Urteil des SozG Bremen vom 27.02.2009

SozG Bremen: geburt, schwangerschaft, rechtsverordnung, lebenserfahrung, hauptsache, geschlecht, bekleidung, pauschalierung, gesundheit, schwellenwert

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 27.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 255/09 ER
Der Antrag wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragssteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung weiterer Leistungen zur
Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II).
Der 1984 geborene Antragsteller zu 1) und die 1987 geborene Antragstellerin zu 2) sind verheiratet. Sie haben einen
im März 2007 geborenen Sohn und eine im November 2008 geborene Tochter, die Antragstellerin zu 3). Die
Antragsteller stehen im laufenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin. Anlässlich der Geburt des Sohnes
gewährte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 20. Februar 2007 gem. § 23 Abs. 3 SGB II zusätzliche Leistungen in
Höhe von 456,00 Euro. Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin auf eine "Rechtsverordnung nach § 27 Abs. 3
SGB II". Der Leistungsbescheid enthielt keinen Hinweis darauf, dass die Leistungen bei weiteren Kindern nicht in
gleicher Höhe erfolgen würde. Anlässlich der Geburt der Antragstellerin zu 3) gewährte die Antragsgegnerin den
Antragstellern Leistungen in Höhe von (nur) 76,80 Euro. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die
Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung wies sie
darauf hin, dass sie bestimmte Pauschalen gewähre, die verringert seien, wenn ältere Geschwister bereits
vergleichbare Leistungen erhalten hätten. Liege die Geburt des nächstältesten Kindes nicht mehr als zwei Jahre
zurück, sei davon auszugehen, dass die Erstausstattung sowie der Kinderwagen noch vorhanden seien. In einem
solchen Falle sei für den Ergänzungsbedarf lediglich eine Summe von 30% der Pauschale für die
Säuglingserstausstattung zu gewähren. Dementsprechend seien vorliegend nur 30 % von 256,00 Euro, mithin 76,80
Euro zu gewähren gewesen. Soweit die Antragsteller vorgetragen hätten, sie benötigten für die Antragstellerin zu 3),
weil sie ein Mädchen sei, eine andere Säuglingserstausstattung als für ihren Bruder, könne dem nach der
Verwaltungsanweisung nicht gefolgt werden.
Am 12. Februar 2009 haben die Antragsteller hiergegen Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich
haben die Antragsteller beim Sozialgericht die Gewährung einst-weiligen Rechtsschutzes beantragt. Sie erklären, die
Antragstellerin zu 3) benötige eine andere Erstausstattung als ihr Bruder, weil sie ein Mädchen sei. Außerdem
benötigten sie dringend einen Doppelkinderwagen, weil es sonst für ein Elternteil zu mühsam sei, mit beiden Kindern
die im Alltag üblichen Besorgungen zu machen. Der Preis eines solchen Doppelkinderwagens betrage ca. 250,00
Euro. Zusammen mit der Säuglingserstausstattung in Höhe von 256,00 Euro machen die Antragsteller Kosten in Höhe
von insgesamt 500,00 Euro geltend.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie meint, die Antragsteller hätten bereits nicht glaubhaft
gemacht, dass die Antragsteller nicht mehr über die bereits anlässlich der Geburt des älteren Kindes angeschafften
Gegenstände verfügten. Soweit ein Geschwisterkinderwagen begehrt werde, müsse hierfür der Einzelkinderwagen
verkauft werden.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakte ist vom Gericht am 12. Februar
2009 per Fax angefordert worden; sie ist bisher nicht bei Gericht eingegangen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf einstweilige Anord-nung ist zulässig, aber
nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Es fehlt bei vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage am Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Die
Antragsteller können – über die bereits von der Antragsgegnerin gewährten 76,80 Euro hinaus – gem. § 23 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 SGB II keine weiteren Leistungen für Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt beanspruchen.
Die Vorschrift bestimmt, dass solche Leistungen nicht von der Regelleistung umfasst sind. Sie werden gem. § 23
Abs. 3 Satz 2 gesondert erbracht. Satz 5 bestimmt, dass die Leistungen als Sachleistung oder als Geldleistung, auch
in Form von Pauschalbeträgen, erbracht werden können. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind nach Satz 6
geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist durch § 27 Nr. 3 SGB II ermächtigt, im Einvernehmen mit dem
Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und wie die
Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 pauschaliert werden können. Bislang sind derartige
Rechtsverordnungen allerdings noch nicht erlassen worden (Knickrehm, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008,
Rdn. 3 zu § 27).
Die Bremer Senatorin für Arbeit, Frauen, Jugend, Gesundheit und Soziales hat in ihrer Verwaltungsanweisung zu § 23
Absatz 3 SGB II , (http://www.soziales.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen69.c.2950.de) insofern folgende
Regelungen erlassen:
"2.3 Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt Anlässlich der Geburt eines Kindes sind
Schwangerschaftsbekleidung, Kinderwagen und Bett (einschl. Matratze und Bettwäsche sowie eine
Säuglingserstausstattung zu gewähren. Der Umfang der zu gewährenden Hilfe ergibt sich aus Anlage 3. Bei Geburt
des ersten Kindes sind die Einzel-Pauschalen in voller Höhe zu gewähren. Liegt die Geburt des nächstälteren Kindes
nicht mehr als zwei Jahre zurück, ist davon auszugehen, dass Schwangerschaftsbekleidung, Kinderwagen usw.
sowie die Erstausstattung noch vorhanden ist, für Ergänzungsbedarf sind lediglich 30 % der Pauschale für die
Säuglingserstausstattung zu bewilligen. Liegt die Geburt des nächstälteren Kindes nicht mehr als drei Jahre zurück,
ist für Ergänzungsbedarf 50 % der Pauschale für die Säuglingserstausstattung zu bewilligen. Im Bewilligungsbescheid
ist darauf hinzuweisen, dass die Pauschalen bei nachfolgenden Kindern nur noch anteilig gewährt werden.
Anlage 3 Pauschale für Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt Die Pauschale setzt sich zusammen aus
Schwangerschaftsbekleidung, Säuglingserstausstattung sowie Beträgen für Kinderwagen, Kinderbett mit Matratze und
Bettwäsche. Sie beträgt 556 EUR.
Berechnung: (Preise lt. Sachleistungskatalog, gerundet) Schwangerschaftsbekleidung 100 EUR
Säuglingserstausstattung 256 EUR Kinderwagen, Kinderbett mit Matratze und Bettwäsche 200 EUR"
a) Unter Berücksichtigung dieser Verwaltungsanweisung – nicht Rechtsverordnung! - hat die Antragsgegnerin die
Pauschale anlässlich der Geburt der Antragstellerin zu 3) zutreffend ermittelt. Denn es ist – da die Geburt des
nächstälteren Kindes nicht mehr als zwei Jahre zurück liegt – nur ein Ergänzungsbedarf in Höhe von 30 % der
Pauschale für die Säuglingserstausstattung zu gewähren, mithin (256,00 Euro mal 30 % gleich) 76,80 Euro.
b) Die Verwaltungsanweisung steht – jedenfalls nach vorzunehmender summarischer Prüfung - auch mit
höherrangigem Recht im Einklang. Dass eine Pauschalierung zulässig ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des §
23 Abs. 3 Satz 5.
c) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Verwaltungsanweisung für Geschwisterkinder eine reduzierte
Pauschale vorsieht. Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung (§ 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II), dass bei
Geschwisterkindern auf bereits vorhandene Ausstattung zurückgegriffen werden kann.
d) Die Verwaltungsanweisung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil sie einen Ergänzungsbedarf lediglich für die
Säuglingserstausstattung, nicht aber für Kinderwagen, Kinderbett mit Matratze und Bettwäsche vorsieht. Auch
insofern spricht die Lebenserfahrung dafür, dass bezüglich dieser Leistungen auf bereits vorhandene Gegenstände
zurückgegriffen werden kann. Die für das inzwischen ältere Geschwisterkind erforderlichen Möbel und Gegenstände
sind – jedenfalls nach der Vorstellung des Gesetzgebers – aus der Regelleistung anzusparen. Hinzu kommt noch,
dass es bei Geschwistern nicht ausnahmslos üblich ist, einen Doppelkinderwagen anzuschaffen. Es ist vielmehr nicht
unüblich, dass das ältere Kind auf einem sog. "kiddy-board" mitfährt. Auch hieran durfte die Verwaltungsanweisung in
zulässiger Weise anknüpfen.
e) Zudem begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass die in der Verwaltungsanweisung niedergelegten
Pauschalen nicht nach dem Geschlecht des Geschwisterkindes differenzieren. Bei Säuglingen ist eine nach dem
Geschlecht differenzierende Bekleidung – jedenfalls in weiten Teilen der Bevölkerung – nicht üblich. Daran durfte die
Verwaltungsanweisung zulässig anknüpfen.
f) Die Antragsgegnerin ist nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage auch nicht deshalb verpflichtet, eine
höhere Pauschale zu gewähren, weil sie - die Antragsgegnerin – es versäumte, die Antragsteller mit dem Bescheid
vom 20. Februar 2007 darauf aufmerksam zu machen, dass die Leistungen bei weiteren Kindern nicht in gleicher
Höhe erfolgen würde. Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Verwaltungsanweisung. Danach handelt es sich
lediglich um einen verhaltenslenkenden Hinweis, dessen Fehlen keine unmittelbaren Folgen hat. Die
Verwaltungsanweisung durfte davon ausgehen, dass die Hilfeberechtigten auch ohne einen entsprechenden Hinweis
mit den Gegenständen aus der Säuglingserstausstattung umsichtig umgehen würden. Dies ist jedenfalls im
vorliegenden Fall auch erfolgt; die Antragsteller haben die Kleidung offenbar weder verkauft, noch sonst abgegeben.
Denn sonst würde ihr Vortrag, dass die Antragstellerin zu 3) eine andere Bekleidung benötige als ihr Bruder, keinen
Sinn machen.
2. Ob ein Anordnungsgrund gegeben ist, braucht dementsprechend nicht entschieden zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar. Die Antragssteller sind mit einem Betrag von 500,00 Euro (ihr Antrag) beschwert,
der Schwellenwert für eine zulässige Beschwerde liegt bei 750,00 Euro, §§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in Verbindung mit §
144 Abs. 1 SGG.