Urteil des SozG Detmold vom 10.01.2007

SozG Detmold: künstliche befruchtung, gesetzliche vermutung, schwangerschaft, versuch, krankenversicherung, öffentliche gewalt, körperliche unversehrtheit, ärztliche behandlung, geburt, grundrecht

Sozialgericht Detmold, S 3 (5) KR 47/06
Datum:
10.01.2007
Gericht:
Sozialgericht Detmold
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 3 (5) KR 47/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 5 KR 20/07
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Kläger begehren von der Beklagten die Erstattung von Kosten, die im
Zusammenhang mit Maßnahmen der künstlichen Befruchtung entstanden sind und die
Feststellung, dass die Beklagte auch zukünftig entstehende Kosten zu übernehmen hat.
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Die Klägerin zu 1), geboren am 00.00.1973, und der Kläger zu 2), geboren am
00.00.1972 sind verheiratet und bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Beim
Kläger zu 2) wurde in der Vergangenheit Zeugungsunfähigkeit diangostiziert.
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Die Beklagte hat bei den Klägern bis zum Jahre 2005 drei Maßnahmen zur
Herbeiführung einer Schwangerschaft nach der Intracytoplasmatischen
Spermieninjektionsmethode (ICSI) teilweise finanziert. Alle drei Versuche verliefen
erfolglos, wobei die letzte Behandlung im Dezember 2003 bei Prof. Dr. A, Institut für
Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, C, Österreich, stattfand.
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Im Dezember 2005 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Übernahme von
Kosten einer erneuten ICSI-Behandlung. Sie gaben an, dass aufgrund einer privat
finanzierten vierten ICSI-Behandlung es zu einer Eileiterschwangerschaft bei der
Klägerin zu 1) gekommen sei. Dies führe nun dazu, dass die Beklagte neue ICSI-
Versuche mitfinanzieren müsse.
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Mit Bescheid vom 09.01.2006 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass die Kosten einer
erneuten ICSI-Behandlung nicht übernommen werden könnten. Eine
Eileiterschwangerschaft führe lediglich dazu, dass diese nicht auf die Höchstzahl
angerechnet werde und damit grundsätzlich ein erneuter Anspruch auf einen zweiten
oder dritten Versuch bestünde. Bei den Klägern sei eine solche Maßnahme jedoch
bereits dreimal ohne Erfolg durchgeführt worden.
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Hiergegen haben die Kläger mit der Begründung Widerspruch eingelegt, die Auslegung
der Beklagte verstoße gegen geltendes Recht. Im vierten ICSI-Versuch sei eine
klinische Schwangerschaft eingetreten, die einen Anspruch auf drei neue
Behandlungen begründe.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2006 als
unbegründet zurück. Sie beruft sich insbesondere auf Ziffer 8 der Richtlinien des
Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen
Befruchtung ("Richtlinien über künstliche Befruchtung"). Danach bestünde keine
hinreichende Erfolgsaussicht für eine weitere Behandlung zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung, wenn bereits drei ICSI-Versuche erfolglos gewesen seien.
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Am 21.03.2006 haben die Kläger Klage erhoben. Sie vertreten weiterhin die Auffassung,
dass die im vierten ICSI-Versuch eingetretene Eileiterschwangerschaft einen Anspruch
auf weitere, von der Beklagten mitfinanzierte, ICSI-Versuche begründe. Die gesetzliche
Vermutung der fehlenden Erfolgsaussicht sei widerlegbar. Im Übrigen sei auch zu
berücksichtigen, dass die dritte ICSI- Behandlung nicht in Deutschland, sondern in
Österreich stattgefunden habe. Nach der geltenden Rechtslage dürften jedoch ICSI-
Behandlungen nur bei zertifizierten Ärzten durchgeführt werden. Die Beklagte dürfe sich
deshalb nicht auf die bisher von ihr mitfinanzierten drei erfolglosen ICSI-Behandlungen
berufen. Vom 24.03.2006 bis zum 22.05.2006 begaben sich die Kläger bei der E Klinik
in C1 in ärztliche Behandlung. Bei der fünften ICSI-Behandlung kam es zum Eintritt
einer Schwangerschaft bei der Klägerin zu 1). Den Klägern wurden hierfür Kosten in
Höhe von insgesamt 4.098,83 EUR in Rechnung gestellt. Einen erneuten Antrag der
Kläger vom April 2006 auf Kostenübernahme wies die Beklagte mit Bescheid vom
02.05.2006 zurück. Am 09.01.2007 hat die Klägerin zu 1) ein Kind entbunden.
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Die Kläger beantragen,
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1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 08.03.2006 sowie des Bescheides vom 02.05.2006 zu
verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 2.048,92 EUR nebst 4 % Zinsen hierauf
seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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2. festzustellen, dass die Beklagte gegenüber den Klägern als Gesamtschuldner
verpflichtet ist, Kosten für drei weitere ICSI-Behandlungs- versuche zu 50 % zu tragen,
soweit die weiteren Voraussetzungen nach § 27 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie vertritt die Auffassung, dass selbst nach einer erfolgreichen Geburt kein Anspruch
der Kläger auf eine teilweise Finanzierung für drei neue ICSI-Behandlungen bestünde.
Die Kläger dürften sich nicht darauf berufen, dass ein Versuch in Österreich
stattgefunden habe. Zum damaligen Zeitpunkt hätten sich die Kläger selbst für eine
derartige Behandlung entschieden. Zuvor habe die Beklagte die Voraussetzungen des
§ 121a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ausdrücklich geprüft und bejaht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen. Die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den durch die Kläger erhobenen
Feststellungsantrag. Zwar ist die Feststellungsklage gemäß § 55 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) gegenüber einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage subsidiär. Der
Subsidiaritätsgrundsatz gilt jedoch dann nicht, wenn durch die gerichtliche begehrte
Feststellung eine abschließende Streitbeilegung möglich erscheint. Die Beklagte hat im
Rechtsstreit keine klare Linie zu der Frage vertreten, ob eine erfolgreiche
Schwangerschaft bzw. Geburt einen neuen Anspruch auf drei weitere ICSI-
Behandlungen eröffnet. Dies ergibt sich aus ihrem Schriftsatz vom 28.12.2006 und aus
ihren Erklärungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 10.01.2007. Zur
Vermeidung weiterer gleichgelagerter Verfahren für den Fall eines erneuten Antrags der
Kläger war unter klägerfreundlicher Auslegung des § 55 SGG die Feststellungsklage als
zulässig anzusehen. Der Bescheid der Beklagten vom 02.05.2006 ist nach Auffassung
der Kammer Gegenstand des Verfahrens gemäß § 96 SGG geworden.
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Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2006 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2006 und der Bescheid vom
02.05.2006 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht im Sinne des § 54 SGG in
ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die fünfte
ICSI-Behandlung in Höhe von 2.048,92 EUR. Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet,
die Kosten für drei weitere ICSI-Behandlungen nach Maßgabe der gesetzlichen
Vorschriften zu tragen.
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Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind Versicherten Kosten für selbstbeschaffte Leistungen dann
zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig
erbringen konnte (1. Alternative) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2.
Alternative) und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind.
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Vorliegend kommt ein Kostenerstattungsanspruch nur nach der 2. Alternative in
Betracht. Als Ausnahme des in der gesetzlichen Krankenversicherung vorherrschenden
Sachleistungsprinzips (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) ist ein Kostenerstattungsanspruch
immer dann gegeben, wenn die Krankenkasse eine notwendige Sachleistung zu
Unrecht abgelehnt und der Versicherte sich dann diese Sachleistung selbst beschafft
hat. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Zur Vermeidung unnötiger
Wiederholungen nimmt das Gericht gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die
Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt diese für richtig
und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab. Ergänzend wird noch auf
folgendes hingewiesen: Streitig ist hier das Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 a
Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Durch Art. 1 Nr. 14 Buchst. a - c des Gesetzes zur Modernisierung
der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 (Bundesgesetzblatt I 2003,
2190) wurde diese Vorschrift mit Wirkung zum 01.01.2004 wie folgt geändert: " Die
Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur
Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn nach ärztlicher Feststellung hinreichende
Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird;
eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme dreimal ohne
Erfolg durchgeführt worden ist." In der davor geltenden weiteren Fassung hatte das
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Gesetz noch festgelegt, dass eine Erfolgsaussicht in der Regel nicht bestehe, wenn die
künstliche Befruchtung viermal erfolglos versucht wurde. Zur Begründung war damals
darauf verwiesen worden, dass nach vier vergeblichen Versuchen die Erfolgsaussichten
deutlich zurückgehen. Grund für die Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen war
das Bestreben des Gesetzgebers, die Ausgaben für künstliche Befruchtungen auf die
Fälle medizinischer Notwendigkeit zu begrenzen, die er aber bereits nach drei
vergeblichen Versuchen nicht mehr gegeben sah. Da die Textstelle "in der Regel" in der
jetzt gültigen Gesetzesfassung entfallen ist, besteht nach drei misslungenen Versuchen
auch keine Möglichkeit mehr, Leistungen unter Bejahung eines Ausnahmefalles zu
gewähren (vgl. Höfler in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 27a
SGB V Rdz. 15). Die gesetzliche Vermutung der fehlenden Erfolgsaussicht ist nach dem
klaren Gesetzeswortlaut nicht widerlegbar. Die Beklagte hat vorliegend die Kosten der
ersten drei ICSI-Behandlungen nach den gesetzlichen Vorgaben übernommen. Diese
haben unstreitig alle nicht zum Eintritt einer Schwangerschaft geführt. Die Kammer teilt
nicht die Auffassung der Kläger, wonach die dritte ICSI-Behandlung in Österreich nicht
mitgezählt werden dürfe. Die Behandlung bei Prof. Dr. A beim Insitut für
Reproduktionsmedizin und Endokrinologie in C ist damals auf ausdrücklichen Wunsch
der Kläger vorgenommen worden. Sie haben die Kosten für diesen Versuch unter
Hinweis auf die in Österreich bestehenden höheren Erfolgsraten bei der Beklagten
geltend gemacht. Die Beklagte hat nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung und nach Befragung von Prof. Dr. A zum angewandten Verfahren
entschieden, dass die gesetzlichen Vorgaben zur künstlichen Befruchtung gemäß § 27
a SGB V erfüllt werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass Prof. Dr.
A in Österreich durch die dortigen Krankenkassen zugelassener Leistungserbringer für
Maßnahmen der künstlichen Befruchtung ist.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus den Richtlinien über die künstliche
Befruchtung. In der ab dem 15.02.2006 geltenden Fassung (veröffentlicht im
Bundesanzeiger Nr. 31, Seite 922 vom 14.02.2006) heißt es unter Ziff. 8 Satz 2, eine
hinreichende Erfolgsaussicht bestehe für die jeweiligen Behandlungsmaßen dann nicht,
wenn sie bei der ICSI bis zu dreimal vollständig durchgeführt wurde, ohne dass eine
klinisch nachgewiesene Schwangerschaft eingetreten ist. Zusätzlich hat der GBA mit
Beschluss vom 16.11.2005 klargestellt, was im Sinne der Richtlinie als erfolgreicher
Versuch einer künstlichen Befruchtung gilt, nämlich der klinische Nachweis der
Schwangerschaft, unabhängig davon, ob es nachfolgend zur Geburt eines Kindes
gekommen ist (vgl. Die Leistungen 1/2006, Seite 56 ff.). Offenbleiben kann aus Sicht der
Kammer die Entscheidung darüber, ob die im vierten ICSI-Versuch eingetretene
Eileiterschwangerschaft eine klinische Schwangerschaft im Sinne der Richtlinien
darstellt. Entscheidend ist allein, dass die ersten drei ICSI-Versuche erfolglos geblieben
sind. Dies hat die (nicht widerlegbare) gesetzliche Vermutung der fehlenden
Erfolgsaussicht weiterer ICSI-Behandlungen zur Folge, auch wenn diese zunächst von
den Betroffenen privat finanziert werden. Die Kläger weisen zwar zu Recht darauf hin,
dass die Zahl der Schwangerschaften aufgrund von Maßnahmen nach § 27a Abs. 1
SGB V keiner Beschränkung unterliege. Deshalb seien nach einer durch eine
erfolgreiche Befruchtung herbeigeführten Schwangerschaft neue Maßnahmen zu Lasten
der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig, soweit die Voraussetzungen des Abs. 1
erfüllt sind (vgl. auch Bundestagsdrucksache 11/6760 vom 31.03.1990 und die
Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.04.2001, B 1 KR 40/00). Nach
Auffassung der Kammer sind davon jedoch nur solche Sachverhaltskonstellationen
betroffen, in denen innerhalb der ersten drei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung
eine Schwangerschaft eingetreten ist. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Selbst
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wenn die im vierten ICSI-Versuch eingetretene Eileiterschwangerschaft eine klinische
Schwangerschaft im Sinne des Gesetzes darstellen sollte, würde es für den fünften
ICSI-Versuch an den übrigen Voraussetzungen des § 27a Abs. 1 SGB V fehlen. Dieser
setzt in Nr. 2 nämlich eine hinreichende Erfolgsaussicht voraus, welche (unwiderlegbar)
nach drei erfolglosen Versuchen nicht mehr besteht.
Die Beklagte war deshalb nicht verpflichtet, die Kosten für die fünfte ICSI-Behandlung
zu 50 % zu übnehmen. Sie hat den entsprechenden Antrag der Kläger zu Recht
abgelehnt. Ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 zweite Alternative SGB V
scheidet aus.
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Die Beklagte ist ebensowenig verpflichtet, für weitere ICSI-Behandlungen Kosten zu 50
% zu erstatten. Der diesbezügliche Feststellungsantrag der Kläger gemäß § 55 Abs. 1
Nr. 1 SGG ist unbegründet. Wie bereits ausgeführt, hat das Gericht das Recht
anzuwenden, das im Zeitpunkt der Entscheidung gilt. Nach der ab dem 01.01.2004
geltenden Fassung des § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V muss für medizinische Maßnahmen
zur Herbeiführung einer Schwangerschaft eine hinreichende Erfolgsaussicht bestehen.
Eine solche Erfolgsaussicht besteht (unwiderlegbar) nicht mehr, wenn drei
Behandlungsmaßnahmen ohne Erfolg durchgeführt worden sind. So liegt hier der Fall.
Die Beklagte hat in der Vergangenheit drei ICSI-Behandlungsversuche der Kläger
anteilig finanziert. Damit ist ihre Leistungsverpflichtung erschöpft. Auch durch die
Eileiterschwangerschaft im vierten Versuch, bzw. die Geburt eines Kindes im fünften
Versuch werden keine neuen Ansprüche auf weitere Maßnahmen zur künstlichen
Befruchtung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung begründet. Die Kammer
verweist hierzu auf die Ausführungen zum Kostenerstattungsanspruch der Kläger.
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Durch dieses Ergebnis werden auch die Grundrechte der Kläger nicht verletzt.
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Nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) stehen Ehe und Familie unter dem besonderen
Schutz der staatlichen Ordnung. Dieses Grundrecht gewährleistet einerseits Schutz vor
störenden Eingriffen des Staates und ist andererseits eine Institutsgarantie und
wertentscheidende Grundsatznorm. Das Grundrecht vermittelt aber regelmäßig keine
konkreten Leistungsansprüche. Kann eine solche Gemeinschaft aufgrund des
krankhaften Zustandes eines Partners jedoch nicht begründet werden, wird der
Schutzbereich dieses Grundrechts nicht berührt, denn eine Familie als Gemeinschaft
von Eltern und Kindern soll durch eine ausgleichende Maßnahme überhaupt erst
geschaffen werden (vgl. Bundesverfassungsgericht -BVerfGE 82, 60).
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Auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) wird nicht
verletzt. Diese Vorschrift gewährt dem Versicherten zwar die freie Selbstbestimmung
über ärztliche Heileingriffe und belässt ihm die Entscheidung über die in seinem Fall
anzuwendende Therapie. Aus diesem Grundrecht kann jedoch kein
verfassungsrechtlicher Anspruch auf Bereitstellung entsprechender medizinischer
Versorgung oder auf Gewährung finanzieller Leistungen hierfür abgeleitet werden. Die
aus dieser Grundrechtsnorm resultierende objektiv-rechtliche Pflicht des Staates sich
schützend und fördernd vor dieses Rechtsgut zu stellen, beschränkt sich darauf, dass
die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft, die nicht völlig
ungeeignet oder völlig unzulänglich sind (BVerfGE 88, 203). Da § 27a SGB V die ICSI-
Therapie als krankenversicherungsrechtliche Leistung nicht grundsätzlich ausschließt,
scheidet eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aus.
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Art. 3 Abs. 1 GG, der gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, wird
ebenfalls nicht verletzt. Dem Gesetzgeber ist nicht jede Differenzierung verwehrt. Er
verletzt das Grundrecht nur dann, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich
zu einer anderen Gruppe von Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen
beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen,
dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 102, 41). § 27a SGB
V gewährt allen Versicherten im Fall einer Fertilitätsstörung die von den Klägern geltend
gemachte Maßnahme in gleicher Weise und im gleichen Umfang. Wenn das Gesetz
hierbei nicht zwischen bestimmten Fertilitätsstörungen unterscheidet oder besonders
schwerwiegende Fertilitätsstörungen nicht anders behandelt, liegt darin noch kein
Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber durfte vielmehr davon ausgehen,
dass gerade bei schwerwiegenden Fertilitätsstörungen eine hinreichende Aussicht auf
Herbeiführung einer Schwangerschaft bei dreimaligem erfolglosem Versuch nicht mehr
besteht. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers deswegen für diesen Personenkreis
darüber hinausgehende Maßnahmen vorzusehen, ist aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht
herzuleiten. Es obliegt insoweit dem Gesetzgeber im Rahmen seines Ermessens, die
Grenzen festzulegen, innerhalb derer er eine notwendige, zweckmäßige und
wirtschaftliche Behandlung einer solchen Erkrankung als gewährleistet ansieht.
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Art. 20 Abs. 1 GG, wonach die Bundesrepublik Deutschland u.a. ein sozialer
Bundesstaat ist, führt gleichfalls nicht zum Erfolg. Das Sozialstaatsprinzip schließt zwar
notwendig die soziale Hilfe für alle Mitbürger ein, die wegen körperlicher oder geistiger
Gebrechen an ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert sind. Die staatliche
Gemeinschaft muss ihnen die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges
Dasein sichern. Es liegt hierbei grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers zu entscheiden, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung
der vorhandenen Mittel und anderer gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden
kann und soll (BVerfGE 82,60). Angesichts der erheblichen Schwierigkeiten, die
gesetzliche Krankenversicherung zu finanzieren und die Anlass für das Gesetz zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003 und damit für
die Änderung des § 27a SGB V gewesen sind, überschreitet der Gesetzgeber seinen
Gestaltungsspielraum nicht, wenn er einzelne Leistungen des Leistungskatalogs der
gesetzlichen Krankenversicherung hinsichtlich ihres Umfangs beschränkt. Dadurch
werden die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein nicht berührt
(vgl. zu allem: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2006, L 24 KR
43/05).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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