Urteil des SozG Bremen vom 05.05.2009

SozG Bremen: besondere härte, gewöhnlicher aufenthalt, leistungsausschluss, ausländer, sozialhilfe, zuschuss, unterkunftskosten, erlass, beihilfe, link

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 05.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 15 SO 52/09 ER
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten. II. Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren rückwirkend Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung
unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. A. bewilligt.
Gründe:
I.1. Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin trotz einer kürzlich begonnenen Berufsausbildung Leistungen.
Der 1987 in Syrien geborene Antragsteller reiste wohl 2002 als unbegleiteter Minderjähriger in die Bundesrepublik ein.
Nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens wird er von der Ausländerbehörde A-Stadt geduldet. Seit dem
01.01.2007 erhielt der Antragsteller Leistungen entsprechend der Sozialhilfe nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG) in Höhe von zuletzt 656,00 Euro monatlich.
Unter entsprechender Verlängerung der Duldung trat der Antragsteller am 01.02.2009 eine Ausbildung zum AAA. an,
woraufhin das Amt für Soziale Dienste - Sozialzentrum T. - die Leistungen mit Bescheid vom 26.01.2009 mit Ablauf
des Monats Februar 2009 mit der Begründung einstellte, die Ausbildung des Antragstellers sei dem Grunde nach nach
dem BAföG bzw. nach dem SGB III förderungsfähig, so dass gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII kein Anspruch auf
Leistungen bestehe. Der Antragsteller erhält als Ausbildungsvergütung 329,20 Euro netto im Monat.
Mit Schreiben vom 05.03.2009 wandte sich der Antragsteller erneut an das Sozialzentrum und wies darauf hin, dass
ihm die Bundesagentur für Arbeit mit Bescheid vom 12.02.2009 Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) in Höhe von 262,00
Euro monatlich bewilligt habe. Zur Deckung des monatlichen Fehlbedarfs sei er von der Bundesagentur auf die
Möglichkeit verwiesen worden, bei der Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (BAgIS) einen
Zuschuss zu den Miet- und Heizkosten nach § 22 Abs. 7 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu beantragen.
Dort sei ihm allerdings erklärt worden, er sei nach dem SGB II nicht leistungsberechtigt, weil er zum Personenkreis
des AsylbLG zähle. Aus diesem Grund bitte er die Antragsgegnerin unter Anerkennung eines besonderen Härtefalles
um die Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Mit Bescheid vom 13.03.2009 lehnte das Amt für Soziale Dienste eine entsprechende Leistungsgewährung mit der
Begründung ab, das Vorliegen eines besonderen Härtefalles könne nicht angenommen werden. Insbesondere liege
nicht alleine deswegen eine besondere Härte vor, weil die BAföG bzw. BAB-Leistungen nicht den
sozialhilferechtlichen Bedarf deckten.
Mit Schreiben vom 27.03.2009 legte der inzwischen anwaltlich vertretene Antragsteller gegen den ablehnenden
Bescheid vom 13.03.2009 Widerspruch ein. Er erhalte aufgrund des zum 01.01.2009 neu eingefügten § 63 Abs. 2a
SGB III als geduldeter Ausländer Berufsausbildungsbeihilfe. Allerdings komme er nicht in den Genuss des
Unterkunftskostenzuschusses nach § 22 Abs. 7 SGB II. Um die gesetzliche Neuregelung im Rahmen des SGB III
nicht zu konterkarieren und Ausländer mit Duldungsstatus nicht zu diskriminieren, liege ein besonderer Härtefall im
Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nunmehr immer dann vor, wenn ein geduldeter Ausländer in Ausbildung trotz
Bezuges von BAB seinen Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht decken könne. Aus diesem Grund
habe er gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf eine monatliche Beihilfe in Höhe von 65,00 Euro (656,00 Euro
Regelbedarf abzüglich 591,00 Euro Ausbildungsvergütung und BAB).
Am 31.03.2009 hat der Antragsteller zudem den vorliegenden Eilantrag gestellt.
Er beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens
einen monatlichen Betrag in Höhe von 65,00 Euro als Beihilfe oder Darlehen gemäß § 22 SGB XII zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist darauf, dass der Leistungsausschluss in § 22 SGB XII die nachrangige Sozialhilfe davon befreien solle,
eine versteckte Ausbildungsförderung zu ermöglichen. Auch sonst sei nicht ersichtlich, dass eine besondere Härte
vorliege, die den grundsätzlich geltenden Leistungsausschluss ausnahmsweise überwinde. Zwar sei richtig, dass der
Antragsteller aufgrund des § 22 Abs. 7 SGB II gegenüber Leistungsbeziehern nach dem SGB II benachteiligt sei.
Dem SGB XII komme jedoch gegenüber dem SGB II keine Auffangfunktion zu. Nach aktueller Gesetzeslage sei die
Entscheidung der Antragsgegnerin zu Recht ergangen, auch wenn nach Öffnung des SGB III zum 01.01.2009 im
Hinblick auf geduldete Ausländer von einer Regelungslücke auszugehen sei.
Das Gericht hat den dritten Band der Behördenakten beigezogen.
2. Der nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist
nicht begründet.
Voraussetzung für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer
besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte
Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2
Satz 3 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit §§ 27 ff.
SGB XII.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis
62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten und Vierten
Kapitel des SGB XII. Nach Satz 2 können in besonderen Härtefällen Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel
als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden.
Der Antragsteller erhält Berufsausbildungsbeihilfe. Seine Ausbildung zum AAA. ist nach den §§ 60 bis 62 SGB III
dem Grunde nach förderungsfähig.
Dieser Leistungsausschluss ist auch nicht nach § 22 Abs. 2 SGB XII seinerseits ausgeschlossen. Nach dieser
Regelung findet § 22 Abs. 1 SGB XII keine Anwendung auf Auszubildende, die auf Grund von § 2 Abs. 1a BAföG
keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs. 1 SGB III keinen Anspruch auf
Berufsausbildungsbeihilfe haben, deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB
III (gemeint wohl: § 66 Abs. 1 SGB III) bemisst oder die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein
Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund von § 10 Abs. 3 BAföG keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung
haben. Keiner dieser Ausnahmetatbestände ist im Falle des Antragstellers einschlägig.
Der Antragsteller argumentiert ohnehin in eine andere Richtung. Er ist der Ansicht, der Leistungsausschluss des § 22
Abs. 1 Satz 1 SGB XII greife in seinem Fall nicht, weil der Ausschluss für ihn eine besondere Härte im Sinne des
Satzes 2 bedeute. Dies überzeugt das Gericht nicht.
Eine besondere Härte im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII besteht erst dann, wenn die Folgen des
Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum
Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist. Ein "besonderer"
Härtefall liegt also erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der
Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) auch mit Rücksicht auf den
Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig
hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 14.10.1993 - 5 C
16/91 -, zit. n. juris zu § 26 Abs. 2 BSHG; vgl. zu § 7 Abs. 5 SGB II BSG, Urt. v. 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R -, zit.
n. juris).
Eine solche übermäßige Härte ist im Falle des Antragstellers, der nicht nur dem Grunde nach, sondern auch
tatsächlich Berufsausbildungsbeihilfe erhält und dem nunmehr monatlich 65,00 Euro weniger zur Verfügung stehen als
zu dem Zeitpunkt, als er noch im Sozialhilfebezug stand, nicht erkennbar. Der sozialhilferechtliche Bedarfssatz ist in
diesem Sinne nicht als ein Minimalanspruch zu verstehen, wobei der Sozialhilfeträger notfalls in Höhe der Differenz
zwischen Ausbildungsförderung und Sozialhilfe in Anspruch genommen werden könnte. Verfassungsrechtliche
Bedenken bestehen insoweit zumindest im Grundsatz nicht (vgl. aber Berlit in LPK-SGB XII, 7. Aufl. 2005, Rdnr. 1,
26 f. zu § 22). Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die niedrigen Ausbildungsleistungen auch damit gerechtfertigt
werden, dass insbesondere Studenten zur Deckung ihres Lebensunterhaltes regelmäßig einer Nebentätigkeit
nachgehen können (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 24.04.1975 - V C 9.74 -, zit. n. juris). Für den Antragsteller, der einer
auch physisch anstrengenden Vollzeittätigkeit mit wohl oftmals unregelmäßigen Arbeitszeiten nachgeht, dürfte dies
kaum möglich sein. Ob der Antragsteller dafür - gleichsam zum Ausgleich - durch freie Verpflegung am Arbeitsplatz
eine Kostenersparnis hat, ist dem Gericht nicht bekannt. Jedenfalls aber beschreibt der sozialhilferechtliche
Bedarfssatz nicht das, was der Staat von Verfassung wegen als Minimum zu leisten hat. Dies zeigen in ihrer Höhe
schon die Leistungen nach § 3 AsylbLG, die auch der Antragsteller jahrelang erhalten hat (zur Verfassungsmäßigkeit
der Leistungen nach dem AsylbLG BVerwG, Beschl. v. 29.09.1998 - 5 B 82/97 -, zit. n. juris sowie jüngst SG Bremen,
Gerichtsbescheid v. 06.04.2009 - S 15 AY 2/09 -).
Soweit der Antragsteller meint, eine (großzügigere) Auslegung des Merkmals der besonderen Härte in § 22 Abs. 1
Satz 2 SGB XII sei nach Einfügung des § 63 Abs. 2a SGB III gerade vor dem Hintergrund des § 22 Abs. 7 SGB II
geboten, folgt dem das Gericht nicht. Ob es in der Konsequenz überzeugt, die Gewährung eines
Unterkunftskostenzuschusses für Auszubildende davon abhängig zu machen, ob man zum Personenkreis des SGB II
oder (über § 2 AsylbLG) zu dem des SGB XII zählt, mag zweifelhaft erscheinen. Das Gericht hat aber nicht darüber
zu befinden, ob es sinnvoller gewesen wäre, die als möglicherweise unzureichend angesehenen (vgl. Lang/Link in
Eicher/Spellbrink, SGB II, Komm., 2. Aufl. 2008, Rdnr. 119 zu § 22; vgl. auch BT-Drucks. 16/1410, S. 24) Leistungen
für Studierende und Auszubildende nach dem BAföG bzw. nach dem SGB III zu erhöhen, als für einzelne (nämlich
nach dem SGB II grundsätzlich leistungsberechtigte) Studenten und Auszubildende einen isolierten Anspruch auf
Gewährung eines Zuschusses zu den Unterkunftskosten zu schaffen, der in der praktischen Anwendung auf
Schwierigkeiten stößt (vgl. nur Lang/Link, a.a.O., Rdnr. 123 ff.). Hinzu kommt, dass dem Antragsteller als Bezieher
von Berufsausbildungsbeihilfe nach § 20 Abs. 2 Satz 1 WoGG kein Wohngeldanspruch zusteht (zur
Verfassungsmäßigkeit dieses Ausschlusses BVerfG, Beschl. v. 14.10.1997 - 1 BvL 5/93 - sowie Beschl. v.
14.10.1997 - 1 BvL 5/89 -, jeweils zit. n. juris). Letztlich ist aber nicht zu verkennen, dass es eine § 22 Abs. 7 SGB II
entsprechende Regelung im SGB XII nicht gibt. Sie deswegen in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII "hineinzulesen",
erscheint zu weitgehend. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Einfügung des § 63 Abs. 2a SGB III durch Gesetz
zur arbeitsmarktadäquaten Steuerung der Zuwanderung Hochqualifizierter und zur Änderung weiterer
aufenthaltsrechtlicher Regelungen (Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz) vom 20.12.2008 (BGBl. I. S. 2846). Die
Neuregelung diente dem erleichterten Zugang geduldeter Ausländer zu einer Ausbildung sowie der Förderung dieses
Personenkreises nach denselben Kriterien, nach denen Ausländer mit einer der in § 63 Abs. 2 Nr. 2 SGB III
genannten Aufenthaltserlaubnisse gefördert werden (BT-Drucks. 16/10914, S. 11). Dass dieses gesetzgeberisch
formulierte Ziel ohne eine Einschränkung des sozialhilferechtlichen Leistungsausschlusses nicht realisiert werden
kann oder im Hinblick auf die fehlende Ausweitung der Zuschussregelung des § 22 Abs. 7 SGB II gar von einer
planwidrigen Regelungslücke auszugehen ist, ist nicht erkennbar.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht keine Veranlassung gesehen hat, die Bremer
Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales als Leistungsträgerin nach dem SGB II gemäß § 75 Abs. 2 SGG
beizuladen. Ein Anspruch gegen den Grundsicherungsträger ist nicht erkennbar. Der Zuschuss zu den
Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II begründet alleine eine Ausnahme zum Leistungsausschluss für
Auszubildende nach § 7 Abs. 5 SGB II. Für den Antragsteller greift aber der zusätzliche Leistungsausschluss des § 7
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II, weil er dem Grunde nach nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigt ist. Das Vorliegen einer
planwidrigen Regelungslücke ist auch insoweit nicht erkennbar. Dies folgt zum einen aus dem klaren Wortlaut des §
22 Abs. 7 SGB II. Zum anderen würde es aber auch nur schwerlich überzeugen anzunehmen, der Anspruch auf
Zuschuss zu den Unterkunftskosten sei losgelöst von den sonst geltenden Voraussetzungen des SGB II-
Leistungsanspruchs zu sehen (Vollendung des 15. Lebensjahrs, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit, gewöhnlicher
Aufenthalt in der Bundesrepublik, kein Ausnahmetatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II bzw. nach § 7 Abs. 4 und
4a SGB II).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
II. Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen § 22 Abs. 7
SGB II, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII und § 63 Abs. 2a SGB III ist höchstrichterlich nicht geklärt. Darüber hinaus ist
sie weder angesichts der gesetzlichen Regelung noch im Hinblick auf durch die Rechtsprechung bereitgestellte
Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten zu beantworten, so dass das Gebot der Rechtsschutzgleichheit die
Gewährung von Prozesskostenhilfe gebot (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 14.06.2006 - 2 BvR 626/06, 2 BvR 656/06 -,
zit. n. juris).