Urteil des SozG Bremen vom 20.04.2010

SozG Bremen: verfassungskonforme auslegung, private krankenversicherung, vag, niedersachsen, zuschuss, unmittelbare gefahr, drucksache, versicherungsschutz, gesundheit, gewährleistung

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 20.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 21 AS 1521/09
1. Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.07.2009 (xxx) wird
abge-ändert. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin einen weiteren Zuschuss zu den Beiträgen ihrer privaten
Krankenversiche-rung in Höhe von 54,04 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 31.07.2009 zu
gewähren. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kos-ten der Klägerin. 4. Die Berufung wird
zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Übernahme ihrer im Zeitraum 01.02.2009 bis 31.07.2009 angefallenen
Krankenversicherungsbeiträge in tatsachlicher Höhe.
Die am 01.02.1980 geborene Klägerin bewohnt eine Wohnung in der O.str. 11 in 28199 Bre-men. In der Vergangenheit
studierte die Klägerin an der Universität Bremen und war über ihre Eltern privat kranken- und pflegeversichert bei der
Deutschen Krankenversicherung AG (im Folgenden: IR.) (Bl. 9 LA). Im Oktober 2008 schloss die Klägerin ihr Studium
ab; ihre Exmatri-kulation erfolgte zum 22.01.2009 (Bl. 10 LA).
Während ihres Studiums erhielt die Klägerin von ihren Eltern eine monatliche Unterhaltsleis-tung in Höhe von 800,00
Euro. Zum 01.02.2009 stellten die Eltern die monatlichen Unterhalts-leistungen im Hinblick auf das inzwischen
abgeschlossene Studium ein.
Am 03. Januar 2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zugleich beantragte sie bei der AVK. Krankenkasse (im Folgenden: TK) die
Aufnahme als Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diesen Antrag lehnte die TK mit Schreiben vom
28.01.2009 (Bl. 9 LA) mit der Begründung ab, dass die Klägerin bislang privat versichert gewesen sei und deshalb die
gesetzlichen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht vorlägen.
Die IR. gewährte der Klägerin auch für die Zeit nach Beendigung ihres Studiums weiterhin den reduzierten ("UNI"-)Tarif
für Studenten. Eine Umstellung auf den (reduzierten) Basistarif nach § 12 Abs. 1 a Versicherungsaufsichtsgesetz
(VAG), der im Falle der Klägerin 284,82 Euro betragen hätte, erfolgte nicht (Bl. 38 – 41 LA). In der Zeit vom
01.02.2009 bis 30.09.2009 hatte die Klägerin für ihre Kranken- und Pflegeversicherung einen monatlichen Beitrag in
Hö-he von 200,72 Euro an die IR. zu entrichten (Bl. 37 LA). Von diesem Betrag entfielen 183,58 Euro auf den Beitrag
zur privaten Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 05.02.2009 (Bl. 30 LA) gewährte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis
zum 31.07.2009 Leistungen nach dem SGB II in Höhe eines monatlichen Gesamtbetrags von 626,15 Euro. Kosten
der privaten Kranken- und Pflegeversicherung wur-den der Klägerin in diesem Bescheid nicht gewährt.
Auf Anforderung der Beklagten legte die Klägerin am 05. März 2009 (Bl. 36 LA) eine aktuelle Beitragsbescheinigung
der IR. vom 02.03.2009 vor, die die oben genannte Beitragshöhe auswies (Bl. 37 LA).
Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 03. April 2009 (Bl. 43 LA) für den Zeitraum vom
01.02.2009 bis 31.07.2009 neben Arbeitslosengeld II-Leistungen in Höhe von 773,48 Euro im Monat auch einen
monatlichen Zuschuss zu ihren Kranken- und Pflege-versicherungskosten. Der Zuschuss zu den
Krankenversicherungsbeiträgen betrug hierbei 129,54 Euro im Monat. In dem Bescheid hieß es hierzu, die Beklagte
könne für die Kranken-versicherung nur den Betrag analog zu den gesetzlichen Krankenversicherungen i.H.v. 129,54
Euro übernehmen. Der Differenzbetrag sei von der Klägerin zu tragen.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 07. April 2009, bei der Beklagten eingegan-gen am 15. April 2009,
Widerspruch ein. Da sie bereits vor Beantragung von ALG II privat krankenversichert gewesen sei, sei ihr aufgrund
der gesetzlichen Änderung zum 01.09.2009 ein Wechsel in eine gesetzliche Krankenkasse nicht möglich gewesen.
Der vom Gesetzgeber vorgesehene reduzierte Basistarif beliefe sich im Falle der Klägerin auf 284,82 Euro. Die IR.
habe ihr stattdessen aus Kulanzgründen einen Sondertarif angeboten, der noch unter dem Basistarif (bei 201,42 Euro)
liege. Da sie über keine weiteren Einkünfte verfüge, müsse sie den Differenzbetrag in Höhe von 155,28 Euro (oder
71,88 Euro) aus dem Regelsatz leisten; dies sei vom Gesetzgeber so nicht vorgesehen. Der Regelsatz sei so
berechnet, dass er für die Grundversorgung zum Lebensunterhalt ausreiche; darüber hinausgehende Leistungen
könnten daraus nicht bestritten werden. Außerdem habe ALG II einen Krankenversicherungs-schutz zu gewährleisten,
der dem der gesetzlichen Krankenkassen entspreche. Der Diffe-renzbetrag sei demnach von der Beklagten zu
übernehmen.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 21. Juli 2009 (Bl. 3 GA) zurück. Die Gewährung eines
Zuschusses zu der privaten Krankenversicherung der Klägerin richte sich nach §§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. 12
Abs. 1 Satz 5 und 6 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). Aus § 12 Abs. 1 c Satz 6 VAG ergebe sich, dass der
zuständige Träger nur den Betrag zahlt, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen
Krankenversi-cherung zu tragen ist. Damit könne nur ein Zuschuss in Höhe von 129,54 Euro übernommen werden; der
Differenzbetrag sei von der Klägerin selbst zu tragen.
Am 14. August 2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Bremen erhoben. Sie begehrt die Übernahme ihrer
Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe durch die Be-klagte für den Zeitraum 01.02.2009 bis
31.07.2009. Zur Begründung wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.
Ergänzend trägt sie vor, dass ihr Existenzminimum unterschritten würde, wenn sie den Differenzbetrag von 71,88
Euro (201,42 – 129,54 Euro) selbst tragen müsste. Zwar spreche vieles dafür, dass die Beklagte sich mit ihrer
Entscheidung nach dem Wortlaut des Gesetzes richte. Allerdings sei den Geset-zesmaterialien nicht zu entnehmen,
dass der Gesetzgeber eine solche Schlechterstellung derjenigen Hilfebezieher gewollt habe, denen aufgrund der
Gesetzesänderung ein Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung verwehrt sei. Der Anspruch auf Sicherung
des Exis-tenzminimums sei verfassungsrechtlich gesichert; hierzu gehöre auch der ausreichende Schutz für den Fall
von Krankheit und Pflege. Dieser Schutz erfordere die Übernahme der vollen Kosten. Unter Bezugnahme auf die
Beschlüsse des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.08.2009 – S 9 AS 5003/09 ER – und insbesondere des
Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.10.2009 – S 31 AS 174/09 ER – trägt die Klägerin ergänzend vor, dass eine
analoge An-wendung von § 26 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II in Betracht zu ziehen sei. Für eine Differen-zierung
zwischen den Personengruppen "freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen Rentenver-sicherung" und "Mitglieder einer
privaten Krankenversicherung mit dem Basistarif" fehle es an einem – verfassungsrechtlich erforderlichen -
sachlichen Grund. Mit Schriftsatz vom 15. April 2009 teilt die Klägerin mit, dass sie seit dem 01.10.2009 kein
Arbeitslosengeld II mehr bezie-he. Weiterhin stellt sie klar, dass sich die Klage auf den Zeitraum 01.02.2009 bis
31.07.2009 beziehe und Kosten für die Pflegeversicherung der Klägerin nicht in Streit stünden. Die Kos-ten für
Kranken- und Pflegeversicherung zusammen hätten im Zeitraum Februar bis Septem-ber 2009 monatlich 200,72 Euro
betragen; hiervon entfielen auf die private Krankenversiche-rung ein Betrag von 183,58 Euro. Streitgegenstand sei
demnach der Differenzbetrag zwi-schen den tatsächlichen Krankenversicherungskosten (183,58 Euro) und dem von
der Be-klagten gewährten Zuschuss (129,54 Euro), mithin ein Betrag in Höhe von 54,04 Euro.
Die Klägerin beantragt,
1. Der Bescheid der Beklagten vom 03.04.2009 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 21.07.2009 wird
abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die monatlichen Beiträge der Klägerin zu ihrer privaten Krankenversicherung für den
Zeitraum vom 01.02.2009 bis 31.07.2009 in tatsächlicher Höhe zu übernehmen, wobei die von der Beklagten für den
genannten Zeitraum be-reits gewährten Beitragszuschüsse zur privaten Krankenversicherung hiervon in Abzug zu
bringen sind.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid. Für den Ausgleich der De-ckungslücke durch den
Grundsicherungsträger bestehe keine gesetzliche Grundlage.
Am 20. April 2010 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden. In diesem Ter-min hat der
Prozessbevollmächtigte eine Beitragsübersicht der IR. vom 02.04.2009 überreicht, die als Beitrag für die
Krankenversicherung (UNI-Tarif) einen Betrag von 183,58 Euro aus-weist.
Die Leistungsakte der Beklagten – xxx – hat dem Gericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statt-haft. Sie ist auch
zulässig und begründet.
1. Der Klägerin steht in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum (01.02.2009 bis 31.07.2009) dem Grunde nach ein
Anspruch auf die Gewährung eines Zuschusses zu den Kosten ihrer privaten Krankenversicherung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen zu.
a) Allerdings ergibt sich dieser Anspruch nicht aus den geltenden einfachgesetzlichen Vor-schriften. Vielmehr ist
festzustellen, dass die Beklagte die geltenden Regelungen zutreffend angewendet hat.
aa) Ein Anspruch auf einen weiteren Zuschuss zu den Kosten der Krankenversicherung bis zur Höhe des
tatsächlichen von der Klägerin zu entrichtenden Betrags ergibt sich zunächst nicht aus § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II.
Nach dieser Vorschrift in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversiche-rung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GSK-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I, S.
378) gilt für Bezieher von Arbeitslosengeld II, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versi-
cherungspflichtig sind und nicht familienversichert sind und die für den Fall der Krankheit bei einem privaten
Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes
(VAG).
Die Klägerin gehört zu dem von § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II erfassen Personenkreis, da für sie mit dem Bezug von
Arbeitslosengeld ab dem 01. Februar 2009 keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung
eingetreten ist. Dies folgt aus dem ebenfalls mit GSK-WSG vom 26.03.2007 (BGBl. I, S. 378) mit Wirkung zum
01.01.2009 neu eingeführten Abs. 5a des § 5 SGB V, der Personen, die - wie die Klägerin - unmittelbar vor dem
Bezug von ALG II privat krankenversichert waren, von der Versicherungspflicht als Bezieher von Arbeitslosen-geld II
gemäß Abs. 1 Nr. 2a SGB V ausnimmt.
§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II verweist auf § 12 Abs. 1 c Satz 6 i.V.m. Satz 4 VAG. Danach wird der private
Krankenversicherungsbeitrag (nach dem Basistarif) bei Hilfebedürftigkeit halbiert. Der Grundsicherungsträger hat
allerdings nur den Betrag zu zahlen, der für einen Arbeitslosen-geld-II-Bezieher in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu tragen ist (zur Berechnung für das Jahr 2009 vgl. Klerks, Der Beitrag für die private
Krankenversicherung im Basistarif bei hilfebedürftigen Versicherungsnehmern nach dem SGB II und dem SGB XII,
info also 2009, S. 153 [156/157]; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B
ER -, zit. nach juris, Rz. 14). Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum errech-net sich ein für Bezieher von ALG II
in der gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlender Beitrag in Höhe von 129,54 Euro (Brünner, in: LPK-SGB II, 3.
Aufl., 2009, § 26 Rdnr. 21). Dies entspricht dem von der Beklagten bewilligten Zuschuss. Die Übernahme weiterer
Krankenver-sicherungskosten kann nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II nicht gefordert werden.
bb) Eine Übernahme des streitigen Differenzbetrages von § 54,04 Euro kommt auch nicht als Darlehen nach § 23
Abs. 1 S. 1 SGB II in Betracht. Eine Anwendung dieser Vorschrift schei-tert bereits daran, dass es sich bei den
Beiträgen zur privaten Krankenversicherung nicht um einen von den Regelleistungen umfassten Bedarf (vgl. hierzu §
20 Abs. 1 SGB II) handelt. Vielmehr hat der Gesetzgeber insoweit zusätzliche Leistungen des
Grundsicherungsträgers neben der Regelleistung vorgesehen (vgl. § 26 Abs. 2 SGB II, § 251 Abs. 4 SGB V). Bei der
Übernahme der Beiträge handelt es sich um eine Annexleistung zu den Leistungen nach dem SGB II (LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER -, zit. nach juris, Rz. 15 m.w.N.).
cc) Ebenso scheiden auch Ansprüche gegen den Sozialhilfeträger nach dem Sozialgesetz-buch Zwölftes Buch -
Sozialhilfe - (SGB XII) aus (Ausführlich hierzu SG Karlsruhe vom 10.08.2009 - S 5 AS 2121/09, Rn. 38 ff., zitiert nach
juris; im Anschluss hieran LSG Nieder-sachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER -, zit. nach
juris, Rz. 16 m.w.N.). Dies gilt zunächst für einen möglichen Anspruch aus § 32 Abs. 5 Satz 1 SGB XII (Beiträge für
Kranken- und Pflegeversicherung). Denn § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II schließt einen Anspruch auf Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII aus. Das Dritte
Kapitel des SGB XII umfasst die §§ 27 - 40, also auch den § 32 Abs. 5 Satz 1 SGB XII. Ebenso kommt ein Anspruch
auf Erbringung von Leistungen "in sonstigen Lebenslagen" nach § 73 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht. Denn als
"sonstige Lebenslagen" kommen nur atypische Bedarfslagen in Betracht, die nicht bereits durch andere Vorschriften
des SGB XII erfasst sind (BSG, SozR 4-3500 § 21 Nr. 1 Rdnr. 24). Die Übernahme der Aufwendungen für private
Krankenversicherung ist jedoch in § 32 Abs. 5 Satz 1 SGB XII geregelt. Angesichts dessen lässt sich die hier
streitige Problematik nicht als atypische "sonstige Lebenslage" werten (SG Karlsruhe vom 10.08.2009 - S 5 AS
2121/09, Rn. 38 ff., zitiert nach juris). Für die Kammer bestand somit keine Veranlassung, den örtlichen
Sozialhilfeträge beizuladen.
dd) Nach der hier vertretenen Auffassung kommt auch eine analoge Anwendung anderer Vorschriften, die eine
Übernahme der Beiträge zur Krankenversicherung in vollem Umfang vorsehen nicht in Betracht.
(1) Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, dass der Anspruch privat versicherter
Hilfebedürftige auf Übernahme ihres gesamten Krankenversicherungsbei-trags durch eine verfassungskonforme
Auslegung von § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II (Brün-ner, in: LPK-SGB II, 3. Aufl., 2009, § 26 Rdnr. 23) bzw. durch
analoge Anwendung von § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HS 1 SGB II Halbs 1 SGB 2 (SG Gelsenkirchen, Beschl. v.
02.10.2009 – S 31 AS 174/09 ER -; SG Freiburg, Urt. v. 10.08.2009 – S 5 AS 2121/09 -) oder § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB
II (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.09.2009 – L 3 AS 3934/09 ER-B -) begründet werden könne. Die Vertreter
dieser Auffassung argumentieren, dass eine Rege-lungslücke bestehe, die zu einer systemwidrigen Belastung der
privat Versicherten mit einem Teil ihrer Krankenkassenbeiträge führe (SG Gelsenkirchen, Beschl. v. 02.10.2009 – S
31 AS 174/09 ER -). Die Deckelung des vom Grundsicherungsträger für privat Versicherte zu leis-tenden Zuschusses
in § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG führe zu einer ungerechtfertigten Ungleichbe-handlung gegenüber in der gesetzlichen
Krankenversicherung freiwillig versicherten Perso-nen, für die während des Leistungsbezugs der volle Beitrag
übernommen wird (SG Gelsenkir-chen, Beschl. v. 02.10.2009 – S 31 AS 174/09 ER -), sowie gegenüber
Privatversicherten, bei denen durch eine Tragung der Beiträge Hilfebedürftigkeit vermieden werden kann (vgl. zum
Ganzen Brünner in LPK-SGB II, § 26 Rn. 23). Weitere verfassungsrechtliche Bedenken be-stünden im Hinblick auf
eine Bedarfsunterdeckung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.09.2009 – L 3 AS 3934/09 ER-B -; LSG
Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.01.2010 – L 34 AS 2001/09 B ER, L 34 AS 2002/09 B PKH -; vgl. auch Brünner, in:
LPK-SGB II, 3. Aufl., 2009, § 26 Rdnr. 23). Vor diesem Hintergrund sei es gerechtfertigt, die bestehende Rege-
lungslücke durch Übertragung einer für einen anderen Tatbestand vorgesehenen Rechtsfolge zu schließen (LSG
Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.09.2009 – L 3 AS 3934/09 ER-B).
(2) Auch wenn die Kammer die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der bestehen-den Rechtslage teilt
(Hierzu unter Ziff. 1.b), steht einer Korrektur dieses Rechtszustandes durch verfassungskonforme Auslegung bzw.
Analogiebildung entgegen, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Denn der Gesetzgeber hat für die
vorliegende Fallkonstel-lation in § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Satz 6 VAG eine ausdrückliche
Regelung vorgenommen und dabei die Möglichkeit einer Deckungslücke bewusst in Kauf ge-nommen (LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER -, zit. nach juris, Rz. 16 m.w.N.; LSG Baden-
Württemberg, Beschl. v. 22.03.2010 – L 13 AS 919/10 ER-B -; in der Tendenz auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschl.
v. 18.01.2010 – L 34 AS 2001/09 B ER, L 34 AS 2002/09 B PKH -; vgl. auch Brünner, in: LPK-SGB II, 3. Aufl., 2009,
§ 26 Rdnr. 21). Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat hierzu in seiner Entschei-dung vom 03.12.2009 –
L 15 AS 1048/09 B ER – überzeugend ausgeführt:
"Zwar erscheint die Belastung von Beziehern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II mit (anteiligen)
Kosten der Krankenversicherung in der Tat systemwidrig (vgl. hierzu ausführ-lich: SG Karlsruhe, a. a. O., Rn. 29ff).
Allerdings würde durch die Übertragung einer anderen Rechtsfolge (Bezuschussung des hälftigen Basistarifs in voller
Höhe) auf den vorliegenden Tatbestand (privat krankenversicherte Leistungsbezieherin nach dem SGB II, die
unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags hilfebedürftig ist) die Regelungsabsicht des Gesetz-gebers
vereitelt. Denn der Beitrag, den der Versicherungsgeber vom Versicherungsnehmer im Falle der Hilfebedürftigkeit
verlangen kann, wird in § 12 Abs. 1 c S. 4 VAG geregelt. Diese Vor-schrift sieht eine Halbierung des Beitrags vor. Der
Zuschuss des Grundsicherungsträgers ist demgegenüber in § 12 Abs. 1 c S. 6 HS 2 VAG geregelt. Durch die in S. 6
angeordnete ent-sprechende Anwendung des S. 4 wird klargestellt, dass durch die betragsmäßige Begrenzung des
Zuschusses die Beitragsschuld des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versiche-rungsunternehmen nicht
reduziert wird (vgl. BT-Drucksache 16/4247 zu Abs. 1 c, S. 69: "Es bleibt bei der vorgesehenen Beteiligung der
Grundsicherungsträger und der vorgesehenen Be-grenzung möglicher finanzieller Belastungen der
Versicherungsunternehmen in diesen Fäl-len."). Zwar war die Bezugnahme auf S. 4 in dem ursprünglichen Entwurf
des § 12 Abs. 1 c S. 6 VAG nicht enthalten, so dass die ursprüngliche Regelung auch so hätte verstanden werden
können, dass eine Beitragspflicht in der privaten Krankenversicherung nur in Höhe des Beitrags in der gesetzlichen
Krankenversicherung für Bezieher von ALG II bestehen sollte (vgl. Gegen-überstellung in der BT-Drucksache 16/4200,
S. 209). Die auf Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Gesundheit erfolgte Klarstellung in S. 6 macht jedoch
deutlich, dass die nur antei-lige Bezuschussung des hälftigen Beitrags im Basistarif der Regelungsabsicht des
Gesetzge-bers entspricht. Wenn das LSG Baden-Württemberg dementsprechend in seinem Beschluss vom
30.06.2009 (Az.: L 2 SO 2529/09 ER-B, Rn. 19, zitiert nach juris) zutreffend darauf hin-weist, dass die Regelung des §
12 Abs. 1 c S. 6 VAG "politisch entschieden” worden und eine abschließende Lösung der Problematik in den
Verhandlungen nicht zu erreichen gewesen sei, ist bei dieser Sachlage für die Annahme einer planwidrigen
Regelungslücke kein Raum (eben-so: SG Dresden, Beschluss vom 18. September 2009 - S 29 AS 4051/09 ER; vgl.
auch Brün-ner, a. a. O. Rn. 21: "bewusst in Kauf genommen"). Vielmehr bedarf es insoweit einer Korrektur durch den
Gesetzgeber (vgl. hierzu die bereits vorliegenden vielfältigen Vorschläge etwa in der "Position des Deutschen Vereins
zur Beitragslücke gem. § 12 Abs. 1 c S. 6 VAG” [www.deutscher-verein.de], des Bundesrates [BT-Drucksache
16/12677, S. 17], der Bundesar-beitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. [Ausschussdrucksache
16(14)0514(41)] und des Deutschen Städtetages [Erwartungen und Forderungen des Deutschen Städtetages an den
neuen Bundestag und die neue Bundesregierung, S. 25/26, www.staedtetag.de] sowie die entsprechende Diskussion
im Ausschuss für Gesundheit [BT-Drucksache 16/13260]). In der abgelaufenen Legislaturperiode wurden die
Regelungen des § 26 SGB II zwecks Schließung einer Regelungslücke zwar noch dahingehend ergänzt, dass für
Versicherungspflichtige in der gesetzlichen Krankenversicherung der Beitrag im notwendigen Umfang übernommen
wird, wenn allein durch den Krankenversicherungsbeitrag Hilfebedürftigkeit entsteht (§ 26 Abs. 2 S. 2 SGB II, neu
eingefügt mit Wirkung vom 01.01.2009 durch das Gesetz zur Änderung arzneimit-telrechtlicher und anderer
Vorschriften vom 17.07.2009, BGBl. I S. 1990). Dagegen ist es nicht gelungen, für Mitglieder einer privaten
Krankenversicherung, die ihre Beiträge nicht zahlen können, eine konsensfähige Regelung zu finden (vgl.
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BT-Drucksache 16/13428, S. 83), obwohl auch die damalige Bundes-
regierung insoweit Handlungsbedarf sah [vgl. BT-Drucksache 16/13965, S. 25f]))."
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an und macht sich diese zu Eigen. Die hier geltend
gemachte vollständige Beitragsübernahme kann somit nicht auf eine analoge Anwendung einfachgesetzlicher
Vorschriften gestützt werden.
b) Der Anspruch der Klägerin auf Übernahme ihrer ungedeckten Beitragsdifferenz ergibt sich aber aus Art. 1 Abs. 1
i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne der Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010 (1
BvL 1/09, 3/09, 4/09). Anspruchsgrundlage bildet hierbei die durch eine Anordnung des Bundesverfassungsgerichts in
der genannten Entschei-dung getroffene Härtefallregelung.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG es gebieten, auch
einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf zu decken, wenn dies im Einzelfall für ein
menschenwürdiges Existenzminimum erfor-derlich ist. Zugleich hat es festgestellt, dass das Sozialgesetzbuch II für
einen solchen laufen-den besonderen Bedarf keine Regelung vorsehe. Dem Gesetzgeber hat es deshalb aufgege-ben,
bis zum 31. Dezember 2010 neben der von ihm vorzunehmenden Neufestsetzung der Regelsätze auch eine Regelung
im SGB II zu schaffen, die sicherstellt, dass solche besonde-ren Bedarfe gedeckt werden. Bis zur Neuregelung durch
den Gesetzgeber hat das BVerfG im Tenor der Entscheidung ausdrücklich angeordnet, dass dieser Ausspruch nach
Maßgabe sei-ner Urteilsgründe unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu Lasten des
Bundes geltend gemacht werden kann.
aa) Die Voraussetzungen dieser Härtefallregelung liegen hier vor. Denn bei dem ungedeckten Differenzbetrag
zwischen dem vom Antragsgegner getragenen Zuschuss und dem monatli-chen Krankenkassenbeitrag der Klägerin
handelt es sich um einen besonderen Bedarf im Sinne der BVerfG-Entscheidung (ebenso SG Chemnitz, Beschl. v.
09.03.2010 – S 3 AS 462/10 ER -; vgl. zu den Voraussetzungen des "besonderen Bedarfs auch: BSG, Urt. v.
18.02.2010, B 4 AS 29/09 R -).
(1) Der Bedarf ist unabweisbar. Denn die unbedeckten Beitragskosten für die Krankenversi-cherung mussten von der
Klägerin, die im streitgegenständlichen Zeitraum über kein anderes Einkommen verfügte, vollständig aus der
Regelleistung gedeckt werden. Die Deckungslücke in Höhe von Rund 15 % des Regelsatzes, konnte nicht durch
Mittelumschichtung innerhalb der Regelleistung aufgefangen werden (vgl. zu diesem Merkmal: lang/Blüggel, SGB II,
2. Aufl., 2008, § 23 Rdnr. 29).
(2) Der Bedarf ist nicht nur einmalig, sondern laufend, da die Krankenkassenbeiträge von der Klägerin monatlich zu
entrichten waren.
(3) Die ungedeckten Beitragskosten sind bisher nicht von Regelleistung nach § 20 SGB II er-fasst (vgl. LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER -, zit. nach juris, Rz. 15 m.w.N.).
(4) Die Übernahme der nach geltendem Recht ungedeckten Beitragsdifferenz ist nach der hier vertretenen Auffassung
auch zwingend erforderlich zur Gewährleistung eines menschenwür-digen Existenzminimums.
Die in § 12 Abs 1 c S. 6 HS 2 VAG vorgesehene Beschränkung der Zuschüsse auf die Beträ-ge, die für einen in der
gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversiche-rung versicherten Leistungsbezieher anfallen, führt
zu einer existenzgefährdenden Bedarfsun-terdeckung. Der privat versicherte Hilfebedürftige muss die vom
Grundsicherungsträger nicht übernommenen Versicherungsbeiträge letztlich aus seiner Regelleistung aufbringen,
obgleich diese nicht, auch nicht anteilig, der Bestreitung der Kosten einer Absicherung im Krankheits-fall dient. Die
Regelsätze orientieren sich bereits am existenziellen Bedarf und reichen nicht aus, um hieraus auch noch die
Differenz zwischen den gewährten Beitragszuschüssen und den tatsächlich zu zahlenden Beiträgen zu bestreiten
(LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER -, zit. nach juris, Rz. 22 -). Im
vorliegenden beträgt die Beitragsdifferenz immerhin rund 15 % des Regelsatzes der Klägerin. Da die Klägerin in dem
streitigen Einkommen über kein (Arbeits-)Einkommen verfügte, war es ihr auch nicht möglich, die von ihr
aufzubringenden Versicherungsbeiträge vom Einkommen abzusetzen oder über die Freibeträge nach §§ 11 Abs. 2, 30
SGB II zu finanzieren. Die daraus resultierende, lau-fende Unterdeckung begründet eine unmittelbare Gefahr für das
Grundrecht der Klägerin auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m.
dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS
1048/09 B ER -, zit. nach juris, Rz. 27 -; zum unmittelbar verfassungs-rechtlichen Leistungsanspruch auf
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini-mums vgl. BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 -).
Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten wird, die nur anteilige Über-nahme der Beiträge zur
privaten Kranken- und Pflegeversicherung begründe für den Hilfebe-dürftigen keinen unzumutbaren, nicht wieder gut
zu machenden Nachteil, da aufgrund der weitreichenden Schutzvorschriften in den §§ 193 Abs. 6 Satz 5 und 6
Versicherungsvertrags-gesetz (VVG) auch bei Nichtzahlung der Versicherungsbeiträge seine Versorgung mit
Krankenversicherungsleistungen weiter gewährleistet sei (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.03.2010 – L 13 AS
919/10 -; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.03.2010 – L 25 AS 43/10 B ER -; BayLSG, Beschl. v.
29.01.2010 – L 16 AS 27/10 B ER), so folgt die Kammer dem nicht.
Zwar ist es zutreffend dass für Bezieher von ALG II-Leistungen ein Verzug mit Beiträgen der Krankenversicherung
nicht zu einem Wegfall des Krankenversicherungsschutzes führt. Auch wenn ein Beitragsrückstand von mehr als zwei
Monatsbeiträgen gem. § 193 Abs. 6 Satz 1 – 4 VVG grundsätzlich dazu führt, dass der Versicherungsschutz ruht, gilt
dies nach § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG nicht, wenn der Versicherte hilfebedürftig im Sinne des SGB II ist. Sobald Hilfe-
bedürftigkeit eintritt, endet das Ruhen. Selbst wenn es wegen Beitragsrückständen zu einer eventuellen Ruhenszeit
des Versicherungsschutzes kommt, ist nach § 193 Abs. 6 Satz 6 VVG weiterhin eine Notversorgung für akute
Erkrankungen und Schmerzzustände gewährleistet.
Ungeachtet dieser Schutzvorschriften konnte die Klägerin nach der Überzeugung der Kammer nicht darauf verwiesen
werden, ihre Beiträge zur privaten Krankenversicherung nur noch in Höhe des vom Grundsicherungsträger gewährten
gesetzlichen Zuschusses zu zahlen, um auf diese Weise eine Gefährdung ihres Existenzminimums abzuwenden. Die
gegenteilige Auffas-sung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.10.2009 - L 7 B 197/09 AS -) lässt außer Acht,
dass für die Klägerin eine gesetzliche Verpflichtung zur Aufrechterhaltung ihrer privaten Kran-kenversicherung zu
gesetzlich festgelegten Beiträgen besteht (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B
ER -, zit. nach juris, Rz. 25 -). Entgegen der Auffassung des LSG Baden-Württemberg (Beschl. v. 22.03.2010 – L 13
AS 919/10 -) wird diese Rechtspflicht zur Zahlung auch nicht dadurch zur bloßen moralischen Verpflichtung
herabgestuft, dass sie – im Hinblick auf den Krankenversicherungsschutz während des laufenden Hilfebezugs –
folgenlos bleibt. Die Klägerin kann vom Gericht nicht darauf verwiesen werden, sind rechtsuntreu zu verhalten und
gegen ihre Beitragspflicht zu verstoßen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER
-, zit. nach juris, Rz. 25 -). Im Übrigen gilt: Auch wenn § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG vorsieht, dass säumige
Beitragszahlungen den Versicherungsschutz von Hilfebedürftigen unberührt lassen, so kann nicht ausgeschlossen
werden, dass es hierüber zu einer Auseinandersetzung mit der Krankenkasse kommt und der Hilfebedürftige so doch
Gefahr läuft, dass bei Nichtzahlung der Beiträge für zwei Monate ein Ruhen der Leistungen eintritt und nur für eine
Notversorgung Leistungen erstattet werden. Allein diese nur mögliche Folge der Nichtzahlung des kompletten
Krankenversicherungsbeitrags, nämlich dass die optimale Gesundheitsversorgung nicht gewährleistet ist, begründet
nach der hier vertretenen Auffassung einen hinreichend ge-wichtigen Nachteil (So auch LSG Berlin-Brandenburg,
Beschl. v. 18.01.2010 – L 34 AS 2001/09 B ER, L 34 AS 2002/09 B PKH -). Die Einstufung der Beitragspflicht des
Hilfebedürftigen als folgenlose "moralische Pflicht" geht auch deshalb fehl, da die Beitragsforderungen des
Krankenversicherungsunternehmens tatsächlich fortbestehen, auch wenn sie während der Dauer der Hilfebedürftigkeit
nicht durchgesetzt werden können. Im Falle von Nichtzahlung oder nur anteiliger Zahlung der Beiträge führt dies dazu,
dass während des ALG II-Bezugs hohe Beitragsrückstände aufgebaut werden. Scheidet der Betreffende aus dem
Hilfebezug aus, weil er etwa eine Arbeit gefunden hat, so führen diese Beitragsrückstände spätestens ab diesem
Zeitpunkt dazu, dass der Kranken-versicherungsschutz "ruht" bzw. auf Akutbehandlungen reduziert ist; denn der
besondere Schutz bei Hilfebedürftigkeit greift dann nicht mehr. Je nach Höhe der Beitragsschuld kann dies zu einer
dauerhaften oder zumindest lange währenden Reduktion des Versicherungs-schutzes führen. Dies ist nicht zumutbar.
Nicht zuletzt teilt die Kammer auch die Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, wonach die
Kosten der Existenzsicherung (hier: die Kosten für die medizinische Versorgung) nicht auf Dritte verlagert werden
dürfen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.12.2009 – L 15 AS 1048/09 B ER -, zit. nach juris, Rz. 26 -).
Vielmehr handelt es sich hierbei um einen originäre Pflicht des Staates. Diese ent-fällt auch nicht dadurch, dass dem
Kraft Gesetzes zur Leistung verpflichteten Dritten (hier: der privaten Krankenversicherung) für die Zeit der
Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II untersagt wird, seine Leistungen zu begrenzen oder einzustellen. Dies gibt dem
Staat nicht das Recht, den privaten Krankenversicherer quasi als Ausfallbürgen für die Kosten der Heilbehandlung zu
behandeln in dem Vertrauen darauf, dass dieser seinerseits seinen Leistungsumfang nicht beschränken darf und
damit die medizinische Grundversorgung des Hilfebedürftigen weiterhin garantiert ist.
bb) Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass die Beteiligten über Versi-cherungsbeiträge für den
Zeitraum Februar bis Juli 2009 streiten.
Zwar hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 entschieden, dass die verfas-sungswidrige Lücke durch
die Anordnung der Härtefallregelung für die Zeit ab Verkündung des Urteils zu schließen sei [Hervorhebung durch die
Kammer], was gegen eine Anwendung auf zurückliegende Zeiträume sprechen könnte. In diese Richtung weist auch
ein aktueller Nichtannahmebeschluss des BVerfG, in dem ausführt wird, die Härtefallregelung gelte nicht rückwirkend
für Zeiträume, die vor der Verkündung dieses Urteils (vom 09.02.2010) liegen (BVerfG, Beschl. v. 24.03.2010 – 1 BvR
395/09 -).
Die Kammer folgt insoweit jedoch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wo-nach die Härteleistung
auf Grund von Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in laufenden und noch nicht abgeschlossenen Verfahren
gewährt werden kann, auch wenn diese Verfahren Leistungen für Zeiträume vor der Verkündung des BVerfG-Urteils
vom 09.02.2010 betreffen (BSG, Urt. v. 18.02.2010 – B 4 AS 29/09 R -). Hierfür spricht, dass das BVerfG die Notwen-
digkeit einer Härtefallregelung bis zu einer entsprechenden Neuregelung durch den Gesetz-geber damit begründet hat,
dass ansonsten die Gefahr einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG bestehe, die auch nicht vorübergehend
hingenommen werden könne. Vor diesem Hintergrund erscheint es jedenfalls in laufenden Verfahren nicht hinnehmbar,
besondere Bedarfe erst für Leistungszeiträume ab dem 09.02.2010 zu berücksichtigen und die in dem davor liegenden
Zeitraum bestehende, verfassungswidrige Unterschreitung des Existenzminimums unkorrigiert bestehen zu lassen.
Das BSG hat in diesem Zusammenhang ergänzend darauf hingewiesen, dass über eine verfassungskonforme
Auslegung der §§ 23 Abs. 1 SGB II, 73 SGB XII nach-gedacht werden müsse, wenn ein verfassungsrechtlicher
Anspruch erst für Leistungszeiträu-me ab dem 09.02.2010 zu berücksichtigen wäre (BSG, Urt. v. 18.02.2010 – B 4
AS 29/09 R -). Solche "Behelfslösungen" im Wege verfassungskonformer oder analoger Anwendung sollten durch die
Härtefallregelung des BVerfG aber gerade vermieden werden, zumal stets die Ge-fahr besteht, dass einzelne
Sonderbedarfe hiervon nicht erfasst werden.
Im Übrigen sprechen auch allgemeine rechtliche Erwägungen für eine Anwendung der Härte-fallregelung auf den
vorliegenden Fall. Mit der Entscheidung des BVerfG hat sich eine Ände-rung der Rechtslage ergeben, da durch die
Anordnung der Härtefallregelung eine Anspruchs-grundlage für besondere Bedarfe wie etwa die hier in Streit stehenden
ungedeckten Kranken-versicherungsbeiträge geschaffen wurde, die zuvor nicht bestanden hat. Damit stellt sich die
Frage, welche Rechtslage maßgeblich ist bzw. was der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurtei-lung der Klage ist. Dies
ist eine Frage nicht des Prozessrechts, sondern vielmehr des mate-riellen Rechts (Keller, in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG. 9. Aufl., 2008, § 54 Rdnr. 32). Handelt es sich - wie hier – um eine Leistungs- oder
Verpflichtungsklage, so ist in der Regel der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entscheidend (Keller,
a.a.O., Rdnr. 34). Hat sich bis zu diesem Zeitpunkt die Rechtslage geändert und besteht erstmals eine Rechtsgrund-
lage für den geltend gemachten Anspruch, so ist auf dieser geänderten Grundlage zu ent-scheiden (BSG, Urt. v.
17.02.2005 – B 13 RJ 31/04 R -). Im vorliegenden Fall war die Anord-nung des BVerfG vom 09.02.2010 im Zeitpunkt
der letzten mündlichen Verhandlung (am 20.04.2010) bereits ergangen; materiellrechtliche Erwägungen, die einen
anderen Beurtei-lungszeitpunkt nahe legen, sind nicht ersichtlich. Damit sprechen auch allgemeine Rechts-grundsätze
dafür, die Härtefallregelung anzuwenden.
2. Hinsichtlich der Höhe des zu gewährenden Zuschusses war zu berücksichtigen, dass der Klägerin nicht mehr
gewährt werden kann, als sie tatsächlich für ihre Kranken- und Pflegever-sicherung aufwenden muss. Ausweislich der
im Termin am 20. April 2010 vorgelegten Bei-tragsübersicht der IR. belief sich der monatliche Beitrag zur
Krankenversicherung in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum auf 183,58 Euro. Die Differenz zu den von der
Antragsgegne-rin bereits gewährten Zuschüssen in Höhe von 129,54 Euro/Monat betrug demnach 54,04 Euro. In Höhe
dieses Betrages war der Klägerin ein weiterer Zuschuss zuzusprechen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
4. Die Berufung bedurfte der Zulassung. Die Beklagte ist lediglich mit ca. 324,24 Euro be-schwert (= Differenz
Krankenkassenkosten (183,58 Euro)./. Zuschuss (129,54 Euro) = 54,04 Euro X 6 Monate). Der Beschwerdewert von
750,00 Euro gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist somit nicht erreicht.
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die
Rechtsfrage, ob ein Anspruch auf Übernahme der nicht durch den Zu-schuss nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. §
12 Abs. 1 c S. 6 VAG gedeckten Beitragsan-teile zur privaten Krankenversicherung besteht sowie die Frage, worauf
ein solcher Anspruch gestützt werden kann und ob es sich bei der ungedeckten Beitragsdifferenz um einen beson-
deren, wiederkehrenden Bedarf im Sinne der zuvor zitierten Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts (Urt. v.
09.02.2010 - 1 BvL 1/09 -, Rz. 205 ff., 220) handelt, ist von grundsätzli-cher Bedeutung und in der Rechtsprechung
bislang noch nicht geklärt.