Urteil des SozG Bremen vom 30.09.2009

SozG Bremen: härtefall, universität, pflege, behinderung, prüfungsordnung, eltern, hauptsache, datum, krankheit, darlehen

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 30.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 1785/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes verpflichtet, dem Antragsteller in der Zeit vom
22. September 2009 (Stellung des Eilantrages) bis zum 31. März 2010 darlehensweise Leistungen zur Sicherung des
Lebensun-terhalts zu erbringen. Die Auszahlung der Leistungen erfolgt vorläufig. Sie stehen unter dem Vorbehalt der
Rückforderung. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (d. Ast.) – der im 48. Fachsemester studiert - begehrt im Wege des einstwei-ligen Rechtsschutzes
die Weitergewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) als Härtefall.
Der heute 46 Jahre alte Antragsteller studiert seit inzwischen 24 Jahren Landschafts- und Freiraumplanung auf Diplom
an der Universität QP ... Er beantragte im März 2008 bei der An-tragsgegnerin, der Trägerin der Grundsicherung in A-
Stadt, Leistungen nach dem SGB II als Härtefall. Dabei führte er zur Begründung aus, er habe sein Studium aus
gesundheitlichen und familiären Gründen nicht abschließen können. Zwar habe er seine Diplomarbeit bereits
erfolgreich absolviert. Zu einem erfolgreichen Studienabschluss fehlten jedoch noch zwei Prü-fungsleistungen, um
sein Studium bis zum Ende des Jahres 2008 beenden zu können. Er sei seit 1997 immer mehr in die Pflege und
Haushaltsführung seiner nach einem schweren Schlaganfall und mehreren Hirnblutungen pflegebedürftigen
(Pflegestufe II) und an Demenz leidenden Mutter eingebunden gewesen. Er habe überdies auch seinen
pflegebedürftigen Vater bis zu dessen Tod im Jahre 2007 gepflegt. Seit Dezember 2007 erfülle er mit Ausnahme des
abendlichen Einsatzes eines Pflegedienstes an Wochentagen sämtliche pflegerischen und häuslichen Aufgaben
sowie die Abwicklung der Behördenangelegenheiten für seine Mut-ter. Seit dem Tod des Vaters sei seine Mutter
außerstande, ihn finanziell zu unterstützen, weil ihre Witwenrente niedriger ausfalle als die gemeinsame Rente beider
Eltern. Derzeit könne er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sicherstellen, weil seine Mutter auf seine Hilfe
angewiesen sei. Es würde für ihn eine unzumutbare Härte darstellen, wenn er sich exmatriku-lieren müsste, weil sein
Studium kurz vor dem Abschluss stehe. Die Antragsgegnerin gewähr-te dem Antragsteller daraufhin darlehensweise
Leistungen gem. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II für die Zeit ab dem 1. April 2008. Mit Schreiben vom 23. September 2008
fragte sie bei ihm nach dem Stand seines Studiums nach und bat um Mitteilung bezüglich dessen voraussichtlicher
Dauer. Darauf teilte der Antragsteller (erneut) mit, ihm fehlten noch zwei Leistungsnachweise. Es handele sich zum
einen um eine Projektarbeit, zum anderen um eine Ausarbeitung. Beide würden in häuslicher Arbeit verfasst. Für
beide Arbeiten sei die Recherche und die Material-sammlung weitgehend abgeschlossen. Damit wäre es ihm möglich,
das Studium innerhalb von maximal neun Monaten abzuschließen. Er legte eine Bescheinigung der Universität QP.
vom 28. November 2008 bei, wonach er "nach eigenen Angaben das Studium zum 30.06.2009 beenden" werde (Bl.
36). Hierauf bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller weitere Leistungen bis zum 30. Juni 2009. Nach einem
Aktenvermerk war die Leistungsbewil-ligung bis zu diesem Datum befristet, weil das Studium zu diesem Datum
abgeschlossen sein sollte (Bl. 48). Am 10. Juni 2009 stellte der Antragsteller einen Fortzahlungsantrag für die Zeit ab
dem 1. Juli 2009. Mit Schreiben vom 12. Juni 2009 bat die Antragsgegnerin erneut um Mit-teilung des derzeitigen
Standes des Studiums des Antragsstellers. Sie erklärte, sofern der Antragsteller seinen Studienabschluss bis zum
30. Juni 2009 wiederum nicht erlangen könne, würde um ausführliche Stellungnahme und um Vorlage eines
Nachweises der Universität zum voraussichtlichen Abschlusszeitpunkt gebeten. Am 22. Juli 2009 reichte der
Antragsteller eine Bescheinigung der Universität vom 25. Juni 2009 (Bl. 63) ein, nach welcher er sein Studium nach
eigenen Angaben (nunmehr) zum 31. Dezember 2009 abschließen werde. Er erklärte, die beiden Leistungsnachweise
befänden sich in einem weit fortgeschrittenen Stadium und bedürften noch einer Überarbeitung und Reinschrift, bevor
sie abgegeben werden könnten. Die eingetretenen Verzögerungen erkläre sich dadurch, dass die Pflege seiner Mutter
auf-grund eingetretener gesundheitlicher Probleme noch zeitaufwändiger geworden sei als bisher. Er habe deshalb den
Bearbeitungsaufwand für die ausstehenden Leistungsnachweise verrin-gert, so dass nur noch wenige
Aktualisierungsarbeiten und die Fertigstellung der Arbeiten selbst erforderlich seien. Damit könne er sein Studium
voraussichtlich bis zum 31. Dezember 2009 beenden. Mit Bescheid vom 30. Juli 2009 lehnte die Antragsgegnerin den
Weiterbewilli-gungsantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, ein Härtefall gem. § 7 Abs. 5 SGB II läge nicht vor. Es
sei nicht erkennbar, wann das Studium zum Abschluss gebracht werde. Zum Studienabschluss fehlten noch immer
dieselben Leistungsnachweise wie bei der ersten An-tragstellung. Eine weitere Darlehensgewährung komme daher
dieselben Leistungsnachweise wie bei der ersten An-tragstellung. Eine weitere Darlehensgewährung komme daher
nicht mehr in Betracht. Mit wei-terem – vorliegend nicht streitgegenständlichem - Bescheid vom 31. Juli 2009 forderte
die Antragsgegnerin die Erstattung der in der Zeit vom 1. April 2008 bis zum 30. Juni 2009 darle-hensweise erbrachten
Leistungen in Höhe von 8.517,21 Euro (Bl. 66). Am 21. August 2009 erhob der Antragsteller gegen den
Ablehnungsbescheid Widerspruch. Er erklärte zur Begrün-dung, das Ende seines Studiums sei absehbar. Die
gegenteilige Einschätzung der Antrags-gegnerin sei unzutreffend. Seine Auffassung werde durch die von ihm
vorgelegte Bescheini-gung der Universität gestützt. Es treffe zu, dass noch immer zwei Leistungsnachweise fehlten.
Er habe aber die Arbeit an beiden Ausarbeitungen parallel vorangetrieben. Beide Arbeiten befänden sich in einem weit
fortgeschrittenen Stadium. Die Fertigstellung sei nur noch eine Frage der finanziellen Absicherung des
Lebensunterhalts in der verbliebenen Zeit. Sofern es bei der Ablehnung bleibe, hätte er – der Antragsteller - keine
Einnahmen, um Krankenversi-cherungskosten und Miete aufzubringen. Er habe die Zwischenzeit seit dem Juni mit
einer Notfallreserve von etwa 2.000,00 Euro überbrückt. Ohne ein weiteres Darlehen durch die An-tragsgegnerin wäre
er gezwungen, sein Studium kurz vor dem erfolgreichen Abschluss abzu-brechen. Er stünde dann ohne
abgeschlossene Berufsausbildung da und wäre aufgrund einer bei ihm vorliegenden Körperbehinderung ohne Aussicht
auf eine Beschäftigung. Voraussicht-lich wäre er dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen. Dies könne weder in
seinem – des Antragstellers – noch im Interesse der Antragsgegnerin sein. Die Antragsgegnerin wies den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie
auf die Widersprüche in der Darstellung des Antragstellers. Dieser habe zunächst einen Abschluss des Studiums für
Ende 2008 angekündigt und dann im Sep-tember 2008 einen Abschluss spätestens für Juni 2009 in Aussicht gestellt.
Nun sei das Stu-dium gleichwohl nicht abgeschlossen. Damit sei eine besondere, außergewöhnliche Härte nicht mehr
zu unterstellen. Am 24. September 2009 erhob der Antragsteller hiergegen Klage beim Sozialgericht, über die noch
nicht entschieden ist (Az. S 23 AS 1808/09).
Am 22. September 2009 hat d. Ast. beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechts-schutzes beantragt. Er
begehrt die weitere darlehensweise Leistungsgewährung. Er sei der Auffassung, dass ein Härtefall vorliege. Seine
Notfallreserve sei inzwischen weitgehend auf-gebraucht. Er verweist auf die Pflege seiner Eltern und insbesondere
seiner schwerbehinder-ten (Grad der Behinderung 100) Mutter. Diese Pflege beanspruche so viel Zeit, dass es ihm
nicht möglich gewesen sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ein Studienab-schlussdarlehen könne ihm
nicht gewährt werden, weil da aufgrund seines Alters und der Studiendauer die Bewilligungskriterien nicht erfülle. Einer
Kreditaufnahme durch ein Kreditin-stitut stehe u. a. seine fehlende Bonität entgegen. Er könne sein Studium auch
nicht zeitweilig unterbrechen. Sein Studiengang sei zwischenzeitlich neu organisiert worden. Das Studium werde nach
den neuen Regelungen nicht mehr mit dem Diplom, sondern mit Bachelor und Master abgeschlossen. Der
Diplomstudiengang laufe derzeit aus, Diplomprüfungsleistungen könnten letztmalig im Wintersemester 2010/2011
anerkannt werden. Sollte er später wieder ins Studium einsteigen, müsste er die Studienleistungen nach den neuen
Regelungen erbrin-gen. Seine bisherigen Studienleistungen wären dann hinfällig. Er stünde dann ohne Aussicht auf
eine berufliche Perspektive da. Er rechne mit einem Studienabschluss zu März 2010.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, der Eilantrag könne kei-nen Erfolg haben. Sie
verweist zur Begründung auf den Ablehnungsbescheid vom 30. Juli 2009 und auf den Widerspruchsbescheid vom 24.
August 2009. Es sei keinesfalls ausge-schlossen, dass der Antragsteller sein Studium auch bis März 2010 nicht
abschließen werde. Die Anerkennung eines Härtefalls setze aber voraus, dass der Ausbildungsabschluss unmit-telbar
bevorstehe. Es sei dem Antragsteller hoch anzurechnen, dass er die Pflege seiner Mu-ter durchführe und gleichzeitig
versuche, sein Studium zu beenden. Die Erfolgsaussichten für einen Studienabschluss seien aber als äußerst gering
anzusehen. Eine Lösung könne nur in einer Änderung der bestehenden Situation liegen.
Auf Anfrage des Gerichts hat der Antragsteller am 30. Sep. 2009 erklärt, die noch ausstehen-den Leistungsnachweise
könne er als schriftliche Hausarbeiten einreichen. Die Texte hierfür seien teilweise schon als Rohfassung fertig
gestellt. Erforderlich sei in erster Linie noch eine Überarbeitung und geringfügige Ergänzung des vorhandenen
Textmaterials, um dann die Ar-beiten abtippen lassen zu können. Er hat zudem eine Bescheinigung der Universität
vom 24. September 2009 eingereicht, wonach er die noch ausstehenden Leistungen nach eigenen Angaben im
kommenden Wintersemester erbringen wird, so dass er das Studium bis zum 31. März 2010 beenden könne. Er hat
überdies ein Schreiben des Akademischen Prüfungs-amtes der Universität zum Auslaufen des Studiengangs vom 5.
November 2007 eingereicht. Darin heißt es, der Diplomstudiengang sei mit Inkrafttreten der Prüfungsordnung für die
Stu-diengänge Landschaftsarchitektur und Umweltplanung mit dem Abschluss Bachelor of Scien-ce,
Landschaftsarchitektur mit dem Abschluss Master of Science und Umweltplanung mit dem Abschluss Master of
Science geschlossen worden. Der Diplomstudiengang laufe mit dem Wintersemester 2010/2011 aus. Prüfungen nach
der bisher geltenden Prüfungsordnung könn-ten letztmalig im Wintersemester 2010/2011 abgelegt werden. Er hat
außerdem eine Bestäti-gung der AOK Bremen/Bremerhaven vom 16. Juni 2009 eingereicht, nach der er als Pflege-
person bei seiner Mutter tätig ist, die pflegebedürftig nach Pflegestufe II ist.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und auf die Verwaltungsakte der An-tragsgegnerin verwiesen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf einstweilige Anord-nung ist zulässig und
begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Es ist ein Anordnungsanspruch gegeben.
a) Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage Anspruch auf die Gewährung von
Leistungen nach dem SGB II. Zwar ist der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen dem Grunde nach gem. § 7
Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen, weil das Studium, das er absolviert, dem Grunde nach förderungsfähig nach
dem BAföG ist.
b) Es liegt jedoch ein besonderer Härtefall vor, bei dem gem. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II Leis-tungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden können. Ein sol-cher besonderer Härtefall ist dann gegeben, wenn
außergewöhnliche, schwerwiegende, aty-pische und möglichst nicht selbst verschuldete Umstände vorliegen, die
einen zügigen Ausbil-dungsverlauf verhinderten oder eine sonstige Notlage hervorrufen (Bundessozialgericht, Urteil
vom 6. September 2007 – B 14/7b As 28/06 R -; Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, Rdn. 101 zu §
7 m.w.N.). Daneben ist ein besonderer Härtefall auch dann anzu-nehmen, wenn der wesentliche Teil der Ausbildung
absolviert ist und der bevorstehende Ab-schluss lediglich an Mittellosigkeit zu scheitern droht (Bundessozialgericht,
Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 67/08 R -, siehe auch bereits den Beschluss der Kammer vom 20. April 2009 – S 23
AS 599/09 ER –). Das Bundessozialgericht hat hierzu im Urteil vom 1. Juli 2009 im Ein-zelnen ausgeführt:
"Eine weitere Ausnahme kann nach der Rechtsprechung des 14. Senats zwar anerkannt werden, wenn die bereits weit
fortgeschrittene und bisher kontinuierlich betriebene Aus-bildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls
wegen einer Behinderung oder Krankheit gefährdet ist (BSG, Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R = SozR 4-
4200 § 7 Nr 6 RdNr 36). Die Behinderung oder Krankheit kann aber nur in Bezug auf die Verzögerung der Ausbildung
angeführt werden. Hinzukommen muss auch für diese Konstellation, dass die Ausbildung (nun) in absehbarer Zeit zu
Ende gebracht wird, ( )."
aa) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall – jedenfalls nach dem Kenntnisstand des Gerichts im
Eilverfahren – gegeben. Die Ausbildung ist zu einem wesentlichen Teil absol-viert. Es fehlen zur Erlangung des
Abschlusses lediglich noch die beiden vom Antragsteller zu fertigenden Hausarbeiten. Die Diplomarbeit ist
abgeschlossen. Dass der Antragsteller zur Ab-legung der verbleibenden Prüfungsteile fähig ist, hat er durch die
bereits abgelegten Prü-fungsteile, insbesondere die Diplomarbeit, belegt. Dass der Antragsteller zur Beendigung sei-
ner Prüfung nicht in der Lage war, liegt in der Pflege seiner Eltern – derzeit: seiner Mutter – begründet, die er seit
mehr als 10 Jahren fast ausschließlich alleine durchführt. Auch die Pfle-ge naher Angehöriger kann einen Härtefall
gem. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II auslösen. Dies gilt jedenfalls, dann, wenn die Pflegeleistungen – wie hier – einem
Angehörigen zu Gute kom-men, der erheblich pflegebedürtig ist (Pflegestufe II, Grad der Behinderung 100, Demenz).
bb) Die Kammer geht auch davon aus, dass die verbliebenen Prüfungen innerhalb der nächs-ten 6 Monate (bis
einschließlich März 2010) erbracht werden können. Gegen diese Erwartung spricht zwar, dass der Antragsteller
bereits im März 2008 erklärt hat, er rechne mit einem Ab-schluss bis zum Ende des Jahres 2008 und dass er diese
Erwartung ebenso wenig erfüllen konnte, wie die später geäußerten Hoffnungen auf einen zeitnahen Abschluss. Der
Antragstel-ler hat jedoch im Eilverfahren nachvollziehbar erläutern können, dass die Arbeiten inzwischen in einem
Stadium sind, bei dem mit einem kurzfristigen Abschluss gerechnet werden kann. Die Arbeiten sind in einem
Rohstadium, das nur noch wenige Überarbeitungsschritte erfordert, bevor sie bei der Universität abgegeben werden
können. Dem Antragsteller dürfte – auch an-gesichts der Änderung der universitären Prüfungsordnung – bewusst sein,
dass es sich um die letzte Möglichkeit zur Erlangung des Diploms handelt.
cc) Der bevorstehende Abschluss droht zudem an der Mittellosigkeit des Antragstellers zu scheitern, da dieser keine
anderweitigen Finanzierungsquellen hat.
dd) Zusätzlich ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu berücksichtigen ist, wel-che Folgekosten der
Abbruch der Ausbildung hätte (Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, Rdn. 102 zu § 7). Auch die
Interessenabwägung geht zu Gunsten des An-tragstellers aus. Der Vortrag des Antragstellers, dass er mit dem
angestrebten Abschluss auf dem Arbeitsmarkt bessere Aussichten hat, erscheint plausibel. Damit ist davon
auszugehen, dass der Abbruch des Studiums höhere Folgekosten hätte als eine (weitere) kurzfristige dar-lehensweise
Unterstützung. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller im Falle einer Exmatri-kulation ohnehin Leistungen nach
dem SGB II beziehen würde, und zwar nicht nur als Darle-hen (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II), sondern als nicht
rückzahlbarer Zuschuss.
c) Bei Vorliegen eines besonderen Härtefalls steht nach dem Gesetzeswortlaut dem Grundsi-cherungsträger ein
Ermessen zu ("kann"). Die Leistungsgewährung ist aber der Regelfall, wenn ein Härtefall vorliegt (Ermessensreduktion
auf Null), denn beim Vorliegen eines Härte-falls ist die Hilfeleistung indiziert, so dass Leistungen nur ganz
ausnahmsweise abgelehnt werden können (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2005 – L 2 B 7/05 AS ER,
zit. nach juris, Rn. 22; LSG Hessen, Beschluss vom 11. August 2005 – L 9 AS 14/05 ER; Brühl/Schoch, in: Münder,
SGB II, 2. Aufl. 2007, § 7 Rn. 103; A. Loose, in: Hohm, SGB II, § 7 Rn. 131). Für das Vorliegen eines solchen
Ausnahmefalls, bei dem trotz Vorliegens eines Här-tefalls eine Leistungsablehnung hätte erfolgen können, ist nichts
ersichtlich.
d) Die Leistungen für Härtefälle gem. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II umfassen nicht nur die Regel-leistung, sondern auch
die Leistungen für Unterkunft und Heizung (siehe bereits der Be-schluss der Kammer vom 18. Februar 2009 - S 23 AS
217/09 ER -). Dies ergibt sich daraus, dass § 7 SGB II keine Norm allein für die Regelleistung ist, sondern den
Zugang zum (gesam-ten) System des SGB II definiert und steuert (Spellbrink, a.a.O., Rdn. 1 zu § 7). Daraus folgt
zugleich, dass auch der Ausschluss gem. § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II – aber auch der hier strei-tige Härtefall – nicht nur
für die Regelleistung, sondern auch für die Unterkunfts- und Heizkos-ten (hier: 348,40 Euro) gilt. Im Übrigen würde die
Härtefallregelung im Wesentlichen ins Leere greifen, wenn sie lediglich für die Regelleistung, nicht aber die
Unterkunfts- und Heizkosten gelten würde.
2. Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit - ergibt sich aus der finanziell prekären Situati-on des Antragstellers.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. D. Ast. hat voll obsiegt. Die außergerichtlichen Kosten sind
deshalb voll zu erstatten. Gerichtskosten fal-len im vorliegenden Verfahren nicht an.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozial-gericht
Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Lan-dessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle eingelegt wird.