Urteil des SozG Bremen vom 21.09.2009

SozG Bremen: aufschiebende wirkung, sanktion, interessenabwägung, widerspruchsverfahren, auszahlung, vollziehung, anhörung, rechtsgrundlage, nachfrist, eingliederung

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 21.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 26 AS 1626/09 ER
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstel-lerin vom 30.07.2009 gegen den Sanktionsbescheid vom
21.07.2009 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der
Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zu 30 % zu erstatten.
Gründe:
I. Die 1954 geborene Antragstellerin begehrt die Auszahlung bereits bewilligter Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II). Zudem wendet sie sich gegen eine
Sanktion. Sie ist brasilianische Staatsangehörige und er-hält von der Antragsgegnerin laufende Leistungen nach dem
SGB II.
Angeblich mit Eingliederungsvereinbarung vom 28.11.2008 (nicht in der Leistungsakte) soll sich die Antragstellerin
verpflichtet haben, an monatlichen Eigenbemühungen zwei Bewer-bungsnachweise vorzulegen.
Mit Bewilligungsbescheid vom 28.05.2009, geändert durch Änderungsbescheid vom 24.06.2009, bewilligte die
Antragsgegnerin der Antragstellerin für den Zeitraum 01.06.2009 bis 30.11.2009 Arbeitslosengeld II in Höhe von um
die 730,00 Euro monatlich.
Anlässlich einer persönlichen Vorsprache der Antragstellerin am 19.06.2009 stellte die An-tragsgegnerin fest, dass die
Antragstellerin bisher ihren Verpflichtungen aus der Eingliede-rungsvereinbarung nicht nachgekommen sei.
Ausweislich eines Gesprächsvermerks des zu-ständigen Arbeitsvermittlers wurde die Antragstellerin über die
Möglichkeit der Sanktionierung informiert.
In einer Eingliederungsvereinbarung ebenfalls vom 19.06.2009 (nicht in der Leistungsakte - von der Antragstellerin
aber im abgeschlossenen Verfahren S 26 AS 998/09 ER vorgelegt, vgl. dort Bl. 10 ff. der Gerichtsakte) heißt es unter
dem Punkt "Bemühungen [ ] zur Eingliede-rung in Arbeit": "Wird versuchen, sich beim Arzt krank schreiben zu lassen
und die Arbeitsun-fähigkeitsbescheinigung dem Arbeitsvermittler bis zum 28.06.09 einzureichen". Zu weiterge-henden
Eigenbemühungen verpflichtete sich die Antragstellerin nicht.
Mit Sanktions- und Änderungsbescheid vom 21.07.2009 senkte die Antragsgegnerin die Leis-tungen der
Antragstellerin für den Zeitraum August bis Oktober 2009 um monatlich 108,00 Euro mit der Begründung ab, die
Antragstellerin habe ihre Eigenbemühungen nicht hinrei-chend nachgewiesen.
Mit Schreiben vom 30.07.2009 (nur als Anlage zum Eilantrag in der Leistungsakte der An-tragsgegnerin, vgl. Bl. 549
der Leistungsakte) legte die Antragstellerin gegen den Sanktions-bescheid vom 21.07.2009 Widerspruch ein.
Am 28.08.2009 hat sie den vorliegenden Eilantrag gestellt. Sie behauptet, ihre Augustleistung sei noch nicht
ausgezahlt worden. Zudem sei die Sanktion zu Unrecht erfolgt.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegen getreten. Die Augustleistungen seien bereits am 31.07.2009 auf das
Konto der Antragstellerin überwiesen worden. Die Sanktion sei ge-rechtfertigt. Die Antragstellerin sei ihren
Eingliederungsverpflichtungen nicht nachgekommen.
Die Antragsgegnerin hat die Leistungsakten nicht innerhalb der zunächst gesetzten Frist vor-gelegt. Mit
Hinweisschreiben vom 15.09.2009 hat das Gericht die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin
ausnahmsweise die Möglichkeit erhalte, bis spätes-tens 21.09.2009 die Leistungsakte vorzulegen. Es verstehe sich
von selbst, dass die vorzule-gende Akte die Eingliederungsvereinbarung und bisher vorgelegte Nachweise über
Eigenbe-mühungen, den ursprünglichen Bewilligungsbescheid sowie etwaige Änderungsbescheide, das
Anhörungsschreiben sowie eine eventuelle Reaktion der Antragstellerin, den Sanktions-bescheid sowie den
Widerspruch der Antragstellerin und eventuell bei der Antragsgegnerin geführte Gesprächsvermerke enthalten müsse.
Am 18.09.2009 hat die Antragsgegnerin ihre restlichen Aktenunterlagen vorgelegt. Ausweislich einer handschriftlichen
Notiz wohl der zu-ständigen Sachbearbeiterin (Bl. 588) seien die Eingliederungsvereinbarungen vorne in der Akte
vorgeheftet. Tatsächlich befindet sich in den beiden bereits bei Gericht befindlichen Bän-den der Leistungsakte keine
Vorheftung mit Vorgängen der Arbeitsvermittlung.
II.1. Soweit die Antragstellerin die Auszahlung bereits bewilligter Leistungen begehrt, ist der nach § 86b Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz -SGG- statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht begründet. Die
Antragsgegnerin hat unter Vorlage entsprechender Zah-lungsanweisungen dargelegt, diese Leistungen an die
Antragstellerin überwiesen zu haben. Auf die gerichtliche Aufforderung zur Stellungnahme hat die Antragstellerin nicht
mehr rea-giert. Danach muss das Gericht davon ausgehen, dass der sich aus der Bewilligungsent-scheidung der
Antragsgegnerin ergebende Auszahlungsanspruch tatsächlich erfüllt wurde.
2. Soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den
Sanktionsbescheid begehrt, ist der nach §§ 86a Abs. 2 Nr. 4, 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Verbindung mit § 39 Nr.
1 SGB II statthafte Antrag zulässig und begründet. Sei-ner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der
Sanktionsbescheid vom 21.07.2009 bestands-kräftig geworden ist. Zugunsten der Antragstellerin war im Eilverfahren
anzunehmen, dass ihr Widerspruch vom 30.07.2009 auch fristgerecht bei der Antragsgegnerin eingegangen ist, was
anhand der Leistungsakte nicht überprüft werden konnte.
Der Antrag ist auch begründet. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ge-mäß § 86b Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Wider-spruchsführers, den Vollzug des Bescheides bis zur
Entscheidung im Widerspruchsverfahren auszusetzen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen sofortiger
Vollziehung über-wiegt. Die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ist in der Regel bereits dann anzuord-nen,
wenn sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist (OVG Bre-men, Beschl. v. 10.10.2008 -
S2 B 458/08 -). Ansonsten bedarf es einer Interessenabwägung.
Der Sanktionsbescheid vom 21.07.2009 ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung folgt aus einer Interessenabwägung. Rechtsgrundlage für die durchgeführte Absenkung ist § 31 Abs. 1 Nr. 1
Buchstabe b) SGB II. Danach wird das Arbeits-losengeld II in einer ersten Stufe um 30 % der maßgebenden
Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert,
in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang
Eigenbemühungen nachzuweisen.
Dem Gericht war es verwehrt, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu überprü-fen. Denn die
Antragsgegnerin hat es trotz ausdrücklicher Aufforderung und Setzen einer Nachfrist nicht geschafft, die
Eingliederungsvereinbarung vom 28.11.2008 vorzulegen. Das Gericht sieht keine Veranlassung, die Antragsgegnerin
noch einmal zur Vorlage der insoweit noch fehlenden Unterlagen aufzufordern. Soweit die Antragsgegnerin davon
überzeugt ist, dass die Sanktion zu Recht erfolgte, mag sie im Hauptsacheverfahren dafür streiten, nachdem sie ihre
Akten vervollständigt hat.
Das Gericht weist aus diesem Grund nur am Rande darauf hin, dass dem Sanktionsbescheid vom 21.07.2009 nicht
entnommen werden konnte, welche Pflichtverletzung konkret sanktio-niert wurde (fehlender Nachweis der
Eigenbemühungen für einen bestimmten Monat oder für alle Monate seit Dezember 2008?). Der Sanktionsbescheid
erging zu einem Zeitpunkt, als zwischen den Beteiligten bereits eine neue Eingliederungsvereinbarung galt, die eine
regel-mäßige Vorlage von Bewerbungsnachweisen nicht mehr vorsah. Stattdessen enthielt die Ein-
gliederungsvereinbarung vom 19.06.2009 die Verpflichtung, eine Arbeitsunfähigkeitsbeschei-nigung einzureichen. Es
bleibt unklar, was dies mit einer Eingliederung in Arbeit zu tun haben soll. Zunächst im Widerspruchsverfahren wird
die Antragsgegnerin auch zu klären haben, warum die Nichtvorlage der Bewerbungsnachweise über sieben Monate
sanktionslos blieb (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, Komm., 2. Aufl. 2008, Rdnr. 60 zu § 31: Pflicht zur
"unverzüglichen" Sanktionsentscheidung, damit die "erzieherische Wirkung" noch eintreten kann). Ob die (eventuell)
in der Eingliederungsvereinbarung vom 28.11.2009 enthaltene Rechtsfolgenbelehrung vor diesem Hintergrund
überhaupt noch Geltung für sich beanspru-chen kann, muss ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben
(vgl. Rixen, a. a. O., Rdnr. 44b). Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass Zweifel hinsichtlich einer ordnungs-gemäßen
Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X bestehen. Aktenkundig ist insoweit nur eine "In-formation" über eine Sanktion
anlässlich einer persönlichen Vorsprache. Vor dem Hintergrund der ebenfalls aktenkundigen Sprachschwierigkeiten
der Antragstellerin ist nicht klar, ob die Antragstellerin sich bisher zu allen für die Entscheidung erheblichen Tatsachen
äußern konn-te.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Strei-tig waren die
Augustleistung (732,94 Euro ohne Sanktion) sowie die Sanktion für drei Monate (108,00 Euro mal 3 = 324,00 Euro).
Die Antragsgegnerin ist in Höhe von 324,00 Euro unterle-gen. Dies entspricht einer Unterliegensquote von ungefähr 30
%.
HINWEIS
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt und
wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in
Verbindung mit § 144 Abs. 1 SGG).