Urteil des SozG Bremen vom 10.12.2009

SozG Bremen: brille, kostenvoranschlag, darlehen, kopie, hauptsache, optiker, aufschub, geldleistung, sachleistung, winter

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 10.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 2335/09 ER
Der Antrag wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (d. Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem SGB II zur
Anschaffung einer Brille.
Der 55 Jahre Antragsteller steht im laufenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin, der Trägerin der
Grundsicherung in A-Stadt. Er nimmt derzeit an einem von der Antragsgegnerin vermittelten Computerkurs teil. Mit E-
Mail vom 7. Dezember 2009 teilte er der Antragsgegne-rin mit, dass seine Brille irreparabel zu Schaden gekommen
ist. Er erklärte, ohne Brille sei seine Sehkraft derart stark reduziert, dass er dem Unterricht nicht folgen könne und
deshalb auch von seinem Vorhaben Abstand nehmen müsse, sich selbständig zu machen. Es habe sich um eine
Brille ohne Rahmen gehandelt; die relativ teuren Gläser seien optimiert und könnten auch nicht in eine andere
Fassung eingearbeitet werden. Es sei ihm aber gelungen, über einen Optiker den Hersteller zu ermitteln, der noch
über ein einziges Modell in anderer Ausführung verfüge. Nach dem Kostenvoranschlag betrügen die Kosten 205,00
Euro. Die Brille könne schon am Folgetag bereit liegen. Alle Alternativen seien mit höheren Kosten ver-bunden. Er
bitte daher um ein Darlehen in Höhe von 155,00 Euro, das er in monatlichen Ra-ten von jeweils 50,00 Euro ab Januar
2010 zurückzahlen könne. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit E-Mail (ohne Begründung) ebenfalls vom 8.
Dezember 2009 ab. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2009 erhob der Antragsteller Widerspruch, über den – soweit
ersichtlich – noch nicht entschieden ist. Dabei verwies er zur Begründung auf seinen Antrag.
Am 8. Dezember 2009 hat d. Ast. beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechts-schutzes beantragt. Er
begehrt die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 155,00 Euro zur Anschaffung einer neuen Sehhilfe. Er erklärt, er
könne die Entscheidung im regulären Wider-spruchsverfahren nicht abwarten. Er verfüge zurzeit über finanzielle Mittel
in Höhe von nur 324,00 Euro im Monat. Damit könne er (schon) seinen Lebensunterhalt nicht decken. Er ver-füge
auch nicht über Ersparnisse, mit denen er die Sehhilfe selbst finanzieren könne.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, der Bedarf für eine Brille sei pauschaliert mit der
Regelleistung abgedeckt. Es lägen zudem auch die Voraussetzungen für eine darlehensweise Leistungserbringung
nicht vor. Der Antragsteller müsse daher die Sehhilfe aus der Regelleistung finanzieren. Nach der Rechtsprechung
des Oberverwaltungs-gerichts könne er dabei auch auf Sehhilfen aus dem unteren Preissegment verwiesen werden
(OVG Bremen, Beschluss vom 20. Oktober 2008, S2 B 495/08). Es sei nicht ersichtlich, dass dies vorliegend nicht
möglich sei. Auch aus dem eingereichten Kostenvoranschlag über 205,00 Euro ergebe sich nichts anderes. Die
übermittelte Kopie enthalte außer dem Betrag keine weiteren Angaben. Darüber hinaus weiche der dort genannte
Betrag von dem im Eilver-fahren begehrten Betrag ab.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., Rn. 28). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a. a. O.).
1. Die begehrte einstweilige Anordnung kann schon deshalb nicht ergehen, weil ein Anord-nungsanspruch nicht
gegeben ist.
a) Der Antragsteller hat nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage keinen Anspruch auf die Gewährung von
Mitteln für die Anschaffung einer Brille als (nicht zurückzuzahlendem) Zuschuss. Denn gem. § 20 Abs. 1 SGB II
umfasst die Regelleistung (derzeit 359,00 Euro mo-natlich für Erwachsene) u. a. die Kosten für die Bedarfe des
täglichen Lebens. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses für die Anschaffung einer
Brille ist nicht ersichtlich. Er ergibt sich vorliegend insbesondere nicht aus § 23 Abs. 3 SGB II. Da-nach sind zwar
bestimmte Leistungen – u. a. solche für die Erstausstattung für Bekleidung (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II) –
gesondert zu erbringen. Bei dem vorliegenden Bedarf han-delt es sich jedoch nicht um einen Erstausstattungsbedarf,
sondern um eine Ersatzbeschaf-fung (siehe zur Unterscheidung zwischen Erstausstattungsbedarf und
Ersatzbeschaffung: Beschluss der Kammer vom 31. Juli 2009 – S 23 AS 1365/09 ER - http://www.sozialgericht-
brmen.de/sixcms/media.php/13/23 AS 1365 09 ER Beschluss 2009073150624%2C40Anonym.pdf ).
b) Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines Darlehens für die Anschaffung einer Brille
gem. § 23 Abs. 1 SGB II hat. Nach dieser Vorschrift erbringt der Grundsicherungsträger bei entsprechendem
Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes
Darlehen, wenn im Ein-zelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Be-darf
zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere
Weise gedeckt werden kann. Diese Voraussetzungen sind nach vor-läufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht
gegeben.
aa) Die Anschaffung einer Brille ist als zum Bedarf des täglichen Lebens zählender Bedarf nach dem Wortlaut des §
20 Abs. 1 SGB II von der Regelleistung umfasst.
bb) Der Bedarf ist auch unabweisbar. Ein Bedarf ist unabweisbar, wenn die Abdeckung des Bedarfs keinen Aufschub
duldet (Lang/Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 23 Rn. 27). Als Beispiel wird in der
Kommentarliteratur auf Wintermäntel im Winter verwie-sen (Lang/Blüggel, a.a.O.). Nach diesen Maßstäben ist die
Anschaffung der neuen Brille für den Antragsteller unabweisbar. Die Anschaffung kann auch nicht hinausgeschoben
werden. Dem Antragsteller ist – bei der von ihm angegebenen Sehkraft - nicht zuzumuten, dass er ohne Brille am
täglichen Leben teilnimmt.
cc) Der Antragsteller kann auch nicht auf Ansparen verwiesen werden. Insofern unterscheidet sich der vorliegende
Fall auch von der Anschaffung eines Fernsehapparates (hierzu: Be-schluss der 23. Kammer vom 02. September 2009
– S 23 AS 1526/09 ER - http://www.sozialgericht-bremen.de/sixcms/media.php/13/23 AS 1526 09 ER Beschluss
20090902Anonym.pdf ), bei der die Kammer es für zumutbar gehalten hat, dass der Bedarf erst nach einer gewissen
Zeit durch Ansparen befriedigt wird. Beide Fälle sind sowohl hinsichtlich ihrer Dringlichkeit, als auch bezüglich der
Höhe der Kosten unterschiedlich.
dd) Der Anspruch gem. § 23 Abs. 1 SGB II scheidet aber deshalb aus, weil für das Gericht nicht ersichtlich ist, dass
der Antragsteller tatsächlich auf eine derart teure Brillenfassung an-gewiesen ist. Dem Gericht ist – weil dies auch auf
der dem Gericht vorliegenden Kopie des Kostenvoranschlages insofern nicht vermerkt ist - nicht bekannt, was für eine
Sehschwäche der Antragsteller hat. Das Gericht geht daher davon aus, dass es sich um eine übliche Seh-schwäche
handelt. Gerade bei dem Optiker, bei dem der Antragsteller den Kostenvoranschlag erstellen ließ, sind jedoch in
solchen Fällen einfache Brillen für 10,00 Euro (inkl. Fassung und (Einstärken-)Gläsern, aber ohne Entspiegelung etc.)
zu haben. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, weshalb der Antragsteller gerade die besonders teure ("Joop"-)
Fassung brauchen sollte, für die er den Kostenvoranschlag eingereicht hat. Medizinische oder sonstige nachvoll-
ziehbare Gründe hierfür sind nicht mitgeteilt. Geht man aber davon aus, dass der Antragsteller auch eine Brille für
10,00 Euro anschaffen könnte, so wäre dies auch aus der Regelleistung möglich. Davon geht offenbar auch der
Antragsteller aus, der eine Einbehaltung in Höhe von 50,00 Euro monatlich für möglich hält.
2. Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit – braucht vor diesem Hintergrund nicht mehr geprüft zu werden.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. D. Ast. hat mit dem Eilantrag keinen Erfolg gehabt.
Dementsprechend sind die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers von der Antragsgegnerin nicht zu erstatten.
Gerichtskosten fallen im vorlie-genden Verfahren nicht an.
4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes für kei-nen Beteiligten 750,00
Euro übersteigt und wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 172 Abs. 3
Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 SGG). D. Ast. ist beschwert, soweit er die Gewährung eines Darlehens in
Höhe von 155,00 Euro nicht erhalten hat. Der Schwellenwert für eine zulässige Berufung liegt bei 750,00 Euro, § 144
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.
gez. Dr. Schnitzler Richter am Sozialgericht