültig, denn sie beruht auf einer sie tragenden
gesetzlichen Ermächtigung und hält sich im Rahmen des Gesetzes. § 98 Abs. 1 SGB V
bestimmt insoweit, dass das Nähere über die Teilnahme an der vertragsärztlichen
Versorgung und die zu ihrer Sicherstellung erforderliche Bedarfsplanung sowie die
Beschränkung von Zulassungen durch die Zulassungsverordnungen geregelt wird und
dass in diesen u.a. Vorschriften über die Voraussetzungen enthalten sein müssen, unter
denen nach den Grundsätzen der Ausübung eines freien Berufs die Vertragsärzte die
vertragsärztliche Tätigkeit gemeinsam ausüben können (Absatz 2 Nr. 13).
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Diese gesetzliche Ermächtigung rechtfertigt auch den in der Ärzte-ZV aufgenommenen
Genehmigungsvorbehalt. Die gesetzlichen Einzelregelungen über die vertragsärztliche
Versorgung beziehen sich auf die Behandlung durch einen Arzt. Für die gemeinsame
Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch mehrere Ärzte bedarf es daher einer
ergänzenden Regelung, die dem Verordnungsgeber überlassen ist. Sie muss aber, da
die gesetzliche Ermächtigung nichts Abweichendes bestimmt, den allgemein
gesetzlichen Regelungen über die kassenärztliche Tätigkeit entsprechen. Der
Genehmigungsvorbehalt des § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV erfüllt diese Voraussetzung, denn die
Genehmigung darf danach nur versagt werden, soweit dies die Einhaltung des
Gesetzes erfordert. Es ergibt sich bereits aus der den Zulassungsordnungen
vorgegebenen Rechtslage, dass die Vertragsärzte nicht durch eine besondere Art der
Praxisausübung die Versorgung des Versicherten beeinträchtigen und gegen
landesrechtliche Vorschriften über die ärztliche Berufsausübung verstoßen dürfen (vgl.
BSG, Urteil vom 22.04.1983, Az.: 6 RKa 7/81; BSGE 23, 97 ff. m.w.N.). Der die
Gewährleistung dieser vertragsärztlichen Verpflichtung bezweckende
Genehmigungsvorbehalt ist ebenso wenig zu beanstanden wie andere in den
Zulassungsordnungen geregelten Beschränkungen, die sich aus der den Vertragsärzten
und den Krankenkassen gemeinsam obliegenden Aufgabe ergeben, die
vertragsärztliche Versorgung im Rahmen des Gesetzes sicherzustellen (vgl. § 24 Abs. 1
bis 4, § 32 Abs. 1 bis 4 Ärzte-ZV).
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Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Genehmigung zur gemeinsamen Ausübung
vertragsärztlicher Tätigkeit ist davon auszugehen, dass es sich bei der Tätigkeit als
Vertragsarzt um eine besondere Ausübungsform des Berufes des frei praktizierenden
Arztes handelt. Seit der so genannten Kassenarztentscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23.03.1960 (BVerfGE 11, 30) ist anerkannt,
dass die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen des kassen- bzw.
vertragsärztlichen Zulassungsrechts den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit
berühren, wegen der besonderen Bedeutung der kassen- (vertrags)ärztlichen Tätigkeit
im Rahmen der ambulanten Versorgung der Bevölkerung dem Schutzbereich der
Berufswahl aber nahe kommen (BVerfGE 11, 42, 43). An der Zuordnung der
vertragsärztlichen Tätigkeit zum Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hat
sich trotz der zunehmenden Einbindung dieser Ausübungsform des Arztberufes in eine
öffentlich-rechtlich (vertragsarztrechtlich) geprägte Pflichtenstellung nichts grundlegend
geändert (vgl. dazu Hess, Jahrbuch der Bitburger Gespräche, 1996, 67, 77). Es gilt
deshalb auch für das Vertragsarztrecht, dass das Recht auf freie Berufsausübung nur
durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden darf (Art. 12 Abs. 1
Satz 2 des GG) und zwar lediglich insoweit, als vernünftige Erwägungen des
Gemeinwohls dies rechtfertigen (BVerfGE 33, 125, 167). Das Recht auf freie
Berufsausübung umfasst auch das Recht, mit anderen die berufliche Tätigkeit
gemeinsam auszuüben (BSG, Urteil vom 22.04.1983 a.a.O.). Dieses Recht ist in den
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ärztlichen Berufsordnungen ausdrücklich anerkannt (vgl. z.B. Abschnitt D II Nr. 8 Abs. 4
der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe).
Einen Eingriff in diese Rechtsposition erlaubt Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG nur auf der
Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich
erkennen lässt. Dabei muss der Gesetzgeber selbst aber wesentliche Entscheidungen
treffen, soweit sie gesetzlichen Regelungen zugänglich sind. Dies bedeutet nicht, dass
sich die erforderlichen Vorgaben ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes
ergeben müssten; es genügt, dass sie sich mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze
erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der
Vorgeschichte der Regelung (BVerfGE 82, 209, 224; BSGE 70, 285, 292).
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Hier hat der Gesetzgeber den besonderen Belangen der vertragsärztlichen Versorgung
insoweit Rechnung getragen, als er die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher
Tätigkeit von Vertragsärzten unter den Genehmigungsvorbehalt des § 33 Abs. 2 Ärzte-
ZV gestellt hat. Danach darf die Genehmigung der gemeinsamen Ausübung
vertragsärztlicher Tätigkeit nur versagt werden, wenn die Versorgung der Versicherten
beeinträchtigt wird oder landesrechtliche Vorschriften über die ärztliche Berufsausübung
entgegenstehen. Diese eine Genehmigung ausschließenden Voraussetzungen sind
jedoch nach Auffassung der Kammer nicht erfüllt.
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Eine ausdrückliche Bestimmung, die in jedem Fall eine gemeinsame Ausübung der
vertragsärztlichen Tätigkeit nur für einen gemeinsamen Praxissitz vorsieht, ist dieser
gesetzlichen Regelung nicht zu entnehmen.
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Auch unter systematischen Gesichtspunkten lässt sich entgegen der Ansicht des
Beklagten ein Anspruch auf Genehmigung einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis
nicht generell ausschließen. Zwar trifft es zu, dass § 24 Ärzte-ZV das Gebot der
Konzentration vertragsärztlicher Tätigkeit sowie der ärztlichen Tätigkeit überhaupt auf
den Ort der Niederlassung zu entnehmen ist. Aspekte der Bedarfsplanung könnten
vollständig unterlaufen werden, wenn Ärzte wichtige Teile ihres Leistungsangebotes
ohne Prüfung eines entsprechenden Bedarfs an mehreren Orten den Patienten
zugänglich machen und lediglich formal darauf hinwiesen, Sprechstunden fänden allein
am Hauptsitz ihrer Praxen statt. Die danach geforderte grundsätzliche Bindung der
ärztlichen Tätigkeit an den Praxissitz steht auch im Einklang mit weiteren Regelungen
des ärztlichen Berufsrechts. Nach § 22 der Muster-BO und - in deren Folge - der BOen
zahlreicher Ärztekammern sind zur gemeinsamen Berufsausübung von Ärzten, die in
Kapitel D Nr. 7 bis 11 geregelten Berufsausübungsgemeinschaften von Ärzten
(Gemeinschaftspraxis, Ärztepartnerschaft), Organisationsgemeinschaften unter Ärzten
(z.B. Praxisgemeinschaften, Apparategemeinschaften) und die Medizinischen
Kooperationsgemeinschaften sowie der Praxisverbund zugelassen. Nach Kapitel D Nr.
8 Abs. 2 Satz 1 Muster-BO ist die Berufsausübungsgemeinschaft nur an einem
gemeinsamen Praxissitz zulässig. Satz 2 a.a.O. lässt allerdings begrenzt Ausnahmen
für die Ärzte zu, die ihrem typischen Fachgebietsinhalt nach regelmäßig nicht
unmittelbar patientenbezogen tätig sind. Daraus ist abzuleiten, dass jedenfalls bezogen
auf die unmittelbar patientenbezogene Tätigkeit auch die neueren ärztlichen
Kooperationsformen nach wie vor an den Praxissitz als Ort der Behandlung gebunden
sind (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2002, Az.: B 6 KA 64/00 R).
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Die Kläger werden als Fachärzte für Laboratoriumsmedizin jedoch gerade nicht
unmittelbar patientenbezogen tätig, weil sie lediglich Proben zur Untersuchung erhalten.
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Aus diesem Grunde sind im Gegensatz zu patientenbezogen tätigen Vertragsärzten die
besonderen Belange des § 24 Ärzte-ZV nicht auf die Bildung einer überörtlichen
Praxisgemeinschaft von Labormedizinern heranzuziehen. Die Regelung über den
Vertragsarztsitz des § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV ist nämlich in Zusammenhang mit § 24 Abs. 2
Ärze-ZV zu sehen. Der Vertragsarzt muss danach am Vertragsarztsitz seine
Sprechstunden halten und in räumlicher Nähe hierzu seine Wohnung nehmen.
Ingesamt regeln die Vorschriften über den Vertragsarztsitz den Ort der ärztlichen
Leistungserbringung. Im Interesse der Patienten und der gesamten ärztlichen
Versorgung dienen die Vorschriften über den Vertragsarztsitz der Sicherstellung der
örtlichen Versorgung der Patienten. Sie stehen der gemeinsamen überörtlichen
Berufsausübung nicht patientenbezogen tätiger Ärzte deshalb nicht zwingend entgegen.
Diese Ärzte halten nämlich gerade keine Sprechstunden ab (s. BSG, Urteil vom
05.11.1997, Az. 6 RKa 42/97 in NJW 1998, 3442, 3443). Ein besonderes Bedürfnis für
die Erreichbarkeit des niedergelassenen Arztes an seinem Praxissitz besteht daher für
nicht unmittelbar patientenbezogen tätige Ärzte gerade nicht.
Die Argumentation der Beigeladenen zu 1), aufgrund der Bindung der vertragsärztlichen
Tätigkeit an den Vertragsarztsitz könne eine gemeinschaftliche Tätigkeit von
Vertragsärzten nur an einem gemeinschaftlichen Praxissitz erfolgen, überzeugt auch
nicht im Hinblick auf das Regelungssystem des ärztlichen Berufsrechts. Gemäß § 17
Abs. 1 BO ist die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit an die Niederlassung in
eigener Praxis gebunden, die durch ein Praxisschild kenntlich zu machen ist (§ 17 Abs.
4 Satz 1 BO). Der niedergelassene Arzt darf auch nach dem Berufsrecht grundsätzlich
nur an einem Praxissitz Sprechstunden abhalten (§ 17 Abs. 4 Satz 4 und § 18 Abs. 1
BO). Wenn das ärztliche Berufsrecht trotz der Niederlassungspflicht für die nach dem
Fachgebietsinhalt nicht unmittelbar patientenbezogen tätigen Ärzte eine gemeinsame
Berufsausübung in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft zulässt (D II Nr. 8
BO), zeigt dies, dass die Pflicht des einzelnen Arztes zur Niederlassung und zur
Tätigkeit an seinem Praxissitz einer gemeinsamen Berufsausübung in einer
überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft gerade nicht entgegensteht. Auch in der
überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft übt jeder ihr angehörende Arzt seine
ärztliche Tätigkeit an seinem Praxissitz aus. Die gemeinsame Karteiführung und
Abrechnung aller Fälle unter einem Namen ist auch in einer überörtlichen
Gemeinschaftspraxis problemlos möglich. Eine darüber hinausgehende wechselseitige
Zurechnung der ärztlichen Tätigkeit an den Praxissitzen der verschiedenen
Gesellschafter einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft findet dagegen weder
nach dem Berufsrecht noch nach dem Vertragsarztrecht statt. Dies zeigt - worauf die
Kläger zu Recht hinweisen - schon die Rechtsprechung des BSG zur Zulässigkeit der
fachgebietsübergreifenden Gemeinschaftspraxis (BSGE 55, 97 ff.). Denn wenn sich
jeder der fachgebietsübergreifenden Gemeinschaftspraxis angehörende Arzt die
ärztliche Tätigkeit der anderen Ärzte zurechnen lassen müsste, würde der die Grenzen
seines Fachgebiets überschreiten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Aus diesem Grunde
verstoßen die einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft angehörenden Ärzte
auch nicht gegen die Verpflichtung, an ihrem Praxissitz ihre vertragsärztliche Tätigkeit
auszuüben.
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Überdies beeinträchtigt die überörtliche Gemeinschaftspraxis nach Auffassung der
Kammer auch nicht die Versorgung der Versicherten. Vielmehr ist es nachvollziehbar,
dass eine verbesserte Versorgung der Versicherten durch die überörtliche
Zusammenarbeit mehrerer Laboratorien in der Region erreicht wird, da
Rationalisierungsvorteile regional tätiger Laboratorien erhalten und durch
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Spezialisierung an den einzelnen Praxisstandorten eine bessere Qualität erzielt werden
kann.
Soweit die Beigeladene zu 1) auf Probleme der Genehmigung einer KV-Grenzen
übergreifenden überörtlichen Gemeinschaftspraxis hinweist (Zuständigkeit der
Disziplinarausschüsse und der Honorarverteilung, Zuständigkeit der
Zulassungsausschüsse), führt dies nach Auffassung der Kammer zu keinem anderen
Ergebnis. Da die Genehmigung nur insoweit abgelehnt werden darf, als die in § 33
Ärzte-ZV genannten Gründe im Einzelfall vorliegen, müssen die besonderen
Verhältnisse der jeweils in Frage stehenden Gemeinschaftspraxis berücksichtigt
werden. Danach haben die Kläger allein eine überörtliche
Berufsausübungsgemeinschaft innerhalb der Grenzen der Beigeladenen zu 1) zur
Genehmigung durch die Zulassungsgremien gestellt. Aus diesem Grunde konnte die
Kammer dahinstehen lassen, ob einer die KV-Grenzen übergreifenden überörtlichen
Berufsausübungsgemeinschaft die Genehmigung nach § 33 Ärzte-ZV zu versagen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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Die Kammer hat die Sprungrevision gemäß § 161 Abs. 2 in Verbindung mit § 160 Abs. 2
Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
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