Urteil des SozG Bremen vom 01.12.2009

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Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 01.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 2179/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom
1. bis 30. November 2009 weitere Leistungen in Höhe von 300,59 Eu-ro zu gewähren. Die Auszahlung der Leistungen
erfolgt vorläu-fig. Sie stehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe – ohne Ratenzah-lung –
unter Beiordnung von Rechtsanwältin AS., A-Stadt, be-willigt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (d. Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung weiterer Leistungen
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Streitig ist, ob die Antragsgegnerin zu Recht eine Minderung der
Leistungen gem. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II vorgenommen hat.
Der 1964 geborene Ast. und seine Familie stehen im laufenden ergänzenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin,
der Trägerin der Grundsicherung in A-Stadt. Mit Datum vom 21. September 2009 rechnete die AUV. Vertrieb A-Stadt
GmbH (AUV.) den dem Kläger gelie-ferten Strom, das Erdgas und Wasser ab. Im Ergebnis ergab sich ein
verbleibender Zahlbe-trag von 229,86 Euro, den die AUV. zum 14. Oktober 2009 fällig stellte. Der Antragsteller reichte
die Abrechnung bei der Antragsgegnerin ein. Darauf errechnete die Antragsgegnerin, dass sich bezogen auf die
Heizkosten – die Strom- und Wasserkosten ließ sie insofern außer Betracht – ein Guthaben von 300,59 Euro ergäbe.
Dieses Guthaben rechnete sie dem An-tragsteller und seiner Familie mit Leistungsbescheid vom 20. Oktober 2009 als
Einkommen im November 2009 an. Dementsprechend wurden dem Antragsteller und seiner Familie für No-vember
2009 lediglich 4,05 Euro bewilligt, während in den Monaten Dezember 2009 bis April 2010 jeweils 304,64 Euro bewilligt
wurden. Am 26. Oktober 2009 erhob der Antragsteller Widerspruch. Er machte geltend, aus der Abrechnung habe sich
kein Guthaben, sondern im Gegenteil eine Nachzahlung ergeben. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid
vom 13. November 2009 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde auf § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II
verwiesen. Die Aufwendungen für Strom müssten außer Betracht bleiben. Inso-fern seien nur die Heizkosten zu
prüfen gewesen. Diesbezüglich hätte sich ein Guthaben in Höhe von 300,89 Euro ergeben. Am 19. November 2009
hat der Antragsteller Klage erhoben (S 23 AS 2185/09), über die das Gericht noch nicht entschieden hat.
Ebenfalls am 19. November 2009 hat d. Ast. beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
beantragt. Er begehrt die Gewährung weiterer 300,89 Euro für November 2009 und erklärt, das Verhalten der
Beklagten sei im Hinblick auf die klare Sachlage unver-ständlich. Der Fehlbetrag in gleicher Höhe werde für den
Lebensunterhalt dringend benötigt.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, es läge weder ein Anord-nungsgrund, noch eine
Anordnungsanspruch vor. In der Zeit bis zum 2. September 2009 sei-en Heizkosten von 1.155,07 Euro angefallen, die
Antragsgegnerin habe jedoch Abschläge in Höhe von 1.455,66 Euro mit den laufenden Leistungen gewährt. Damit sei
eine Überzahlung in Höhe von 300,59 Euro erfolgt.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und auf die Verwaltungsakte der An-tragsgegnerin verwiesen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., Rn. 28). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a. a. O.).
1. Es liegt nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Anordnungsanspruch vor. Dem Antragsteller
und seiner Familie stehen für den Monat November 2009 weitere 300,59 Euro zu. Dies folgt daraus, dass die
Antragsgegnerin in diesem Monat zu Unrecht gem. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II ein fiktives Heizkostenguthaben
angerechnet hat.
§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II besagt, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung
zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern;
Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben insofern außer Betracht.
Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II kann nur dann Anwendung finden, wenn dem Hilfebedürftigen eine
Rückzahlung oder ein Guthaben zufließt, über das er tatsächlich verfü-gen kann (Urt. des SG Neubrandenburg vom 6.
Mai 2009 – S 11 AS 1042/08 -). Dies folgt schon aus dem Wortlaut der Vorschrift; denn eine Rückzahlung oder ein
Guthaben ist begriff-lich mit einer tatsächlichen Verfügungsberechtigung verbunden. Dies ergibt sich auch aus dem
Sinn und Zweck der Vorschrift, denn nur dann, wenn dem Hilfebedürftigen tatsächlich Mittel zur Verfügung stehen, mit
denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, kommt eine Minderung der Leistungen nach dem SGB II in
Betracht, weil ansonsten eine Bedarfsun-terdeckung bestünde. Auch aus dem Sinnzusammenhang mit § 11 SGB II
folgt, dass nur sol-che Mittel angerechnet werden können, die dem Hilfebedürftigen tatsächlich zufließen (vgl. Mecke,
in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn. 18 zur Zuflusstheorie).
Dementsprechend kann eine nur fiktive, nicht aber tatsächliche Rückzahlung, wie sie vorlie-gend von der
Antragsgegnerin ermittelt worden ist, nicht gem. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II an-gerechnet werden. Der
Grundsicherungsträger ist folglich in einem solchen Fall auf den Erlass eines Änderungsbescheides und
gegebenenfalls auf den Erlass eines Rückforderungsbe-scheides zu verweisen, sofern er der Auffassung sein sollte,
dass Leistungen für Unterkunft und Heizung überzahlt worden sind.
2. Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit - ergibt sich aus der finanziellen Situation des Antragstellers und seiner
Familie.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. D. Ast. hat voll obsiegt. Die außergerichtlichen Kosten sind
deshalb voll zu erstatten. Gerichtskosten fal-len im vorliegenden Verfahren nicht an.
4. D. Ast. war gem. § 73a SGG Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen. Sowohl die finanziellen, als
auch die materiellen Voraussetzungen für die Gewährung dieser Leistung waren gegeben. Der Eilantrag hatte
insbesondere – was sich aus den obigen Ausführungen ergibt – hinreichende Erfolgsaussichten und war zudem nicht
mutwillig.
5. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes für kei-nen Beteiligten 750,00
Euro übersteigt und wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 172 Abs. 3
Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 SGG). Die Antragsgegnerin ist mit einem Betrag von 300,59 Euro
beschwert. Der Schwellen-wert für eine zulässige Berufung liegt bei 750,00 Euro, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.
gez. Dr. Schnitzler Richter am Sozialgericht