Urteil des SozG Bremen vom 14.01.2011

SozG Bremen: örtliche zuständigkeit, aufenthaltserlaubnis, stadt, behörde, beschränkung, ausländer, asylbewerber, zink, wechsel, sozialhilfe

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 14.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 15 AY 63/09
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 08. Juli 2009 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 15.
Oktober 2009, dieser i. d. F. des Bescheides vom 29. Oktober 2009, verurteilt, dem Kläger Leistungen gem. § 3
AsylbLG zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen gem. § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebte zunächst mit seiner Ehefrau in Delmenhorst. Von der Stadt
Delmenhorst wurde ihm auch eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt. Im
Juni 2009 trennten sich die Eheleute. Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts Delmenhorst vom 22. Oktober
2009 geschieden, wobei gegenseitige Unterhaltsansprüche mangels Einkommens und Vermögens der Eheleute nicht
gestellt wurden.
Nach der Trennung von seiner Ehefrau nahm der Kläger in A-Stadt Wohnung und beantragte bei der Beklagten am 18.
Juni 2009 die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG. Eine Anmeldebestätigung und ein Mietvertrag sind der
Beklagten vorgelegt worden. Die Beklagte lehnte den Antrag zunächst mündlich, dann durch Bescheid vom 08. Juli
2009 mit der Begründung ab, dass die örtliche Zuständigkeit für die Leistungsgewährung bei der Stadt Delmenhorst
liege.
Auf einen Antrag des Klägers vom 24. Juni 2009 hin wurde die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung durch
Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) vom 29. September 2009 verpflichtet, dem Kläger
vorläufig bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Leistungen gem. § 3 AsylbLG zu gewähren (Az. L 11 AY
101/09 B ER). Dieser Verpflichtung kam die Beklagte durch Bescheid vom 29. Oktober 2009 nach. Das LSG stellte in
seinem Beschluss maßgeblich darauf ab, dass der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5
AufenthG und damit weder vollziehbar ausreisepflichtig sei noch einer räumlichen Beschränkung oder
Wohnsitzauflage unterliege. Damit lägen die Voraussetzungen des § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht vor. Die
örtliche Zuständigkeit der Beklagten ergebe sich somit aus § 10 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG, wonach die Behörde
zuständig sei, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhalte.
Durch Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zwar
halte der Kläger sich erlaubt in A-Stadt auf, doch habe sie als zuständige Behörde des tatsächlichen Aufenthaltsortes
nur Leistungen gem. § 11 Abs. 2 AsylbLG zu erbringen. Im Übrigen liege die Kostenträgerschaft bei dem Bundesland,
in dem der befristete Aufenthaltstitel erstmalig erteilt worden sei.
Dagegen richtet sich die am 22. Oktober 2009 erhobene Klage, mit welcher der Kläger seinen Anspruch weiterverfolgt.
Während des Klageverfahrens ist die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung durch Beschluss des
Sozialgerichts Bremen (SG) verpflichtet worden, längstens zunächst bis zum 31. Dezember 2009 (im Hinblick auf
eine geplante Arbeitsaufnahme) Leistungen gem. § 3 AsylbLG zu gewähren; ein ausführender Bescheid der Beklagten
hierzu liegt dem Gericht nicht vor. Das SG hat in seinem Beschluss ausgeführt, dass § 11 Abs. 2 AsylbLG schon
seinem Wortlaut nach nicht anwendbar sei, da der Kläger sich nicht widerrechtlich in A-Stadt aufhalte. § 23 Abs. 5
SGB XII aber finde, wie sich aus § 23 Abs. 2 SGB XII ergebe, keine Anwendung auf Personen, die – wie der Kläger –
leistungsberechtigt nach dem AsylbLG seien.
Der Kläger hat zum 01. November 2009 ein Arbeitsverhältnis als Bäckereigehilfe aufgenommen; der monatliche
Bruttolohn beträgt 120,- EUR.
Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die örtliche Zuständigkeit der Beklagten gegeben sei. Seine Aufenthaltserlaubnis
enthalte weder eine räumliche Beschränkung noch eine Wohnsitzauflage. Die Ausländerbehörde A-Stadt habe
ebenfalls ihre örtliche Zuständigkeit bejaht.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08. Juli 2009 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 15.
Oktober 2009, dieser i.d.F. des Bescheides vom 29. Oktober 2009, zu verpflichten, ihm Leistungen gem. § 3 AsylbLG
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, bei übergeordneter Betrachtung im Gesamtkontext des AsylbLG, AufenthG und SGB XII stelle
§ 23 Abs. 5 Satz 2 SGB XII keine Ergänzung des § 11 Abs. 2 AsylbLG dar. Bei Ausländern, die eine räumlich nicht
beschränkte Aufenthaltserlaubnis besitzen und sich außerhalb des Landes aufhalten, sei gem. § 23 Abs. 5 Sa. 2 SGB
XII das Land leistungspflichtig, das die Aufenthaltserlaubnis erteilt habe. Das Land, das sie verlängere, sei – auch
nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und diverser Oberverwaltungsgerichte – nicht
leistungspflichtig. Nur diese Betrachtungsweise entspreche dem Normzweck, lang dauernde Soziallasten gleichmäßig
zu verteilen. Auch der Wortlaut der Vorschrift, die nicht auf die jeweilig aktuelle Aufenthaltserlaubnis abstelle, lege
nahe, dass es nicht auf die Verlängerung durch ein anderes Bundesland ankommen könne. Im Übrigen dürften der
Leistungsumfang und die Rechte der Anspruchsberechtigten nach dem AsylbLG nicht über die Möglichkeiten des
SGB XII hinausgehen.
Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) hingewiesen worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten
der Beklagten. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Grundlage der Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und auch begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem
AsylbLG abgelehnt. Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger daher in seinen Rechten. Das Gericht konnte über
den Rechtsstreit gem. § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen
Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Gewährung von Leistungen gem. § 3 AsylbLG. Ihm ist eine
Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden. Damit ist er Leistungsberechtigter i.S.d. § 1 Abs. 1
Nr. 3 AsylbLG. Da sein Arbeitseinkommen lediglich 120,- EUR monatlich beträgt, hat er auch der Höhe nach noch
Anspruch auf (ergänzende) Leistungen.
Die Beklagte ist auch die örtlich zuständige Behörde. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich entgegen der Auffassung
der Beklagten nicht aus § 23 Abs. 5 Satz 2 SGB XII i.d.F. des Art. 10 Nr. 10a Ziff. 2 d des Gesetzes vom 30. Juli
2004, wonach Sozialhilfe auch an Ausländer, die über eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis verfügen
und sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem die Aufenthaltsbefugnis erstmals erteilt worden ist, nur im Umfang
der nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistung erbracht werden darf. Diese Vorschrift ist nicht anwendbar,
da seit dem 01. November 1993 die Gewährung von Leistungen für Asylbewerber im AsylbLG vorrangig und
erschöpfend geregelt ist (vgl. Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 120 Rn. 23; Schlette in Hauck/Noftz,
SGB XII, Rn. 8). Vielmehr ist nach § 10 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG die Beklagte als die Behörde örtlich zuständig, in
der sich der Kläger tatsächlich aufhält, was durch die vorgelegte Meldebescheinigung nachgewiesen ist. Die
Zuständigkeit einer anderen Behörde gem. § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG auf Grund einer Verteilung oder Zuweisung
des Leistungsempfängers besteht nicht (mehr), denn der Kläger unterliegt aufenthaltsrechtlich keinen räumlichen
Beschränkungen (mehr). Zieht, wie hier, der räumlich nicht beschränkte Leistungsberechtigte um, tritt ein Wechsel der
örtlichen Zuständigkeit ein (Mergler/Zink, SGB XII, § 10 a ‚AsylbLG Rn. 26). Die von der Beklagten in Anspruch
genommene Vorschrift des § 11 Abs. 2 AsylbLG ist schon ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar, da sich der Kläger
nicht widerrechtlich in A-Stadt aufhält.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.