Urteil des SozG Bremen vom 16.04.2009

SozG Bremen: tinnitus, berufskrankheit, rente, merkblatt, gerichtsakte, belastung, gutachter, anzeige, arbeitsunfall, auflage

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 16.04.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 2 U 22/06
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist eine Rente wegen Berufskrankheit Nr. 2301 streitig.
Der am 11. September 1945 geborene Kläger war Maschinist von 1968 bis 1980 und danach bei Daimler Chrysler in
der Tankfertigung tätig. Am 18. August 2000 erstatte Dr. AHR.- eine Anzeige auf Verdacht wegen
Lärmschwerhörigkeit. Nachdem der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten am 22. Februar 2001 eine
entsprechende Exposition bejaht hatte, holte die Beklagte ein Gutachten ein von Dr. AEK., welcher am 25. April 2001
das Vorliegen einer Berufskrankheit 2301 bejahte, allerdings die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 0 v. H.
festsetzte. Daraufhin erließ die Beklagte am 15. Mai 2001 einen Bescheid, in dem sie die Lärmschwerhörigkeit als
Berufskrankheit anerkannte, die Gewährung einer Rente jedoch ablehnte, da eine MdE mit unter 10 v. H. vorläge.
Der hiergegen am 01. Juni 2001 erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2001
zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 28. August 2001 Klage. Aufgrund des im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachtens
von Dr. CL. vom 05. November 2002 gab die Beklagte am 15. Januar 2003 ein Anerkenntnis dahingehend ab, dass
Ohrgeräusche anerkannt wurden und die MdE mit 10 v. H. veranschlagt wurde.
Am 04. März 2005 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von
Dr. AHR.- vom 28. Januar 2005 ein, der die MdE nunmehr mit 20 v. H. veranschlagte. Aufgrund der
beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. VY. vom 23. Mai 2005 anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 07.
Juni 2005 das Vorliegen einer MdE von 15 v. H.
Hiergegen erhob der Kläger am 16. Juni 2005 Widerspruch. In einem weiteren Gutachten vom 30. September 2005
führte Dr. FZ. aus, dass er sich den Gutachten von Dr. CL. und AHR.- anschließe. Die Beklagte holte noch einen
Befundbericht von H. ADW. vom 06. Dezember 2005 ein, in dem von einem Tinnitus-aureum gesprochen wird.
Aufgrund dieser Unterlagen wurde durch Widerspruchsbescheid vom 03. März 2006 der Widerspruch zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 13. März 2006 erhobenen Klage. Er ist der Auffassung, dass die bei
ihm vorliegenden Befunde eine MdE von 20 v. H. rechtfertigen würden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07. Juni 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
03. März 2006 zu verurteilen, dem Kläger aufgrund der anerkannten Berufskrankheit Nr. 2301 eine Rente auf
unbestimmte Zeit nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden seien.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. KL ... Dieser kam in seinem
Gutachten vom 12. Juni 2007 zu der Einschätzung, dass die MdE mit maximal 15 v. H. zu veranschlagen sei. Weiter
wurde von der Beklagten vorgelegt ein Gutachten von Dr. FZ. vom 22. Dezember 2006, welcher die MdE mit 15 v. H.
veranschlagte. In einem weiteren Gutachten vom 12. Juni 2007 kam Prof. Dr. C. zu der Auffassung, dass die MdE
mit 15 v. H. zu veranschlagen sei. Auf Antrag des Klägers wurde ein Gutachten gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) von Dr. D. eingeholt, der am 27. Dezember 2007 ausführte, dass beim Kläger eine schwerstgradige Tinnitus-
Belastung vorläge, die mit einer MdE von 25 bis 30 v. H. einzustufen sei.
Weiter wurde beigezogen ein Bericht der behandelnden Psychologin Dipl.-Psych. E. vom 28. April 2008, die von
einem schwerstgradig dekompensierten Tinnitus berichtete.
Von der Beklagten vorgelegt wurde eine Stellungnahme von Dr. Dr. AYR. vom 19. September 2008 und von Prof. Dr.
FK. vom 24. November 2008. Auf diese Unterlagen wird Bezug genommen.
Dem Gericht lagen weiter vor die Beklagtenakte (BKS 3.26090.009) und die Gerichtsakte S 5 U 138/01. Auf ihren
Inhalt und den der Gerichtsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, wird im Übrigen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
Nachdem von der Beklagten eine Berufskrankheit Nr. 2301 mit Ohrgeräuschen anerkannt ist, war nur zu entscheiden,
ob die hierdurch bedingte MdE 20 v. H. beträgt.
Die Bemessung des Grades der MdE, also die durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten
Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden
verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII),
ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1
Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4,
147, 149; BSG Urteil vom 23. April 1987 - 2 RU 42/86 - und zuletzt Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 14/99 R - SozR 3-
2200 § 581 Nr. 7, jeweils mwN). Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des
Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer sowie sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen
bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen
auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis
über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten
Umstände des Einzelfalles an (BSG vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R -; BSG vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R
-).
Nach der Feststellung sämtlicher Gutachten ist die Lärmschwerhörigkeit, wie sie von der Beklagten im Bescheid vom
07. Juni 2005 mit 15 v. H. veranschlagt wurde, entsprechend den Grundsätzen der Bemessung des Hörverlustes und
der entsprechenden MdE-Bewertung erfolgt. Die Gutachter haben übereinstimmend schlüssig dargelegt, dass nach
der Tabelle von Feldmann und Benninghaus-Röser die MdE mit 15 v. H. festzustellen ist. Lediglich hinsichtlich der
Einschätzung des Tinnitus, der von der Beklagten durch Anerkenntnis vom 15. Januar 2003 besteht, sind
unterschiedliche Einschätzungen festzustellen. Hierbei konnte die Kammer den Gutachten von Dr. D. vom 27.
Dezember 2007 nicht folgen, der für die Tinnitus-Belastung eine MdE von 25 bis 30 in Ansatz gebracht hat. Nach den
von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätzen ist der gesamte lärmbedingte Schaden des Innenohres
(Hörverlust und Ohrgeräusch) bei der MdE-Einschätzung im Rahmen einer Gesamt-MdE zu bewerten. Hierbei ist der
Tinnitus mit einer MdE bis zu 10 % - integrierend, nicht aditiv – zu berücksichtigen (Königsteiner Merkblatt,
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, Seite 442). Hierzu hat Prof. Dr. FK.
zusammenfassend ausgeführt, dass eine höhere Bewertung als eine Einzel-MdE von 10 % nicht möglich ist. In
keinem Fall könne nach dem Königsteiner Merkblatt ein Ohrgeräusch im Rahmen einer Lärmschwerhörigkeit höher als
10 % MdE integrativ bewertet werden. Dies bedeutet auch, dass zu dem anerkannten Lärmschaden von 10 v. H. der
Tinnitus mit einem MdE-Satz von 10 v. H. nicht einfach hinzuaddiert werden kann, sondern dass eine Gesamt-MdE
zu bilden ist. Demzufolge ist die Entscheidung der Beklagten, eine Gesamt-MdE von 15 v. H. zu veranschlagen, nicht
zu beanstanden. Weitere, beim Kläger bestehende psychische Beeinträchtigungen, können nicht auf diesen Tinnitus
zurückgeführt werden und waren daher nicht zu berücksichtigen.
Demzufolge waren die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 192 SGG.