Urteil des SozG Chemnitz vom 15.11.2007

SozG Chemnitz: zumutbarkeit, arbeitsentgelt, vergütung, arbeitsvermittlung, arbeitslosigkeit, versendung, nettoeinkommen, arbeitsbedingungen, minderung, antritt

Sozialgericht Chemnitz
Urteil vom 15.11.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Chemnitz S 6 AL 253/06
I. Der Bescheid vom 16.12.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 werden aufgehoben. II. Die Beklagte
hat dem Kläger dessen notwendig entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten. III. Die Berufung wird
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Eintritt einer 3-wöchigen Sperrzeit.
Der am ...1983 geborene Kläger beantragte am 13.09.2005 die Zahlung von Arbeitslosengeld nach Tätigkeit als
Kellner im Zeitraum 01.12.2004 bis 30.09.2005.
Die Beklagte bewilligte die beantragte Leistung ab 01.10.2005.
Am 21.10.2005 unterbreitete die Beklagte dem Kläger ein Stellenangebot als Koch. Ein bestimmter Lohn wurde hier
nicht genannt.
Der Kläger nahm mit dem potentiellen Arbeitgeber keinen Kontakt auf.
Daraufhin prüfte die Beklagte, ob eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung eingetreten ist. Die Beklagte verwandte
dabei ein formalisiertes Prüfschema (Bl. 76 – 77 der Leistungsakte). In diesem Prüfschema wird unter Ziff. 3 auch
danach gefragt, ob das erzielbare Ar-beitsentgelt zumutbar war. Diese Frage ist im Prüfschema offen gelassen.
Daraufhin stellte die Beklagte mit streitigem Bescheid vom 16.12.2005 den Eintritt einer 3-wöchigen Sperrzeit im
Zeitraum 25.10.2005 bis 14.11.2005 fest. Das Arbeitsangebot vom 21.10.2005 habe den Grundsätzen einer
sachgerechten Arbeitsvermittlung entsprochen. Die Arbeit sei dem Kläger deshalb zuzumuten gewesen.
Den Widerspruch des Klägers vom 22.12.2005 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 zurück.
Der Kläger habe sich mit dem benannten Arbeitgeber nicht in Verbindung gesetzt und damit die Anbahnung eines
Beschäftigungsverhältnisses verhindert.
Dagegen hat der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten am 09.03.2006 Klage erhoben.
In der mündlichen Verhandlung am 15.11.2007 wies der Vorsitzende darauf hin, dass zur Prüfung der Zumutbarkeit
einer angebotenen Tätigkeit auch die Prüfung der erzielbaren Vergütung gehört.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt:
1. Der Bescheid vom 16.12.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 werden aufgehoben. 2. Die Beklagte
trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt:
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Berufung wird zugelassen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakte sowie die Niederschrift der
mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwie-sen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Dem Kläger wurde ein zumutbares Arbeitsangebot nicht unterbreitet.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitnehmer
versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.
Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III liegt versicherungswidriges Verhalten unter anderem dann vor, wenn der bei
der Beklagten als arbeitssuchend gemeldete Arbeitnehmer oder der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen
eine von der Beklagten unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht
annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das
Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs, durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung).
Es ist nach Ansicht des Gerichts unstreitig, dass die Agentur für Arbeit einem Arbeitslosen lediglich zumutbare
Beschäftigungen anbieten darf.
Welche Beschäftigungen zumutbar sind, ergibt sich aus § 121 SGB III.
Gemäß § 121 Abs. 1 SGB III sind einem Arbeitslosen alle seiner Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen
zumutbar, soweit allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit einer Beschäftigung nicht
entgegenstehen.
Gemäß § 121 Abs. 2 SGB III ist aus allgemeinen Gründen eine Beschäftigung einem Arbeitslosen insbesondere nicht
zumutbar, wenn die Beschäftigung gegen gesetzliche, tarifliche oder in Betriebsvereinbarungen festgelegte
Bestimmungen über Arbeitsbedingungen oder gegen Bestimmungen des Arbeitsschutzes verstößt.
Gemäß § 121 Abs. 3 SGB III ist aus personenbezogenen Gründen eine Beschäftigung einem Arbeitslosen
insbesondere nicht zumutbar, wenn das daraus erzielte Arbeitsentgelt erheblich niedriger ist als das der Bemessung
des Arbeitslosengeldes zugrunde liegende Arbeitsentgelt. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit ist eine
Minderung um mehr als 20 % und in den folgenden drei Monaten um mehr als 30 % dieses Arbeitsentgelts nicht
zumutbar. Vom 7. Monat der Arbeitslosigkeit an ist dem Arbeitslosen eine Beschäftigung nur dann nicht zumutbar,
wenn das daraus erzielbare Nettoeinkommen unter Be-rücksichtigung der mit der Beschäftigung
zusammenhängenden Aufwendungen niedriger ist als das Arbeitslosengeld.
Aus den benannten Einzelvorschriften des § 121 SGB III ergibt sich nach Ansicht des Gerichts, dass die Beklagte in
jedem Fall die Höhe der erzielbaren Vergütung in die Prüfung der Zumutbarkeit einer Beschäftigung mit einzubeziehen
hat. Diese Zumutbarkeitsprüfung ist nach Ansicht des Gerichts nicht erst dann vorzunehmen, wenn über den Eintritt
einer Sperrzeit zu entscheiden ist. Die Beklagte hat vielmehr schon im Vorfeld der Versendung eines Stellenangebots
zu prüfen, ob die Beschäftigung für den Arbeitslosen zumutbar ist. Nur ein solches Vorgehen entspricht nach Ansicht
des Gerichts den Grundsätzen einer sachgerechten Arbeitsvermittlung. Gemäß § 121 Abs. 3 SGB III ist die
Zumutbarkeit einer Beschäftigung auch daran zu prüfen, welches Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung erzielbar
ist.
Die Vorschrift des § 121 Abs. 3 SGB III ist auch als Schutzvorschrift für den Arbeitslosen zu sehen. Der Arbeitslose
hat hieraus einen Anspruch, dass die Beklagte nur zumutbare Arbeitsangebote unterbreitet, also auch vor
Übersendung eines Arbeitsangebotes die er-zielbare Vergütung abprüft. Überdies muss es auch dem Arbeitslosen
selbst möglich sein, die Zumutbarkeit des Stellenangebotes anhand der Kriterien des § 121 Abs. 3 SGB III zu prüfen.
Danach entsprach das Arbeitsangebot vom 21.10.2005 nach Ansicht des Gerichts nicht den Grundsätzen einer
sachgerechten Arbeitsvermittlung. Die Nichtverfolgung eines solchen Arbeitsangebotes kann daher eine Sperrzeit
nicht begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die Berufung war daher gemäß § 144 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1
Sozialgerichtsgesetz zuzulassen.