Urteil des SozG Bremen vom 06.01.2011

SozG Bremen: aufenthaltserlaubnis, pass, erfüllung, stadt, ausländer, erlass, ausstellung, mitwirkungspflicht, botschaft, hauptsache

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 06.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 15 AY 81/10 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern
Passbeschaffungskosten in Höhe von 440,- EUR sowie Kosten für 20 Passfotos und notwendige Portokosten zu
gewähren.
Die Leistungsgewährung wird hinsichtlich der Kosten für die Passfotos und das Porto von der Vorlage von Belegen
abhängig gemacht.
Die Leistungsgewährung erfolgt vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung.
Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Die Antragsteller sind minderjährige syrische Staatsangehörige, die sich derzeit geduldet in der Bundesrepublik
aufhalten. Der Vater der Antragsteller ist geduldet, während der Mutter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5
AufenthG erteilt worden ist. Die Antragsteller zu 1) bis 3) erhalten Leistungen nach § 2 AsylbLG, der Antragsteller zu
4) erhält Leistungen nach § 3 AsylbLG.
Laut Bescheinigung der Ausländerbehörde A-Stadt vom 04. August 2010 können die Antragsteller eine
Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten und sind deswegen von der Ausländerbehörde aufgefordert
worden, der Passpflicht nach § 3 AufenthG nachzukommen. Unter Vorlage dieser Bescheinigung beantragten die
Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Übernahme von Passbeschaffungskosten. Die Antragsgegnerin lehnte den
Antrag durch Bescheid vom 06. August 2010 mit der Begründung ab, zwar könnten gem. § 6 AsylbLG sonstige
Leistungen gewährt werden, wenn dies zur Erfüllung verwaltungsrechtlicher Mitwirkungspflichten erforderlich sei, doch
sei dabei entscheidend, für welchen Zweck die Passbeschaffung erfolgen solle. Die Übernahme von
Passbeschaffungskosten komme nur in Betracht, wenn eine freiwillige dauerhafte Ausreise aus dem Bundesgebiet
erfolgen solle oder wenn der Pass benötigt werde, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen, der zum Leistungsbezug
nach dem SGB II oder nach dem SGB XII berechtige. Auch bei Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs.
5 AufenthG würden aber die Antragsteller leistungsberechtigt nach dem AsylbLG bleiben.
Über den dagegen am 06. September 2010 eingelegten Widerspruch hat die Antragsgegnerin bisher nicht entschieden.
Am 16. Dezember 2010 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend beantragt,
dass die Antragstellerin zur Übernahme der Passbeschaffungskosten in Höhe von insgesamt 440,- EUR sowie der
Kosten für insgesamt 20 Passfotos und notwendiges Porto verpflichtet werde. Die Antragsteller haben durch Vorlage
eines Merkblattes der Passabteilung der syrischen Botschaft nachgewiesen, dass pro Person 5 farbige Passfotos, 1
frankierter Rückumschlag und 110,- EUR für die Ausstellung des Passes benötigt werden. Sie haben vorgetragen,
dass auch minderjährigen syrischen Staatsangehörigen stets eigene Pässe ausgestellt würden.
Die Antragsgegnerin hat eingewendet, der Einsatz öffentlicher Mittel sei im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt, da
mit dem Erwerb der Pässe keine Verbesserung der Lebenssituation der Antragsteller einhergehe. Im Übrigen könne
gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht bei der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung
auch abgesehen werden. Zudem sei zu prüfen, ob die minderjährigen Antragsteller nicht auch durch Eintragung in den
Pass eines Elternteiles ihrer Passpflicht genügen könnten.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Abs.2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes
in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem
Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der
Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs.2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs.2 Satz 4 SGG glaubhaft
zu machen.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Anspruchsgrundlage ist § 6 AsylbLG. Danach können sonstige Leistungen gewährt werden, wenn sie zur Erfüllung
einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind.
Die verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Notwendigkeit der Passausstellung ergibt sich für die
Antragsteller als Ausländer aus ihrer Passpflicht gemäß den §§ 3 Abs 1, 48 AufenthG, verbunden mit der
Verpflichtung zur Entrichtung der Gebühren für die Passerteilung (vgl SG Berlin, Urteil vom 26. November 2008 S 51
AY 46/06 , SG Halle, Urteil vom 30. Januar 2008 S 13 AY 76/06 , SG Duisburg, Urteil vom 9. Oktober 2008 S 16 (31)
AY 12/06 ). Ausländer dürfen gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin
aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht
nicht durch Rechtsverordnung befreit sind. § 48 Abs. 2 AufenthG macht deutlich, dass der Ausländer der Passpflicht
lediglich dann durch Vorlage eines Ausweisersatzes nachkommt, wenn er einen Pass weder besitzt noch in
zumutbarer Weise erlangen kann. Im Falle der Antragsteller wird der Pass konkret gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG
benötigt, damit die Ausländerbehörde A-Stadt ihnen eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt; dies
haben die Antragsteller bereits im Antragsverfahren durch Vorlage der Bescheinigung der Ausländerbehörde A-Stadt
vom 04. August 2010 nachgewiesen. Das Argument der Antragsgegnerin, von der Erfüllung der Passpflicht könne im
Rahmen des § 5 AufenthG auch abgesehen werden, verkennt, dass ein solches Absehen nach ausländerrechtlicher
Praxis eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Passbeschaffung voraussetzt. Dass die Antragsteller ihrer
Passpflicht durch Eintragung in den Pass eines Elternteils genügen könnten, ist eine reine Behauptung der
Antragsgegnerin und nicht nachgewiesen. Auf eine Verbesserung der rechtlichen oder wirtschaftlichen Situation der
Antragsteller kommt es nach § 6 AsylbLG nicht an. Die Antragsgegnerin geht indes auch fehl in der Annahme, die
Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG verbessere nicht die Lebenssituation der
Antragsteller. Die Antragsgegnerin möge sich vor Augen halten, dass die Antragsteller nach Passvorlage und
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG den unsicheren Status der Duldung verlassen und ein
legales Aufenthaltsrecht begründen können. Die Antragsteller sind von der Ausländerbehörde A-Stadt zur
Passbeschaffung aufgefordert worden. Insoweit kommt sogar hinsichtlich des von der Beklagten auszuübenden
Ermessens eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht. Es erscheint schlichtweg nicht hinnehmbar, wenn die
Rechtsordnung den Antragstellern auf der einen Seite etwas zu geben bereit ist (Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs.
5 AufenthG), was sie auf der anderen Seite (leistungsrechtlich) durch mangelhafte finanzielle Ausstattung unmöglich
machen würde.
Die Mittel für die Passbeschaffung sind im Regelsatz nicht enthalten. Die laufenden Leistungen nach dem AsylbLG
reichen nicht aus, um die Passbeschaffungskosten aufbringen zu können.
Da ein Anordnungsanspruch der Antragsteller besteht, sind an den Anordnungsgrund geringere Anforderungen zu
stellen. Ein Anordnungsgrund liegt vor. Den Antragstellern ist ein weiteres Abwarten bis zur Entscheidung der
Antragsgegnerin über den bereits am 06. September 2010 eingelegten Widerspruch nicht zuzumuten.
Hinsichtlich der Kosten für die Ausstellung der Pässe bei der syrischen Botschaft war eine Bezifferung des
notwendigen Betrages auf insgesamt 440,- EUR möglich. Kosten für Passfotos und Porto sind zu gegebener Zeit
durch Belegvorlage nachzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung.
Der Beschluss ist gem. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht anfechtbar, weil in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Die Antragsgegnerin ist mit einem Betrag von weniger als 750,- EUR beschwert.