Urteil des SozG Bremen vom 09.02.2010

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Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 09.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 127/10 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes verpflichtet, den Antragstellern 610,30 Euro für
die Begleichung der Nebenkostennachforderung der OJ. vom 10. November 2009 zu erbringen. Die Auszahlung der
Leistungen erfolgt vorläufig. Sie stehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Die Antragsgegnerin trägt die
notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Die Antragsteller (d. Ast.) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewäh-rung weiterer Leistungen
zur Begleichung einer Betriebskostennachforderung ihrer Vermiete-rin.
Die 1970, 1983, 2007 und 2008 geborenen Ast. stehen im laufenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin, der
Trägerin der Grundsicherung in A-Stadt. Sie bewohnen seit dem 1. Juni 2008 eine 65,71 qm große
Dreizimmerwohnung in der G-Str. in A-Stadt. Für Heiz- und Warmwasserkosten war nach dem Mietvertrag eine
monatliche Vorauszahlung von 62,00 Eu-ro zu zahlen (Bl. 179 d.A.). Die Vermieterin errechnete in der Zeit bis 30.
Oktober 2008 ein Heizkostenguthaben von 39,96 Euro (Bl. 220), das die Beklagte vereinnahmte (Bl. 229 R). Am 10.
November 2009 rechnete die Vermieterin die Betriebs- und Heizkosten erneut ab. Danach fiel eine Nachzahlung von
insg. 1.000,52 Euro an, die zu 91,46 Euro auf die Betriebskosten und zu 909,06 Euro auf die Heizkosten entfällt.
Insgesamt waren Heizkosten von 1.668,82 Euro angefallen. Die Antragsgegnerin gewährte hiervon 396,22 Euro, wobei
sie eine Heizpau-schale von 1,35 Euro je Quadratmeter zu Grunde legte (Bl. 259) und die 91,46 Euro vollstän-dig
übernahm. Der Betrag wurde (anscheinend, die Akte enthält hierzu keinen Bescheid) an die Vermieterin ausgezahlt.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2009 mahnte die Vermieterin jedenfalls ausstehende (1000,52 – 396,22 gleich
604,30 plus offenbar 6,00 Säumnisgebühren gleich) 610,30 Euro an. Am 21. Dezember 2010 stellten die Antragsteller
einen Überprü-fungsantrag, über den die Antragsgegnerin nach Aktenlage noch nicht entschieden hat.
Am 25. Januar 2010 haben d. Ast. beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechts-schutzes beantragt. Sie
begehren die restliche Übernahme der Nachforderung und verweisen darauf, dass zwischenzeitlich eine Mahnung
eingegangen sei. Der Rückstand betrage inzwi-schen 1.068,24 Euro.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, es läge kein Anord-nungsanspruch vor. Bei einer
Wohnfläche von 65,17 qm betrügen die Heizkosten (1.668,82 Euro durch 65,17 qm gleich) 2,12 Euro/qm. Für die
gesamte Wohnanlage seien aber durch-schnittliche Heizkosten von nur 0,87 Euro/qm entstanden. Es sei damit auch
unter Heranzie-hung des Bundesheizkostenspiegels von einem zu hohen und unwirtschaftlichen Heizverhal-ten
auszugehen.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und auf die Verwaltungsakte der An-tragsgegnerin verwiesen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., Rn. 28). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a. a. O.).
1. Soweit d. Ast. die Gewährung weiterer Leistungen zur Begleichung der Nebenkostennach-forderung begehren, liegt
gem. § 22 Abs. 1 SGB II ein Anordnungsanspruch vor.
a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bei Heizkosten entschei-dend, ob diese über
einem aus einem bundesweiten oder kommunalen Heizspiegel zu ermit-telnden Grenzbetrag liegen. Ist dies der Fall,
so sind sie im Regelfall nicht mehr als angemes-sen zu betrachten. Dieser Grenzbetrag ist zu bilden aus dem Produkt
der abstrakt angemes-senen Wohnfläche und dem Wert, der in dem unter www.heizspiegel.de veröffentlichten, für den
streitigen Zeitraum maßgebenden bundesweiten oder (soweit vorhanden) kommunalen Heizspiegel auf "extrem hohe"
Heizkosten hindeutet. Überschreiten die tatsächlichen Aufwen-dungen diesen Wert, ist es Sache des
Leistungsberechtigten, konkret vorzubringen, warum seine Aufwendungen für die Heizung über dem Grenzwert liegen,
im jeweiligen Einzelfall aber gleichwohl noch als angemessen anzusehen sind (Urteil des Bundessozialgerichts vom
2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R). Nach dem für A-Stadt gültigen Heizkostenspiegel
(http://www.heizspiegel.de/kommunen/ueber-50000-einwohner/bremen/index.html) sind je-denfalls – unabhängig von
der Gebäudefläche und Heizart – Heizkosten von mehr als 21,00 Euro im Jahr je Quadratmeter unangemessen. Einen
anderen Maßstab kann das Gericht vor-liegende deshalb nicht anlegen, weil die Antragsgegnerin weder ermittelt hat,
wie groß die Gebäudefläche insgesamt ist, noch, mit welcher Heizart das Haus beheizt wird. Die Unange-
messenheitsgrenze entspricht vorliegend (65,41 qm ma. 21,00 Euro) 1.373,61 Euro Heizkos-ten im Jahr. Die dies
übersteigenden Kosten sind folglich nach der Rechtsprechung des Bun-dessozialgerichts unangemessen.
b) Die Antragsgegnerin hat diese Kosten gleichwohl zu übernehmen, was ebenfalls aus der Rechtsprechung des BSG
folgt. Denn das BSG hat in der Entscheidung zum Az. B 14 AS 54/07 R vom 19. September 2008 herausgestellt,
dass auch eine Senkung der Heizkosten nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II erfolgen darf,
d.h. im Rahmen ei-nes Absenkungsverfahrens mit einer Übergangsfrist bis zu sechs Monaten, woraus geschlos-sen
werden kann, dass eine rückwirkende Absenkung von Mietnebenkosten nicht zulässig ist (Sozialgericht Berlin vom 8.
Mai 2009 – S 37 AS 17129/08). Genau darauf liefe eine Ableh-nung der Nachforderung aber hinaus.
2. Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit - ergibt sich aus der finanziell prekären Situati-on d. Ast ...
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. D. Ast. haben voll obsiegt Dementsprechend sind die
außergerichtlichen Kosten d. Ast. vollständig zu erstatten. Gerichtskosten fallen im vorliegenden Verfahren nicht an.
5. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes für kei-nen Beteiligten 750,00
Euro übersteigt und wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 172 Abs. 3
Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 SGG).