Urteil des SozG Bremen vom 19.11.2009

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Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 19.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 2044/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom
30. Ok-tober 2009 bis zum 30. April 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung
eines Mehrbe-darfs in Höhe von 89,00 Euro im Monat zu gewähren. Die Antragsgegnerin wird im Wege des
einstweiligen Rechts-schutzes darüber hinaus verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom 30. Oktober 2009 bis
zum 30. April 2010 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung von Heizkosten in Höhe
von 39,98 Euro im Monat zu gewähren. Die Auszahlung der Leistungen erfolgt vorläufig. Sie stehen unter dem
Vorbehalt der Rückforderung. Im Übrigen – soweit der Antragsteller darüber hinaus weitere 6,12 Euro Heizkosten im
Monat begehrte – wird der Antrag ab-gelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten
des Antragstellers zu 75 vom Hundert.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (d. Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme von Tilgungszinsen für
die Zeit vom 1. November 2009 bis zum 30. April 2010, die Gewährung von Kosten der Unterkunft nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berück-sichtigung von Tilgungsleistungen. Desweiteren
Der 1968 geborene Ast. steht im laufenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin, der Trä-gerin der Grundsicherung
in A-Stadt. Mit Änderungsbescheid vom 6. Juni 2009 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen für
die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Oktober 2009 in Höhe von 962,39 Euro im Monat. Dabei berücksichtigte sie Kosten
der Unterkunft in Höhe von 451,83 Euro. Hiergegen erhob der Antragsteller am 24. Juni 2009 Widerspruch. Er machte
geltend, die Antragsgegnerin berücksichtige die (zur Frage der Anrechnung von Til-gungsleistungen ergangene)
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht. Der Wider-spruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2009
zurückgewiesen. Der Antragsteller hat am 31. Juli 2009 Klage gegen den Widerspruchsbescheid erhoben, über die
das Sozialge-richt noch nicht entschieden hat (S 23 AS 1430/09). Am 20. Juli 2009 beantragte d. Ast. beim
Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Az. S 23 AS 1367/09). Er begehr-te zum einen die
Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 4.526,39 Euro und führte zur Be-gründung insoweit aus, die
Antragsgegnerin hätte in den letzten fünf Jahren seinen Anspruch auf Kosten der Unterkunft nicht vollständig erfüllt.
Die Antragsgegnerin würde das Verfahren außerdem immer wieder verschleppen. Zweitens begehrte er die Zahlung
von Portokosten in Höhe von 200,00 Euro. Insoweit führte er zur Begründung aus, die Antragsgegnerin hätte sei-ne
Daten unbefugt missbraucht. Er sei daher gezwungen, seine Schreiben an die Antrags-gegnerin per Einschreiben zu
übersenden. Dies hätte Kosten in der genannten Höhe verur-sacht. Drittens habe die Antragsgegnerin – entgegen der
Rechtsprechung des Bundessozial-gerichts – seine Tilgungsleistungen nicht als Kosten der Unterkunft anerkannt. Die
diesbezüg-liche Rechtslage müsse der Antragsgegnerin bekannt sein. Ihm sei nicht erklärlich, weshalb sich die
Antragsgegnerin über die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, des Landesso-zialgerichts Niedersachsen-
Bremen und des Sozialgerichts Bremen hinwegsetze. befriedigt. Er sei so gezwungen, gegen alle Bescheide der
Antragsgegnerin zu klagen. Am 31. Juli 2009 stellte der Antragsteller einen weiteren Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung (S 23 AS 1424/09 ER). Die Antragsgegnerin trat dem Eilantrag entgegen. Sie meinte, für
einen Eil-antrag wegen Schadensersatzes und wegen Datenschutzes fehle es an der Eilbedürftigkeit. Bezüglich der
beantragten Übernahme der Tilgungsleistungen vertrat die Antragsgegnerin die Auffassung, "dass darauf ein Anspruch
nicht besteht, weil dies der Vergrößerung des Vermö-gens des Ast. diente, was nicht der Intention des Gesetzgebers
entspricht." Mit Beschluss vom 31. August 2009 verpflichtete die Kammer die Antragsgegnerin im Wege des
einstweili-gen Rechtsschutzes, dem Antragsteller in der Zeit vom 20. Juli bis zum 31. August 2009 Leis-tungen unter
Berücksichtigung der hälftigen Tilgungsleistungen zu erbringen. Im Übrigen lehn-te die Kammer den Antrag ab. Sie
führte aus, soweit d. Ast. die Gewährung von Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung von Tilgungsleistungen
begehre, sei eine Interessenabwä-gung vorzunehmen, die zu Gunsten des Antragstellers ausgehe. Es könne im
gerichtlichen Eilverfahren nicht ohne weiteres festgestellt werden, ob der Antragsteller Anspruch auf die Übernahme
seiner Tilgungsleistungen als Kosten der Unterkunft hat. Der 14. Senat des Bun-dessozialgerichts hat mit Urteil vom
18. Juni 2008 – B 14/11b AS 67/06 R – entschieden, dass Tilgungsleistungen für Grundstücksdarlehen u.U. als nach
dem SGB II anzuerkennende Un-terkunftskosten berücksichtigungsfähig sind. Ob diese Voraussetzungen vorliegen,
könne das Gericht nicht im Eilverfahren prüfen. Daher sei eine Folgenabwägung vorzunehmen. Bei die-ser seien die
könne das Gericht nicht im Eilverfahren prüfen. Daher sei eine Folgenabwägung vorzunehmen. Bei die-ser seien die
Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht
erließe mit denjenigen Folgen, die eintreten würden, wenn das Gericht die Anordnung erließe, sich jedoch im
Hauptsacheverfahren herausstellt, das der Anspruch nicht besteht. Die Interessenabwägung gehe vorliegend zu
Lasten der Antragsgeg-nerin aus. Dies ergebe sich im vorliegenden Fall bereits deshalb, weil die Antragsgegnerin eine
eigene Prüfung in der Sache bisher offenbar weder im Verwaltungsverfahren, noch im Widerspruchsverfahren
vorgenommen habe. Weder der angegriffene Bescheid, noch der be-klagte Widerspruchsbescheid ließen erkennen, ob
die Antragsgegnerin die Anwendung der vom Antragsteller angesprochenen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts auf den vorlie-genden Fall geprüft hat. In einem solchen Falle folge bereits hieraus, dass die
Folgenabwä-gung zu Lasten der Behörde ausgeht. Es sei davon auszugehen, ausreiche, die Antragsgeg-nerin zur
Kostenübernahme bis zum Ablauf des laufenden Bewilligungszeitraums (bis 31. Ok-tober 2009) zu verpflichten.
Innerhalb dieses Zeitraums dürfte die Antragsgegnerin ausrei-chend Zeit haben, die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zu prüfen. Hinsichtlich der außerdem begehrten Leistungen - Schadensersatz und Portokosten -
fehle es jedenfalls an der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund). Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller insofern
nicht den Ausgang von Antrags- und Klageverfahren abwarten kann.
1. Am 7. Oktober 2009 hat d. Ast. das Sozialgericht mit zwei gleichlautenden Schreiben er-neut um die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes ersucht (S 23 AS 1890/09 ER und S 23 AS 1890/09 ER). Er erklärt, er habe noch immer
keinen Änderungsbescheid erhalten, mit dem die Antragsgegnerin den Beschluss des SG ausgeführt habe. Hierdurch
sei sein Kontostand ins Soll geraten. Da die Antragsgegnerin sich nach wie vor weigere, die Rechtsprechung des
BSG auszuführen, habe er erheblichen Schaden erlitten. Er gehe davon aus, dass eine Amts-pflichtverletzung
bestehe.
Die Antragsgegnerin hat darauf am 13. Oktober 2009 erklärt, der Beschluss des SG vom 31. August 2009 sei
mittlerweile durch Bescheid vom 9. Oktober 2009 umgesetzt worden. Sie gehe davon aus, dass damit der
Vollstreckungsantrag erledigt sei. Soweit der Antragsteller darüber hinaus aufgrund der genannten Rechtsprechung
des BSG einen Anspruch auf die Übernahme von Tilgungsleistungen für die Zeit ab dem 1. November 2009 geltend
mache, bleibe die Antragsgegnerin bei ihrer Auffassung, dass ihm – dem Antragsteller – ein solcher Anspruch nicht
zustehe. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass der Verlust seines Eigenheims drohe. Ohnehin sei die
Wohnung zu teuer. Für eine Anordnung bezüglich eines Schadensersatzanspruchs fehle es am Anordnungsgrund (S
23 AS 1890/09 ER und S 23 AS 1981/09 ER).
2. Am 15. Oktober 2009 hat der Antragsteller dann einen weiteren Eilantrag gestellt (S 23 AS 1927/09 ER), mit dem er
im Eilverfahren die mit Bescheid vom 9. Oktober 2009 abgelehnte Übernahme von Renovierungskosten begehrt. Er
erklärt, bei ihm sei "der Putz abgefallen, was dringend repariert werden müsse". Unter diesen Umständen könne er
keinen Besuch emp-fangen; dies sei menschenunwürdig.
Hierzu hat die Antragsgegnerin vorgetragen, es dürfe sich um eine Schönheitsreparatur han-deln, für die der Vermieter
zuständig sei. Der Antragsteller habe nicht vorgetragen, dass er seinen Vermieter zur Mängelbeseitigung aufgefordert
habe. Nachdem der Antragsteller die Antragsgegnerin darauf hinwies, dass er selbst Eigentümer seiner eigenen
Wohnung sei und er demzufolge auch keinen Vermieter habe, hat die Antragsgegnerin sodann erklärt, sie ent-
schuldige sich für ihre bisherigen Ausführungen. Bei deren Abfassung hätten der zuständigen Mitarbeiterin die
Aktenunterlagen nicht vorgelegen. Gleichwohl fehle es für den Eilantrag an der Eilbedürftigkeit. Die vom Ast.
angestrebte Verkleidung der Wand mit Gipsplatten sei nicht fachgerecht. Sie könne keinen nachhaltigen Erfolg haben.
Der Antragsteller müsse einen Kos-tenvoranschlag für eine fachgerechte Reparatur der Schäden vorlegen. Der
Antragsteller ha-be bisher auch nichts zur Ursache der Schäden vorgetragen. Eventuell könne eine Baumän-
gelgewährleistung greifen. Darüber hinaus werde der Antragsteller auf die Regelleistung ver-wiesen. Die Kosten von
ca. 235,00 Euro hätte der Antragsteller in der Zeit seit September 2009 ansparen können.
3. Schließlich hat der Antragsteller mit Schreiben vom 15. Oktober 2009 beantragt, das Ver-fahren S 23 AS 1367/09
ER "nicht mehr ruhen zu lassen". Insofern hat er ausgeführt, die Til-gungsleistungen seien in der Zeit vom 1.
November 2009 bis zum 30. April 2010 erneut nicht berücksichtigt worden. Hierdurch werde er erneut von der
Antragsgegnerin geschädigt.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung hat sie ihr Vor-bringen aus den anderen
Eilverfahren wiederholt.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsakte ist vom Gericht am 12.
Oktober 2009 (S 23 AS 1890/09 ER und S 23 AS 1891/09 ER), bzw. am 19. Oktober 2009 (S 23 AS 1927/09 ER) und
am 20. Oktober 2009 (S 23 AS 1944/09 ER) per Fax angefordert worden. Die Antragsgegnerin hat erklärt, die Akte sei
"bereits dem Verwaltungs-gericht Bremen zu diversen Verfahren übersandt" worden (ohne Nennung eines Az.) (S 23
AS 1890/09 ER), bzw., die Akte sei am 10. September 2009 an das Verwaltungsgericht Bremen zum dortigen Az. S 3
K 1666/08 übersandt worden (so im Verfahren S 23 AS 1927/09 ER). Die Kammer hat darauf beim Verwaltungsgericht
die Akte S 3 K 1666/08 angefordert. Aus-weislich dieser Akte ist die Verwaltungsakten bereits am 21. September
2009 an die Antrags-gegnerin rückübersandt worden. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2009 hat die Kammer die
Antragsgegnerin hierauf aufmerksam gemacht und nochmals um Aktenübersendung gebeten. Darauf hat die
Antragsgegnerin erklärt, die Akten seien (von der Leistungsabteilung) angefor-dert. Sie würden nach Vorliegen
unverzüglich an das Gericht weitergeleitet (Schreiben der Antragsgegnerin vom 23. Oktober 2009, Az. S 23 AS
1927/09 ER). Bisher sind die Akten je-doch nicht bei Gericht eingegangen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig und im Sinne des Tenors teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., Rn. 28). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a. a. O.).
1. Soweit der Antragsteller die Vollstreckung der Beschlüsse der Kammer vom 31. August 2009 begehrt, hat die
Antragsgegnerin dem Begehren durch Erlass der Änderungsbescheide vom 9. Oktober 2009 abgeholfen.
2. Soweit d. Ast. erneut (vgl. die Verfahren S 23 AS 1367/09 ER und S 23 AS 1424/09 ER) die Gewährung von
Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung von Tilgungsleistungen begehrt (nun in der Zeit ab dem 1. November
2009), ist erneut eine Interessenabwägung vorzuneh-men, die zu Gunsten des Antragstellers ausgeht.
Es kann im gerichtlichen Eilverfahren erneut nicht ohne weiteres festgestellt werden, ob der Antragsteller Anspruch
auf die Übernahme seiner Tilgungsleistungen als Kosten der Unter-kunft hat. Der 14. Senat des Bundessozialgerichts
hat mit Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/11b AS 67/06 R – entschieden, dass Tilgungsleistungen für
Grundstücksdarlehen u.U. als nach dem SGB II anzuerkennende Unterkunftskosten berücksichtigungsfähig sind. Der
Senat hat im Einzelnen ausgeführt (Rn. 23 ff.):
"Der Senat schränkt insoweit seine Aussage im Urteil vom 7. November 2006 (B 7b AS 2/05 R = SozR 4-4200 § 12
Nr 3 RdNr 24) ein, wonach Tilgungsleistungen (generell) nicht als KdU vom Grundsicherungsträger zu übernehmen
seien. Jedenfalls dann, wenn der Hilfebedürftige ohne (gegebenenfalls anteilige) Übernahme von Tilgungsra-ten
gezwungen wäre, seine Wohnung aufzugeben, kommt eine Übernahme der ge-samten Finanzierungskosten bis zur
Höhe der abstrakt angemessenen Kosten einer Mietwohnung in Betracht.
aa) Nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Als angemessen sind die Aufwendungen für eine Wohnung
anzusehen, die nach Ausstat-tung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und
keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 19, 20). Diese zu Mietwohnungen
entwickelten Grundsätze gelten auch, soweit Hilfebedürftige Kosten für eine selbst genutzte Eigentumswohnung von
angemessener Größe im Sin-ne des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II geltend machen (vgl Urteil des Senats vom 15.
April 2008 - B 14/7b AS 34/06 R - zu einem angemessenen Hausgrundstück). Die An-gemessenheit der
Eigentumswohnung im Sinne des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II in-diziert allerdings noch nicht die Angemessenheit
der durch eine solche Wohnung ver-ursachten Unterkunftskosten im Sinne des § 22 SGB II. Die Angemessenheit der
Un-terkunftskosten richtet sich vielmehr für Mieter und Wohnungseigentümer nach einheit-lichen Kriterien. § 12 Abs 3
Satz 1 Nr 4 SGB II ist eine rein vermögensrechtliche Schutzvorschrift gegenüber dem Verwertungsbegehren des
Grundsicherungsträgers, verhält sich aber nicht zur Höhe der nach § 22 SGB II zu übernehmenden Unterkunfts-
kosten. Im Hinblick auf die durch die Unterkunft verursachten Kosten gibt es im Regel-fall keinen sachlichen Grund,
Haus- oder Wohnungseigentümer unterschiedlich zu be-handeln (BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 3 RdNr 24).
bb) Der Wortlaut des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II schließt die Berücksichtigung von Til-gungsraten nicht aus. Als
tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft kommen da-nach bei Eigentumswohnungen die gesamten
Finanzierungskosten, mithin auch Til-gungsleistungen in Betracht.
cc) Auch der Sinn und Zweck der Leistung steht der Übernahme von Tilgungsleistun-gen nicht entgegen. Der
Gesetzgeber räumt dem Erhalt der Wohnung allgemein einen hohen Stellenwert ein, ohne Rücksicht darauf, ob diese
gemietet ist oder im Eigentum des Hilfebedürftigen steht. § 22 SGB II dient dem Schutz der Wohnung als räumlichem
Lebensmittelpunkt (vgl Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 5). Nach § 22 Abs 1 Satz 2
SGB II (seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006
- BGBl I 1706 - § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II) hat der Grundsicherungsträger jedenfalls für eine Übergangsfrist selbst
unangemessen hohe Mietkosten zu übernehmen, solange es dem Hilfebedürftigen nicht möglich ist, durch einen
Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Kosten zu senken. Steht tatsächlich eine abstrakt
angemessene Unter-kunftsalternative nicht zur Verfügung, sind die Aufwendungen für die tatsächlich ge-mietete
Unterkunft als konkret angemessen anzusehen (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3 RdNr 22). Auch der
Verwertungsausschluss des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II dient, worauf der Senat bereits hingewiesen hat (Urteil
vom 15. April 2008, B 14/7b AS 34/06 R), nicht dem Schutz der Immobilie als Vermögensgegenstand, sondern allein
dem Schutz der Wohnung im Sinne der Erfüllung des Grundbedürfnisses "Wohnen" und als räumlicher
Lebensmittelpunkt (BSGE 97, 263 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3, jeweils RdNr 13). Das dort genannte "Schonvermögen"
soll der Hilfebedürftige deshalb nicht verwer-ten müssen.
dd) Allerdings besteht insoweit ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Wohneigentums einerseits und der
Beschränkung der Leistungen nach dem SGB II auf die aktuelle Existenzsicherung andererseits. Das
Arbeitslosengeld II soll den Le-bensunterhalt sichern und grundsätzlich nicht der Vermögensbildung dienen (vgl BSG
SozR 4-4200 § 12 Nr 3 RdNr 24 unter Bezugnahme auf BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 1; Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II,
Stand August 2008, § 22 RdNr 14; Lang/Link in Ei-cher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 27 ff). Die mit der
Tilgung eintretende Minderung der auf dem Wohneigentum ruhenden Belastungen führt jedoch bei wirt-schaftlicher
Betrachtung zu einer Mehrung des Vermögens des Eigentümers. Dies ist aber bei Abwägung der widerstreitenden
Zielvorgaben jedenfalls dann hinzunehmen, wenn ohne Übernahme der Tilgungsleistungen durch den
Grundsicherungsträger der Verlust des selbstgenutzten Wohneigentums droht. Ist die Erbringung von Tilgungsleis-
tungen notwendig, um die Eigentumswohnung weiter nutzen zu können und wäre oh-ne Fortführung der Tilgung eine
Aufgabe der Wohnung unvermeidlich, hat bei werten-der Betrachtung der Gesichtspunkt der Vermögensbildung
zurückzutreten.
Erforderlich ist daher zum einen, dass die Kosten in Form von Tilgungsleistungen zur Erhaltung des Wohneigentums
unvermeidbar sind. Der Hilfebedürftige muss deshalb vor einer Inanspruchnahme staatlicher Leistungen alles
unternehmen, um die Til-gungsverpflichtung während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen so niedrig wie
möglich zu halten. Zum anderen können Finanzierungskosten einschließlich der Tilgungsleistungen insgesamt vom
Grundsicherungsträger nur bis zu der Höhe über-nommen werden, die er auch bei einer angemessenen Mietwohnung
als Kosten der Unterkunft zu tragen hätte (vgl zu den Schuldzinsen BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS
34/06 R -). Da es sich insoweit um tatsächliche Kosten der Unterkunft han-delt, ist in diesem Rahmen für eine
darlehensweise Gewährung nach dem SGB II kein Raum. Wenn die unvermeidliche Tilgungsleistung die
angemessenen Kosten einer Mietwohnung übersteigt, könnte darüber hinaus ein Darlehen in Betracht kommen.
ee) Ausgehend vom Ziel des Gesetzgebers, die Beibehaltung der Wohnung zu ermög-lichen, so lange dies zu Lasten
der Allgemeinheit mit vertretbaren Kosten (angemes-sene Kosten der Unterkunft) verbunden ist, spricht auch das
Gebot der Gleichbehand-lung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von
Tilgungsleistungen. Eine Ausformung dieses Gebots lässt sich auch dem Wohn-geldrecht entnehmen. Der
Bezugnahme auf das Wohngeldrecht kann in diesem Zu-sammenhang nicht entgegen gehalten werden, dass dessen
Grundsätze für die Be-stimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht maßgebend seien (vgl. BSG SozR
4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 18). Entscheidend ist hier, dass sowohl die Leis-tungen für KdU nach § 22 SGB II als auch
das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) der Sicherung des Wohnens dienen. Alg II- und
Sozialgeldempfänger nach dem SGB II sind nur deshalb aus dem Kreis der Wohngeldberechtigten (§ 1 Abs 2 Satz 1
Nr 2 WoGG) ausgeschlossen, weil Leistungen für die KdU nach § 22 SGB II den angemessenen Wohnbedarf
umfassend sicherstellen. Nach § 6 Abs 1 WoGG wird aber bei Eigentumswohnungen als "Belastung" diejenige "aus
dem Kapitaldienst und aus der Bewirtschaftung" zugrunde gelegt. Zum Kapitaldienst zählt dort neben den
Darlehenszinsen ua auch die Tilgungsverpflichtung (Stadler/Gutekunst/IO./Fröba, Wohngeldgesetz, Stand: April 2008,
§ 6 RdNr 37 ff). Hieraus wird zudem deutlich, dass die Übernahme von Tilgungsleistungen in einem steuerfinanzierten
Sicherungs-system nicht notwendig ausgeschlossen ist."
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann das Gericht im Eilverfahren erneut nicht prüfen. Lässt sich aber im
Rahmen des gerichtlichen Eilverfahrens nicht feststellen, ob ein Anord-nungsgrund und ein Anordnungsanspruch
vorliegen, ist eine Interessenabwägung vorzuneh-men (Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, Rdn. 29a zu §
86b m.w.N.). Dabei sind die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die
einstweilige Anordnung nicht erließe mit denjenigen Folgen, die eintreten würden, wenn das Gericht die Anordnung
erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, das der An-spruch nicht besteht (Landessozialgericht
Berlin, Beschluss vom 28. Januar 2003, L 9 B 20/02 KR ER; Keller, a.a.O.). Die Interessenabwägung geht vorliegend
zu Lasten der Antragsgegne-rin aus. Dies ergibt sich im vorliegenden Fall bereits deshalb, weil die Antragsgegnerin
eine eigene Prüfung in der Sache bisher offenbar weder im Verwaltungsverfahren, noch im Wider-spruchsverfahren
vorgenommen hat. Weder der angegriffene Bescheid, noch der beklagte Widerspruchsbescheid lassen erkennen, ob
die Antragsgegnerin die Anwendung der vom Antragsteller angesprochenen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts auf den vorliegen-den Fall geprüft hat. In einem solchen Falle folgt bereits hieraus, dass die
Folgenabwägung zu Lasten der Behörde ausgeht.
In den vorherigen Verfahren ist davon ausgegangen worden, dass es ausreicht, die Antrags-gegnerin im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes zur Kostenübernahme bis zum 31. Ok-tober 2009 zu verpflichten. Dem lag die
Überlegung zu Grunde, dass die Antragsgegnerin innerhalb dieses Zeitraums in der Lage sein müsste, die
Rechtsprechung des Bundessozial-gerichts zu prüfen und auf den vorliegenden Fall anzuwenden.
Hiervon kann die Kammer nach dem bisherigen Vorgehen der Antragsgegnerin nicht erneut ausgehen. Es scheint
vielmehr nun so, als weigere sich die Antragsgegnerin grundsätzlich, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
anzuwenden. Daher ist die Antragsgegnerin nunmehr zu verpflichten, dem Antragsteller in der Zeit vom 1. November
2009 bis zum 30. April 2009 Leistungen unter Berücksichtigung der hälftigen Tilgungsleistungen zu gewähren.
Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit - ergibt sich bezüglich der Tilgungsleistungen aus der finanziell prekären
Situation d. Antragstellers.
3. Soweit der Antragsteller die Übernahme von Kosten für die Renovierung einer Wand be-gehrt, fehlt es nach
vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage am Vorliegen eines Anord-nungsgrundes (Eilbedürftigkeit). Es ist aus
der Sicht der Kammer nicht nachvollziehbar, inwie-fern diesbezüglich nicht der Ausgang des Widerspruchsverfahrens
abgewartet werden kann. Dass wegen der ausstehenden Renovierungsmaßnahme kein Besuch empfangen werden
kann, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Auch ist nicht ersichtlich, dass durch den ab-gefallenen Putz weitere
Folgeschäden befürchtet werden müssten.
4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. D. Ast. hat bezüglich der Tilgungsleistungen und bezüglich
der Umsetzung der bisherigen Beschlüsse obsiegt. Die Kammer schätzt das Ausmaß des Obsiegens auf zwei Drittel.
Dementsprechend sind die außergerichtlichen Kosten d. Ast. zu zwei Dritteln zu erstatten. Gerichtskosten fallen im
vorliegenden Verfahren nicht an.
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Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozial-gericht
Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Lan-dessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Dieser Beschluss ist für den Antragsteller nicht anfechtbar, weil der Wert des Beschwerdegegenstan-des für ihn nicht
750,00 Euro übersteigt und wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 172
Abs. 3 Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 SGG).
gez. Dr. Schnitzler Richter am Sozialgericht