Urteil des SozG Detmold vom 27.07.2010

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Sozialgericht Detmold, S 2 SO 109/09
Datum:
27.07.2010
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 2 SO 109/09
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des
Bescheids vom 06.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 30.06.2009 Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten
für den Erwerb und Einbau des AMF-Hubmatik-Linear-Rollstuhllifts zu
gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für den behindertengerechten
Umbau eines PKW.
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Der 00.00.1991 geborene Kläger ist schwerstbehindert. Er leidet seit seiner Geburt an
einer cerebralen Bewegungsstörung. Er ist nicht in der Lage, gezielte Bewegungen
durchzuführen und sitzt im Rollstuhl. Seine Sprache ist sehr verwaschen und kaum zu
verstehen. Er besucht als sogenanntes Integrationskind eine Gesamtschule. Dort steht
ihm ein Sonderpädagoge als Integrationshelfer ausschließlich nur für ihn zur Verfügung,
wodurch ihm als behindertem Menschen die Teilnahme am gemeinsamen Unterricht
behinderter und nichtbehinderter Kinder ermöglicht wird.
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Am 06.02.2008 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für einen Kfz-Umbau
gemäß Kostenvoranschlag des Unternehmens G vom 09.11.2007. Es handelt sich um
einen AMF-Hubmatik-Linear-Rollstuhllift für einen Ford Transit. Die Kosten betragen
8077,72 Euro. Mit Bescheid vom 06.03.2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die
Hilfe zur Beschaffung bzw. zum Umbau eines Kfz werde in angemessener Höhe
gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art und Schwere seiner Behinderung
insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kfz angewiesen
sei. Der Hauptzweck, die Eingliederung in das Arbeitsleben, werde bei dem Kläger nicht
erfüllt, da er noch Schüler sei. Die Fahrten zur Schule seien vom Schulträger zu
organisieren. Für Fahrten zu Versorgungseinrichtungen sowie zur Teilnahme an
kulturellen und sonstigen Veranstaltungen genüge die Inanspruchnahme des
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Behindertenfahrdienstes oder die Nutzung eines Elektrorollstuhls. Für einzelne weitere
Fahrten seien Taxi oder Leihwagen günstiger. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch.
Aufgrund der bestehenden Spastik sei die Muskelkontrolle erheblich herabgesetzt. Zum
Bewegen eines Elektrorollstuhls bedürfe es jedoch der Koordination und
Muskelkontrolle. Er könne sich mit seinem Elektrorollstuhl lediglich mit erheblichem
Zeitaufwand in einem Rahmen von ca. 50 Metern bewegen. Ohne den Umbau des PKW
müsse er isoliert leben. Gemeinsame Ausflüge mit der Familie seien nicht möglich. Sein
Lebensumfeld werde auf Wohnung, Garten und Schulräumlichkeiten beschränkt. Mit
Widerspruchsbescheid vom 30.06.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Das Hilfsmittel sei nicht angemessen im Sinne der Eingliederungshilfeverordnung. Der
Kläger sei auf ein Kraftfahrzeug mit dem beantragten Umbau nicht angewiesen. Das
Verhältnis der aufzuwendenden Mittel sei zu dem angestrebten Ziel der besseren
Eingliederung nicht angemessen. Die aufgezeigten Möglichkeiten seien
kostengünstiger. Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen
weiter.
Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 06.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
30.06.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm Eingliederungshilfe in
Form der Übernahme der Kosten für den Erwerb und Einbau des AMF-Hubmatik-
Linear-Rollstuhllifts zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und
wiederholt diese.
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Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die
beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 06.03.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 30.06.2009 ist rechtswidrig und der Kläger dadurch in
seinen Rechten verletzt. Der neunjährige Kläger hat Anspruch auf Übernahme der
Kosten für die Anschaffung und den Einbau des AMF-Hubmatik-Linear-Rollstuhllifts in
den Wagen seiner Eltern.
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Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 53 Abs. 1 SGB XII. Personen, die durch
eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an
der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen
Behinderung bedroht sind, erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Leistungen der
Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls,
insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die
Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Leistungen der Eingliederungshilfe
sind gemäß § 54 SGB IX unter anderem die Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 des
SGB IX. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden gemäß §
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55 SGB IX die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am
Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern ( ...). Leistungen nach § 55 Abs.1
SGB IX sind gemäß Abs. 2 insbesondere ( ...) gemäß dortiger Ziffer 7 Hilfen zur
Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben. Die nähere Ausgestaltung der
Eingliederungshilfe ist in der EingliederungshilfeVO geregelt. Die Hilfe zur Beschaffung
eines Kraftfahrzeugs gilt nach § 8 Abs. 1 EingliederungshilfeVO als Leistung zur
Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ( ...). Sie wird
nach § 8 Satz 2 EingliederungshilfeVO in angemessenem Umfang gewährt, wenn der
behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur
Teilhabe am Arbeitsleben angewiesen ist. Unerheblich ist dabei, dass der Kläger selbst
den Einstiegslift nicht bedienen und das Fahrzeug nicht steuern kann. Das liegt in der
Natur der Kinder und würde zu einer Versagung von zahlreichen Hilfsmitteln für Kinder
führen, die in vielen Lebensbereich und insbesondere bei jüngerem Alter vieles nicht
ohne die Hilfe der Eltern machen können. Gerade unter dem Aspekt der Teilhabe am
Leben in der Gemeinschaft ist hier vielmehr zu berücksichtigen, dass gerade im
Kindesalter der Grundstein dafür gelegt wird, wie sich die Kinder später im Leben
behaupten können. Dies betrifft zentral den Aspekt der Bildung, aber auch allgemein
den Aspekt der körperlichen Entwicklung und den Aspekt der sozialen Kompetenz in
dem Sinne, sich in eine Gemeinschaft von Menschen einfügen zu können, sich dort
wohl zu fühlen und zu wissen, wie man sich gegenüber seinen Mitmenschen verhält.
Gerade unter diesem Aspekt wäre es problematisch, wenn die Teilhabe am
Gemeinschaftsleben auf ein Leben innerhalb der eigenen Wohnung beschränkt wäre.
Gerade bei einem behinderten Kind entscheidet die Förderung der körperlichen und
geistigen und sozialen Entwicklung maßgeblich darüber, wie seine weitere Zukunft
verlaufen wird. Dies ist in die Abwägung der Angemessenheit einzustellen und zeigt
sich auch besonders in dem Bemühen, als Integrationskind eine Regelschule zu
besuchen. Zu einer Regelschule gibt es jedoch keinen auf die Belange von Behinderten
abgestimmten Busliniendienst wie es etwa bei speziellen Schulen für körperbehinderte
Schüler der Fall ist. Auch deshalb ist der Kläger auf den Einstiegslift angewiesen. Des
Weiteren ist in die Abwägung einzustellen, dass Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft hier ganz konkret auch bedeutet, dass der Kläger innerhalb seiner
Familie möglichst wie jedes andere Familienmitglied "mitmachen" können soll. Er muss
im Rahmen seiner Möglichkeiten am gesamten Familienleben, das erzieherisch und
wirtschaftlich vernünftig denkende Eltern ihrer Familie im allgemeinen bieten, teilhaben
können. Andernfalls wäre es nicht möglich, den Kläger in die Familie zu integrieren.
Dazu gehört auch, dass der Kläger an Fahrten im Familienauto teilnehmen können
muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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