Urteil des SozG Darmstadt vom 29.06.2007

SozG Darmstadt: gebühr, behörde, ermessen, form, erlass, hauptsache, post, unterkunftskosten, vergütung, auflage

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Gericht:
SG Darmstadt 11.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 11 SF 46/06 AS
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 1002
RVG, § 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr
1005 RVG, § 2 Abs 2 S 1 Anl 1
Nr 1006 RVG
Entstehen der Erledigungsgebühr
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der durch Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
vom 11.07.2006 festgesetzten erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten, hier
insbesondere die Frage, ob eine Erledigungsgebühr angefallen ist.
Im Hauptsacheverfahren waren Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch - SGB II - streitig. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom
08.06.2005 Leistungen des Klägers zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II für den Monat April 2005 und teilweise für Mai 2005 mit der Begründung ab,
der Kläger sei nicht bzw. nur teilweise hilfebedürftig gewesen. Der hiergegen
erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12.07.2005
zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 03.08.2005 Klage bei dem Sozialgericht in
Darmstadt erhoben und beantragt, ihm Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II für April 2005 und anteilig für Mai 2005 zu
gewähren.
In der Klageerwiderung vom 14.11.2006 hat die Beklagte einen Anspruch des
Klägers auf Leistungen nach dem SGB ab 20.04.2005 anerkannt. Soweit er für den
Zeitraum vom 01.04.2005 bis 20.04.2005 Übergangsgeld in Höhe von 437,00 Euro
erhalten habe, sei dieser Betrag im Mai 2005 als Einkommen anzusetzen. Danach
bestehe ein Anspruch für die Zeit vom 20.04.2005 bis 30.04.2005 in Höhe von
anteiligen Regelleistungen in Höhe von 126,50 Euro. Hinsichtlich eines Anspruchs
für den Monat Mai bestehe dieser in Höhe des Regelsatzes von 345,00 Euro
zuzüglich der angemessenen Unterkunftskosten in Höhe von 298,15 Euro, gesamt
643,15 Euro. Hiervon seien gemäß § 11 SGB II die im Mai 2005 zugeflossenen
Zahlungen der LVA in Höhe von 437,00 Euro abzüglich 30,00 Euro Pauschale
abzusetzen, mithin 407,00 Euro. Unter Berücksichtigung des bereits an den Kläger
ausbezahlten Betrags in Höhe von 152,35 Euro ergebe sich für den Monat Mai
2005 ein Auszahlungsbetrag in Höhe von 83,30 Euro. Insgesamt ergebe sich für
den streitgegenständlichen Zeitraum vom 20.04.2005 bis 31.05.2005 ein
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 210,30 Euro. Im Schriftsatz
heißt es weiter, der Auszahlungsbetrag würde sich erhöhen, sollte der Kläger für
den Monat Mai 2005 anteilige Kosten der Unterkunft aufgewendet haben und dies
in geeigneter Form nachweisen, würde sich der Auszahlungsbetrag um diese
Summe erhöhen.
Mit Schriftsatz vom 16.03.2006 teilte die Klägerbevollmächtigte unter Vorlage
einer entsprechenden Bescheinigung des Caritasverbandes mit, der Kläger habe
ab 20.04.2005 wieder in der Einrichtung des Caritasverbandes gewohnt und
dementsprechend für die Zeit vom 20.04. bis 30.04. 2005 eine anteilige
Nutzungsentschädigung zahlen müssen.
Zugunsten des Klägers seien somit folgende Zahlungsansprüche offen:
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Im Schriftsatz heißt es, nach Zahlung dieses Betrages sei das sozialgerichtliche
Verfahren in der Hauptsache erledigt. Lediglich die Kostenentscheidung wäre noch
zu treffen.
Mit Schriftsatz vom 27.03 2005 bat die Klägerbevollmächtigte im Hinblick auf das
an den Kläger von der LVA gezahlte Übergangsgeld um Überprüfung des
Anrechnungszeitpunktes.
Mit Schriftsatz vom 30.03.2006 erkannte die Beklagte die Klageforderung in Höhe
von 322,28 Euro an.
Die Beklagte teilte mit Schriftsatz vom 06.04 2006 mit, eine Anrechnung des
Übergangsgeldes habe in dem Monat des Zuflusses zu erfolgen, weshalb
vorliegend zutreffend eine Berücksichtigung im Monat Mai erfolgt sei.
Mit Schriftsatz vom 26.04.2006 hat die Klägerbevollmächtigte das Anerkenntnis
der Beklagten vom 30.03.2006 angenommen und den Rechtsstreit in der
Hauptsache erledigt erklärt und (sinngemäß) beantragt,
der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten
aufzuerlegen.
Mit Schriftsatz vom 15.12.2006 hat die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch
dem Grunde nach anerkannt.
Mit Schriftsatz vom 13.06.2006 reichte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die
Kostenrechnung ein, die sich wie folgt zusammensetzt:
Mit Schriftsatz vom 04.07.2006 hat die Beklagte dazu die Auffassung vertreten,
eine Erledigungsgebühr sei nicht angefallen. Ausweislich der Kommentierung
(Gerold/Schmidt/v. Eicken, Kommentar zum RVG, 16. Auflage, VV 1002, Rz. 15 ff.)
müsse eine Mitwirkung des Anwalts bei der Erledigung stattgefunden haben. Das
alleinige Betreiben des Verfahrens hierzu reiche nicht aus.
Mit Schriftsatz vom 10.07.2006 hat die Bevollmächtigte des Klägers dazu
ausgeführt, nach Eingang des Schriftsatzes der Beklagten vom 14.11.2005 hätten
weitere Ermittlungen angestellt werden müssen. Sodann sei es erforderlich
gewesen, dem Kläger die Ausführungen der Beklagten in den Schriftsätzen vom
30.03. und 06.04.2006 zu erläutern, ehe er sich zur Annahme des
Anerkenntnisses, die mit Schriftsatz vom 26.04.2006 erklärt worden sei, habe
entschließen können. Die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten habe somit nicht
nur darin bestanden, das Verfahren zu betreiben; ohne ihre Überzeugungsarbeit
wäre es nicht zu einer Annahme des Anerkenntnisses und der Erledigung des
Verfahrens gekommen.
Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.07.2006 hat die Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten auf 255,20 Euro
festgesetzt. Folgende Kostenaufstellung wurde zugrunde gelegt:
1.Verfahrensgebühr 3102 VV-RVG
2.Auslagenpauschale 7002 VV-RVG
3.Umsatzsteuer 7008 VV-RVG
In den Gründen hat die Urkundsbeamtin ausgeführt, gemäß § 14 des
Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG - bestimme der Rechtsanwalt die Gebühr
im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung
der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
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der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach
billigem Ermessen. Diese Bestimmung sei, wenn die Gebühr von einem Dritten zu
ersetzen sei, nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig sei. Die geltend
gemachte Erledigungsgebühr sei vorliegend nicht gerechtfertigt. Den
Ausführungen der Beklagten werde voll inhaltlich beigepflichtet und ergänzt, dass
die Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV-RVG nicht entstanden sei, da für jede
Form der Erledigungsgebühr - wie bislang auch - eine besondere Mühewaltung des
Prozessbevollmächtigten an der Erledigung des Verfahrens ohne förmliche
Entscheidung vorausgesetzt werde. Dagegen seien die Ausführungen der
Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 10.07.2006 nicht geeignet, das
Anfallen einer Erledigungsgebühr zu rechtfertigen. Die im Schreiben der
Prozessbevollmächtigten vom 27.03.2006 beschriebenen Einwände seien
jedenfalls keinesfalls überzeugend gewesen, dem Verfahren einen anderen
Ausgang zu geben. Insoweit müsse sich die „anwaltliche Überzeugungsarbeit"
dem Kläger gegenüber noch der Verfahrensgebühr zurechnen lassen.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - zulässig und
auch begründet.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen
und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG -) vom 05.05.2004
entstehen in den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen
das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren. Diese
bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände,
vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen (§ 14 Abs. 1
Satz 1 RVG). Die Verfahrensgebühr beträgt bei Verfahren vor den Sozialgerichten
40,00 Euro, bis 460,00 Euro. Zusätzlich entsteht eine Erledigungsgebühr, wenn
sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit
dem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche
Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder
teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt (Nr.
3102, 1002 Vergütungsverzeichnis - VV - der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG). Die
Erledigungsgebühr beläuft sich auf 30,00 Euro bis 350,00 Euro (Nr. 1006 VV).
Entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist vorliegend
eine Erledigungsgebühr angefallen, die das erkennende Gericht mit 150,00 Euro
festsetzt. Durch die anwaltliche Mitwirkung hat sich vorliegend die Rechtssache
erledigt.
Die Gebührenposition Nr. 1006 VV-RVG verlangt regelmäßig eine Tätigkeit des
Rechtsanwalts, die über die bloße Einlegung und Begründung der Klage
hinausgeht.
Um den Begriff der „Erledigung" auszufüllen, verweist Nr. 1006 VV-RVG auf Nr.
1002 VV-RVG. Die Erläuterung zu Nr. 1002 VV-RVG bestimmt in Satz 1, dass die
Gebühr entsteht, wenn sich „eine Rechtssache ganz oder teilweise nach
Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen
Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt". Das Gleiche gilt nach
Satz 2, „wenn sich die Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher
abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt". Nach Satz 1 muss mithin ein
Verwaltungsakt mit einem Rechtsbehelf angefochten worden sein, der zu seiner
Aufhebung oder Änderung führt; in der Folge „nach", d. h. nach Tätigwerden
sowohl der Behörde als auch des Anwalts, muss sich die Rechtssache dann
erledigen.
Nach Auffassung des Bundessozialgerichts – BSG - (Urteil vom 21.03.2007 – B 11a
AL 53/06 R; Urteil vom 07.11.2006 – B 1 Kr 23/06 R). kann die bloße Rücknahme
eines eingelegten Rechtsbehelfs ebenso wenig für die Erfüllung des Tatbestands
ausreichen wie umgekehrt die umgehende vollständige Abhilfe der Behörde ohne
besondere anwaltliche Tätigkeit. Die anwaltliche Mitwirkung muss vielmehr gerade
kausal für die Erledigung der Rechtssache gewesen sein. Bereits aus dem Wort
„Mitwirkung" schließt das BSG, dass hierfür mehr als die bloße Anwesenheit,
Einschaltung oder Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes erforderlich ist und deshalb
ein auf die Erledigung der Rechtssache gerichtetes Tätigwerden, das über die reine
Klageeinlegung und Begründung hinausgeht. Diese Auslegung wird - so das BSG -
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Klageeinlegung und Begründung hinausgeht. Diese Auslegung wird - so das BSG -
auch durch die Gesetzesmaterialien zum RVG bestätigt. Danach entstammt Nr.
1002 VV-RVG, dementsprechend auch Nr. 1006 VV-RVG dem bis 30.06.2004
geltenden § 24 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung - BRAGO -. Danach erhielt
der Rechtsanwalt eine volle Gebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder
teilweise nach Zurücknahme oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf
angefochtenen Verwaltungsaktes erledigte und der Rechtsanwalt bei der
Erledigung mitgewirkt hatte (Erledigungsgebühr). In den Verfahren nach § 183 SGG
erhöhte sich gemäß § 116 Abs. 4 BRAGO in diesen Fällen der Betragrahmen. Nach
der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG setzte dies ein „besonderes
Bemühen des Rechtsanwalts um eine außergerichtliche Erledigung des
Rechtsstreits" voraus. Die alleinige Einlegung und Begründung eines
Rechtsbehelfs, einer Klage oder eines Rechtsmittels war dagegen noch nicht
ausreichend um den Gebührentatbestand zu erfüllen (BSG, SozR 3-1930 § 116 Nr.
4 Satz 14; BSG SozR 3-1930 § 116 Nr. 7 S. 23). Um die erhöhte Gebühr
beanspruchen zu können, musste der Rechtsanwalt ein besonderes Bemühen um
eine Einigung - sei es durch Einwirkung auf seinen Mandanten oder auf die
Behörde - an den Tag legen. Das Bundessozialgericht hat nunmehr die Auffassung
vertreten, dass nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers diese
Rechtsprechung auch auf Nr. 105 VV-RVG und damit auch 1006 VV-RVG zu
übertragen ist (BSG, a. a. O.).
Das erkennende Gericht schließt sich dieser Auffassung aus eigener Überzeugung
an. Danach ist es vorliegend gerechtfertigt, eine zusätzliche Erledigungsgebühr
festzusetzen. Die Klägerbevollmächtigte hat sich über die bloße Einlegung der
Klage hinaus um die Erledigung vorliegend besonders bemüht, da sie dazu
beigetragen hat, dass der Rechtsstreit ohne Entscheidung des Gerichts erledigt
werden konnte.
Sie hat dargelegt, dass ein besonderes Einwirken auf den Kläger erforderlich
gewesen war, diesen davon zu überzeugen, dass weitere als die von der Beklagten
anerkannten Leistungen ihm nicht zustehen. Dazu war es erforderlich, die
gewechselten Schriftsätze mit dem Kläger zu besprechen und diesen von der
Richtigkeit der Rechtsauffassung der Beklagten zu überzeugen. Insoweit liegt ein
besonderes Bemühen um die Beilegung des Rechtsstreits vor, die eine
Erledigungsgebühr in Höhe von 150,00 Euro rechtfertigt. Die angesetzte Gebühr in
Höhe von 150,00 Euro erachtet das erkennende Gericht als gerechtfertigt, weshalb
der Erinnerung stattzugeben war.
1.Verfahrensgebühr 3102 VV-RVG
2.Erledigungsgebühr 1006 VV-RVG
3.Auslagenpauschale 7002 VV-RVG
4.Umsatzsteuer 7008 VV-RVG
Der Betrag ist analog § 104 ZPO mit 5 % über dem Basiszinssatz ab
Antragstellung zu verzinsen.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.