Urteil des SozG Chemnitz vom 24.11.2004

SozG Chemnitz: krankenversicherung, streichung, tod, nummer, bestattungskosten, belastung, interessenabwägung, rechtssicherheit, bevölkerung, entlastung

Sozialgericht Chemnitz
Gerichtsbescheid vom 24.11.2004 (rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 13 KR 684/04
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf Sterbegeld beim Tod eines Versicherten nach dem 31.12.2003.
Der Ehemann der Klägerin war zuletzt Mitglied der beklagten Krankenkasse. Er verstarb am 08.03.2004. Unter dem
28.07.2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage der Sterbeurkunde die Gewährung von Sterbegeld
in Höhe von 525,00 EUR.
Mit Bescheid vom 28.07.2004 lehnte die Beklagte die Zahlung eines Zuschusses zu den Bestattungskosten
(Sterbegeld) mit der Begründung ab, dass diese Leistung durch das Ge-setz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) mit Wirkung zum 01.01.2004 entfallen sei.
Hiergegen legte die Klägerin unter dem 03.08.2004 Widerspruch ein und führte aus, die Vorschriften über das
Sterbegeld seien ihrer Ansicht nach nicht ausdrücklich zum 01.01.2004 aufgehoben, sondern lediglich mit Wirkung
zum 01.01.2005 durch neue Vor-schriften ersetzt worden. Ein Anspruch auf Sterbegeld bestehe daher weiterhin.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläge-rin als unbegründet zurück.
Mit ihrer am 27.09.2004 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehr weiter.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 25.08.2004 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Tod ihres Ehemannes Sterbegeld in Höhe von 525,00 EUR zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Das Gericht hat die Beteiligten unter dem 20.10.2004 zur Entscheidung durch Gerichtsbe-
scheid (§ 105 SGG) angehört.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs.1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Ge-richtsbescheid entscheiden, da
die Sache keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Im Rahmen der Anhörung haben die Beteiligten keine begründeten Einwände gegen eine Entscheidung durch
Gerichtsbe-scheid vorgebracht.
Das angerufene Gericht ist zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zustän-dig gem. §§ 57 Abs.1, 51
Abs.1 SGG. Die fristgerecht sowie nach Durchführung des ge-setzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens
erhobene Klage ist zulässig, aber unbe-gründet. Bei Tod eines Versicherten nach dem 31.12.2003 besteht kein
Anspruch auf Ster-begeld.
Das SGB V enthielt mit Inkrafttreten zum 01.01.1989 (Art.79 GRG vom 20.12.1988, BGBl. I S.2477) im Siebten
Abschnitt des Dritten Kapitels unter der Überschrift "Sterbe-geld" insgesamt zwei Vorschriften über die
Voraussetzungen und die Höhe des Anspruchs auf Sterbegeld. Danach wurde beim Tod eines Versicherten an
denjenigen, der die Bestat-tungskosten trägt, ein Zuschuss zu den Bestattungskosten (Sterbegeld) gezahlt, wenn der
Verstorbene am 01.01.1989 versichert war (§ 58 SGB V a.F.). Das Sterbegeld betrug beim Tod eines Mitglieds zuletzt
525,00 EUR, beim Tod eines nach § 10 SGB V Versicherten 262,50 EUR (§ 59 SGB V a.F.).
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG)
vom 14.11.2003 (BGBl. I S.2190 ff.) hat der Gesetzgeber den Siebten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V neu
gefasst (Art.1 Nr.36 GMG). Er hat diesen Abschnitt mit der Überschrift "Zahnersatz" versehen und ihm die
Vorschriften der §§ 55 bis 59 zugeordnet. Die Neufassung des Siebten Abschnitts des Dritten Kapitels tritt dabei
grundsätzlich zum 01.01.2004 in Kraft (Art.37 Abs.1 GMG), mit Ausnahme der §§ 55, 58 Abs.1, 2 und 4 sowie § 59
(Art.37 Abs.8 GMG). Damit ist der Siebte Abschnitt des Dritten Kapitels zum 31.12.2003 vollständig gelöscht und ab
dem 01.01.2004 zum Teil (§§ 56, 57, 58 Abs.3 SGB V), zum 01.01.2005 vollständig (§§ 55, 58 Abs.1, 2 und 4, 59
SGB V) mit neuen Vorschriften "gefüllt" worden.
Ferner hat der Gesetzgeber die Regelungen in § 11 Abs.1 Satz 2 SGB V und § 21 Abs.1 Nr.5 SGB I aufgehoben,
welche bislang bestimmten, dass der Anspruch auf Sterbegeld zu den in der Krankenversicherung vorgesehenen
Leistungsarten zählt (Art.1 Nr.3, Art.3 Nr.3 GMG). Die Aufhebung dieser Vorschriften ist ebenfalls zum 01.01.2004 in
Kraft getreten (Art.37 Abs.1 GMG). Aus der zum 01.01.2004 in Kraft getretenen grundsätzlichen Aufhe-bung und
Neufassung des Siebten Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB V sowie der zeitgleichen Aufhebung der §§ 11
Abs.1 Satz 2 SGB V, 21 Abs.1 Nr.5 SGB I geht eindeu-tig und denknotwendig hervor, dass die ursprünglich den
Anspruch auf Sterbegeld regeln-den §§ 58, 59 SGB V a.F. zum 01.01.2004 außer Kraft getreten sind. Der Wortlaut
des GMG ist in dieser Hinsicht somit eindeutig.
Die klägerische Auffassung, das Inkrafttreten der §§ 58 Abs.1, 2 und 4, 59 SGB V n.F. zum 01.01.2005 (Art.37 Abs.8
GMG) bedeute, dass §§ 58, 59 SGB V in der bisherigen Fassung bis zum 31.12.2004 fortgelten, vermag nicht zu
überzeugen, da sie zu sinn- und systemwidrigen Ergebnissen führte. Legte man die klägerische Auffassung zu
Grunde, befänden sich in dem seit dem 01.01.2004 mit "Zahnersatz" überschriebenen Siebten Ab-schnitt des Dritten
Kapitels des SGB V neben den Vorschriften, die seit dem 01.01.2004 auch inhaltlich Regelungen über den Zahnersatz
treffen (§§ 56, 57, 58 Abs.3 SGB V), bis zum 31.12.2004 zugleich Regelungen über einen Anspruch auf Sterbegeld.
Besonders deutlich wird die Sinnwidrigkeit dieses Verständnisses von der Vorgehensweise des Ge-setzgebers des
GMG, wenn man sich unter Berücksichtigung dieser Auffassung den seit dem 01.01.2004 maßgeblichen
Regelungsgehalt des § 58 SGB V vor Augen führt. Diese Vorschrift trägt seit dem 01.01.2004 die Überschrift "Beitrag
für Zahnersatz". In dem ebenfalls zum 01.01.2004 in Kraft getretenen § 58 Abs.3 SGB V enthält diese Vorschrift eine
Regelung über die Höhe des gesonderten Beitrages für Zahnersatz. Die von der Klä-gerseite angenommene
Fortgeltung des § 58 SGB V a.F. hätte zur Folge, dass man inner-halb derselben Vorschrift ferner Regelungen über
die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Sterbegeld vorfände. Diese wären zudem keinem konkreten Absatz des
§ 58 SGB V n.F. zuzuordnen, da das GMG insoweit keine Zuordnung (etwa des Inhalts "Der bisherige Wortlaut wird
Absatz 1") vorsieht.
Folgte man dem klägerischen Verständnis und käme daher zu dem aufgezeigten sinnwidri-gen und widersprüchlichen
Ergebnis, so forderte dies eine weitergehende Auslegung, um die festgestellten Widersprüche und Zweifel zu
beseitigen (ebenso von der Systematik her: Schnapp "Das Sterbegeld – eine auslaufende Leistung?" in SGb 2004,451
- wobei Schnapp offenbar von einer Eindeutigkeit des Wortlauts im Sinne der klägerischen Auffassung aus-geht, ohne
die aufgezeigten Sinnwidrigkeiten und Widersprüchlichkeiten zu berücksichti-gen). Zur Auslegung wäre daher
insbesondere der Wille des Gesetzgebers heranzuziehen.
In der amtlichen Begründung (BT-Drs. 15/1525) steht zu lesen:
zu Artikel 1, zu Nummer 36 (Siebter Abschnitt, §§ 55 bis 59) (S.91 a.a.O.):
"Der Siebte Abschnitt enthielt bislang die Regelungen zum Sterbegeld. [ ...] Die Streichung des Sterbegeldes für
Mitglieder und Familienversicherte ist als Solidarbeitrag zur Stabilisierung der finanziellen Situation der gesetzlichen
Krankenversicherung erforderlich. Der neue Siebte Abschnitt enthält nunmehr die Vorschriften zur Neuordnung der
Versorgung mit Zahnersatz."
zu Artikel 1, zu Nummer 3 (§ 11) (S.80 a.a.O.):
"Es handelt sich um eine Folgeregelung zur Aufhebung des Siebten Abschnitts im Dritten Kapitel (Strei-chung des
Anspruchs auf Sterbegeld)."
zu Artikel 3 (Änderung des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) (S.153 a.a.O.):
"Folgeänderung aus den Änderungen in [ ...] sowie der Aufhebung der §§ 58 und 59 SGB V (Streichung des
Anspruchs auf Sterbegeld)."
Ergänzend findet sich in der Begründung eine Darstellung zu den finanziellen Auswirkun-gen des GMG (BT-Drs.
15/1525 S.171 f.). Danach geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich aus den vorgesehenen Regelungen für die
gesetzlichen Krankenkassen ein geschätztes finanzielles Entlastungsvolumen von rd. 10 Mrd. Euro in 2004 ergibt,
wobei hiervon - ausweislich der abgedruckten Tabelle - auf das eingesparte Sterbegeld für das Jahr 2004 insgesamt
0,4 Mrd. Euro entfallen.
Eine - zur Beseitigung der sich (nur) bei Zugrundelegung der klägerischen Auffassung ergebenden Zweifel und
Widersprüche heranzuziehende - historische, d.h. am Willen des Gesetzgebers orientierte, Auslegung ergibt somit
zweifelsfrei, dass die Streichung des An-spruchs auf Sterbegeld bereits zum 01.01.2004 beabsichtigt war. Dieser
Wille ist zudem – unter Zugrundelegung der dargelegten Auffassung des Gerichts – im Wortlaut des GMG klar genug
zum Ausdruck gekommen.
Die Streichung des Anspruchs auf Sterbegeld zum 01.01.2004 verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht. Der
Anspruch auf Sterbegeld unterliegt nicht der Eigentumsgarantie des Art.14 Abs.1 GG (BVerfG, Beschluss vom
22.12.1992, Az: 1 BvR 1582/91 = SozR 3-2500 § 59 Nr.3). Die Streichung des Anspruchs auf Sterbegeld verletzt
ferner nicht das Rechts-staats- sowie das Sozialstaatsprinzip (Art.20 und Art.28 GG). Insoweit schließt sich das
Gericht den Ausführungen des BSG in seinen Entscheidungen zur Kürzung des Sterbe-gelds an (Urteil vom
25.06.1991, Az: 1/3 RK 21/90 = SozR 3-2500 § 59 Nr.1; Urteil vom 07.08.1991, Az: 1 RK 12/91). Die Ausführungen in
Fällen einer – erheblichen – Reduzie-rung des Sterbegeldes tragen nach Auffassung des Gerichts auch die
vorliegende Strei-chung des Sterbegeldes.
Das Rechtsstaatsprinzip ist insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der hierdurch ge-schützten Rechtssicherheit
und des daraus resultierenden Vertrauensschutzes der Bürger verletzt. Die Kürzung oder Streichung bisher
vorgesehener Leistungen enttäuscht zwar einerseits das Vertrauen auf den Fortbestand des Leistungsumfanges der
gesetzlichen Krankenversicherung. Andererseits kann der Gesetzgeber aber auch im Bereich der gesetz-lichen
Krankenversicherung nicht darauf verzichten, aus Gründen des Allgemeinwohls neue Regelungen zu treffen, die sich
wechselnden Erfordernissen anpassen. Dabei muss er gesellschaftspolitischen Veränderungen und damit
verbundenen wechselnden Interessenla-gen, insbesondere auch der Belastbarkeit der Solidargemeinschaft der
Versicherten, Rech-nung tragen. Der Einzelne kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er auf
den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung vertraut habe, wenn dieses Vertrauen unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände billigerweise eine Rücksicht-nahme durch den Gesetzgeber nicht
beanspruchen kann (BVerfGE 69, 272, 310).
Die Interessenabwägung zwischen dem Ausmaß des den Einzelnen treffenden Vertrauens-schadens und der
Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit ergibt hier: Die Gemeinwohlinteressen
rechtfertigen die Streichung des Sterbegeldes. Die Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung war nach
Auffassung des Gesetz-gebers notwendig, weil der Anstieg der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung mit
seinen gesundheits-, sozial- und beschäftigungspolitischen Konsequenzen in zuneh-mendem Maße zu einer
gefährlichen Belastung dieses sozialen Sicherungssystems und der Arbeitnehmer und Betriebe führte. Der
medizinische Fortschritt und die zunehmende Zahl älterer Menschen führten zu einem Ausgabenanstieg, hinter dem
die Entwicklung der Ein-nahmen zurückbleibt. Diese Finanzierungslücke kann nicht durch weitere Beitragssatzstei-
gerungen finanziert werden, da dies die Arbeitskosten erhöht und zu einer steigenden Ar-beitslosigkeit beiträgt (BT-
Drs. 15/1525 S.71). Die Aufrechterhaltung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, über die der
größte Teil der Bevölkerung seine Ab-sicherung für den Krankheitsfall erfährt, und die Stabilisierung der Beiträge
liegen in ho-hem Maße im Gemeinwohlinteresse. Mit einem Bündel von Maßnahmen hat der Gesetz-geber die
gesetzliche Krankenversicherung spürbar entlastet. Unter anderem werden be-stimmte Leistungen in die
Eigenverantwortung der Versicherten übertragen (z.B. Zahner-satz), die Zuzahlungsregelungen werden neu gestaltet,
einzelne Leistungsbereiche werden ausgegliedert (z.B. Sehhilfen, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel) (vgl.
dazu BT-Drs. a.a.O.) Das Gericht kann offen lassen, ob angesichts des gesamten geplanten Einspar-volumens von
9,8 Mrd. Euro für das Jahr 2004 die Kürzung des Sterbegeldes (geschätzte Entlastung für 2004: 0,4 Mrd. Euro)
erhebliche Bedeutung hat. Denn es kommt dabei nicht auf die Auswirkungen einer Gesetzesänderung bezüglich einer
Einzelleistung an, sondern auf den Einspareffekt, der durch die Gesamtheit der vom Gesetzgeber beschlossenen
Maß-nahmen erzielt werden soll. Dazu gehört auch die Einsparung durch Streichung des Ster-begeldes. Darüber, ob
der Gesetzgeber auf anderem Wege die von ihm für notwendig ge-haltenen Einsparungen hätte erreichen können, hat
das Gericht nicht zu entscheiden. Denn in die insoweit bestehende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dürfen die
Gerichte nicht eingreifen (BSG a.a.O. m.w.N.)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.