Urteil des SozG Bremen vom 04.04.2011

SozG Bremen: bildende kunst, künstler, hauptsache, form, erlass, fotografie, anerkennung, versicherungspflicht, presse, gerichtsakte

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 04.04.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 4 KR 64/11 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird ab-gelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin – eine Fotografin - streitet mit der Antragsgegnerin darum, ob sie zum Personenkreis gehört, der
nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) versicherungspflichtig ist.
Die 19 geborene Ast. schloss im Januar 2009 eine Ausbildung zur Fotografin ab. Mit Schrei-ben vom 21.01.2009
beantragte sie die Aufnahme in die Künstlersozialkasse. Sie reichte mit ihrem Antrag verschiedene Rechnungen für
Fototermine ein, außerdem zwei Zeitungsartikel aus der B-Zeitung, in denen über eine Ausstellung der Ast. bzw. über
die Ast. selbst berichtet wird. In den Artikeln wird die Ast. als "Künstlerin" bzw. als "Hobbyfotografin" bezeichnet (S.
17 der Verwaltungsakte). Mit Bescheid vom 23.06.2009 entschied die Ag., die Ast. unterliege nicht der
Versicherungspflicht als Künstlerin. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen läge ihr Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich
der assistierenden Tätigkeiten (Planung, Organisation, Lichtsetzung und Nachbearbeitung von Fotos) bei
Fototerminen. Diese Tätigkeiten seien keine künstlerischen Tätigkeiten, da die Versicherungsvoraussetzung
"Schaffen, ausüben oder Lehren" von Kunst nicht erfüllt sei. Die Tätigkeit als Fotograf sei nicht der Kunst
zuzuordnen, wenn sie ihrem Gesamtbild nach durch handwerkliches oder handwerksähnliches Arbeiten geprägt sei
(zB bei Arbeiten für private Zwecke der Kunden). Anders sei dies nur dann, wenn Arbeitsschwerpunkt Presse-,
Werbefotografie oder Kunstausstellungen, Kalender, Bildbände etc. seien. Ein solcher Arbeitsschwerpunkt sei jedoch
nicht zu erkennen. Den dagegen erho-benen Widerspruch begründete die Ast. damit, dass die zur Zeit ausgeübte
Assistenztätigkeit ausschließlich der Sicherung ihres Lebensunterhalts diene. Die Anschaffung einer eigenen
professionellen Fotoausrüstung sei ihr aus eigenen Aufträgen bisher nicht möglich. Derzeit arbeite sie an ihrer eigenen
Internetseite. Die bisherigen Aufträge dienten der Werbung und stellten daher künstlerische Tätigkeit dar. Auch sei die
Presse auf sie aufmerksam geworden (42 d. A.). Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8.12.2009
als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es, eine künstlerische Tätigkeit liege nicht vor. Die Ast. übe
lediglich Assistenztätigkeiten aus. Dafür, dass es sich insgesamt eher um eine handwerkliche als um eine
künstlerische Tätigkeit handele, spreche auch, dass die Ast. eine entsprechende Ausbildung absolvierte habe. Am
11.01.2010 erhob die Ast. hiergegen Klage, über die noch nicht entschieden ist (S 4 KR 8/10). Sie trägt vor, ihr
Praktikum und ihre Assis-tenztätigkeit habe sie zuletzt in der C in Bremen ausgeübt. Dies sei ein Zusammenschluss
von vier als Künstlern anerkannten Fotografen. In der berufsschulischen Ausbildung habe das Fach "Gestaltung"
einen hohen Stellenwert gehabt und einen nicht unerheblichen Teil des Stundenplans gefüllt. Sie versuche derzeit,
sich einen Namen als Fotografin zu machen. Zwar habe sie noch nicht so viele eigene Aufträge, um davon ihren
Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ein Teil der Arbeiten, die sie verrichte – zB. bei Hochzeiten – könne sehr wohl
als künstlerisch anerkannt werden. Ein anderer Teil ist der Werbefotografie zuzuordnen und stelle daher künstlerische
Tätigkeit dar. Außerdem habe sie im Herbst 2009 – wie schon bereits mehrere Male zuvor – einige Arbeiten im
Rahmen einer Veranstaltung ausgestellt und zum Kauf angeboten. Sie stehe am Anfang ihres Weges als Fotografin
und wolle mehr und mehr künstlerisch arbeiten (Bl. 6 der Akte S 4 KR 8/10). Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, die
Tätigkeit als Fotograf sei in der Anlage zur Handwerksordnung verzeichnet und daher grund-sätzlich als Handwerk –
und nicht als Kunst – zu werten. Nur in Ausnahmefällen könne eine solche Tätigkeit als Kunst anerkannt werden.
Abgrenzungskriterium sei die Anerkennung in einschlägigen fachkundigen Kreisen. Entscheidend sei, ob der
Betreffende mit seinen Werken schwerpunktmäßig an Kunstausstellungen teilnimmt, aufgrund Jury-Entscheidungen
Mitglied eines entsprechenden Berufsverbandes ist, in Künstlerlexika aufgeführt wird bzw. Auszeich-nungen als
Künstler erhalten hat. Soweit die Ast. Tätigkeiten vor dem Februar 2009 nachge-wiesen habe, lägen diese vor dem
Beginn ihrer Tätigkeit als Künstlerin. Die weiteren Nach-weise beträfen ausschließlich Assistenzarbeiten, die keine
eigenschöpferischen Leistungen der Ast. sein könnten. Soweit die Ast. auf die eingereichten Zeitungsausschnitte
verweise, sei nicht erkennbar, von wann diese stammten. In jedem Falle handele es sich nicht um "Kunst-
ausstellungen" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Im September 2010 übersandte die Ast. eine
Bescheinigung über eine Ausstellung im Oktober 2010 im D. Am 16. März 2011 übersandte die Ast. eine Kopie ihres
Mitgliedsausweises vom Künstlerinnenver-band Bremen. Außerdem verwies sie auf eine Ausstellung im E.
Zugleich beantragte sie die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, ohne dies weiter zu be-gründen.
Die Ag. beantragt die Abweisung des Antrags. Es läge kein Anordnungsanspruch vor. Die Ast. habe bisher nicht
ausreichend belegt, dass sie Künstlerin sei. Auch die jetzt vorgelegten Nachweise änderten daran nichts, weil es sich
nicht um Kunstausstellungen handele. Auch führe allein der Nachweis der Mitgliedschaft im örtlichen
Künstlerinnenverband nicht zu einer anderen Entscheidung, weil diese offenbar ohne eine Jury-Entscheidung
zustande gekommen sei. Es fehle auch am Anordnungsgrund, weil für die Dauer des laufenden sozialgerichtlichen
Klageverfahrens die Möglichkeit einer anderweitigen sozialen Absicherung bestehe. Dies sei hier in Gestalt einer
freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung gebeben (SG Regensburg, S 2 KR 62/04 ER, SG Münster, S 9 KR 30/05
ER). Falls die Ast. im Hauptsacheverfahren ge-winne, würden die Beiträge dann rückwirkend übernommen. Außerdem
sei eine vorläufige Feststellung der Versicherungspflicht eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte
sowie auf die Gerichtsakte S 4 KR 8/10 und die Verwaltungsakte der Ag verwiesen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., Rn. 28). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a. a. O.).
1. Nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage ist kein Anordnungsanspruch gegeben. Die Ast. ist – jedenfalls
nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens – nicht versicherungs-pflichtig nach dem KSVG. Nach § 1 KSVG in der
Fassung des Gesetzes vom 26. Mai 1994 werden selbständige Künstler und Publizisten in der Rentenversicherung
der Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn
sie die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorüber-gehend ausüben und im
Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen,
es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch.
Die Ast. ist nicht selbständige Künstlerin im Sinne des KSVG. Der Begriff des Künstlers im Sinne des KSVG wird in §
2 S. 1 KSVG legaldefiniert. Danach ist Künstler im Sinne des Ge-setzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst
schafft, ausübt oder lehrt. Die Klägerin schafft nicht bildende Kunst im Sinne dieser Vorschrift.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – Urt. v. 25.11.2010, B 3 KS 1/10 R (Rn. 20) – kann Fotografie
sowohl künstlerisch als auch handwerklich sein. Das BSG hat ausge-führt, die Fotografie könne als spezielle Form
bildlicher Darstellung von Personen, Sachen und Ereignissen sowohl eindeutig künstlerischer Natur sein als auch in
handwerklicher Form ausgeübt werden. Sie sei sowohl Unterrichtsfach an Kunsthochschulen als auch Gegenstand
einer staatlich geregelten Ausbildung für einen Handwerksberuf. Damit weise sie Gemein-samkeiten mit anderen
beruflichen Tätigkeiten auf, die sowohl in handwerklicher (vgl BSGE 80, 136 = SozR 3-5425 § 2 Nr 5 -
Musikinstrumentenbauer; BSGE 82, 164 = SozR 3-5425 § 2 Nr 8 - Feintäschner; BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 14 -
Textilrestaurator) als auch in künstlerischer Form ausgeübt werden können. Bei der Zuordnung zum Zwecke der
Abgabenerhebung nach dem KSVG habe es der Senat stets abgelehnt, die künstlerische Qualität der jeweiligen Arbei-
ten zu bewerten, sondern als maßgebend angesehen, in welchem Tätigkeitsbereich und ge-sellschaftlichen Umfeld
die einzelnen Leistungen erbracht werden: Wer sich auf dem her-kömmlichen Berufsfeld eines Handwerks bewege,
wird auch nicht dadurch zum Künstler im Sinne des KSVG, dass seine Leistungen einen eigenschöpferischen,
gestalterischen Charak-ter aufweisen, weil ein solcher bei diesen Handwerksberufen typisch ist. Als Künstler sei er
vielmehr erst dann einzuordnen, wenn er das typische handwerkliche Berufsfeld verlässt, sich mit seinen Produkten in
einem künstlerischen Umfeld bewege und in künstlerischen Kreisen als gleichrangig anerkannt wird.
Nach dem Kenntnisstand der Kammer liegen diese Voraussetzungen derzeit bei d. Ast. (noch) nicht vor. Soweit die
Ast. Zeitungsausschnitte vorgelegt hat, die ihre Künstlereigenschaft be-legen sollen, folgt aus ihnen nichts anderes.
Denn die Ausschnitte datieren nach der hand-schriftlichen Anmerkung der Ast. aus dem Jahre 2004 und können daher
zu aktuellen Aner-kennung der Ast. in Künstlerkreisen nichts sagen. Auch aus der Vorlage des Mitgliedsauswei-ses
des Künstlerinnenverbandes Bremen folgt nicht ohne weiteres, dass die Ast. als Künstle-rin anzusehen ist. Denn aus
dem Ausweis ist nicht ersichtlich, dass Künstlereigenschaft Vor-aussetzung für die Mitgliedschaft ist. Hierzu ist auch
der Kammer nichts bekannt. Auch aus der Ausstellungsbescheinigung vom 7.09.2010 (Bl. 28 der Verwaltungsakte)
und dem jetzt vorgelegten Monatsprogramm des D ergibt sich nicht, dass die Ast. als Künstlerin in Künstlerkreisen
anerkannt ist. Zwar weisen die Ausstellung und die Vernissage – als typische Eröff-nungsveranstaltung für eine
Kunstausstellung – und auch der Text im Programm des D darauf hin, dass es sich um künstlerische Ausstellungen
handelt. Dies alleine besagt jedoch noch nicht, dass die Ast. in Künstlerkreisen anerkannt ist. Anders mag es sein,
wenn die Ast. weite-re Ausstellungen durchführt oder zu weiteren Ausstellungen eingeladen wird. Nach nur zwei
Ausstellungen ist eine Anerkennung in Künstlerkreisen jedoch nur dann zu bejahen, wenn weitere besondere
Voraussetzungen vorliegen (Preise, Kataloge, Aufträge etc.). Hierfür ist im vorliegenden Falle nichts ersichtlich.
2. Insofern braucht die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) nicht geprüft zu werden.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die An-tragsstellerin ist voll unterlegen. Ihre
außergerichtlichen Kosten sind deshalb nicht zu erstat-ten. Gerichtskosten fallen im vorliegenden Verfahren nicht an.